Perspektive

Der Maifeiertag 2018 und der 200. Geburtstag von Karl Marx

Der 1. Mai ist dieses Jahr von besonderer Bedeutung, denn wir feiern nicht nur den Tag der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse, sondern auch den 200. Geburtstag von Karl Marx. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Marx auf dem Gebiet der Philosophie, der Ökonomie, der Geschichtsschreibung, der Gesellschaftstheorie und der Politik die bedeutendste Gestalt der Neuzeit ist. Kein anderer Denker hatte einen so großen, bleibenden und fortschrittlichen Einfluss auf die Entwicklung des gesellschaftlichen Bewusstseins der großen Masse der Menschheit und auf ihren Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Im Verständnis der objektiven Kräfte, die den Verlauf der historischen Entwicklung bestimmen, gelang Marx in seinem Werk ein epochaler Durchbruch, durch den ein bewusster Kampf der Arbeiterklasse für die sozialistische Umwälzung der Gesellschaft möglich wurde.

May Day 2018 and the bicentenary of the birth of Karl Marx

Gestützt auf die Widerlegung von Hegels objektivem Idealismus und die kritische Aneignung seiner dialektischen Methode entwickelte Marx den philosophischen Materialismus und wandte ihn auf die Erforschung der sozioökonomischen und politischen Entwicklung der Menschheit an. Vor Marx haben selbst die fortschrittlichsten Denker – vor allem Hegel und Feuerbach als seine bedeutendsten unmittelbaren Vorgänger – soziale und politische Beziehungen aus ideellen Inspirationen spiritueller oder intellektueller Art abgeleitet. Selbst die großen materialistischen Denker des 18. Jahrhunderts wie Helvetius und Baron von Holbach, deren Schriften entscheidend zur Vorbereitung der großen Französischen Revolution von 1789-1794 beitrugen, waren der Ansicht, dass das gesellschaftliche und politische Umfeld von der „öffentlichen Meinung“, also vom Denken bestimmt werde. Doch die idealistische Vorstellung, dass die gesellschaftlichen Beziehungen das Produkt von Ideen sind, steht im Widerspruch zur Realität. Der Mensch, so wie er real in der Geschichte existiert, wird in die jeweils bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse hinein geboren und passt sich unbewusst an diese an.

Marx, der größte aller materialistischen Philosophen, deckte den wirklichen Ursprung des Denkens und der ideologischen Vorstellungen des Menschen auf und erbrachte den Beweis, wie Lenin es später zusammenfasste, „dass der Gang der Ideen vom Gang der Dinge abhängt“ eine Schlussfolgerung, die „als einzige mit der wissenschaftlichen Psychologie vereinbar“ ist. (Lenin, Werke, Bd. 1, Berlin 1961, S. 130)

Als Marx die materialistische Geschichtsauffassung erarbeitete und anschließend im Kapital konkretisierte, entdeckte er – inmitten des scheinbar unkoordinierten Handelns unzähliger Millionen Menschen, die alle ihre eigenen Interessen zu verfolgen glauben und ihren persönlichen Leidenschaften, Zielen und gegensätzlichen Bestrebungen folgen – die tiefer liegenden objektiven Kräfte, die getrennt und sogar unabhängig vom individuellen, subjektiven Bewusstsein die ökonomische Struktur der Gesellschaft formen.

Marx lehnte es ab, die Entwicklung des Bewusstseins in irgendeiner Weise mithilfe des idealistischen Subjektivismus zu erklären. Selbst falsche Vorstellungen von der Natur der Gesellschaft wurzeln in objektiven Bedingungen, die unabhängig vom Einzelnen existieren. Die Unfähigkeit des Menschen, den ausbeuterischen Charakter der gesellschaftlichen Beziehungen im Kapitalismus auf der Grundlage direkter Beobachtung wahrzunehmen und zu begreifen, ist nicht auf fehlende Verstandeskraft des Einzelnen zurückzuführen. Der Grund ist der „rätselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, sobald es Warenform annimmt“. Diese Form widerspiegelt, so Marx, „nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt“. („Das Kapital“, Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 23, Berlin 1968, S. 86).

Marx und sein lebenslanger Freund und Mitarbeiter, das Genie Friedrich Engels, haben den Sozialismus nicht „erfunden“. Dieser Begriff wurde bereits in den 1830er Jahren verwendet. Insbesondere Saint-Simon, Owen und Fourier sind als „utopische“ Vorläufer von Marx und Engels in die Geschichte eingegangen. Diesen herausragenden Denkern mangelte es nicht an brillanten Einblicken in die Mängel der bestehenden Gesellschaft und an Vorschlägen für ihre rationalere Organisation. Aber sie konnten nicht erklären, aus welchen objektiven sozioökonomischen Prozessen der Sozialismus tatsächlich hervorgehen und welche gesellschaftliche Kraft ihn erkämpfen würde.

Wie Marx rückblickend erklärte, veröffentlichten er und Engels Streitschriften, in denen „die wissenschaftliche Einsicht in die ökonomische Struktur der bürgerlichen Gesellschaft als einzig haltbare theoretische Grundlage aufgestellt und endlich in populärer Form auseinandergesetzt ward, wie es sich nicht um die Durchführung irgendeines utopistischen Systems handle, sondern um selbstbewusste Teilnahme an dem unter unsern Augen vor sich gehenden Umwälzungsprozess der Gesellschaft“. („Herr Vogt“, Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 14, Berlin 1987, S. 439)

Die Bedeutung seines theoretischen Werks erklärte Marx in übermäßiger Bescheidenheit mit drei wesentlichen, zusammenhängenden Leistungen:

„Was ich neu tat, war, 1. nachweisen, dass die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist, 2. dass der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. dass diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet.“ („Marx an Joseph Weydemeyer, 5. März 1852“, Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 28, S. 508)

Im Vorfeld von Marx’ 200. Geburtstag äußerten sich sehr viele Wissenschaftler und Journalisten zur Bedeutung seines Lebens. Die wirtschaftliche Katastrophe des Jahres 2008 ist allen noch im Gedächtnis. Nur unverbesserliche antikommunistische Reaktionäre, die von Hass und Gier verblendet sind, bringen es fertig, die monumentale Dimension des Marxschen Werks zu bestreiten. Selbst der Satz „Marx hatte Recht“ war ziemlich häufig zu hören. Die gewissenhafteren unter den Akademikern haben akribische Forschungen angestellt, um Angriffe konventioneller bürgerlicher Ökonomen auf wesentliche Elemente von Marx’ Werk, wie die Arbeitswerttheorie und die Analyse des tendenziellen Falls der Profitrate, zu widerlegen. Eine solche ernsthafte theoretische Arbeit ist zu begrüßen und sollte gefördert werden.

Doch selbst diese anerkennenden Würdigungen kranken daran, dass sie Marx‘ geniales theoretisches Werk von seinen praktisch-politischen, d. h. revolutionären Implikationen für die heutige Zeit trennen. Der eine oder andere Aspekt wird als „relevant“ für das Verständnis der heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse gelobt. Aber die Wertschätzung des Wirtschaftstheoretikers Marx wird strikt getrennt vom Marxismus als Theorie, Programm und Praxis der sozialistischen Weltrevolution. Ein Großteil der Diskussion über die „Relevanz“ von Marx ist von dieser starren Trennung geprägt, die ein verzerrtes Bild ergibt: Würdigung von Marx’ ökonomischer Kritik des Kapitalismus bei gleichzeitiger Ablehnung der heutigen Bedeutung des Marxismus als historische und internationale politische Bewegung der bewusstesten Teile der Arbeiterklasse für den revolutionären Sturz des kapitalistischen Systems.

Die Trennung von Marx, dem „Wirtschaftstheoretiker“, vom sozialistischen Revolutionär hat eine lange Geschichte. Im Laufe von mehr als einem Jahrhundert wurden unzählige Versuche unternommen, „Marx den Bart abzuschneiden“, d. h., Marx mit der einen oder anderen Form der bürgerlichen Ideologie oder des kleinbürgerlichen opportunistischen Reformismus in Einklang zu bringen. Eduard Bernstein nutzte die durch Engels Tod 1895 entstandene Gelegenheit, den Marxismus von der sozialistischen Revolution abzukoppeln und den internationalen Sozialismus in eine Bewegung für soziale Reformen umzumodeln. Im Laufe des 20. Jahrhunderts nahmen die Revisionen des Marxismus einen immer reaktionäreren Charakter an, da sie mehr oder weniger offen dazu dienten, ihn jeder wirklich revolutionären Bedeutung zu berauben und in eine Rechtfertigung für den nationalen Opportunismus der sozialdemokratischen und stalinistischen Massenparteien und Gewerkschaften zu verwandeln.

Unterstützt wurde der Angriff auf Marx’ Erbe durch die hartnäckigen Bemühungen kleinbürgerlicher Theoretiker, die materialistischen Grundlagen seines theoretischen Werks zu untergraben und zu diskreditieren. Schon in den 1890er Jahren, knapp ein Jahrzehnt nach seinem Tod, mühten sich diverse deutsche Professoren emsig ab, um Marx’ revolutionäre Moral, die sich auf die Logik des Klassenkampfs begründete, mit Kants überhistorischem „kategorischen Imperativ“ zu versöhnen. Von Anbeginn des 20. Jahrhunderts wurde, entsprechend dem zunehmenden Einfluss des philosophischen Irrationalismus auf weite Teile der kleinbürgerlichen Intelligenz, Marx’ Festhalten am objektiven und gesetzmäßigen Charakter des historischen Prozesses kritisiert.

Denker wie Georges Sorel und später Henri De Man behaupteten, dass die Arbeiter nicht durch die Aufklärung über die objektiven Gesetze, die den Klassenkampf gegen den Kapitalismus bestimmen, sondern durch Mythen zum Kampf für den Sozialismus inspiriert werden müssten. Nicht die Analyse und Erkenntnis objektiver ökonomischer Kräfte, sondern die Einsicht in unbewusste psychologische Triebkräfte sei wesentlich, um Arbeiter für die sozialistische Bewegung zu gewinnen.

Die Flucht kleinbürgerlicher Intellektueller in den Irrationalismus ging damit einher, dass Engels als vulgärer Materialist und Positivist beschimpft wurde, der die individualistischen und humanistischen Elemente von Marx’ Denken unter Verschluss gehalten hätte. Der „junge Marx“ der Philosophischen Manuskripte von 1844 wurde über den „alten Marx“ des Kapitals erhoben. Das Hauptziel dieses Angriffs – unter dem Einfluss des Nietzscheismus, des Existenzialismus, der Verwässerung des Materialismus mit Freudscher Pseudowissenschaft seitens der Frankfurter Schule, und des irrationalen und antihistorischen Nihilismus der Postmoderne – bestand darin, den wesentlichen revolutionären Inhalt von Marx’ Werk zu unterdrücken.

Auch die Geheimdienste des kapitalistischen Staats mischten beim ideologischen Krieg gegen den Marxismus kräftig mit. Die britische Tageszeitung The Independent machte am 4. Mai 2018 auf einen jüngst freigegebenen Forschungsbericht der CIA aufmerksam. Darin heißt es, dass beim Geheimdienst „aus der Lektüre der französischen Postmoderne geschlussfolgert wurde, dass das Infragestellen der objektiven Grundlage der Verhältnisse geeignet sei, die marxistische Doktrin von der historischen Unvermeidbarkeit zu untergraben. Millionen Dollar wurden für Frontorganisationen wie Zeitschriften, Verlage und bevorzugte Wissenschaftler aufgewendet, um postmoderne Ideen zu verbreiten und ein Mitte-Links-Lager zu schaffen, das die äußere Grenze respektabler Ideen bildete – was darüber hinausging, konnte als gefährliche und radikale Spinnerei verurteilt werden ...“

Die Trennung von Marx, dem Theoretiker, von Marx, dem Revolutionär, führt zwangsläufig zu einer Verfälschung von Marx’ Biographie. Getrennt von seiner politischen Entwicklung und Tätigkeit als Revolutionär kann Marx als Denker nicht verstanden werden. Franz Mehring stellte in seiner Marx-Biographie ganz richtig fest: „Sicherlich beruht die unvergleichliche Größe von Marx nicht zuletzt darin, dass in ihm der Mann des Gedankens und der Mann der Tat unzertrennlich verbunden waren, dass sie sich gegenseitig ergänzten und unterstützten.“ (Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Bd. 3. Berlin 1960, S. 5)

Bereits im März 1843 schrieb Marx an Arnold Ruge: „Feuerbachs Aphorismen sind mir nur in dem Punkte nicht recht, dass er zu sehr auf die Natur und zu wenig auf die Politik hinweist. Das ist aber das einzige Bündnis, wodurch die jetzige Philosophie eine Wahrheit werden kann.“ („Marx an Arnold Ruge, 13. März 1843“, Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 27, S. 417). Dies ist kein flüchtig hingeworfener Satz, sondern bildet den Schlüssel zum Verständnis der wesentlichen Beziehung zwischen Philosophie und Politik sowohl in Marx’ Werk als auch in der heutigen Welt.

In seinen Thesen über Feuerbach schrieb Marx: „Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i.e. die Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit eines Denkens, das sich von der Praxis isoliert, ist eine rein scholastische Frage.“ (Karl Marx, Friedrich Engel, Werke Bd. 3, Berlin 1969. S. 533)

Getrennt von der revolutionären Politik, getrennt vom Kampf gegen die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen, ist die Philosophie reine Spekulation ohne progressive Bedeutung. Aber eine Politik ohne feste Verankerung in der revolutionären Theorie und im Wissen darüber, wie sich diese Theorie im Laufe der langen Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung und des Kampfs für den Sozialismus entwickelt hat, kann nur zu ohnmächtigen Improvisationen und direktem Verrat führen.

Marx starb am 14. März 1883 im Alter von 64 Jahren. An seinem Grab beschrieb Engels seinen geliebten Freund und Mitstreiter als „Mann der Wissenschaft“. Aber er fügte hinzu:

„Aber das war noch lange nicht der halbe Mann ... Denn Marx war vor allem Revolutionär. Mitzuwirken, in dieser oder jener Weise, am Sturz der kapitalistischen Gesellschaft und der durch sie geschaffenen Staatseinrichtungen, mitzuwirken an der Befreiung des modernen Proletariats, dem er zuerst das Bewusstsein seiner eigenen Lage und seiner Bedürfnisse, das Bewusstsein der Bedingungen seiner Emanzipation gegeben hatte – das war sein wirklicher Lebensberuf. Der Kampf war sein Element. Und er hat gekämpft mit einer Leidenschaft, einer Zähigkeit, einem Erfolg wie wenige.“ („Das Begräbnis von Karl Marx“, Karl Marx, Friedrich Engels, Werke Bd. 19, Berlin 1973, S. 336)

Marx starb vor 135 Jahren. Aber der Marxismus – verstanden als die Anwendung der dialektischen und historisch-materialistischen Methode auf das Studium der sich ständig verändernden objektiven sozioökonomischen Verhältnisse; als die Wissenschaft der revolutionären politischen Perspektive, die auf die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse, die Beendigung der kapitalistischen Ausbeutung, die Abschaffung des Nationalstaatensystems und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft im Weltmaßstab abzielt – dieser Marxismus kann nur in seinem Verhältnis zur historischen Entwicklung des Klassenkampfs und zur internationalen sozialistischen Bewegung richtig verstanden werden.

Engels schrieb einmal, dass der Materialismus mit jedem Fortschritt in den Naturwissenschaften seine Form ändern muss, das heißt, er muss die neuesten Fortschritte der Physik, Chemie, Evolutionsbiologie und Mathematik in sein Verständnis des materiellen Universums einbeziehen. In ähnlicher Weise entwickelt sich der Marxismus – als Wissenschaft, die sich der Erforschung der kapitalistischen Gesellschaft widmet –, indem er ständig die wesentlichen Veränderungen der kapitalistischen Produktionsweise weltweit untersucht und am Klassenkampf auf internationaler Ebene teilnimmt und die damit verbundenen Erfahrungen auswertet. Alle Beschwörungen der „Dialektik“, die dieses entscheidende Element des Marxismus ausschließen und sich über die Lehren aus den revolutionären Kämpfen des vergangenen Jahrhunderts hinwegsetzen, sind nichts als Phrasendrescherei und kleinbürgerliche Scharlatanerie.

Die Feier des 200. Geburtstags von Marx ist nur insoweit von wirklich revolutionärer politischer Bedeutung, wie sie von der gesamten historischen Entwicklung des Marxismus ausgeht. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist die Arbeiterklasse durch monumentale historische Erfahrungen gegangen: imperialistische Kriege, Revolutionen und Konterrevolutionen. Der Marxismus existiert nicht im Abstrakten oder als eine Reihe fertiger Schlussfolgerungen, die vor mehr als einem Jahrhundert formuliert wurden. Er existiert als reale Bewegung, die die Kontinuität des bewussten Kampfes verkörpert, innerhalb der internationalen Arbeiterklasse das Programm, die Perspektive und die Praxis der sozialistischen Weltrevolution zu entwickeln.

1938 gründete Leo Trotzki in revolutionärer Opposition gegen die konterrevolutionäre stalinistische Bürokratie, deren Verrätereien zu katastrophalen Niederlagen der Arbeiterklasse geführt hatten, die Vierte Internationale.

Im Laufe von 80 Jahren hat die Vierte Internationale turbulente Kämpfe durchlebt, nicht nur gegen die konterrevolutionären Parteien und Organisationen der stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratien, sondern auch gegen die vielen Spielarten von Opportunismus, Zentrismus und pseudolinken Konzeptionen, die den Druck der kapitalistischen Klasse und des Imperialismus auf die Arbeiterklasse widerspiegeln. Im Kampf gegen all diese Kräfte hat die Vierte Internationale unter der Führung des Internationalen Komitees den Marxismus verteidigt und weiterentwickelt.

Zum diesjährigen 1. Mai mehren sich die Anzeichen dafür, dass eine neue Periode revolutionärer Massenkämpfe der Arbeiterklasse begonnen hat. Wie stets ist das Auftauchen der Arbeiterklasse auf der Bühne der Geschichte eine Überraschung – vor allem für die Vertreter der pseudolinken und antimarxistischen Akademiker, deren theoretische und politische Vorstellungen auf der totale Ablehnung der Arbeiterklasse als revolutionärer Kraft und einem nicht minder totalen Glauben an die Dauerhaftigkeit des Kapitalismus beruhen.

Doch alles, was „unvernünftig“ ist, alles, was der progressiven Entwicklung der menschlichen Gesellschaft entgegensteht, ist „unwirklich“. Es ist aufgrund seiner eigenen unlösbaren Widersprüche zum historischen Untergang verdammt. So lautet das Urteil der Geschichte über die kapitalistische Gesellschaft, und es muss vollstreckt werden. Hat es jemals eine herrschende Klasse gegeben, die so offenkundige Symptome von sozialem Parasitismus, politischer Desorientierung, geistiger Erschöpfung und moralischem Zusammenbruch zeigte? Verglichen mit der heutigen internationalen Mafia der Oligarchen, die einen riesigen Anteil des durch die Arbeit von Milliarden Menschen produzierten Reichtums kontrolliert und konsumiert, erscheint die Bourgeoisie aus der Zeit von Marx geradezu wie ein Wohltätigkeitsverein. Die Behauptungen altersschwacher Reformisten vom Schlage Sanders und Corbyn, man könne die kapitalistischen Oligarchen durch gutes Zureden zu einer gerechteren Verteilung des Reichtums bewegen, ist völlig illusionär. Um Trotzki zu zitieren, inwiefern sind weinerliche Appelle an den Anstand der Reichen besser als das Anflehen der Götter um Regen? Mit der Klasse, die die Produktionsmittel und die globalen Finanznetzwerke besitzt und kontrolliert und die über gigantische Militärapparate, Geheimdienste und Polizeitruppen verfügt, kann man nicht anders abrechnen als durch eine sozialistische Revolution. Aber ist das möglich?

„Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung“, schrieb Marx, „geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen … Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein.“ („Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie“, Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 13, Berlin 1961, S. 9) Diese Worte beschreiben in einem grundlegenden und unmittelbaren Sinne die historische Lage des heutigen Kapitalismus.

Bei all ihrem Reichtum und ihrer Macht taumeln die herrschenden Eliten von Krise zu Krise. Der Machtantritt Trumps in den Vereinigten Staaten ist der sichtbarste und schauerlichste Ausdruck der universellen Degeneration der Kapitalistenklasse. Aber der Aufstieg Trumps ist mehr als nur von symbolischer Bedeutung. Während des gesamten 20. Jahrhunderts und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg fungierten die Vereinigten Staaten als der ultimative Garant für die Stabilität und das Überleben des kapitalistischen Weltsystems. Heute sind sie nicht mehr in der Lage, diese Rolle zu spielen.

Seit einem Vierteljahrhundert ist der amerikanische Kapitalismus – der die Folgen seines anhaltenden wirtschaftlichen Niedergangs durch militärische Operationen wettmachen will – zum Epizentrum der geopolitischen und finanziellen Instabilität geworden. Vor diesem Hintergrund hat das Wiederaufleben des Klassenkampfs in den Vereinigten Staaten eine immense historische Bedeutung. Der Aufschwung des Klassenkampfes in den Vereinigten Staaten wird der internationalen Arbeiterklasse neues Vertrauen in die Möglichkeit einflößen, den Imperialismus zu besiegen, und dadurch die globale Radikalisierung der Arbeiterklasse beschleunigen.

Die Gesetze der Geschichte, erklärte Trotzki bei der Gründung der Vierten Internationale, sind stärker als die bürokratischen Apparate. Diese Prognose bestätigt sich heute. Die Arbeiterklasse ist dabei, die Fesseln der alten reaktionären Gewerkschaften und ihrer Verbündeten unter den zynischen Organisationen der kleinbürgerlichen Pseudolinken mitsamt ihren unzähligen Spielarten reaktionärer Identitätspolitik abzuschütteln. Die wirklich progressiven und revolutionären Kämpfe unserer Epoche werden von den universellen emanzipatorischen Bestrebungen der Arbeiterklasse ausgehen, und nicht vom dem egoistischen Streben des einen oder anderen Fragments der oberen Mittelschicht nach identitätsbasierten Privilegien.

Mit Stolz erklärt das Internationale Komitee der Vierten Internationale an diesem historischen 1. Mai zum 200. Geburtstag von Karl Marx, dass der Trotzkismus der Marxismus des 21. Jahrhunderts ist. Wir appellieren an alle unsere Zuhörer auf der ganzen Welt, an die Hunderttausenden von Lesern der World Socialist Web Site: Schließt euch unseren Reihen an! Baut neue Sektionen der Vierten Internationale auf! Nehmt teil am Kampf für den Sieg der Arbeiterklasse und den Aufbau einer neuen und wirklich humanen Gesellschaft, die auf den wahren sozialistischen Prinzipien der internationalen Solidarität und der Gleichheit aller Menschen beruht.

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