Amazon Spanien: Polizei greift Streikende an

Am Dienstag griffen Polizisten am Amazon-Versandhaus bei Madrid die Streikposten gewaltsam an. Es war der zweite von drei Streiktagen beim Auslieferungszentrum San Fernando de Henares, dem größten Amazon-Versandzentrum Spaniens.

Der Streik war bewusst auf den Prime Day gelegt worden. Am gleichen Tag streikten in Deutschland über 2000 Amazon-Arbeiter und in Polen organisierten sie eine Dienst-nach-Vorschrift-Aktion.

Am Amazon-Warehouse in San Fernando de Henares: Polizei vor dem Streikposten

Bis zum Polizeiangriff war es am Haupteingang von MAD4 völlig friedlich zugegangen, wo die Amazon-Arbeiter und ihre Unterstützer in der gleißenden Sonne Streikposten standen. Auf einmal begann die Polizei, Lastwagen und Streikbrecher in das Werk zu bringen. Streikende berichteten, die Polizei habe grundlos mit Schlagstöcken auf sie eingeschlagen. Ein Arbeiter erlitt durch den Schlag eines Polizisten eine offene Wunde im Gesicht. Drei andere wurden festgenommen und auf Polizeistationen gebracht.

Ana berichtete der World Socialist Web Site, sie sei einem Kollegen zu Hilfe geeilt, der von Polizisten bedrängt wurde, und sei „drei oder viermal mit einem Schlagstock malträtiert“ worden. Sie habe mehrere Prellungen an Armen und Rücken erlitten.

Die Amazon-Arbeiter befinden sich seit 2016 in einem lang andauernden Tarifstreit. Seit fast zwei Jahren verhandelt Amazon mit den Gewerkschaften CGT, CCOO und CSIT, um den Tarifvertrag der Logistikbranche für die Region Madrid durchzusetzen. Er soll den bisherigen Logistik-Vertrag ersetzen und die Rechte der Arbeiter drastisch reduzieren.

Polizeieskorte führt Streikbrecher durch das Amazon-Werkstor

Im März waren die Arbeiter schon in einen 48-stündigen Streik getreten, an dem sich drei Viertel der Belegschaft beteiligt hatten. Ähnliche Streiks hatte es schon anlässlich der Black Friday Verkaufsaktion im November in Italien, Deutschland und Frankreich gegeben. Weil die Firma sich aufgrund der Bereitschaft der Gewerkschaften zur Kooperation ermutigt fühlte, verordnete sie einseitig neue Bedingungen:

  • Nur minimale Lohnerhöhungen, noch unter der Inflationsrate.
  • Keine Lohnerhöhungen mehr auf Grundlage der Dauer der Betriebszugehörigkeit.
  • Absenkung des Krankengelds um 25 Prozent.
  • Eine neue Lohngruppe, nach der Neueingestellte 3.000 bis 5.000 Euro weniger im Jahr verdienen als die bisher Beschäftigten.
  • Absenkung der Zulagen für Überstunden, Feiertagsarbeit und Nachtschichten.

Eine weitere, etwa 50-jährige Arbeiterin, die aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen anonym bleiben wollte, sagte der WSWS, dass Amazon noch weitergegangen sei. Neueingestellte würden jetzt erst am 18. Tag ihrer Beschäftigung bezahlt, anstatt am vierten Tag, wie bisher üblich. Sie hielt es durchaus für möglich, dass Amazon „ihr Lager in San Fernando schließen und woanders hingehen könnte“. Sie kritisierte die Gewerkschaften, die nur ihre eigenen Interessen verträten. Der Kampf werde durch mangelnde Einigkeit unterhöhlt, sagte die Frau. Früher habe sie die mit der Kommunistischen Partei verbundenen CCOO unterstützt, jetzt unterstütze sie allerdings die anarcho-syndikalistische CGT.

Die CGT präsentiert sich als radikale Alternative zu den diskreditierten CCOO und der mit den Sozialisten verbündeten UGT.

Die Offensive bei Amazon ist Teil einer europaweiten und globalen Strategie, Waren so billig wie möglich anzubieten. Dies wird durch üble Ausbeutungsbedingungen, enormen Arbeitsdruck, totale Überwachung, mörderische Akkordvorgaben und kurze Toiletten- und Erholungspausen ermöglicht. Die CGT hat keine Perspektive, mit der solche Bedingungen verhindert werden können.

Streikender versucht LKW-Fahrer vom Streikbruch abzuhalten

Das CGT Mitglied José, Mitglied des Betriebskomitees, klagte: „Wir erleben hier andauernd polizeiliche Unterdrückung. Sie hindern uns daran, Missstände anzuzeigen, und denunzieren uns (…) Wieder einmal erleben wir, wie die Gesetze und die Staatsmacht die Mächtigen beschützen.“

Ein anderer CGT-Vertreter beklagte, dass „das Unternehmen nur über ihr aktuelles Angebot verhandeln will und nicht darüber, was wir schon haben und was uns zusteht“.

Im Unterschied zu den Gewerkschaften hatte sich das Unternehmen gründlich auf den Streik in dieser Woche vorbereitet. Fred Padje, amtierender Amazon-Direktor für Spanien und Italien, erklärte schon vor dem März-Streik: „Wir haben ein Netzwerk von 46 Zentren über den ganzen Kontinent verstreut. Damit können wir die Nachfrage in ganz Europa befriedigen.“ Er brüstete sich damit, wie gut sie es geschafft hätten, den Protest zu neutralisieren, der am letzten Black Friday-Verkaufstag in einem Versandzentrum in Norditalien durchgeführt wurde. Sie hatten einfach die Arbeitsbelastung im Lager in Barcelona erhöht.

Genauso sind sie beim Streik in dieser Woche vorgegangen, und die Amazon-Arbeiter in Alcobendas, nördlich von Madrid, und in Getafe, südlich von Madrid, haben durchgearbeitet. Wie bekannt wurde, hat die Firma in den vier Wochen vor dem Streik bis zu 350 Leute zusätzlich eingestellt.

Gewerkschaftsvertreter räumten gegenüber den Medien ein, dass sie die Streikbrecherfrage ihren Anwälten übergeben wollen. Sie erklärten, der Einsatz von Streikbrechern verletze Paragraph 6.5 des Arbeitsrechts. Dort heißt es, dass „der Arbeitgeber während eines Streiks Streikende nicht durch Arbeiter ersetzen darf, die vor dem Streik nicht bei der Firma beschäftigt waren“.

Mehrere Arbeiter berichteten, dass die Polizei den Eingang zum Amazon-Werk aggressiver geräumt habe als beim letzten Streik im Herbst, als die Streikposten sich noch freier bewegen konnten. Offensichtlich hatte Amazon die Regierung ausdrücklich um diesen Einsatz der Polizei gebeten und ihn auch erhalten.

Ana, streikende Amazon-Arbeiterin, wurde von Polizei angegriffen

Die Polizeigewalt war auch ein Anzeichen dafür, dass sich der Druck von oben verschärft, dass Streiks stärker unterdrückt werden und die Medien eindeutiger gegen die Arbeiter Stellung nehmen.

Dies findet unter der neuen Regierung von Pedro Sánchez der Sozialistischen Partei (PSOE) statt, die erst im Juni ins Amt gekommen ist. Sie stützt sich auf die pseudolinke Podemos und regionale Nationalisten. Es ist unvorstellbar, dass das Vorgehen der Polizei in einem so hochbrisanten Fall nicht eng mit Innenminister Fernando Grande-Marlaska abgestimmt worden war. Schließlich geht es um ein Unternehmen, das den Online-Handel des Landes beherrscht, der jährlich über 22 Milliarden Euro umfasst. José Manuel Rodríguez Uribes von der PSOE, der Delegierte der Regierung im Stadtrat von Madrid, hat die Polizei beauftragt.

Der Angriff auf die Amazon-Arbeiter ist eine Warnung an die spanischen Arbeiter und Jugendlichen, dass die PSOE versuchen wird, jede Opposition gegen Sparpolitik und Militarismus gewaltsam zu unterdrücken.

Um die Komplizenschaft von Podemos zu vertuschen, wurden zwei Abgeordnete von Unidos Podemos, Alberto Rodriguez und Ana Marcello, zum Polizeirevier von Coslada geschickt, wo sie ihre Anteilnahme mit den Festgenommenen demonstrierten und ihre Freilassung forderten. Die Podemos-Fraktion im Stadtrat von Madrid forderte am Dienstag die PSOE-Regierung auf, einzugreifen und die „sofortige Freilassung“ der Arbeiter zu fordern.

Die Arbeiter von San Fernando de Henares und von jedem andern Amazon-Versandzentrum können den transnationalen Konzern nicht besiegen, wenn sie nicht international gemeinsam kämpfen. Wenn Padje mit dem Streikbruch prahlen kann, dann nur, weil er sich auf die Gewerkschaften verlassen kann. Sie machen die Ausbeutungsbedingungen bei Amazon erst möglich. Seit Monaten weigern sie sich, in den Verhandlungen mit dem Unternehmen gemeinsame Amazon-Streiks in ganz Spanien, geschweige denn in ganz Europa zu organisieren.

Die Rolle der anarcho-syndikalistischen CGT ist ein weiterer Beweis dafür, dass Arbeiter neue Organisationen brauchen, d.h. demokratisch gewählte und kontrollierte Basis-Fabrikkomitees, die unabhängig von den Gewerkschaften handeln. Die CGT ist die drittgrößte Gewerkschaft und wird von den pseudolinken Gruppen als radikale Alternative zur sozialdemokratischen UGT oder den stalinistischen CCOO hingestellt. Doch sie unterstützt die gleichen nationalistischen Konzepte wie ihre Konkurrenten und kapituliert genauso schnell wie diese.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine internationalen Sektionen haben die International Amazon Workers Voice als Oppositionsplattform etabliert. Das Ziel ist der Aufbau von unabhängigen Betriebskomitees, die die Arbeiter aller Betriebe mit ihren Kollegen in einem weltweiten Kampf gegen Ausbeutung und für soziale Gleichheit verbinden können.

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