IYSSE-Veranstaltung an der Humboldt-Universität

Die Aktualität des Marxismus

Am Montag kamen etwa 150 Studierende zur Wahlabschlussveranstaltung der IYSSE an der Humboldt-Universität Berlin. Unter dem Titel „200 Jahre Karl Marx – Die Aktualität des Marxismus“ diskutierten sie mehrere Stunden über soziale Ungleichheit, Militarismus und die revolutionären Perspektiven der Vierten Internationale.

Der Spitzenkandidat der IYSSE bei den Wahlen zum Studierendenparlament, Sven Wurm, leitete die Veranstaltung ein. Er betonte, dass die IYSSE Marx nicht aus akademischem Interesse studierten. „Nur mit Marx kann die kapitalistische Krise verstanden und eine revolutionäre Perspektive der Arbeiterklasse formuliert werden“, erklärte er.

Die Marx-Veranstaltung an der Humboldt-Universität

Der Chefredakteur der deutschen Ausgabe der World Socialist Web Site, Peter Schwarz, ging dann ausführlich auf Marx‘ Lehre und die Entwicklung des Marxismus ein. In drei Teilen sprach er zunächst über die Grundzüge der Marx‘schen Lehre, diskutierte dann, ob der Marxismus in den letzten 150 Jahren bestätigt oder widerlegt worden sei, und zeigte schließlich, wie aktuell Marx heute ist.

Angesichts der zahllosen Verfälschungen des Marxismus durch den Stalinismus, die Sozialdemokratie und intellektuelle Tendenzen wie der Frankfurter Schule sei es bedeutsam, sich anzusehen, was Marx tatsächlich gesagt habe, betonte Schwarz. Er ging dann detailliert auf Marx‘ materialistische Geschichtsauffassung und sein dialektisches Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung ein.

Auf dieser Grundlage habe Marx erstmals ein wissenschaftliches Verständnis der menschlichen Gesellschaft und ihrer Entwicklung geschaffen, das die Voraussetzung bildet, sie zu verändern. Mit ausführlichen Zitaten aus dem Kommunistischen Manifest zeigte Schwarz, wie Marx den Klassenkampf als Motor der Geschichte und die internationale Arbeiterklasse aufgrund ihrer objektiven Existenzweise als revolutionäre Kraft verstand.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs sei der Kapitalismus wie von Marx vorausgesagt zusammengebrochen, erklärte Schwarz. Die Parteien der Zweiten Internationale hätten sich vom Marxismus abgewandt, den Krieg unterstützt und die rebellierende Arbeiter niederschießen lassen. Die marxistischen Gegner des Kriegs, insbesondere Lenin und Trotzki, hätten dagegen die Revolution vorbereitet. Die Oktoberrevolution in Russland habe die materialistische Geschichtsauffassung und die Perspektive des Kommunistischen Manifests bestätigt.

Als sich in der Sowjetunion mit Stalin eine bürokratische Schicht an die Macht setzen konnte, die im Gegensatz zur Revolution und der Arbeiterklasse stand, wurde der Marxismus von Leo Trotzki und der Vierten Internationalen verteidigt. Trotz der Isolation nach dem Zweiten Weltkrieg hielt das Internationale Komitee der Vierten Internationale daran fest, dass in jedem Land der Welt revolutionäre Arbeiterparteien aufgebaut werden müssen.

Als ab 1968 erneut Massenstreiks und Proteste der Arbeiterklasse ausbrachen, konnten diese aber von den großen sozialdemokratischen und stalinistischen Bürokratien unter Kontrolle gebracht werden, die noch über großen Einfluss unter Arbeitern verfügten. Heute sei dies völlig anders, erklärte Schwarz. „Die alten Apparate sind zusammengebrochen und das Internationale Komitee wird als Stimme des Marxismus wahrgenommen.“

Die marxistische Perspektive der Vierten Internationale sei heute hoch aktuell, so Schwarz. Mit beeindruckenden Zahlen wies er nach, dass die soziale Ungleichheit so groß ist wie nie zuvor. Die USA bereiteten sich auf einen Weltkrieg vor, und auch in Deutschland kehre der Militarismus zurück. Unter diesen Bedingungen wächst in Europa und auf der ganzen Welt der Klassenkampf.

„Unsere vorrangige Aufgabe besteht nun darin, systematisch, bewusst und angriffslustig eine revolutionäre Führung aufzubauen. Davon hängt es ab, ob das Grundproblem der Menschheit – Sozialismus oder Barbarei – eine fortschrittliche Lösung findet“, zitierte Schwarz am Ende aus der Neujahrs-Perspektive der WSWS. „Das IKVI begeht Marx‘ 200. Geburtstag unter dem Motto seiner berühmtesten Maxime: ‚Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.‘“

Die Zuhörer verfolgten den Beitrag gebannt. Im Anschluss wurden viele Fragen gestellt. Über die Möglichkeit des Sozialismus und des Aufbaus einer revolutionären Führung, die Erfahrungen der Bürgerbewegung in der DDR, den Ersten Weltkrieg, den Einfluss der Massenmedien und die Bedeutung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse.

Schwarz und Wurm beantworteten die Fragen ausführlich, und es beteiligten sich auch andere Mitglieder der IYSSE an der Diskussion, die auch nach dem formalen Ende der Veranstaltung noch lange auf den Fluren der Universität fortgesetzt wurde. Wurm erklärte am Ende, dass die wichtigste Schlussfolgerung aus dem Vortrag und der Diskussion sei, selbst aktiv zu werden und die revolutionäre Führung aufzubauen. Der erste Schritt sei die Wahl der IYSSE bei den Wahlen zum Studierendenparlament an der HU am 16. und 17. Januar, aber jeder Zuhörer sollte die Entscheidung treffen, aktives Mitglied der IYSSE zu werden.

Die Resonanz auf die Veranstaltung war enorm. Edessa, die Kunstgeschichte an der HU studiert, sagte, dass sie dem ganzen Vortrag gespannt gefolgt sei. „Die wesentlichen Positionen des Marxismus wurden beeindruckend zusammengefasst.“

Zwei Studenten der Technischen Universität Berlin, die durch Plakate vor ihrer Uni auf die Veranstaltung aufmerksam wurden, fanden vor allem den aktuellen Bezug des Vortrags bedeutend. Das „weltweite Säbelrasseln“ und der deutliche Rechtsruck der großen Parteien in Deutschland seien sehr beunruhigend, erklärte einer von ihnen.

Auch Koray, der an der Charité Medizin studiert und über den StuPa-Wahlkampf auf die IYSSE gestoßen ist, hält die Ideen des Marxismus für hochaktuell – „weil ich mich heute nicht mehr vertreten fühle“, erklärt er. „Ich glaube, dass die Interessenpolitik unseres Staates sich heute nicht auf das Volk, sondern auf Lobbyismus und auf Geld stützt und den persönlichen Interessen einiger weniger dient.“

Das könne man gerade bei Siemens beobachten, wo keine Rücksicht auf die Arbeiter genommen werde. „Kapitalismus ist eigentlich wider die Menschenwürde. Das war meine Motivation heute hierher zu kommen. Das ist die Aktualität des Marxismus“, erklärte er.

„Es geht vor allem um soziale Ungleichheit. Militarismus ist für mich eine Folge dessen. Militarismus ist die Politisierung des Kapitalismus im Sinne von Expansionspolitik.“ Spätestens seit Afghanistan würden ständig imperialistische Kriege geführt. Koray stimmte zu, dass Trump jetzt das wahre Gesicht des amerikanischen Kapitalismus zeige.

Seine Kommilitonin Lara, die an der HU Geographie studiert, ergänzte: Im Gegensatz zu Obama müsse man bei Trump „nicht mehr zwischen den Zeilen lesen“. Sie ist besorgt über die Rhetorik der USA gegen Nordkorea: „Trump ist unberechenbar. Das macht mir Angst.“

Man könne sich einen Atomkrieg kaum vorstellen, weil er noch nie passiert sei, so Koray. „Aber es verändert mein Lebensgefühl. Ich lebe jetzt immer ein bisschen mit dem Bewusstsein, dass die ganze Weltsituation gerade so unsicher ist und dass wirklich noch einmal ein Weltkrieg ausbrechen könnte.“

So wie Edessa, Koray und Lara ging es vielen. Über 30 Zuhörer hinterließen ihre Kontaktdaten, um Mitglied der IYSSE zu werden, den Wahlkampf der IYSSE zu unterstützen oder zu weiteren Veranstaltungen eingeladen zu werden.

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