Die 68. Berlinale und die #MeToo-Kampagne

Die Berlinale, die am 25. Februar zu Ende ging, ist das weltweit größte Publikumsfestival. In diesem Jahr war es von einem Widerspruch geprägt: Auf der einen Seite nahmen sich erneut Hunderttausende Menschen Zeit für die Reise nach Berlin, um neue anregende Filme zu entdecken, die brennende Fragen der Gegenwart behandeln und später oftmals nicht in die Kinos kommen.

Auf der anderen Seite griffen Politik und Medien in einer konzertierten und aggressiven Weise ein, um die #MeToo-Kampagne gegen sexuellen Missbrauch ins Zentrum zu rücken. Diese Kampagne, die ausgehend von der Weinstein-Affäre in Hollywood prominente Vertreter von Kultur und Kunst wegen angeblichen sexuellen Belästigungen öffentlich an den Pranger stellt, hat seit Januar auch in Deutschland Fahrt aufgenommen.

Die Festivalleitung unter Dieter Kosslick war wenige Wochen vor Beginn des Festivals auf den Zug aufgesprungen und hatte eine Reihe Veranstaltungen organisiert, auf denen #MeToo-Anhänger und Politprominenz das Thema lautstark in Szene setzten, darunter die bisherige SPD-Familienministerin Katarina Barley.

Im Publikum und unter jungen Regisseuren und Drehbuchautoren auf der Berlinale stießen diese Vorstöße auf viel Kopfschütteln und wenig Resonanz. Im Zentrum der Diskussionen beim Schlangestehen für Tickets standen die über 400 Filme aus dem In- und Ausland, die an elf Tagen gezeigt wurden und sich um die begehrten Preise Goldener und Silberner Bär bewarben.

Mit 330.000 verkauften Kinotickets wurden die Rekordzahlen von 2016 und 2017 fortgesetzt. Hinzu kamen 21.000 Akkreditierte aus mehr als 130 Ländern, 10.000 Fachbesucher aus 112 Ländern beim European Film Market und Tausende Teilnehmer beim erst 2002 eingeführten Berlinale Talents Programm, wo sich 250 junge Filmtalente aus 80 Ländern mit berühmten Filmemachern in Workshops über ihre Arbeit austauschten.

Der Goldene Bär, den die von Tom Tykwer (Lola rennt, Cloud Atlas u.a.) geleitete Internationale Jury dem rumänischen experimentellen Film Touch me not zum Thema Körperlichkeit und Sexualität zusprach, löste ein geteiltes Echo aus. Den Silbernen Bären erhielt Wes Andersons Animationsfilm Isle of Dogs, den Großen Preis der Jury der polnische Film Twarz.

Eine Vielzahl von Filmen setzte sich mit der gegenwärtigen politischen und sozialen Situation auseinander, wie der grausamen Situation für Flüchtlinge, dem wachsenden Rassismus und der Wiederkehr faschistischer und nationalistischer Tendenzen, den Kriegen im Nahen Osten oder der sozialen Ungleichheit.

Der Publikumspreis von Panorama, einer der besonders beliebten Sektionen des Festivals, bei dem traditionell das Publikum per Stimmzettel über die besten Filme abstimmt, ging in diesem Jahr an den Film Profile zum Krieg in Syrien. Als zweitbester wurde Styx über eine dramatische Rettungsaktion eines kenternden Flüchtlingsboots gewählt und als bester Dokumentarfilm The Silence of Others, in dessen Zentrum die ungeklärten Gräueltaten der Franco-Diktatur in Spanien stehen.

Der Amnesty International Preis ging an Zentralflughafen THF über die Errichtung eines Massenlagers für Flüchtlinge mitten in Berlin. In weiteren Artikeln wird die WSWS einige der Filme besprechen.

Viele Medien stürzten sich begierig auf die MeToo-Frage. Am ersten Festivaltag widmete die den Grünen nahestehende taz ihre gesamte Titelseite der MeToo-Kampagne unter der Überschrift „Berlinale Too“. Eine Fotomontage verwandelte den traditionellen roten Teppich des Festivals in Schwarz, die Farbe der MeToo-Bewegung. In einem Kommentar auf derselben Seite empfiehlt die taz den Besuchern der Berlinale, in einer Guerilla-Aktion selbst mitgebrachte schwarze Farbe zu verbreiten, falls ihre Forderung nach einem schwarzen Teppich nicht erfüllt werde.

Eine ganze Riege von Organisationen wie Speak Up, Pro Quote, Time Up, etc. organisierten Versammlungen während des Festivals und forderten unter anderem ein sogenanntes „Gender-Monitoring“, das heißt die Überprüfung der Rollen nach Geschlecht. Erstmals hatte die Pressemitteilung vor Beginn des Festivals eine detaillierte Filmübersicht mit Angaben zum Geschlecht der Regisseure versehen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) verteilte während des Festivals Hunderte Exemplare von WSWS-Artikeln zur MeToo-Kampagne und griff in die Debatten ein. SGP-Mitglieder und -Unterstützer wiesen darauf hin, dass diese Kampagne ganze künstlerische Karrieren auf der Grundlage unbewiesener Anschuldigungen zerstört und zu Zensurversuchen von Kunst und Literatur in den USA, Deutschland und weltweit geführt habe. Viele Berlinale-Besucher reagierten positiv auf die WSWS-Artikel, brachten ihre Skepsis über die Motive der MeToo-Bewegung zum Ausdruck und äußerten ihre Opposition gegen jegliche Zensur in der Kunst.

Es gibt keinerlei Hinweise, dass der Gewinnerfilm des Goldenen Bären, Touch Me Not, auf dem Hintergrund von MeToo gedreht wurde. Obwohl er überhaupt nicht zum sexuellen Puritanismus der MeToo-Anhänger passt, haben ihn einige Journalisten auf diesen Schild gehoben, beispielsweise der Rezensent der Deutschen Welle, der die Bärenverleihung als „politisch korrekte Wahl in Zeiten von #MeToo“ bezeichnete.

Die junge rumänische Filmemacherin Adina Pintilie hatte an ihrer „experimentellen Studie“ zur Sexualität vier Jahre lang gearbeitet, somit lange bevor überhaupt von MeToo gesprochen wurde. Bei der Preisverleihung nannte sie ihr Filmprojekt ein „Werk der Liebe“. Offensichtlich diskutiert Touch Me Not die Frage der „Angst vor Berührungen“, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, oder die Frage von „Nähe und Distanz“, wie Zeit online die Regisseurin zitiert.

Im Zentrum steht – neben einer älteren Frau, die sich Call Boys mietet, um ihre sexuellen Fantasien zu befriedigen – ein schwer behinderter Mann. Er sieht so schrecklich aus, dass man ihn am liebsten nicht berühren möchte. Pintilie will offensichtlich in ihrer Studie den Zuschauern die Angst nehmen, ihm zu nahe zu kommen.

Die Kampagne für #MeToo auf der Berlinale war ein Versuch von privilegierten Kreisen der Filmindustrie und Medien in Zusammenarbeit mit prominenten Politikern, gezielt von Filmen über die soziale Realität, die Kriegsgefahr, den Nationalismus und die Angriffe auf Demokratie abzulenken. Sie diente dazu, das kulturelle Klima nach rechts zu drücken und den demokratischen Charakter der Berlinale zu unterdrücken.

Loading