Türkische Truppen rücken auf kurdische Enklave in Syrien vor

Am Montag, dem dritten Tag Tag der „Operation Ölzweig“ des türkischen Militärs in Syrien, kam es im Nordwesten des Landes zu schweren Kämpfen. Türkische Spezialeinheiten und von der Türkei unterstützte Milizionäre der „Freien Syrischen Armee“ eröffneten bei ihrem Angriff auf die kurdische Enklave Afrin eine zweite Front, indem sie von Azaz im Osten der Region aus vorrückten. Ihr Ziel ist offensichtlich, die syrisch kurdische YPG-Miliz von der türkischen Grenze nach Süden zu vertreiben. Zuvor kam es Berichten zufolge zu erbitterten Kämpfen zwischen vorrückenden türkischen Truppen und YPG-Kämpfern um die Kontrolle über zwei Dörfer nordwestlich der Stadt Afrin.

Washington, die Türkei, Saudi-Arabien und die anderen Golf-Monarchien haben diesen Krieg vor sieben Jahren angezettelt, um einen Regimewechsel in Syrien einzuleiten. Diese neue Front könnte die militärische Strategie des US-Imperialismus in der Region zum Scheitern bringen und die bereits angespannten Beziehungen innerhalb der Nato sowie zwischen den USA und Europa noch weiter verschärfen.

Diese Offensive gegen Elemente einer kurdischen Miliz, die Washingtons wichtigste Stellvertreterarmee bei der US-Intervention in Syrien war, markiert einen neuen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen den vorgeblichen Nato-Verbündeten USA und Türkei. Diese Beziehungen wurden bereits durch Ankaras Annäherung an Russland belastet, zumal die Türkei trotz der Proteste der Nato moderne russische Luftabwehrsysteme einkauft. Darüber hinaus wirft die Türkei Washington vor, die USA hätten den gescheiterten Putsch gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Jahr 2016 heimlich unterstützt.

Das Weiße Haus warnte am Montag in einer Stellungnahme, die türkische Offensive lenke „von den internationalen Bestrebungen ab, die dauerhafte Niederlage des Islamischen Staates im Irak und Syrien (IS) zu garantieren“. Der IS ist jedoch bereits im Irak und Syrien vernichtend geschlagen. In Wirklichkeit meint Washington, das Vorgehen der Türkei störe die Versuche der USA, ihre Hegemonie über die Region zu etablieren und den Einfluss Russlands und des Iran zu zerstören.

Das Pentagon hat letzte Woche eine Nationale Verteidigungsstrategie veröffentlicht, aus der eindeutig hervorgeht, dass die Priorität des US-Militärs nicht mehr der so genannte Krieg gegen den Terrorismus ist, sondern die Vorbereitung auf Konfrontationen mit anderen „Großmächten“. Dies schließt auch einen möglichen Krieg gegen China und Russland ein.

Das Weiße Haus erklärte in einer Stellungnahme, man dränge die Türkei zur „Mäßigung bei Militäraktionen und Verlautbarungen“. Die Türkei solle sicherstellen, dass „Ausmaß und Dauer ihrer Operationen beschränkt bleiben, dass die humanitäre Hilfe fortgesetzt werden kann und zivile Opfer vermieden werden“.

Diese Erklärung war etwas direkter als die früheren Äußerungen von US-Verteidigungsminister Rex Tillerson und Verteidigungsminister James Mattis. Tillerson rief in einer Rede in London ebenfalls zur „Mäßigung“ auf, schien die türkische Offensive jedoch als legitim anzuerkennen: „Wir erkennen und verstehen das legitime Recht der Türkei vollkommen, ihre eigenen Bürger vor terroristischen Elementen zu schützen, die von Syrien aus Anschläge auf türkische Staatsbürger und türkisches Staatsgebiet organisieren könnten.“

Wie schwer die derzeitige Krise ist, machte die Frage eines Reporters deutlich, ob der Syrien-Konflikt zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen zwei Nato-Mitgliedern führen könnte. Tillerson antwortete darauf: „Ich glaube nicht, dass Sie einen Konflikt zwischen zwei Nato-Verbündeten erleben werden“.

Mattis äußerte sich ähnlich: „Die Türkei hat berechtigte sicherheitspolitische Bedenken.“ Er fügte hinzu: „Ankara hat uns gewarnt, bevor die Flugzeuge losgeschickt wurden. Sie haben sich mit uns abgesprochen.“

Die Nato schloss sich der Position der USA an und veröffentlichte eine Stellungnahme, die offensichtlich von Washington genehmigt wurde. Darin hieß es: „Die Türkei befindet sich in einer gefährlichen Region und hat in beträchtlichem Ausmaß unter Terrorismus gelitten.“ Und weiter: „Alle Länder haben ein Recht auf Selbstverteidigung, aber es ist wichtig, dass dies auf angemessene und gemäßigte Weise erfolgt.“

US-Regierungsvertreter versuchten sogar, sich von den kurdischen Kräften in Afrin zu distanzieren und behaupteten, diese seien nicht mit der kurdischen Miliz identisch, die die USA im Nordosten Syriens bewaffnet und unterstützt haben. Dies sind jedoch nur Spitzfindigkeiten, denn die Anführer der Syrischen Demokratischen Kräfte, der Dachorganisation der YPG-dominierten US-Stellvertretertruppen, diskutieren gleichsam über die Entsendung von Verstärkungen aus dem Osten zum Kampf gegen die türkische Offensive.

Allerdings haben die amerikanischen Appelle zur Mäßigung scheinbar keinerlei Auswirkungen auf Präsident Erdoğan. Am Montag erklärte er in Ankara in einer erhitzten Rede, die Türkei werde von ihrer Militäroperation in Afrin „keinen Schritt zurücknehmen“.

Weiter sagte er: „Die USA drängen darauf, dass die Operation nicht zu lange dauern und innerhalb eines festen Zeitrahmens durchgeführt werden sollte. Ich frage die USA: Halten Sie sich bei Ihrer Operation in Afghanistan, die Sie vor mehr als zehn Jahren begonnen haben, an einen festen Zeitrahmen? Wann wird sie abgeschlossen sein? Sie sind auch immer noch im Irak, oder? Haben diese Operationen einen festen Zeitrahmen?“

Der türkische Präsident erklärte auch, der Feldzug in Afrin werde auf die syrische Stadt Manbidsch am Westufer des Euphrat ausgeweitet. Die Miliz YPG hat diese Stadt mit Unterstützung durch US-Spezialeinheiten, die sich immer noch in dem Gebiet befinden, vom IS zurückerobert. Zuvor hatte der türkische Präsident am Samstag in einer Rede angekündigt, den „Terror-Korridor bis zur irakischen Grenze“ zu vernichten. Am Montag wurden Schusswechsel an der ganzen Grenze zu Ostsyrien gemeldet.

Das erklärte Ziel der Türkei ist es, eine eigene knapp 30 Kilometer breite Pufferzone in Syrien zu errichten. Erdoğan erwähnte auch die Möglichkeit, die 3,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien, die sich in der Türkei befinden, in diese Zone abzuschieben. Diese Aussicht könnte als Vorwand für eine ethnische Säuberung mit dem Ziel benutzt werden, die kurdische Bevölkerung auszusiedeln.

Erdoğan erklärte über den Einsatz der YPG durch die USA: „Nur ein Narr merkt nicht, dass sich dieses verräterische Projekt gegen die Türkei richtet. Sie haben sich geweigert, uns Waffen zu verkaufen, aber sie verschenken Waffen an Terrororganisationen. Wofür sind wir strategische Partner? Wofür sind wir strategische Verbündete?“

Der Anlass für die türkische Offensive war Washingtons Ankündigung, man plane den Aufbau einer 30.000-köpfigen Sicherheitstruppe, um die Nordgrenze zur Türkei und die Ostgrenze zum Irak zu kontrollieren. Diese Truppe soll hauptsächlich aus der YPG rekrutiert werden.

Als die Türkei dagegen protestierte, machte Washington einen wenig überzeugenden Rückzieher und behauptete, man würde keine Grenzschutztruppe aufbauen, sondern die mehr als 2.000 US-Bodentruppen auf unbeschränkte Zeit in Syrien stationiert halten. Diese sollen den Krieg zum Regimewechsel gegen Präsident Baschar al-Assad fortsetzen und den Einfluss des Irans und Russlands bekämpfen.

Die türkische Tageszeitung Hürriyet schrieb am Montag: „Wenn US-Außenminister Rex Tillerson der Türkei am 17. Januar, einen Tag nach seinem Treffen mit dem türkischen Außenminister Çavuşoğlu, deutlicher seine Unterstützung versichert hätte, hätten die Dinge anders ablaufen können. Die offensichtliche Gleichgültigkeit der USA gegenüber den Sicherheitsproblemen der Türkei hat Ankara dazu veranlasst, Russland um Unterstützung zu bitten im Kampf gegen eine Bedrohung, die als existenziell wahrgenommen wird.“

Auch Moskau erklärte, die Türkei sei durch die provokante Ankündigung der USA, syrische Gebiete mit einer kurdisch dominierten Grenzschutztruppe besetzen zu wollen, zu dem Vorgehen gezwungen worden. Der russische Außenminister Sergei Lawrow erklärte am Montag: „Washington hat aktiv separatistische Bestrebungen der Kurden ermutigt und tut es weiterhin. Entweder sie verstehen die Lage nicht, oder es handelt sich um eine absolut bewusste Provokation.“

Erdoğan erklärte, seine Regierung habe mit „unseren russischen Freunden“ über die türkische Offensive gesprochen und „eine Einigung erzielt“.

Moskau hat nicht bestätigt, dass ein solcher Deal ausgehandelt wurde. Allerdings wurden die wenigen russischen Truppen zurückgezogen, die in Afrin stationiert waren. Außerdem durften türkische Kampfflugzeuge ihre Angriffe in dem Teil des Luftraums über Syrien fliegen, der faktisch von Russland kontrolliert wird.

Berichten zufolge hat die Türkei Moskau auch als Mittelsmann benutzt, um der Assad-Regierung ihre Absichten zu übermitteln. Laut einigen Darstellungen hat Ankara angeboten, die 2011 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen und die Assad-Regierung anzuerkennen, wenn die Türkei dafür freie Hand an der syrischen Grenze erhält. Scheinbar sind Moskau und Damaskus bereit, Ankaras reaktionären Zielen zuzustimmen, um Washingtons Pläne für die Errichtung einer eigenen Kontrollzone in Syrien zu verhindern.

Washingtons unilaterales Vorgehen in Syrien und Nahost sowie die immer aggressiveren Kriegsdrohungen gegen Russland haben auch zu einem ernsthaften Bruch mit den bisherigen US-Verbündeten in Westeuropa geführt.

Diese Spaltung wurde am Montag sichtbar. Während US-Vizepräsident Mike Pence in der israelischen Knesset ankündigte, die USA würden ihre Botschaft nächstes Jahr nach Jerusalem verlegen, wurde dem Präsidenten der Palästinenserbehörde Mahmud Abbas bei einem Besuch in Brüssel von den Ministern der Europäischen Union versichert, sie würden Jerusalem weiterhin als „gemeinsame Hauptstadt“ im Rahmen der „Zwei-Staaten-Lösung“ anerkennen.

Die tiefe Krise des US-Imperialismus in Syrien zeigt sich unmissverständlich in der Reaktion eines Teils der Pseudolinken. Eine Gruppe von „Aktivisten“ und Akademikern unter Führung des emeritierten Linguistikprofessors Noam Chomsky vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), ein vorgeblich radikaler Kritiker der US-Außenpolitik, verurteilt in einer Stellungnahme das Vorgehen der Türkei in Syrien und die „Untätigkeit der USA, etwas dagegen zu unternehmen“. Im Wesentlichen fordert Chomsky den US-Imperialismus auf, einen weiteren Krieg im Namen der Menschenrechte zu beginnen, diesmal um seine Vorherrschaft gegen einen formellen Verbündeten und faktischen regionalen Rivalen durchzusetzen. Ein solches Vorgehen könnte das Gemetzel im Nahen Osten nur verschlimmern.

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