SPD-Führung macht Druck für Große Koalition

Vor dem SPD-Sonderparteitag am 21. Januar in Bonn ist die sozialdemokratische Führung bemüht, die eigenen Reihen zu schließen, um den Weg für eine Neuauflage der Großen Koalition frei zu machen. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz und die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles bereisten in den vergangenen Tagen Nordrhein-Westfalen, um dort den mitgliederstärksten Landesverband auf ein erneutes Bündnis mit den Unionsparteien einzuschwören.

Die Diskussion sei intensiv, emotional und auch kontrovers verlaufen, erklärte Schulz nach einer Debatte mit Parteitagsdelegierten in Düsseldorf. „Ermutigend“ sei gewesen, „dass wir durch den Austausch der Argumente mehr zusammenkommen als auseinandergehen“. Er habe ähnlich wie in Dortmund am Tag zuvor viel Nachdenklichkeit gespürt. Das lasse ihn „hoffen, dass wir in großer Geschlossenheit auf dem Parteitag mit einem Mandat ausgestattet werden, in diese Koalitionsverhandlungen einzutreten“.

Am Sonntag stimmen in Bonn 600 Delegierte und der 45-köpfige SPD-Vorstand über die mögliche Fortsetzung der Großen Koalition ab. An Beschlüsse von Landesparteitagen oder -vorständen sind sie dabei nicht gebunden. In den vergangenen Tagen hatten sich die SPD-Landesverbände in Berlin (23 Delegierte) und Sachsen-Anhalt (6) gegen die GroKo ausgesprochen. Die Landesverbände in Brandenburg (10 Delegierte) und Hamburg (15) votierten für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Die NRW-SPD (144 Delegierte) führt im Vorfeld keine formale Abstimmung durch.

Um ihr Ziel – die Bildung einer neuen Rechtsregierung mit der Union – auch gegen die Kritik in den eigenen Reihen durchzusetzen, tritt die SPD-Spitze zunehmend aggressiv auf. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk beklagte Nahles, Kritiker in der eigenen Partei würden das Ergebnis der Sondierungen „mutwillig schlechtreden“, und drohte: „Das akzeptiere ich nicht. Da werde ich dagegenhalten, und das aus guten Gründen. Weil es sind sehr, sehr viele Erfolge erreicht worden.“

Was Nahles und die SPD unter „Erfolgen“ verstehen, geht aus den „Ergebnissen der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD“ hervor, die am vergangenen Freitag veröffentlicht wurden. Hinter einigen hohlen Phrasen über „Frieden“ und mehr „soziale Gerechtigkeit“ sieht das 28-seitige Papier eine Fortsetzung und Verschärfung der Politik des Militarismus, der inneren Aufrüstung und des Sozialabbaus vor. In der Flüchtlingspolitik haben Union und SPD die Forderung der extremen Rechten nach einer Obergrenze für Flüchtlinge übernommen. Die World Socialist Web Site hat ausführlich über die Kernpunkte des rechten Papiers berichtet.

Vor allem die zügige Umsetzung der angestrebten gemeinsamen europäischen Militär- und Großmachtpolitik in Zusammenarbeit mit Frankreich liegt der SPD am Herzen. Am Mittwoch appellierte der geschäftsführende Außenminister und frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel an die SPD, ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht zu werden. Weltweit sei „die Hoffnung groß, dass die SPD dafür sorgt, dass Deutschland endlich Frankreich die Hand reicht zur Erneuerung und Stärkung Europas“. Denn alle hätten „gesehen, dass CDU/CSU, Grüne und FDP dazu nicht bereit und in der Lage waren“.

Die Teile der SPD, die die Bildung einer erneuten Großen Koalition ablehnen, haben keine grundlegenden Differenzen mit diesem politischen Kurs, den sie in den vergangenen vier Jahren ohnehin voll mitgetragen haben.

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk schlug der Vorsitzende der Jusos in Nordrhein-Westfalen, Frederick Cordes, dann auch vor, die Ergebnisse der Sondierungen in Form einer Minderheitsregierung umzusetzen. Er sei der Meinung, „dass dieses Papier eine gute Grundlage dafür sein könnte, wenn man sich den Europateil anguckt“. Es sei nicht alles „schlecht darin“, und die Partei sei „bereit, so eine Minderheitsregierung zu tolerieren“.

Hinter dem Schlachtruf der Jusos „No-GroKo“ steht die Furcht, dass die SPD das gleiche Schicksal erleiden könnte, wie die Sozialistische Partei in Frankreich oder PASOK in Griechenland, wenn sie ihre Kriegs- und Kürzungspolitik in einer erneuten Regierungskoalition mit der Union fortsetzt.

„20 Prozent ist noch nicht das Ende der Fahnenstange, wir haben das in Frankreich gesehen. Wir haben natürlich Angst, dass die Sozialdemokratie quasi verschwindet“, erklärte ein Mitglied der Jungsozialisten in einem Video auf Spiegel Online. Eine offizielle Erklärung der Jusos warnt: „Die letzten Jahre sowie ein Blick in unsere europäischen Nachbarstaaten lehren uns: Wer aus Gründen der kurzfristigen Stabilität den Weg in eine Große Koalition ebnet, setzt mittelfristig die eigene politische Existenz aufs Spiel.“

Die gleiche Furcht treibt die Linkspartei um. Sollten die Sozialdemokraten erneut mit der Union koalieren, habe er „die Befürchtung, dass das die Glaubwürdigkeit bei der SPD noch weiter beschädigt“, so der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, auf einer Pressekonferenz. Das sei „nicht gut fürs Land“. Die Linke wünsche sich „nicht, dass die SPD völlig in den Keller geht und damit Leute gestärkt werden, die wir in diesem Parlament überhaupt nicht wollen“.

Neuwahlen, wie sie die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) fordert, um für eine sozialistische Alternative zur Großen Koalition zu kämpfen, will auch die Linke am liebsten vermeiden. Stattdessen signalisierte Bartsch der herrschenden Klasse, dass seine Partei auch auf Bundesebene bereit steht, eine rechte kapitalistische Regierung mitzutragen. „Selbstverständlich ist die Minderheitsregierung eine Option, die man auch seriös prüfen kann.“ Er würde sich „im Übrigen auch jetzt wünschen, dass bestimmte Entscheidungen in einer Zeit, wo es keine Regierung gibt, getroffen werden. Da gibt es genügend Anträge und vielleicht funktioniert das ja auch.“

Jusos und Linkspartei fürchten, dass die SGP und ein sozialistisches Programm an Einfluss gewinnen, wenn es Neuwahlen gibt oder die SPD die verhasste Koalition mit der CDU/CSU fortsetzt und die rechtsextreme AfD Oppositionsführerin im Parlament wird. Bereits bei den Wahlen im September hatten Union und SPD ihre jeweils schlechtesten Ergebnisse in der Nachkriegsperiode eingefahren und insgesamt 14 Prozent der Stimmen eingebüßt. Nach Abschluss der Sondierungen mit der Union ist die SPD laut einer Insa-Umfrage auf ihren niedrigsten jemals gemessenen Wert gerutscht und liegt nur noch bei 18,5 Prozent. Insgesamt würde damit nur noch jeder Zweite eine der beiden sogenannten Volksparteien wählen.

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