Deutschland: Jeder zehnte Erwachsene ist überschuldet

Die Zahl der überschuldeten Menschen in Deutschland ist zum vierten Mal in Folge angestiegen. Sie nahm in diesem Jahr um 65.000 auf 6,9 Millionen Menschen zu. Jeder zehnte Erwachsene hat damit dauerhaft höhere Gesamtausgaben als Einnahmen. Das geht aus dem jährlich erscheinenden „Schuldneratlas Deutschland“ der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervor, der am 9. November veröffentlicht wurde.

Hauptursache der Überschuldung sind Arbeitslosigkeit und zeitlich befristete, unsichere und schlecht bezahlte Arbeitsplätze. Dazu kommen schwere und langfristige Erkrankungen, Unfälle, Tod eines Partners, Trennung und Suchtprobleme.

Besonders stark stieg die Überschuldung bei Solo-Selbständigen. Dazu gehören LKW-Fahrer, die formal selbständig sind, aber oft nur für eine Firma fahren, die dadurch Sozialversicherungsbeiträge spart. Auch Selbständige, deren Geschäftsmodell nicht aufgeht und die nicht in der Lage sind, die vollen Sozialversicherungsbeiträge und den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu zahlen, gehören in diese Kategorie.

Überdurchschnittlich stark hat auch die Alters-Überschuldung zugenommen. Vier von fünf Menschen, die in diesem Jahr erstmals überschuldet waren, sind älter als 50 Jahre. Bei den über 70-Jährigen stieg die Zahl der Überschuldeten um 12 Prozent.

Immer häufiger kommt es vor, dass armen Rentnern der Strom abgestellt wird oder dass sie in die Schuldenfalle stürzen, weil sie ihre Rechnungen, die Kosten für eine neue Brille oder die Zuzahlungen für teure Medikamente nicht mehr bezahlen können.

Während die Medien die „gute Wirtschaftslage“ und die „niedrigste Arbeitslosenzahlen seit 1991“ feiern, geben der dramatische Anstieg der Wohnungsnot und die Zunahme der Überschuldung ein ganz anderes Bild der sozialen Lage in Deutschland. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander.

Laut dem Schuldneratlas von Creditreform kamen in diesem Jahr fast alle neuen Überschuldungsfälle aus der Mittelschicht. Damit sind Menschen gemeint, die normal oder etwas besser verdienen. Dies ist ein neues Phänomen. Ihnen fällt es laut einer Studie der Universität Duisburg-Essen besonders schwer, mit den persönlichen und sozialen Auswirkungen der Überschuldung umzugehen, weil diese als soziales Stigma gilt. Die Folge ist oft Scham und selbst gewählte soziale Isolation der Betroffenen.

Soziale Isolation tritt allein schon deshalb ein, weil sich Arme und Überschuldete die Teilnahme am sozialen und kulturellem Leben nicht mehr leisten können. Viele Alleinerziehende, Hartz-IV-Empfänger und arme Rentner können sich keine Tickets für den Nahverkehr, keine Kino-, Theater- oder Konzertbesuche und keine Teilnahme von Kindern an Klassenfahrten leisten. Auch die Gesundheit leidet, da das Geld für nicht verschreibungspflichtige Medikamente, beispielsweise gegen Erkältungskrankheiten, fehlt.

Die Hauptverantwortung für das dramatische Ansteigen der Armut tragen die SPD und die Grünen, die vor 15 Jahren die Hartz-Gesetze verabschiedet haben. Deren angebliches Ziel war die Senkung der Arbeitslosigkeit – nicht durch neue, vernünftig bezahlte Arbeitsplätze, sondern durch einen massiven Sozialabbau, der Arbeitslose zwang, selbst die miesesten und schlecht bezahltesten Jobs anzunehmen.

Die Folge war ein starkes Anwachsen des Niedriglohnsektors, in dem mittlerweile jeder vierte Beschäftigte arbeitet, darunter eine Million Leiharbeiter und sieben Millionen Minijobber. Diese prekär beschäftigten Menschen tauchen in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr auf.

Der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, sagte in einem Radiobeitrag zum 15. Jahrestag der Verabschiedung der Hartz-Gesetze: „Die Einführung von Hartz IV hat in Deutschland Armut erzeugt.“ Quasi über Nacht sei 2002 die Zahl derer, die von Sozialhilfe leben mussten, von rund drei auf sieben Millionen Menschen gestiegen. „Und das Schlimme ist: Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir haben nach wie vor über sieben Millionen Menschen, die von Fürsorgeleistungen leben, und davon befinden sich rund sechs Millionen in Hartz IV.“

Viele dieser Menschen sind arm, wohnungslos und überschuldet. In Regionen und Städten mit stark verbreiteter Armut und Niedriglohnarbeit ist auch die Überschuldung hoch. Das gilt für Teile von Nordrhein-Westfalen, des Saarlands, Sachsen-Anhalts, Sachsens, Mecklenburg-Vorpommerns, Bremens und Berlins. In Duisburg beträgt die Überschuldungsquote 17,1, in Dortmund 14,4, in Essen 13,8, in Leipzig 13,4 und in Berlin und Bremen 12,6 Prozent.

In Bayern liegt die Überschuldungsquote zwar niedriger, stiegt aber besonders rasch an. „Auffällig: Die Anstiege der Überschuldungsfälle liegen in Bayern seit 2015 über denen in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg“, heißt es in der Studie von Creditreform. Besonders ausgeprägt ist der Gegensatz von Arm und Reich in der Landeshauptstadt München mit ihren hohen Mieten und Lebenshaltungskosten. Diese sind für viele Normalverdiener und erst recht für Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiten, unbezahlbar.

Dazu kommt überall der Anstieg der Mieten und Mietnebenkosten, vor allem der Energiekosten. Sie haben einen starken Anteil daran, dass die Zahl der Überschuldeten und Wohnungslosen stark ansteigt.

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