Der Brückeneinsturz in Genua

Nach dem Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua ist die Zahl der Todesopfer auf mindestens 42 angestiegen. Die Morandi-Brücke war am 14. August auf einer Länge von über 200 Metern eingesackt und abgebrochen und hatte Gebäude, Bahngleise und den Fluss Polcevera unter sich begraben. 16 Personen sind bisher schwer verletzt aus den Trümmern geborgen worden, und über 600 Menschen haben ihr Zuhause verloren.

Die eingestürzte Morandi-Brücke

Viele Betroffene sprechen von einer „Apokalypse“, und mancher fühlt sich an die in Italien wohlbekannte Szenerie eines Erdbebens erinnert: Überall Trümmerberge, Teams mit Hunden, die nach Überlebenden suchen, Transporte von Verletzten und Toten, weinende Menschen – und dann die Bautrupps, die mit schwerem Gerät anrücken. So wächst die Befürchtung, dass auch diese Katastrophe die soziale Krise nur verschärfen wird, dass die Provisorien auf Jahre hinaus Bestand haben werden und dass die Betroffenen und die arme Bevölkerung von Genua am Ende das Nachsehen haben werden.

Die ultrarechte Regierung aus Lega und Fünf Sternen war am Mittwoch schnell bei der Hand mit phantastischen, aber hohlen Beschuldigungen. Die Regierungsvertreter versuchen, jede Verantwortung von sich zu weisen und die wachsende Unruhe durch laute Schuldzuweisungen zu übertönen.

Während eines Polizeikongresses in Kalabrien trat Lega-Chef und Vizepremier Matteo Salvini vor die Mikrophone und beschuldigte als erstes die EU, sie habe Italien zu übertriebener Sparsamkeit gezwungen. Dann wandte Salvini sich der privaten Betreibergesellschaft der betroffenen Autobahn, Autostrade per L’Italia, zu, die dem Benetton-Konzern gehört. Sie habe „Milliarden verdient, aber nicht investiert“. Er drohte, er werde “alles Erdenkliche tun, um die Vor- und Zunamen der Schuldigen zu bekommen, denn wer schuld ist, wird bezahlen“.

Ins selbe Horn stieß Luigi Di Maio (M5S), der zweite Vizepremier, der am Mittwochmorgen das Trümmerfeld in Genua besuchte. Die Regierung werde „alle Verträge und Konzessionen analysieren und sie notfalls auch entziehen“. Di Maio behauptete: „Jede bisherige Regierung hat Autostrade per l’Italia politisch gedeckt. Die jetzige Regierung ist die erste, die kein Geld von Benetton erhalten hat.“

Am Mittwochmittag gab Premierminister Giuseppe Conte schließlich in der Präfektur von Ligurien bekannt, die Regierung werde Autostrade per l‘Italia die Konzession entziehen. Diese hektischen Schritte dienen dem durchsichtigen Zweck, rasch einen Sündenbock zu finden und gleichzeitig von den wirklichen Ursachen abzulenken.

Zwar sind die genauen technischen Gründe, die zu dem Desaster geführt haben, noch nicht geklärt. Aber die Tragödie ist ein Mosaikstein in einem größeren Bild, das immer klarer hervortritt. Es zeigt eine zutiefst kranke Gesellschaft, in der öffentliche Einrichtungen und Infrastruktur unterfinanziert und systematisch geplündert werden.

Seit Jahrzehnten haben wechselnde Regierungen eine beispiellose Bereicherungsorgie der italienischen Bourgeoisie auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung organisiert. Jedes Jahr gehen die öffentlichen Investitionen zurück, und die Gelder für den Unterhalt der Infrastruktur werden systematisch eingespart.

Alle politischen Lager sind dafür verantwortlich. Das gilt sowohl für die vier Regierungen unter Silvio Berlusconi, der als Inbegriff der Korruption die Selbstbereicherung zur Tugend erklärt hatte, als auch für diverse Mitte-Links-Regierungen, die im Wechsel mit Berlusconi an der Macht waren. Von Mario Monti über Romano Prodi bis hin zu Enrico Letta, Matteo Renzi und Paolo Gentiloni waren das Regierungen, in denen die Demokratische Partei (PD), flankiert von Pseudolinken wie Rifondazione Comunista, an allem und jedem sparte, um die Löcher im Haushalt zu stopfen. Öffentliche Investitionen, Sozialausgaben und die Infrastruktur ließ sie verkommen.

Die soziale Katastrophe, die daraus resultierte, erzeugte die Bedingungen, unter denen die aktuelle Regierung der rechtsextremen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung im Juni an die Macht kommen konnte. Diese Koalition treibt die schlimmsten Charakterzüge der früheren Regierungen auf die Spitze. Gnadenlos rüstet sie den Polizeistaat auf, greift die Arbeiterklasse an und organisiert den Massenmord im Mittelmeer.

Für die Verwahrlosung der öffentlichen Infrastruktur sind die aktuellen Regierungspolitiker von Lega und Fünf Sternen selbst direkt mit verantwortlich. Die Lega war jahrzehntelang fester Bestandteil der Berlusconi-Regierung. Auch die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) hat sich seit Jahren durch Angriffe auf die soziale Infrastruktur und die gesellschaftlichen Grundlagen hervorgetan.

Nach der Überschwemmung von 2014 in Genua machte sich der damalige M5S-Führer Beppe Grillo für die „No-Gronda“-Bewegung stark, eine Protestbewegung gegen das Projekt einer Umgehungsstraße, die den jetzt eingestürzten Ponte Morandi vom Schwertransport entlasten sollte. Grillo trat laut gegen die „Verschwendung öffentlicher Gelder“ auf, die das Infrastrukturprojekt angeblich bedeuten würde, und schrie: „Wir werden sie mit der Armee stoppen!“

Die Fünf Sterne appellierten an ihre Sympathisanten, das Gronda-Projekt zu blockieren und zu verhindern. Als sie in die Regierung eintraten, schlug der Infrastruktur-, Transport- und Verkehrsminister Danilo Toninelli (M5S) vor, öffentliche Projekte, darunter die Gronda, einer „Totalrevision bis hin zur Aufgabe des Projekts“ zu unterziehen. Das ist derselbe Toninelli, der jetzt herumzieht und schreit: „Die Schuldigen werden bezahlen bis zum letzten Cent!“

Die Arbeiterklasse darf sich durch solches Geschrei nicht in die Irre führen lassen. An den kapitalistischen Grundlagen wird diese Regierung niemals rütteln – im Gegenteil. Die Arbeiter müssen die Fragen grundsätzlich und im Zusammenhang stellen. Die Katastrophe geht nicht auf das Konto eines einzelnen „schwarzen Schafs“ unter den Konzernen, und es ist auch nicht allein die Frage, ob die Autobahnen privat und mit Gewinn betrieben werden.

Auch in Deutschland, wo die Privatisierung der Autobahnen und die Einführung von Maut-Gebühren erst ganz am Anfang stehen, sind viele Verkehrsadern und Brücken marode, weil seit Jahrzehnten viele Milliarden Euro nicht in ihren Unterhalt, sondern in die Taschen der Herrschenden und der Reichen geflossen sind. Eine verwahrloste Infrastruktur ist beileibe kein italienischer Sonderfall: In Deutschland ist nur jede achte Autobahnbrücke „in gutem Zustand“, während zwölf Prozent der Brücken dringend renovierungsbedürftig sind oder vollständig ersetzt werden müssten.

Die Ursache für das Desaster ist das kapitalistische Profitsystem als Ganzes, das bis auf die Knochen bankrott ist und nur noch Katastrophen hervorbringt. Die Arbeiterklasse muss selbst die Regierung übernehmen, um die gesamte Wirtschaft nach sozialistischen Prinzipien neu zu organisieren.

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