Der Koalitionsvertrag und die Rückkehr des Militarismus

Kommt die Große Koalition zustande, wird die Militärführung einen politischen Einfluss auf ihre Politik ausüben, wie dies bei keiner anderen Regierung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Fall war. Wichtige Teile des Koalitionsvertrags, den CDU/CSU und SPD in der vergangenen Woche vereinbart haben, tragen die Handschrift der Bundeswehrführung.

Bereits auf der Berliner Sicherheitskonferenz Ende November hatten führende Militärs einen umfangreichen Aufrüstungskatalog vorgelegt. In seinem Schlussplädoyer erklärte der Inspekteur der Luftwaffe Karl Müllner damals: „Wir haben erklärt, dass wir als Bundesrepublik Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen wollen, und ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns alle im Klaren darüber sind, dass das nicht umsonst zu haben ist.“ Er hoffe, „dass die Politik das erkennt und die entsprechenden Mittel bereit stellt“.

Im Sondierungspapier, das Union und SPD Mitte Januar dann nach langen Gesprächen vorlegten, wurden die umfassenden Aufrüstungspläne nur am Rande erwähnt. Vor allem die SPD-Führung fürchtete, dass die Partei die Fortsetzung der Großen Koalition sonst ablehnen werde.

Dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant André Wüstner, platzte daraufhin der Kragen, wie es in Medienberichten hieß. Er attackierte die politische Vereinbarung in außerordentlicher Schärfe. Er sei „erschüttert“, dass das Sondierungspapier der Armee nur ein paar dürre Sätze widme, sagte er. Die Erhöhung des Wehretats um je zwei Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren und die Kombination dieser Steigerung mit der Entwicklungshilfe sei völlig inakzeptabel. „Wenn das tatsächlich so beschlossen wird, dann ist es eine Einigung auf Kosten der Bundeswehr, auf Kosten unserer Verlässlichkeit und Bündnisfähigkeit – und damit auf Kosten der Sicherheit Deutschlands. Das ist unverantwortlich.“

Anstatt den Offizier wegen seiner Attacke auf gewählte Politiker und Abgeordnete zur Rechenschaft zu ziehen, standen alle Parteifunktionäre stramm und vertieften die Zusammenarbeit mit der Militärführung. Der Koalitionsvertrag trägt nun deutlich deren Handschrift.

Schon ein Vergleich mit früheren Koalitionsvereinbarungen macht das deutlich. Im Vertrag für die Regierung von Union und FDP von 2009 erscheint das Wort „Bundeswehr“ neun Mal. Das Kapitel 5 stand damals unter der Überschrift: „Für eine leistungsstarke und moderne Bundeswehr“. Es begann mit den Worten: „Die Bundeswehr ist ein wesentliches Instrument deutscher Friedenspolitik.“ Dann folgten einige Absätze über die Abschaffung der Wehrpflicht und die Bedeutung der Bundeswehr als Parlamentsarmee.

Vier Jahre später stand die Bildung der Großen Koalition bereits unter dem Vorzeichen einer außenpolitischen Großmachtoffensive und einer intensiven militärischen Aufrüstung. Die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hatte in Zusammenarbeit mit Vertretern aller Parteien, führenden Journalisten und Professoren das Strategiepapier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ veröffentlicht, und der damalige Bundespräsident Joachim Gauck hatte am Tag der Deutschen Einheit 2013 mehr deutsche Verantwortung in allen Krisenregionen der Welt gefordert. Dabei hatte Gauck ausdrücklich betont, das bedeute auch militaristische Verantwortung.

Damals erschien das Wort „Bundeswehr“ 24 Mal im Koalitionsvertrag. Im Kapitel „Neuausrichtung der Bundeswehr“ hieß es: „Wir bekennen uns zu einer starken Verteidigung mit modernen und leistungsfähigen Streitkräften.“ Dann folgten Vereinbarungen über die Modernisierung und Aufrüstung der Armee.

Im gegenwärtigen Koalitionsvertrag erscheint das Wort „Bundeswehr“ 38 Mal und die Entscheidung zur militaristischen Aufrüstung durchdringt sämtliche Bereiche. Die gesamte Regierungspolitik ist auf die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik ausgerichtet.

Das Kernstück des Vertrags, das Kapitel „Deutschlands Verantwortung für Frieden, Freiheit und Sicherheit in der Welt“, umfasst 20 Seiten und liest sich wie ein Strategiepapier für einen dritten Griff nach der Weltmacht. Die Liste deutscher Interessengebiete umfasst den westlichen Balkan, Russland, die Ukraine, die Türkei, Afghanistan, den Nahen und Mittleren Osten, Afrika, Lateinamerika und Asien.

Die Rüstungsproduktion wird massiv ausgebaut und gezielt gefördert. Im Vertrag heißt es: „Die Bundeswehr beschafft, was sie braucht, und nicht, was ihr angeboten wird.“ Notwendig sei „ein transparentes, effektives und in seinen Prozessen optimiertes Rüstungswesen“.

In diesem Zusammenhang definiert das Koalitionspapier den Begriff der „Parlamentsarmee“ völlig neu. Verstand man bisher darunter die strikte Unterordnung des Militärs unter das Parlament und die gewählte Regierung, heißt es nun, der Bundestag übernehme eine „besondere Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten“. Die Kontrolle wird so in eine Fürsorge-Pflicht verwandelt.

„Damit die Bundeswehr die ihr erteilten Aufträge in allen Dimensionen sachgerecht erfüllen kann, werden wir den Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung zur Verfügung stellen“, heißt es im Koalitionspapier.

Zu diesem Zweck sollen die eingeleiteten „Trendwenden Personal, Material und Finanzen“ konsequent fortgeführt und „neben der Sicherstellung der nachhaltigen Finanzierung der Bundeswehr die notwendigen Voraussetzungen zur Gewährleistung überjähriger Planungs- und Finanzierungssicherheit für Rüstungsinvestitionen“ geschaffen werden. „Parlamentsarmee“ bedeutet also künftig, dass das Parlament für die Umsetzung der Vorgaben der Armeeführung sorgen muss.

Eine wichtige Rolle bei dieser Umkehr der parlamentarischen Kontrolle über die Armee in eine parlamentarische Unterstützung für die Militärführung spielt der Verteidigungsausschuss des Bundestags. Es wundert daher nicht, wenn das Bundeswehr-Journal darüber jubelt, dass die rechtsextreme AfD mit fünf Mitgliedern im Ausschuss eine gewichtige Stimme hat.

Geleitet wird die AfD-Fraktion im Verteidigungsausschuss von Rüdiger Lucassen, der nach 34 Dienstjahren die Bundeswehr als Oberst i.G. (im Generalstab) verlassen und laut Wikipedia ein Dienstleistungsunternehmen im Bereich der Ausbildung und Beschaffung für militärische und polizeiliche Organisationen aufgebaut hat.

Auch ein weiteres AfD-Ausschussmitglied, Gerold Otten, war Berufssoldat. Er schied 1997 als Major aus der Luftwaffe aus und arbeitete für den Rüstungssektor des Airbus-Konzerns, zuletzt als Verkaufsleiter für den Eurofighter.

Ein weiteres Mitglied der AfD-Fraktion, Berengar Elsner von Gronow, ist Mitglied des Bundeswehr-Reservistenverbands.

Gemeinsam mit der AfD sitzen vier Abgeordnete der Linkspartei im Verteidigungsausschuss: Christine Buchholz, ein Führungsmitglied von Marx21, die regelmäßig mit der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu Truppenbesuchen fährt; Matthias Höhn, bis vor kurzem Bundesgeschäftsführer der Linkspartei; Alexander Neu, der als ehemaliger OSZE-Mitarbeiter seit langem für die Linke im Verteidigungsausschuss sitzt und alle Entscheidungen „kontrovers diskutiert“, aber mitträgt; und Tobias Pflüger, der bisher als Militarismusgegner aufgetreten ist und nun als linkes Feigenblatt im Verteidigungsausschuss fungiert.

Keiner dieser reaktionären Handlanger wagt es aufzudecken, was im Rahmen der Koalitionsverhandlungen wirklich vereinbart wurde. Welche Bundeswehr-Gremien, Militärführer und Geheimdienstvertreter waren an der Ausarbeitung der Regierungsvereinbarung beteiligt? Welche zusätzlichen Absprachen und Vereinbarungen mit der Bundeswehr wurden getroffen?

Jeder, der ernsthaft gegen Krieg und Aufrüstung kämpfen will, muss diese Fragen stellen und den Kampf der Sozialistischen Gleichheitspartei gegen den Koalitionsvertrag und für Neuwahlen unterstützen.

Die Militärkaste hat in der deutschen Geschichte eine verheerende Rolle gespielt. Sie bildete das Rückgrat des Kaiserreichs und überlebte die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution 1918 nur, weil sich die rechte SPD-Führung mit der Obersten Heeresleitung verbündete, um die revolutionäre Erhebung der Arbeiterklasse niederzuschlagen. In der Weimarer Republik agierte sie als antidemokratischer Staat im Staate und trug maßgeblich zum Aufstieg des Nationalsozialismus bei.

In den 1950er Jahren gab es massiven Protest gegen die deutsche Wiederbewaffnung. Er konnte nur gebrochen werden, weil sich die SPD für die Bundeswehr aussprach und weil die zivile Kontrolle über das Militär garantiert wurde. Nun kehrt die Große Koalition zu einer aggressiven Großmachtpolitik zurück und verhilft der reaktionären Militärkaste wieder zu Macht und Einfluss. Das darf nicht zugelassen werden.

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