Perspektive

„Brüche, Ängste und Scheitern“: Die herrschenden Eliten der Welt blicken in den Abgrund

In der nächsten Woche werden sich wieder einmal rund 2.500 Banker, Hedgefondsmanager, Unternehmensvorstände, Regierungsvertreter und Prominente in dem Ferienort Davos in den Schweizer Alpen zum Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum, WEF) treffen.

Angesichts des Eintrittspreises von 55.000 Dollar und der opulenten Partys, die am Rande des jährlichen Treffens stattfinden, könnte man annehmen, die Teilnehmer aus der Wirtschafts- und Finanzoligarchie hätten viel zu feiern.

Letzten Monat veröffentlichte Bloomberg seinen Milliardärsindex, laut dem die Vermögen der 500 reichsten Milliardäre, von denen viele am Treffen teilnehmen, im letzten Jahr um insgesamt 23 Prozent bzw. eine Billion Dollar angestiegen sind. Die obszöne Bereicherungsorgie geht weiter. Am Mittwoch lag der Aktienindex Dow Jones bei 26.000 Punkten, nachdem er so schnell wie nie zuvor um 1.000 Punkte angestiegen war.

Und doch zeichnet das Grundsatzdokument, das als Basis für die Treffen und geheimen Diskussionen während der viertägigen Veranstaltung veröffentlicht wurde, das Bild einer globalen herrschenden Elite in Todesangst. Sie fürchtet, dass die zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Krisen und vor allem die Gefahr eines Weltkriegs und einer sozialen Revolution sie nicht nur ihr Vermögen kosten könnte, sondern auch ihren Kopf.

Der Global Risks Report des WEF für das Jahr 2018 trägt den Titel „Brüche, Ängste und Scheitern“. Im Bericht finden sich Zwischenüberschriften wie „Der Tod des Handels“, „Die Demokratie bricht ein“, „Ausrottung mit Präzision“, „In den Abgrund“, „Angst vor ökologischem Armageddon“ und „Krieg ohne Regeln“.

Die Ausarbeitung des Berichts ging mit einer Umfrage unter fast eintausend Banken- und Unternehmensvorständen, Regierungsvertretern und Akademikern einher. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass 93 Prozent von ihnen für das Jahr 2018 eine Verschärfung der Konfrontationen zwischen den Großmächten fürchten. Ganze 79 Prozent sind der Ansicht, die Gefahr eines großen militärischen Konflikts zwischen zwei oder mehreren Staaten habe sich erhöht. Der Bericht erwähnt sowohl die Konfrontation zwischen den USA und Nordkorea, die die größte Gefahr eines Atomkriegs seit dem Ende des Kalten Krieges in sich birgt, als auch die immer komplexeren innerstaatlichen Konflikte, die das Resultat der US-Militärinterventionen im Irak und Syrien sind.

Die Ängste vor einem globalen Krieg sind vollkommen berechtigt. Letzten Monat hatte US-Präsident Donald Trump seine neue nationale Sicherheitsstrategie vorgelegt, in der Russland und China als „revisionistische Mächte“ bezeichnet werden, die der Durchsetzung der globalen Hegemonie der USA im Weg stehen. Die Strategie beinhaltet darüber hinaus eine aggressive Kriegspolitik, die atomare Erstschläge auch gegen Gegner vorsieht, die konventionelle Waffen und Cyberangriffe einsetzen.

Ende dieses Monats wird Trump den Entwurf für eine Nuklearstrategie veröffentlichen, in dem diese Politik noch detaillierter dargestellt werden wird. Darin wird die Entwicklung neuer, kleinerer und „nutzbarer“ Atomwaffen für den Einsatz auf den Schlachtfeldern Osteuropas und Asiens gefordert, was die Wahrscheinlichkeit eines umfassenden globalen Konflikts noch weiter erhöhen wird.

Wie üblich von tausenden Soldaten und Polizisten abgeriegelt, wird die diesjährige Zusammenkunft in Davos zudem von der Teilnahme Donald Trumps überschattet sein. Damit wird zum ersten Mal, seit dem Besuch von Bill Clinton vor 18 Jahren, ein US-Präsident an dem Treffen teilnehmen. Aus Beraterkreisen ist zu vernehmen, dass Trump bei der Abschlusssitzung eine seiner üblichen „America First“-Tiraden halten werde.

Trumps Rede wird vielleicht eine besonders grobe Absage an das offizielle Motto des diesjährigen Treffens – „Eine gemeinsame Zukunft in einer zersplitterten Welt schaffen“ – sein. Sie wird jedoch nur eines der üblen Symptome des Zerfalls der bisherigen internationalen Ordnung von Wirtschaft und Politik sein. Angesichts der zunehmenden Widersprüche des kapitalistischen Systems erweisen sich die rivalisierenden kapitalistischen Staaten als unfähig, eine neue „gemeinsame Zukunft“ zu schaffen oder die Risse, die den Planeten überziehen, zu kitten.

Der Inhalt des Berichts des WEF verdeutlicht, wie tief und unlösbar die Krise des globalen Kapitalismus ist.

In dem Dokument heißt es, die „führenden Wirtschaftsindikatoren“, darunter die stetig steigenden Aktienkurse, die auch den Wert der Aktienportfolios der Gäste in Davos erhöhen, seien zwar positiv. Dies würde jedoch lediglich „grundsätzliche und anhaltende Sorgen verbergen“.

Weiter heißt es: „Dies war die schwächste Erholung nach einer Rezession seit Beginn der Aufzeichnungen.“ Auch das Produktivitätswachstum sei „weiterhin merkwürdig schwach.“

Die kapitalistische Weltwirtschaft sei geplagt von „nicht aufrecht zu erhaltenden Wertpapierpreisen“. Seit acht Jahren herrsche Aufschwung an den Börsen. Gleichzeitig steige die Verschuldung und der Zustand des globalen Finanzsystems bleibe „weiterhin angespannt.“

In einem Abschnitt unter der Überschrift „In den Abgrund“ heißt es warnend: „Vor dem Hintergrund innenpolitischer und internationaler Streitigkeiten, bei denen sich die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger schon jetzt auf unbekanntem Terrain bewegen, könnte eine weitere globale Finanzkrise die politischen Reaktionen überwältigen. Ein systemischer Zusammenbruch, der in den Jahren 2007-2008 noch verhindert wurde, könnte Länder, Regionen oder sogar die ganze Welt in den Abgrund und in eine Periode des Chaos stürzen.“

Zusätzlich zu „wachsenden militärischen Spannungen“, „Aufrüstung“, „Stellvertreterkonflikten“ und zahlreichen „Krisenherden“, die einen Krieg auslösen könnten, weist das Dokument auch auf die Gefahr wachsender sozialer Spannungen in allen kapitalistischen Staaten hin.

Das Dokument verweist auf Statistiken, die die sinkenden Löhne und die rapide steigende soziale Ungleichheit belegen, und erklärt in diesem Zusammenhang: „In vielen Ländern wurde das soziale und politische Gefüge durch die jahrelange Stagnation der Realeinkommen schwer in Mitleidenschaft gezogen.“

Weiter heißt es: „Hohe persönliche Verschuldung, gepaart mit unzureichenden Ersparnissen und Rentenzahlungen, sind Anzeichen dafür, dass sich der Unmut in den kommenden Jahren verstärken könnte.“

Der diesjährige Bericht erinnert zudem an den Global Risks Report von 2014, der als eine der größten Bedrohungen für die Welt eine Jugendarbeitslosigkeit nannte, die so groß ist, dass sie eine „verlorene Generation“ zur Folge haben könnte. Der Bericht weist trocken darauf hin, dass das Niveau der Jugendarbeitslosigkeit in den drei Jahren seither „allgemein statisch“ geblieben sei. Das Dokument warnt, dass es angesichts so vieler Millionen arbeitsloser Jugendlicher zu „Zusammenstößen zwischen den Generationen“ aufgrund der Haushalts- und Arbeitsmarktpolitik kommen könne.

Neben der Besorgnis über explosive soziale Spaltungen findet sich im diesjährigen Bericht auch ein sorgenvoller Absatz über das Internet mit der Überschrift „Digitale Lauffeuer“. Darin wird der „bewusste Einsatz sozialer Medien zur Verbreitung von Fehlinformationen“ angeprangert, d.h. die Enthüllung der wirklichen Zustände, mit denen die arbeitende Bevölkerung in allen Ländern konfrontiert ist. Dies sei eine Herausforderung für das „globale Regierungshandeln“. Der Bericht begrüßt die Maßnahmen von Google und Facebook sowie der Regierungen, mit offener Zensur gegen „die zersetzende Wirkung von Falschinformationen im Internet“ vorzugehen.

Die politischen Schlüsse, die im Bericht gezogen werden, sind besonders drastisch:

„Die Demokratie ist durch wirtschaftliche, kulturelle und technologische Verwerfungen bereits sichtlich angespannt. Weit größerer Schaden ist möglich: Gesellschaftliche und politische Ordnungen könnten zusammenbrechen. Wenn sich die Polarisierung in einem gespaltenen Land zu einem Wettbewerb um alles oder nichts verhärtet, steigt das Risiko, dass die politische Debatte verschiedenen Formen der Abspaltung oder der physischen Konfrontation weicht. Unter diesen Umständen könnte ein Punkt erreicht werden, an dem die Situation umschlägt. Eine Spirale der Gewalt könnte sich vor allem dann entwickeln, wenn öffentliche Behörden die Kontrolle verlieren und dann auf einer Seite mit unverhältnismäßiger Gewalt eingreifen. In einigen Ländern, in denen Waffen leicht zu beschaffen sind oder es in der Vergangenheit öfter zu politischer Gewalt kam, könnten bewaffnete Konflikte in der Bevölkerung ausbrechen. In anderen könnte der Staat seinen Willen mit Gewalt durchsetzen und dadurch Folgen riskieren, die sich langfristig auswirken könnten, etwa einen Ausnahmezustand oder die Einschränkungen von Bürgerrechten. Sogar Wahlen könnten abgesagt werden, um die öffentliche Ordnung zu schützen.“

Anders ausgedrückt: Die internationale Finanzoligarchie versammelt sich in dem exklusiven und malerischen Ferienort in den Alpen, um offen und direkt über die Aussichten auf einen neuen Weltkrieg, den Ausbruch von Bürgerkriegen aufgrund sozialer Spannungen und die Errichtung von Polizeistaatsdiktaturen zu diskutieren.

Der Bericht des WEF beschreibt Bedingungen, wie sie in den USA und allen großen kapitalistischen Staaten bereits zum Vorschein kommen.

Im Jahr 1938, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, schrieb Leo Trotzki über die kapitalistische herrschende Klasse, sie schlittere „mit geschlossenen Augen der wirtschaftlichen und militärischen Katastrophe entgegen“. Der Risikobericht des WEF deutet zwar an, dass zumindest ein Teil der heutigen herrschenden Elite die bevorstehende Katastrophe kommen sieht, doch genau wie ihre historischen Vorgänger vor 80 Jahren sind sie nicht in der Lage, sie zu verhindern.

Dies macht es nur umso dringender, dass die Arbeiterklasse ihre eigene und unabhängige strategische Antwort auf die globale Krise des Kapitalismus formuliert. Eine solche Antwort muss auf der Perspektive begründet sein, Arbeiter aller Länder im Kampf für die Umgestaltung der Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage zu vereinigen.

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