„Berlin brennt“ – Gewerkschaften und Senat bereiten Ausverkauf vor

Die Mahnwache „Berlin brennt“ ist mittlerweile in die vierte Woche gegangen. Der tägliche Protest der Feuerwehrleute vor dem Berliner Rathaus gegen katastrophale Arbeitsbedingungen, Personalmangel und niedrige Einkommen erregt großes Aufsehen. Alle großen Berliner Zeitungen berichteten in den vergangenen Wochen darüber.

Der rot-rot-grüne Berliner Senat befürchtet, die Aktion könnte zum Auftakt zu weiteren Protesten gegen den sozialen Kahlschlag im öffentlichen Dienst werden und mit einer Radikalisierung anderer Teile der Arbeiterklasse zusammenkommen. Senat und Gewerkschaften bemühen sich daher, die Aktion möglichst rasch durch einen faulen Kompromiss zu beenden.

Am Montag fanden die ersten offiziellen Gespräche zwischen dem SPD-Innensenator Andreas Geisel, den Gewerkschaftsvertretern der Berliner Feuerwehrleute (Verdi, Gewerkschaft der Polizei und Gewerkschaft der Feuerwehr) und den Personalräten statt.

Geisel betonte, bei den Gesprächen handle es sich noch nicht um Verhandlungen, weil er nicht der Behördenleiter sei. Auf einer Pressekonferenz versuchte er zu beschwichtigen. Schon im Doppelhaushalt 2018/2019 seien Mittel verankert für rund 350 neue Stellen, die Beförderung von rund 380 Beamten, Besoldungsangleichung auf Bundesniveau bis 2021 sowie zehn Millionen für die Ausstattung, unter anderem rund 90 neue Feuerwehrfahrzeuge.

Allein 94 Fahrzeuge sollten noch in diesem Jahr angeschafft werden. Für die Anschaffung weiterer im nächsten Jahr müsse man auf die SIWANA-Mittel zurückgreifen, so Geisel. Hierbei handelt es sich um einen „Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfond“, in welchem 126,4 Millionen Euro für die Feuerwehr und Polizei zur Verfügung stehen.

Ab Mai solle die 48-Stunden-Woche auf 44 Stunden gesenkt werden, wobei die Umsetzung in den Dienstplänen erst zum September erfolgen werde. Allerdings wird es beim 12-Stunden-Dienst bleiben, obwohl eine der Hauptforderungen der Feuerwehrleute die Rückkehr zum 24-Stunden-Dienst ist, der ihnen zwischen den Diensten vier Tage Freizeit gewährt, statt derzeit 2,5 Freizeittage.

Die Überstunden sollen zwar nun bezahlt werden. Allerdings besteht keine Möglichkeit, die Überstunden als Freizeitausgleich abzugelten.

Zum Thema der Feuerwehrzulage wollte sich Geisel nicht äußern, da diese Frage in der Zuständigkeit der Senatsverwaltung für Finanzen liege. Diese würde gegenwärtig eine Gesetzesvorlage erarbeiten, die im Juli im Abgeordnetenhaus eingebracht werde.

Auch die Frage der heftig kritisierten Unterbezahlung der Notfallsanitäter verwies Geisel an die Senatsverwaltung für Finanzen, die von seinem SPD-Parteikollege Matthias Kollatz-Ahnen geleitet wird. Geisel betonte jedoch, dass die Eingruppierung der Notfallsanitäter nur im Rahmen von Tarifverhandlungen zum TV-L geklärt werden könne. Ein Vorgriff auf die erst 2019 stattfindenden Tarifverhandlungen sei „schwer möglich“, trotzdem „werden wir eine Regelung finden“.

Geisels Beschwichtigungsrede bestand nur aus leeren Versprechungen und schon bekannten Absichtserklärungen. Sein Hauptargument richtete sich gegen die Bevölkerung, die durch unnötige Notrufe „eine nicht unerhebliche Schuld für den Personalnotstand“ habe. Er rief die Gewerkschaften zu einer „gemeinsamen Kampagne“ auf, um die Alarme zu reduzieren.

Angesprochen auf den Widerspruch, dass die Gewerkschaften den Bedarf an neuen Stellen auf rund 1000 beziffern und der Senat nur eine Erhöhung von 350 neuen Stellen vorsieht, verwies Geisel auf „begrenzte Ausbildungskapazitäten“, die nur langsam und schrittweise erhöht werden könnten.

Die auf Facebook gepostete Pressekonferenz wurde rund 11.000 Mal aufgerufen und stark kommentiert. Der Haupttenor der Kommentare ist Unzufriedenheit. „Toll ihr Gewerkschafter“, heißt es zum Beispiel, „die 44-Stunden-Woche hätte ohnehin kommen müssen.“ Ein anderer Kommentar geht auf den verhassten 12-Stunden-Dienst ein: „Auch von mir herzlichen Dank, ja für was? Was mindestens 85 % der Kollegen wollen, wird abgeschmettert!!“ Ein weiterer Kommentator schimpft: „Es muss deutlich mehr herausgeholt werden, sonst ist es wieder der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein.“

Es bestätigt sich immer deutlicher, was die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) in der vergangen Woche geschrieben hat. „In ganz Deutschland herrschen im öffentlichen Dienst ähnlich üble Bedingungen wie bei der Berliner Feuerwehr. Doch Verdi setzt ihren gesamten Organisationsapparat ein, um zu verhindern, dass sich eine Rebellion gegen die katastrophalen Bedingungen im öffentlichen Dienst, in den Kliniken, Pflegeheimen und Schulen entwickelt.“

Verdi und alle anderen Gewerkschaften stehen in dieser Auseinandersetzung eindeutig auf der Seite des Senats und nicht der Arbeiter. Viele Verdi-Funktionäre besitzen das Parteibuch der SPD, der Linken oder der Grünen und stecken mit dem Senat unter einer Decke. Schon zu Wowereits Zeiten hatte Verdi-Chef Frank Bsirske die übelsten Kürzungen in persönlichen Gesprächen mit dem Regierenden Bürgermeister Wowereit vereinbart.

Verdi fürchtet vor allem, dass sich der Widerstand ausweitet und zu einer breiten politischen Bewegung entwickelt. Schon Anfang April klagte Roland Tremper, stellvertretender Verdi-Landesbezirksleiter: „Wenn der Senat nicht bald reagiert und ernsthaft und zielorientiert mit den Feuerwehrleuten verhandelt, droht eine Ausweitung der Proteste zum Flächenbrand.“ Zur gleichen Zeit hielt Verdi die berechtigte Wut der Vivantis- und Charité-Mitarbeiter gegen die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern mittels Warnstreiks im Rahmen von Tarifverhandlungen unter Kontrolle.

Ein besonders übles Spiel betreibt die Linkspartei. Sie solidarisiert sich in Worten und Resolutionen mit dem Protest, doch überall dort, wo sie politisch Einfluss hat, unterstützt sie die Kürzungspolitik. In den zehn Jahren des „rot-roten“ Senats unter Klaus Wowereit (2001-2011) wurde der soziale Kahlschlag in Berlin besonders rabiat vorangetrieben. Damals trat der Senat extra aus dem kommunalen Arbeitgeberverband aus, um die Löhne und Gehälter im Öffentlichen Dienst um 12 Prozent zu reduzieren.

Jetzt stehen Linksparteifunktionäre an der Mahnwache wieder Schlange. Die Fraktionsvorsitzende der Linken und ehemalige Senatorin für Arbeit und Soziales, Carola Bluhm, sowie Hakan Tas, der Vorsitzende des Innenausschusses im Senat, betonten ihre Solidarität. Und am vergangenen Samstag war der Betriebsgruppensprecher der Feuerwehr bei Verdi, Stefan Ehricht, auf dem Landesparteitag der Linkspartei eingeladen, wo ein Dringlichkeitsantrag einstimmig verabschiedet wurde, der „die Solidarität“ mit den Feuerwehrleuten bekunden soll.

Dieselbe Partei hatte mit ihren Regierungspartnern Grüne und SPD noch zum Jahresanfang die Anhebung der Besoldung um 2,6 Prozent ab 1. Januar 2018 um sechs Monate verschoben.

Verdi versuchte in der vergangen Woche bereits die Ankündigung der Gespräche vom Montag zu nutzen, um erste Schritte einzuleiten, die Mahnwache einzudämmen und zu reduzierten. Die Verkleinerung des mit Kerzen markierten Schriftzugs für die Facebook-Seite „#Berlin brennt“ erklärte Verdi-Sprecher Ehricht zum Zeichen des „Entgegenkommens“. Und Bruno, Mitarbeiter der Leitstelle und Gewerkschafsmitglied, ergänzte in der Liveschaltung vom 12. April: Man wolle die Gespräche „nicht in einer gereizten Stimmung“ führen.

Viele Unterstützer versuchten die Feuerwehrleute zu warnen. „Definitiv ein Rückschritt“, hieß es beispielsweise, und ein „falsches Signal für die Unterstützung der Bevölkerung“. Fast allen Facebook-Eintragungen der letzten Tage ist gemeinsam, dass sie die Feuerwehrleute aufrufen, „nicht aufzugeben“ und „weiterzumachen“. „Haltet durch!“, schrieb eine Unterstützerin. „Es stehen so viele Kollegen und Kolleginnen aus Deutschland hinter euch!“

Verdi will auch das Wahrzeichen der Mahnwache – eine brennende Feuertonne – zum Erlöschen bringen. Bruno, der von Ehricht unterstützt wurde, sagte in der Liveschaltung: „Vielleicht sollte man sogar die Tonne mal vorübergehend ausmachen, damit man in die Gespräche vernünftig gehen kann.“ Auf Facebook hagelte es Protest. „Lasst die Tonne brennen. Ich trau denen nicht über den Weg!“ In anderen Posts heißt es: „Verdi knickt ein. Wie immer.“

Während sich die Gewerkschaften und der Berliner Senat darauf vorbereiten, die Mahnwache abzuwickeln, mehren sich gleichzeitig die Stimmen der Unterstützer, die eine Ausweitung des Widerstands fordern. Eine Krankenschwester schreibt: „Ich liebe meinen Job so richtig, aber dieses ‚Verheizen‘ von uns allen … muss ein Ende haben.“ Ein Unterstützer aus Teltow-Fläming betont: „Eigentlich brennt nicht nur Berlin oder die Feuerwehren in Deutschland, sondern auch der Rettungsdienst bzw. das gesamte Gesundheits- und Sozialsystem stirbt.“

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