Lenin, Trotzki und der Marxismus der Oktoberrevolution

Den folgenden Vortrag hielt David North, Leiter der internationalen Redaktion der WSWS, am 16. März 2018 an der Universität Leipzig. Ein Bericht über die Veranstaltung findet sich hier.

David North spricht an der Universität Leipzig

Ich freue mich, dass ich auch dieses Jahr an der Leipziger Buchmesse teilnehmen konnte und hier an der Universität Leipzig sprechen darf. Auf der Buchmesse präsentierte der Mehring Verlag, das Verlagshaus des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, seine zweibändige Sammlung von Vorträgen und Essays zum 100. Jahrestag der Russischen Revolution. Der Titel lautet: „Warum die Russische Revolution studieren“, und ich denke schon, dass diese Frage in den beiden Bänden beantwortet wird.

Kurz: Die zentralen Thesen, die in den Vorträgen ausgeführt werden, besagen erstens, dass die Russische Revolution das bedeutendste Ereignis des 20. Jahrhunderts war; und zweitens, dass die Lehren aus dieser Revolution studiert werden müssen, wenn die globale Krise, mit der die Menschheit im 21. Jahrhundert konfrontiert ist, auf progressivem Wege gelöst werden soll – das heißt, durch die Abschaffung des kapitalistischen Systems, die Errichtung der Arbeitermacht und die demokratische, egalitäre und wissenschaftliche Neuordnung der Weltwirtschaft auf sozialistischer Grundlage.

Die Oktoberrevolution war der Höhepunkt des gewaltigen sozialen Aufstands der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen in Russland 1917. Sie war und bleibt in einem fundamentalen Sinne einzigartig: Sie ist bis heute die einzige Revolution, die die Arbeiterklasse bewusst unter der Führung einer marxistischen Partei auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms und einer ebensolchen Perspektive in die Tat umgesetzt hat.

Wenn ich aus meinem ersten Vortrag über die Russische Revolution zitieren darf, der im März letzten Jahres gehalten wurde und in Band I von Warum die Russische Revolution studieren veröffentlicht ist:

Die russische Revolution verdient ein gründliches Studium als entscheidendes Stadium in der Entwicklung der wissenschaftlichen Gesellschaftstheorie. Mit der historischen Leistung der Bolschewiki von 1917 wurde der innere Zusammenhang zwischen der Philosophie des wissenschaftlichen Materialismus und der revolutionären Praxis bewiesen und auf eine neue Stufe gehoben.

Die Entwicklung der Bolschewistischen Partei bewies die Aussage, die Lenin in „Was Tun?“ getroffen hatte:„Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.“ Wie Lenin unablässig betonte, ist der Marxismus die höchste Form des philosophischen Materialismus, der die Errungenschaften des klassischen deutschen Idealismus, insbesondere Hegels, kritisch überarbeitete und aufhob (nämlich die dialektische Logik und die Erkenntnis, dass die historisch entwickelte gesellschaftliche Praxis einen aktiven Beitrag zur Erkenntnis der objektiven Wirklichkeit leistet). (1)

In keiner anderen Revolution gab es eine so bewusste und explizite Beziehung zwischen der marxistischen Theorie und der revolutionären Praxis der Arbeiterklasse. Um die Art dieser Beziehung genauer zu erklären, muss man auf die bedeutenden historischen Jubiläen des Jahres 2018 eingehen.

Zeitgenössische Zeichnung des jungen Karl Marx aus dem Jahr 1839

In dieses Jahr fällt der 200.Geburtstag von Karl Marx und der 170. Jahrestag der Veröffentlichung des Kommunistischen Manifests. Von allen großen Philosophen spricht keiner so kraftvoll und unmittelbar zu unserer heutigen Zeit wie Karl Marx. Sein Werk muss nicht in eine verständliche moderne Sprache „übersetzt“ werden. In einem Brief an Lassalle vom Mai 1858 schrieb Marx: „Selbst bei Philosophen, die ihren Arbeiten eine systematische Form gegeben, z. B. Spinoza, ist ja der wirkliche innere Bau seines Systems ganz verschieden von der Form, in der es von ihm bewusst dargestellt war.“ (2)

Bei Marx hingegen deckt sich die wahre innere Struktur des philosophischen Systems in bemerkenswerter Weise mit der Form ihres Ausdrucks. Beginnend mit seiner Kritik an Hegels Philosophie des Rechts ging es Marx darum, das theoretische Denken von der mystischen Verneblungen des philosophischen Idealismus zu befreien. Es gibt eine wunderbare Stelle in Raoul Pecks Film Der Junge Marx, als Engels dem etwas ungläubigen revolutionären Journalisten sagt: „Sie sind der größte materialistische Denker unserer Zeit. Sie sind ein Genie, mein Lieber.“

Engels bezieht sich speziell auf Marx' Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. In dieser Arbeit von 1843 benennt Marx das zentrale Problem von Hegels philosophischem Idealismus:

Nicht die Logik der Sache, sondern die Sache der Logik ist das philosophische Moment. Die Logik dient nicht zum Beweis des Staats, sondern der Staat dient zum Beweis der Logik. (3)

Friedrich Engels Mitte 20

Hegel leitete den Staat und seine Gesetze aus der Bewegung des reinen Denkens ab, aus der Selbstbewegung der abstrakten Kategorien der Logik. Damit wurde in der idealistischen Philosophie die tatsächliche Beziehung zwischen Materie und Bewusstsein umgekehrt. Die Kritik an Hegels System verlangte eine Rückbesinnung auf den philosophischen Materialismus, der vom Primat der Materie über das Bewusstsein ausgeht, also davon, dass das Bewusstsein aus der Bewegung des materiellen Universums abgeleitet ist und dieses widerspiegelt. Marx' Kritik an Hegels Idealismus – die Engels in der eben genannten Szene mit dem bekannten Ausdruck: „Hegel vom Kopf auf die Füßen gestellt“ beschreibt – schuf die theoretische Grundlage für die Revolution des gesellschaftlichen, historischen und politischen Denkens, die Marx und Engels zwischen 1844 und 1847 gemeinsam vollzogen.

In Die deutsche Ideologie, geschrieben 1845 (und erst 80 Jahre später veröffentlicht), stellten Marx und Engels ihre materialistische Philosophie dem Idealismus der Junghegelianer gegenüber, die den Fußstapfen ihres verstorbenen Meisters folgten:

Ganz im Gegensatz zur deutschen Philosophie, welche vom Himmel auf die Erde herabsteigt, wird hier von der Erde zum Himmel gestiegen. D. h., es wird nicht ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen, auch nicht von den gesagten, gedachten, eingebildeten, vorgestellten Menschen, um davon aus bei den leibhaftigen Menschen anzukommen; es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozess auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt. (4)

Das Ergebnis dieser Arbeit waren die materialistische Geschichtsauffassung, ihre Anwendung auf das wissenschaftliche Studium der Bewegungsgesetze des modernen kapitalistischen Systems, und auf dieser theoretischen Grundlage die bewusste politische Organisation der internationalen Arbeiterklasse sowie die Entwicklung von Strategie und Taktik der sozialistischen Revolution. Im seinem Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie von 1859 fasste Marx die materialistische Geschichtsauffassung knapp zusammen:

In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. [...] Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. (5)

Während seines ganzen Lebens hielt Marx an den materialistischen Grundlagen seines theoretischen Werks fest. In seinem Vorwort zum ersten Band von Das Kapital, veröffentlicht 1867, erklärt er:

Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle. (6)

Marx widersetzte sich allen Versuchen, seine materialistische Philosophie mit Hegels oder einer anderen Spielart des philosophischen Idealismus zu versöhnen. In einem Brief an seinen guten Freund Ludwig Kugelmann von 1868 widersprach Marx ausdrücklich der Behauptung des jungen Professors Eugen Dühring, dass Das Kapital auf einem Hegelschen Schema basiere:

Er [Dühring] weiß sehr wohl, dass meine Entwicklungsmethode nicht die Hegelsche ist, da ich Materialist, Hegel Idealist. Hegels Dialektik ist die Grundform aller Dialektik, aber nur nach Abstreifung ihrer mystischen Form, und dies gerade unterscheidet meine Methode. (7)

Marx und Engels' Anwendung der materialistischen Geschichtsauffassung, die in ihren Analysen der ökonomischen und gesellschaftlichen Widersprüche des kapitalistischen Systems zum Tragen kam, werden in der heutigen Welt bestätigt wie nie zuvor. Die globale Expansion des Kapitalismus, vor allem im letzten Vierteljahrhundert, hat zu einer Dauerkrise geführt, die sich ständig verschärft. Es ist schon fast banal, festzustellen, dass die These vom „Ende der Geschichte“, die Fukuyama nach der Auflösung der UdSSR und der stalinistischen Regime in Osteuropa verkündete, von den Ereignissen widerlegt worden ist. Alle Widersprüche, die Marx aufgedeckt hat, manifestieren sich mit beispielloser Intensität. Die Akkumulation von Reichtum geht einher mit einem ungeheuren Ausmaß an sozialer Ungleichheit. Ein paar Dutzend Menschen in der Welt verfügen über mehr Vermögen als drei Viertel der Weltbevölkerung zusammengenommen. Der wirkliche Zustand der kapitalistischen Gesellschaft, mit ihren Ungerechtigkeiten und ihrer Fixierung auf die sinnlose Anhäufung von persönlichem Reichtum, spottet selbst den plattesten populistischen Karikaturen. In jedem wichtigen Bereich – Bildung, Gesundheitswesen, Wohnungsbau und Alterssicherung – bewegt sich die kapitalistische Gesellschaft rückwärts und schafft selbst die begrenzten Reformen des vergangenen Jahrhunderts wieder ab.

Die Worte, in denen die herrschenden Eliten den heutigen Zustand der Welt beschreiben, sprechen für sich. Die Möglichkeit eines verheerenden Kriegs zwischen Atommächten wird weithin eingeräumt.

Und doch: Mitten in dieser globalen Krise verkünden die geistigen Vertreter der kleinbürgerlichen Pseudolinken, die in der akademischen Welt führende Positionen innehaben, den Tod des Marxismus. In ihrer Besessenheit von Fragen der Rasse, des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit, der Psychologie, Ökologie und natürlich der Sexualität behaupten unzählige Professoren, dass der Marxismus kein Leitfaden für die Probleme der Gegenwart sein könne. Antworten könnten nur außerhalb des theoretischen Rahmens des Marxismus gefunden werden. In einem Band mit dem großspurigen Kritischer Begleiter zum zeitgenössischen Marxismus heißt es:

Wir haben es nicht länger mit einer Krise innerhalb des Marxismus, zwischen verschiedenen Auslegungen zu tun, die zu Ausschlüssen und Spaltungen führen... Bei dieser Krise geht es um die bloße Existenz des Marxismus, der ohnehin gerupft ist durch das Verschwinden der Institutionen – Parteien oder anderen –, die sich offiziell auf ihn bezogen, und durch seine Vertreibung aus der kulturellen Sphäre, dem kollektiven Gedächtnis und der Phantasie des Einzelnen…

Die wichtigsten von uns vorgestellten Autoren, von Bourdieu über Habermas und Foucault bis hin zu Derrida, können in keiner Weise als Marxisten bezeichnet werden. Ohne diese und andere Gestalten erscheint uns ein Wiederaufbau schlicht undenkbar. Sie stehen für andere Elemente unserer Kultur, die nicht dem Marxismus zugerechnet werden können, uns aber dennoch kostbar sind. (8)

Ein angemessenerer Titel für diesen Band wäre Begleiter für zeitgenössische Antimarxisten. Die Verleger, Lektoren und Autoren versuchen die „Krise des Marxismus“ zu lösen, indem sie ihn in verschiedenen Formen des idealistischen, irrationalen und explizit anti-marxistischen Denkens auflösen. Diesem Vorhaben liegen nicht einfach nur falsche theoretische Konzeptionen zugrunde. Hinter diesen antimarxistischen theoretischen Konzeptionen stehen reaktionäre politische Positionen, die in den Interessen von Teilen des Kleinbürgertums wurzeln – wohlhabenden Teilen, die dem theoretischen und politischen Erbe der Oktoberrevolution mit purer Feindseligkeit begegnen.

So schrieb ein führender akademischer Vertreter der zeitgenössischen Pseudolinken, Alain Badiou, im Jahr 2011:

Der Marxismus, die Arbeiterbewegung, die Massendemokratie, der Leninismus, die Partei des Proletariats, der sozialistische Staat, all diese bemerkenswerten Erfindungen des 20. Jahrhunderts sind nicht mehr wirklich nützlich. (9)

Der gefeierte Star der Pseudolinken und theoretische Scharlatan Slavoj Žižek schreibt in seinem jüngsten Buch Lenin 2017: Remembering, Repeating, and Working Through:

Machen wir uns nichts vor: Lenin und sein Vermächtnis werden heute als hoffnungslos veraltet wahrgenommen, als einem gescheiterten ‚Paradigma‘ zugehörig. Lenin war nicht nur verständlicherweise blind für viele Probleme, die im heutigen Leben zentral sind (Ökologie, Kämpfe für eine befreite Sexualität usw.), sondern seine brutale politische Praxis passt auch überhaupt nicht zu den heutigen demokratischen Empfindlichkeiten, seine Vision einer neuen Gesellschaft als zentralisiertes, vom Staat verwaltetes industrielles System ist schlicht irrelevant“. (10)

Keiner dieser Kritiker des Marxismus bietet eine glaubwürdige theoretische und politische Alternative. Derselbe Monsieur Badiou, der 2011 verkündete, dass der Marxismus und andere „Erfindungen“ des 20. Jahrhunderts uns eigentlich nichts mehr nützen, schrieb nur zwei Jahre später: „Die politischen Kategorien, mit denen die Aktivisten der Bewegung unsere aktuellen Situationen einschätzen und verändern, sind in ihrer gegenwärtigen Form großteils untauglich.“ (11) Der Titel dieses Essays lautet passenderweise: „Unsere heutige Ohnmacht“.

Wenn man über den geistigen Bankrott der heutigen Pseudolinken spricht, kommt man nicht umhin, ein weiteres Jubiläum zu erwähnen: Dieses Jahr begehen wir den 50. Jahrestag von 1968, einem Jahr, das Zeuge massiver gesellschaftlicher Umwälzungen auf weltweiter Ebene wurde – vom Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus in Vietnam und den weltweiten Studentenprotesten gegen diesen neokolonialen Krieg bis hin zu den Ereignissen vom Mai-Juni 1968, die das Überleben des Kapitalismus in Frankreich infrage stellten, und dem antistalinistischen Prager Frühling in der Tschechoslowakei.

Welche theoretischen Werke haben in diesem entscheidenden Jahr die politisch radikalisierten Jugendlichen, Studenten und breite Kreise der linken Intelligenz beeinflusst? Natürlich lag der Marxismus gewissermaßen in der Luft. Aber es war ein „Marxismus“, der in seinen theoretischen Grundlagen und seiner politischen Ausrichtung völlig anders geartet war als der Marxismus, der die Praxis der Bolschewistischen Partei angeleitet hatte. Es war nicht die Schule von Marx, Engels, Lenin und Trotzki, die Einfluss auf die Generation von 1968 hatte, sondern die Frankfurter Schule von Max Horkheimer, Theodor Adorno, Walter Benjamin, Wilhelm Reich und – der beliebteste von allen – Herbert Marcuse.

Zwei Merkmale der Frankfurter Schule müssen betont werden: Erstens, ihre Gleichgültigkeit und sogar explizite Ablehnung der Arbeiterklasse und ihres Kampfs gegen das kapitalistische System. Das wesentliche Element, das den historischen Pessimismus und die Skepsis der Frankfurter Schule prägte, war ihre Ablehnung der klassischen marxistischen Konzeption, dass im Kampf gegen den Kapitalismus die entscheidende revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse zukommt. Politisch ist dieser Pessimismus als demoralisierte Reaktion auf die Niederlagen zu deuten, die die deutsche Arbeiterklasse zwischen 1918 und 1933 erlitten hatte. Intellektuelle wie Horkheimer und Marcuse erklärten sich diese Niederlagen nicht aus den Fehlern und dem Verrat der politischen Parteien der Arbeiterklasse – der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien –, sondern sahen darin einen Beweis für den nicht-revolutionären Charakter der Arbeiterklasse.

So schrieb Max Horkheimer 1927 in einem Essay mit dem Titel „Die Ohnmacht der deutschen Arbeiterklasse“: „Der kapitalistische Produktionsprozeß hat es also mit sich gebracht, das Interesse am Sozialismus und die zu seiner Durchführung notwendigen menschlichen Eigenschaften zu trennen.“ (12)

Verstärkt wurde der politische Pessimismus der Frankfurter Schule durch die Katastrophe von 1933 und die Schrecken des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. Das wenige, was die Akademiker der Frankfurter Schule vom Marxismus übrig ließen, diente lediglich zur Bemäntelung ihrer Anpassung an die imperialistische Nachkriegsordnung und, insbesondere im Fall von Horkheimer und Adorno, an den Wiederaufbau des bürgerlich-demokratischen Staats unter der Schirmherrschaft von Konrad Adenauer („Der Alte“), Ludwig Erhard („Der Dicke“) und Kurt Georg Kiesinger („Der Nazi“).

Herbert Marcuse bemühte sich um eine eher kritische und radikale Haltung zur kapitalistischen Gesellschaft. Aber seine Ablehnung der Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft war nicht weniger explizit:

Nun zur Frage der Arbeiterklasse. Ich sagte, und ich sage immer noch, dass die amerikanische Arbeiterklasse keine revolutionäre Klasse ist. … Ich habe gesagt, dass in der gegenwärtigen Situation, in Anbetracht der Tatsache, dass die amerikanische Arbeiterklasse keine revolutionäre Klasse ist, sich das politische Bewusstsein, das radikale politische Bewusstseins, unter nicht integrierten Minderheiten konzentriert: Studenten, schwarzen und braunen Minderheiten, Frauen und so weiter. (13)

Wie gesagt: Die theoretischen Konzeptionen, die in Opposition zum Marxismus entwickelt wurden, wurzeln letztendlich in bestimmten gesellschaftlichen und politischen Interessen. Die Theoretiker der Frankfurter Schule brachten die Einstellung von Teilen des deutschen Kleinbürgertums zum Ausdruck. Außerdem legten die wichtigsten Vertreter der Frankfurter Schule kein Interesse, geschweige denn aktive politische Unterstützung, für Trotzkis Kampf gegen das stalinistische Regime in der Sowjetunion an den Tag. Diese politische Tatsache ist ohne Frage von großer Bedeutung, wenn man die Entwicklung der Frankfurter Schule verstehen möchte. Dennoch wäre es falsch, die theoretisch-philosophischen Wurzeln der Frankfurter Schule zu vernachlässigen. Eine Untersuchung der theoretischen Einflüsse, die in der Frankfurter Schule zum Ausdruck kamen, ist nicht nur notwendig, um diese geistige Strömung und ihre zahlreichen Ableger zu durchschauen, sondern auch, um zu verstehen, worin sie sich im Wesentlichen vom Marxismus des Bolschewismus und der Oktoberrevolution unterscheidet.

Der Marxismus spielte in der Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung eine große Rolle. Er bildete die theoretische Grundlage für die Entwicklung der SPD zur Massenpartei der deutschen Arbeiterklasse. Es ist unbestritten, dass die fortgeschrittenen Teile der Arbeiterklasse auf der Grundlage des Marxismus ausgebildet wurden und dass der Marxismus auch breite Teile der kleinbürgerlichen Intelligenz beeinflusste. Aber es muss betont werden, dass die Haltung der kleinbürgerlichen Intelligenz ihm gegenüber oft ambivalent und sogar feindselig war. Das ist ein komplexes Thema, das von den Geschichtswissenschaften ausführlich erforscht wurde. Im Rahmen dieses Vortrags muss ich mich auf eine kurze Zusammenfassung beschränken.

Es ist ein auffallendes historisches Zusammentreffen, dass genau zu dem Zeitpunkt, als die Sozialdemokratische Partei 1890 aus der Illegalität hervortrat und in der Arbeiterklasse eine geradezu unanfechtbare Autorität genoss, Teile der kleinbürgerlichen Intelligenz über die marxistischen Grundlagen der Bewegung zu murren begannen. Insbesondere der philosophische Materialismus des Marxismus, das Beharren auf dem Primat der Materie gegenüber dem Bewusstsein, auf der Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung und der Vorrangigkeit ökonomischer Kräfte, wurde im kleinbürgerlichen Umfeld der SPD zunehmend angezweifelt. Der Marxismus, so argumentierten sie, lege zu viel Gewicht auf den gesetzmäßigen Charakter gesellschaftlicher Prozesse, auf die objektive Notwendigkeit gegenüber der subjektiven Initiative, und auf bewusste Beweggründe gegenüber unbewussten und irrationalen Trieben. Der Marxsche Determinismus, der im philosophischen Materialismus begründet lag, behindere den individuellen Ausdruck des freien Willens und die persönliche Initiative.

Im Gegensatz zum marxistischen Materialismus, der auf dem Primat der sozio-ökonomischen Kräfte und Prozesse beharrte und daher wissenschaftliche Erkenntnis und objektive Wahrheit höher stellte als Intuition und subjektiven Willen, bezogen diese politischen und geistigen Strömungen ihre Inspiration nicht von Marx, sondern von Schopenhauer und Nietzsche. Eine solche Tendenz wurde von dem bekannten Anarchisten Gustav Landauer vertreten. Er war ein bekennender erbitterter Feind des marxistischen Materialismus:

Wir sehen den kommenden Zustand der Dinge als möglich oder sogar notwendig an, weil wir ihn lieben und herbeiwünschen. Der Mensch ist das Maß aller Dinge, und es gibt kein objektives Wissen, in dem Begriffe ein Spiegel der wahrgenommenen Objekte sind. […]. Es wäre weitaus klüger, wenn die Sozialisten als Erstes ihrem Willen ungezügelt Ausdruck verleihen und anschließend verdeutlichen würden, weshalb die Sache ihrer Meinung nach auch verwirklicht werden kann. Doch eine unbedingte Notwendigkeit zu proklamieren, die auf der Natur, auf einem festgelegten Kurs beruht ... das heißt die Triebkraft der Bewegung durch den ... Aberglauben zu ersticken, dass alles von selbst ablaufen wird ...

Dem Marxismus ... muss ins Gesicht gesagt werden, dass er die Plage unserer Zeit und der Fluch der sozialistischen Bewegung ist. (14)

Die von Landauer vertretenen Ansichten entstanden in einem geistigen Klima, in dem große Teile der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Intelligenz, vor allem Künstler, sich zur Erforschung des Unbewussten berufen fühlten. Gerade als die Wissenschaft außerordentliche Fortschritte machte, griff in diesen Schichten die Überzeugung um sich, dass der Schlüssel zum Verständnis der Wirklichkeit und der endgültigen Wahrheit in der Erforschung der subjektiven Erfahrung lag.

Diese Tendenz zeigte sich beileibe nicht nur in Deutschland und Österreich. Es war eine breite geistige Strömung, die in ganz Europa und auch in Russland Widerhall fand. Dieser Angriff auf den philosophischen Materialismus hatte weitreichende Implikationen. Es warf folgende Fragen auf: Sollten Programm, Strategie und Taktik der sozialistischen Parteien und die Praxis der Arbeiterklasse auf einer wissenschaftlichen Analyse der objektiven Wirklichkeit basieren, die unabhängig vom Bewusstsein existiert, oder auf Intuition und subjektivem Willen? Sollten die Ziele und das Handeln der Arbeiterklasse auf einem Verständnis der objektiven Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung basieren oder, wie George Sorel und andere forderten, auf psychologisch provokativen Mythen?

Zwei bekannte Persönlichkeiten in der bolschewistischen Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, Alexander Bogdanow und Anatol Lunatscharski, argumentierten unter dem nicht unerheblichen Einfluss von Nietzsche, dass der Marxismus revidiert werden müsse, um dem Kampf für Sozialismus mehr emotionalen und spirituellen Gehalt zu verleihen. Lunatscharski schlug sogar die Schaffung einer neuen sozialistischen Religion vor, die die revolutionäre Bewegung mit Glauben und Begeisterung erfüllen und damit dem Pessimismus und der Demoralisierung entgegenwirken sollte, die sich nach der Niederlage der Revolution von 1905 eingestellt hatten. Und so predigte Lunatscharski: „Huldigen wir dem Potenzial der Menschheit, unserem Potenzial, und verleihen wir ihm den Heiligenschein des Ruhms, auf dass wir es umso mehr lieben.“ Wie ein Historiker in einer Studie über Nietzsches Einfluss auf russische Sozialisten feststellte, zeichneten sich Lunatscharskis Predigten „durch den künstlichen Enthusiasmus und die aufgesetzte Fröhlichkeit eines Pfadfinderführers aus, der für eine unbeliebte, aber notwendige Mühsal wirbt: Oftmals äußerte Lunatscharski die Überzeugung, dass in der aktuellen gesellschaftlichen Krise nur eine Begeisterung, die durch diese Religion erzeugt wird, die für den Sieg des Sozialismus nötige Stärke und Motivation wecken könne.“ (15)

Lenin 1916

Lenin amüsierte sich über Lunatscharskis religiösen Eifer und nannte ihn „den gesegneten Anatoli“. Aber Lenin beschränkte sich nicht darauf, seinem erratischen Genossen einen humorvollen Spitznamen zu verpassen. Er erkannte die gefährlichen politischen Folgen subjektiver und irrationaler Strömungen innerhalb der sozialistischen Bewegung. Und so verfasste er seine größte theoretische Abhandlung: Materialismus und Empiriokritizismus. Kein anderes Werk Lenins hat solche Empörung hervorgerufen wie diese unnachgiebige Verteidigung des philosophischen Materialismus. Noch nicht einmal Was tun? wurde so heftig angeprangert. Materialismus und Empiriokritizismus, heißt es, sei ein Werk des „vulgären Materialismus“, das die Beziehung zwischen Materie und Bewusstsein verflache und der „plumpen“ Auffassung Vorschub leiste, das Bewusstsein sei lediglich ein Spiegelbild der materiellen Welt und das Denken und Handeln der Menschen nichts weiter als eine vorprogrammierte Reaktion auf materielle Reize. Bisweilen wird sogar behauptet, dass Lenin, als er „Materialismus und Empiriokritizismus“ schrieb, Hegel noch nicht gelesen habe und mit der Dialektik noch nicht vertraut gewesen sei.

Solche Darstellungen sind eine schamlose Verdrehung von Materialismus und Empiriokritizismus, von der Entwicklung des Leninschen Denkens ganz zu schweigen. Man findet in „Materialismus und Empiriokritizismus“ zahlreiche Passagen, in denen Lenin die Beziehung zwischen Materialismus und dialektischer Logik in brillanter Weise beleuchtet. Gewiss bestand Lenin auf dem Primat der Materie gegenüber dem Bewusstsein und auf der objektiven Existenz einer materiellen Welt, die vom Denken unabhängig ist. Sein tiefer Respekt vor Hegels Logik wurde stets durch seine Kritik an deren idealistischen Grundlagen gedämpft. Bis zum Ende seines Lebens verteidigte Lenin unerschütterlich die theoretische Methode und das Erbe von Karl Marx und Friedrich Engels. Die Anerkennung der objektiven Welt, die unabhängig vom Bewusstsein existiert, bildete die wesentliche Grundlage der materialistischen Erkenntnistheorie. Und die materialistische Erkenntnistheorie wiederum bildete die theoretische Grundlage für ein wissenschaftlich fundiertes Programm und eine Perspektive, auf welche die Arbeiterklasse ihre Praxis stützen konnte. In einem entscheidenden Absatz von Materialismus und Empiriokritizismus erklärt Lenin:

Die höchste Aufgabe der Menschheit ist es, diese objektive Logik der wirtschaftlichen Evolution (der Evolution des gesellschaftlichen Seins) in den allgemeinen Grundzügen zu erfassen, um derselben ihr gesellschaftliches Bewusstsein und das der fortgeschrittenen Klassen aller kapitalistischen Länder so deutlich, so klar, so kritisch als möglich anzupassen. (16)

Das bedeutet, dass die Arbeiterklasse die Gesetze der historischen und gesellschaftlichen Entwicklung verstehen muss und in der Lage sein muss, objektive Entwicklungen richtig einzuschätzen, um einen revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus führen und die Welt verändern zu können. Dies ist die Grundlage, auf der die großen russischen Marxisten – allen voran Lenin und Trotzki – sich vorbereiteten und die Arbeiterklasse im Oktober 1917 an die Macht führten.

Lenins Festhalten am Materialismus war nicht nur abstrakter und theoretischer Art. Die Verteidigung des Materialismus war untrennbar damit verbunden, zu einer zutreffenden Einschätzung der politischen Entwicklung zu gelangen, die Aufgaben der Arbeiterklasse präzise zu definieren und eine richtige politische und praktische Orientierung zu finden. Immer wieder hob Lenin den engen Zusammenhang zwischen dem philosophischen Materialismus und der politischen Orientierung der Arbeiterklasse hervor: In seinem Essay „Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus“ von 1913 schreibt er:

Die Philosophie des Marxismus ist der Materialismus. Im Laufe der gesamten neuesten Geschichte Europas und insbesondere Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich, wo eine entscheidende Schlacht gegen alles mittelalterliche Gerümpel, gegen den Feudalismus in den Einrichtungen und in den Ideen geschlagen wurde, erwies sich der Materialismus als die einzige folgerichtige Philosophie, die allen Lehren der Naturwissenschaften treu bleibt, die dem Aberglauben, der Frömmelei usw. feind ist. Die Feinde der Demokratie waren daher aus allen Kräften bemüht, den Materialismus „zu widerlegen“, zu untergraben und zu diffamieren, und nahmen die verschiedenen Formen des philosophischen Idealismus in Schutz, der stets, auf diese oder jene Art, auf eine Verteidigung oder Unterstützung der Religion hinausläuft. (17)

Die Werke von Lenin und Trotzki aus den Jahren vor 1917 zeichnen sich dadurch aus, dass die Fragen der politischen Perspektive und Analyse fortdauernd im Zentrum stehen. Der Marxismus von Lenin und Trotzki, dessen Methode der dialektische und historische Materialismus war, zielte in erster Linie darauf ab, die Dynamik der Krise des kapitalistischen Weltsystems und seine Implikationen innerhalb Russlands zu verstehen. Um erneut Lenin zu zitieren, diesmal aus seinem biografisch-theoretischen Aufsatz über Karl Marx: den er 1913 verfasste:

Nur die objektive Berücksichtigung der Totalität der Wechselbeziehungen samt und sonders aller Klassen einer gegebenen Gesellschaft, und daher auch die Berücksichtigung der objektiven Entwicklungsstufe dieser Gesellschaft, wie die der Wechselbeziehungen zwischen ihr und anderen Gesellschaften, kann als Grundlage für eine richtige Taktik der fortschrittlichen Klasse dienen. (18)

Ungeachtet der Differenzen, die vor 1917 zwischen Lenin und Trotzki bestanden, konzentrierte sich die Arbeit beider auf die strategische Orientierung der sozialistischen Bewegung. Mit dem Ausbruch des Krieges 1914 nahm Lenins Studium der Weltkrise eine außerordentliche Tiefe und Intensität an, die weitreichende Konsequenzen für die Orientierung der Bolschewistischen Partei 1917 haben sollte. Die theoretische Arbeit, die mit seiner Schrift Der Imperialismus 1915-1916 verbunden war, führte zur entscheidenden Verschiebung der bolschewistischen Strategie, die in Lenins Aprilthesen zum Ausdruck kam. Trotzki hatte zwar einen anderen politischen Weg genommen, doch seine herausragende Rolle 1917 ging auf die Theorie der permanenten Revolution zurück, die er in den zwölf vorangegangenen Jahren erarbeitet hatte.

Es kann keine Revolution ohne Wille, ohne ein Höchstmaß an subjektiver Entschlossenheit geben. Aber der Wille und die Entschlossenheit müssen von einer richtigen Einschätzung der objektiven Wirklichkeit geleitet werden, auf die sich die Praxis der sozialistischen Bewegung stützen muss. Der Standpunkt, dass der subjektive Wille nicht als Grundlage für das politische Handeln taugt, unterscheidet den Marxismus aus theoretischer Sicht von den unzähligen Varianten der kleinbürgerlich-radikalen Politik wie dem Anarchismus und Maoismus und natürlich dem Faschismus, der konterrevolutionärsten aller Massenbewegungen des Kleinbürgertums. In einer Rede vor dem Dritten Kongress der Kommunistischen Internationale 1921 erklärte Trotzki:

Lösen wir das subjektive Moment von dem objektiven los, so führt selbstverständlich diese Philosophie zu einem reinen revolutionären Abenteurertum.

Und ich glaube, dass wir in der großen marxistischen Schule gelernt haben, das Objektive mit dem Subjektiven dialektisch und praktisch zu vereinigen, d. h. also, wir haben gelernt, unsere Aktion nicht nur auf den subjektiven Willen des einen oder anderen zu basieren, sondern auf die Überzeugung, dass die Arbeiterklasse diesem unseren subjektiven Willen folgen muss und dass der Aktionswille der Arbeiterklasse durch die objektive Lage bestimmt wird. (19)

Trotzki (Dritter von links) auf dem dritten Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1921

Zwei Jahre später, als Trotzki bereits den Kampf gegen das Anwachsen der Bürokratie in der Sowjetunion führte, fasste er die Beziehung zwischen einer wissenschaftlichen Einschätzung der objektiven Wirklichkeit und dem subjektiven Willen in Lenins Werk brillant zusammen:

Leninismus ist vor allem Realismus, höchst entwickeltes Registrieren der qualitativen und quantitativen Aspekte der Wirklichkeit unter dem Aspekt des revolutionären Handelns. Aus diesem Grund ist der Leninismus unvereinbar mit einer Flucht vor der Wirklichkeit, die durch hohle Agitation bemäntelt wird, unvereinbar mit passiver Vergeudung der Zeit, mit der hochmütigen Rechtfertigung vergangener Fehler unter dem Vorwand, die Parteitradition zu retten.

Leninismus bedeutet eine wirkliche Freiheit von formalen Vorurteilen, von moralisierendem Doktrinarismus, überhaupt von jeglichem geistigen Konservativismus, der den Willen zum revolutionären Handeln einengt. Es wäre jedoch ein verhängnisvoller Fehler anzunehmen, Leninismus bedeute ,,Alles ist erlaubt“. (20)

Wir leben in einer Welt von außerordentlichen Komplexität. Die Menschheit scheint von ihren großen und äußerst leistungsfähigen Produktivkräften regelrecht überwältigt zu werden. Dies gilt jedenfalls mit Sicherheit für die herrschende Klasse, die nicht weiß, wie sie diese Kräfte weiterentwickeln und auf gesellschaftlich fortschrittliche Weise einsetzen kann, und die dazu aufgrund der ökonomischen Logik des kapitalistischen Systems auch gar nicht in der Lage ist. Dies ist das wesentliche Problem hinter der unaufhörlichen Serie von Wirtschaftskrisen, den zunehmenden gesellschaftlichen Verwerfungen und der wachsenden Gefahr eines dritten, atomaren Weltkriegs.

Die Arbeiterklasse kann – aufgrund ihrer objektiven Stellung im Rahmen der weltweiten Produktivkräfte – das historische Problem lösen, das der Bourgeoisie entgleitet. Aber sie kann dies nur, wenn es ihr gelingt, ihr subjektives Bewusstsein mit der objektiven Realität in Einklang zu bringen. Die revolutionäre marxistische Partei ist das wesentliche politische Werkzeug, mit dem dieser Einklang von Bewusstsein und Wirklichkeit, von objektiver politischer Notwendigkeit und revolutionärer Praxis der Massen hergestellt werden kann. Eine solche Übereinstimmung konnte 1917 hergestellt werden. Sie muss erneut gelingen, und die Erfüllung dieser Aufgabe ist das zentrale Ziel des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

Anmerkungen:

1) IKVI: Warum die Russische Revolution studieren, Band 1, Essen 2017, S. 36

2) Marx an Lassalle, 31. Mai 1858, S. 123, in: Ferdinand Lassalle. Nachgelassene Briefe und Schriften, Stuttgart-Berlin 1922.

3) MEW Band 1, S. 216.

4) MEW Band 3, S. 26.

5) MEW Band 13, S. 8-9

6) MEW Band 23, S. 27

7) MEW Band 32, S. 538

8) Bidet, J. und Kouvelakis, S.: (Hrsg.), Critical Companion to Contemporary Marxism, (Chicago: Haymarket Books, 2011), S. 5-7, aus dem Englischen]

9) Zitiert nach North, D.: Philosophie und Politik in Zeiten von Krieg und Revolution, Vortrag in Frankfurt/Main vom 22. Oktober 2016, abrufbar unter https://www.wsws.org/de/articles/2016/10/25/nort-o25.html

10) Žižek, S. (Hrsg): Lenin 2017: Remembering, Repeating, and Working Through, (Kindle Locations 131-136). Verso Books. Kindle Edition, aus dem Englischen.

11) Zitiert nach North, D.: Philosophie und Politik in Zeiten von Krieg und Revolution, ebd.

12) Horkheimer, M.: „Die Ohnmacht der deutschen Arbeiterklasse“, in: Max Horkheimer, Notizen 1950 bis 1969 und Dämmerung - Notizen in Deutschland, hrsg. v. Werner Brede, Frankfurt a.M. 1974, S. 283.

13) Marxism, Revolution and Utopia, S. 356, aus dem Englischen

14) Aus dem Artikel „Dühringianer und Marxist“, der im 22. 10. 1892 in „Der Sozialist“ erschien, vorläufig aus dem Englischen rückübersetzt.

15) Kelly, A.: „Empiriocriticism: A Bolshevik Philosophy?“, in. Cahiers du Monde russe et soviétique, Bd. 22, Nr. 1 (Januar–März 1981), S. 104

16) Lenin, W.I: Materialismus und Empiriokritizismus, Werke Bd. 14, Dietz, Berlin 1971, S. 328f.

17) Lenin, W.I: Werke, Bd. 19. S. 4.

18) Lenin, W.I.: Werke, Bd. 21, S. 64.

19) Trotzki, L.: Schlusswort zur Diskussion über die wirtschaftliche Krise und die Aufgaben der Komintern, Protokoll des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale. Band 1, Hamburg 1921, Zitiert nach: https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/trotzki/trotzki-kommunistische-taktik/leo-trotzki-schlusswort-zur-diskussion-ueber-die-wirtschaftliche-krise. (aufgerufen am 17.03.2018)

20) Trotzki, L.: „Der neue Kurs“, in: Schriften Bd. 3, Linke Opposition und IV. Internationale 1. 1923-1926, Frankfurt a. M. 1997, S. 257.

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