Ungarn verfolgt Flüchtlingshelfer

Das ungarische Parlament hat am 20. Juni mit großer Mehrheit ein Gesetzespaket angenommen, das die Unterstützung von Flüchtlingen unter Strafe stellt.

Mitarbeiter von Hilfsorganisationen verstoßen künftig gegen das Gesetz, wenn sie „Beihilfe zur illegalen Migration“ leisten. Auch wer Informationsmaterialien zu dem Thema „anfertigt, verbreitet oder in Auftrag gibt“, macht sich strafbar. Im Wiederholungsfall droht Haft bis zu einem Jahr. Das neue Gesetz ermöglicht es auch, Helfern den Zugang zu einem acht Kilometer breiten Streifen entlang der Schengen-Außengrenzen zu verbieten.

„Erstmals seit den fünfziger Jahren könnten in Ungarn Anwälte dafür kriminalisiert werden, dass sie ihre Arbeit tun“, kommentierte Márta Pardavi vom ungarischen Helsinki-Komitee (HHC) die neuen Gesetze.

Die von der Fidesz-Regierung ausgearbeitete Gesetzesvorlage erhielt 160 Stimmen. Lediglich 18 Abgeordnete des Parlaments in Budapest stimmten dagegen, was deutlich macht, dass auch weite Teile der Opposition damit übereinstimmen. Unter anderem hatte die rechtsextreme Jobbik-Partei das Gesetz ausdrücklich begrüßt.

Bereits seit Monaten wurde das sogenannte „Stopp-Soros-Paket“ vorbereitet. Die Regierung in Budapest führt eine Kampagne gegen den US-Milliardär George Soros, dessen international tätige Stiftung unter anderem mehrere Bürgerrechtsbewegungen in Ungarn unterstützt.

Das Gesetzespaket und seine Begründung tragen starke rassistische Untertöne. Vor der Abstimmung behauptete Regierungschef Viktor Orbán im staatlichen Radio, in Europa sei ein „Bevölkerungsaustausch“ im Gange, weil Soros und andere Spekulanten „am Zugrunderichten des Kontinents viel Geld verdienen können“. Weiter warf er Soros und seinen Leuten vor, sie wollten ein „multikulturelles Europa“ schaffen, weil sie „die Traditionen des christlichen Europa nicht mögen“.

Mit der Gesetzesänderung wird die Verfassung um einen Zusatz ergänzt, der es verbietet, die „Zusammensetzung der Bevölkerung“ des Landes zu verändern, und die staatlichen Institutionen verpflichtet, die „christliche Kultur zu verteidigen“.

Ein Recht auf Asyl steht nur noch jenen zu, die „direkt verfolgt werden“ und „nicht aus Drittländern“ einreisen, was im Binnenland Ungarn so gut wie unmöglich ist. Damit können die Behörden jeden Ausländer, der um Schutz in Ungarn und damit einem EU-Mitgliedsland nachsucht, zurücksenden, ohne zu fragen, unter welchen Umständen und aus welchen Gründen er gekommen ist. Ein Feststellungsverfahren ist nicht mehr vorgesehen, die Abweisungen folgen per Augenschein. Schon jetzt können nur zwei Personen pro Werktag überhaupt einen Asylantrag in Ungarn stellen.

Bereits seit dem Vorjahr gilt ein Gesetz, das allen NGOs, die jährlich mehr als 23.000 Euro Förderung aus dem Ausland erhalten, vorschreibt, sich in Publikationen und Internet-Auftritten als „vom Ausland unterstützte Organisation“ zu bezeichnen.

Dabei ist die Kriminalisierung von Helfern, die sich für die Flüchtlinge einsetzen, nur die letzte Stufe von Ungarns brutaler Abschottungspolitik. Seit Monaten werden Flüchtlinge durch einen Stacheldrahtzaun am Übertritt über die ungarisch-serbische Grenze gehindert. Hunderte sind seither dort gestrandet, leben unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern und sind den Schikanen von Polizei, Militär und paramilitärischen Einheiten ausgesetzt.

Das neue Gesetzespaket richtet sich aber nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen andere Teile der Bevölkerung. Unter anderem werden damit auch die Rechte von Obdachlosen radikal beschnitten.

Demnach dürfen wohnungslose Personen sich nicht an öffentlichen Orten aufhalten oder niederlassen. Bisher galt dieses Verbot nur für bestimmte öffentliche Plätze. Bei Zuwiderhandlung drohen Geld- oder sogar Gefängnisstrafen. Damit hat das Parlament Obdachlosigkeit faktisch zur Straftat erklärt.

Nach UN-Angaben leben derzeit etwa 50.000 Obdachlose in Ungarn. „Ungarns Vorstoß, Obdachlosigkeit zu einem Verbrechen zu machen, ist grausam und unvereinbar mit den internationalen Menschenrechten“, heißt es in einer Erklärung der UN.

„Was ist das Verbrechen, das die Obdachlosen begangen haben?“, so UN-Wohnungsexpertin Leilani Farha im Wochenmagazin Stern. „Im Grunde ist es nur der Versuch zu überleben.“ Das neue Gesetz werde „ernsthafte und dramatische Konsequenzen für Menschen“ haben, „die sich ohnehin schon in einer extrem prekären Situation befinden“.

Mittlerweile wird Orbáns brutale Flüchtligspolitik von der gesamten Europäischen Union übernommen. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel Ende vergangener Woche haben sich die Mitgliedsstaaten auf eine weitere massive Verschärfung ihrer Flüchtlingspolitik geeinigt. Vorgesehen sind unter anderem die komplette Abriegelung der „Festung Europa“ und Massendeportationen in die Kriegsgebiete des Nahen und Mittleren Ostens.

„Der Europäische Rat erinnert daran, dass die Mitgliedstaaten eine wirksame Kontrolle der EU-Außengrenzen mit finanzieller und materieller Unterstützung der EU gewährleisten müssen. Er betont ferner, dass die effektive Rückführung irregulärer Migranten deutlich verstärkt werden muss,“ heißt es in den offiziellen „Schlussfolgerungen“ des Gipfels.

Orbán begrüßte die Beschlüsse des EU-Gipfels als klare Kehrtwende in der europäischen Migrationspolitik. In einer am Freitag veröffentlichten Videobotschaft sprach der Regierungschef von einem „großen Sieg“ für jene EU-Länder, welche die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnen.

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