Salzgitter Flachstahl und Outokumpu Nirosta

IG Metall geht schärfer gegen betriebliche Opposition vor

Weil die Opposition gegen die enge Zusammenarbeit von Gewerkschaftsfunktionären und Unternehmensleitung in den Betrieben zunimmt, greift die IG Metall zu immer aggressiveren Maßnahmen. Sie überzieht ihre Widersacher mit Kündigungen und Abmahnungen.

Das Fernsehmagazin Panorama des Norddeutschen Rundfunks (NDR) berichtete in der letzten Woche von „perfiden Methoden bei der Salzgitter AG“. In dem Stahlwerk mit rund 6.000 Beschäftigten wurde wie überall im März ein neuer Betriebsrat gewählt. Die IG Metall setzte oppositionelle Betriebsräte unter Druck, so dass diese einer Personenwahl zustimmten. Dazu war sogar Hans-Jürgen Urban, IG-Metall-Vorstand aus Frankfurt, angereist.

Im Gegensatz zur Listenwahl, die es den Oppositionsgruppen ermöglicht, sich deutlich von den bisherigen Machenschaften abzugrenzen und Opposition zu bündeln, sollen bei der Personenwahl alle Bewerber auf einer gemeinsamen Liste antreten und die jeweils gewünschten Kandidaten angekreuzt werden. Das gibt den einflussreichen und meist mächtigen Betriebsratsfürsten die Möglichkeit, den Wahlkampf von Oppositionellen zu behindern.

So geschah es auch im Salzgitter-Stahlwerk. Auf der gemeinsamen Liste standen auch Kandidaten, die in Opposition zur IG Metall und ihrem 33-köpfigen Betriebsrat standen.

Einer von ihnen war Ercan Eser. Als er sich nach seiner Arbeit in einer Werkshalle den Kollegen vorstellen wollte, kam der Meister und sagte, „er habe dafür zu sorgen, dass ich die Halle zu verlassen habe“, wie Eser berichtete. „‚Gerade hat der Betriebsrat angerufen‘, hat er gesagt und: ‚Hör zu, ich will keinen Stress mit dem Betriebsrat haben. Bitte tu mir einen Gefallen und verlasse meine Anlage.‘“

Als Eser in seinem Urlaub eine Betriebsversammlung besuchen wollte, sei sein Vorgesetzter gekommen und habe ihn aufgefordert, sofort wieder zu gehen.

Auch bei der Wahl sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen, erklären die Oppositionellen. Ertan Tahtaci, Ercan Eser, Ercan Badam und Mario Marx beschlossen daraufhin, die Wahl anzufechten.

Badam berichtet im Fernsehinterview, wie er daraufhin ständig von Betriebsräten unter Druck gesetzt worden sei, damit er die Anfechtung zurückziehe. Anfang Mai sei er in das Büro eines Betriebsrates zitiert worden. Der habe ihm deutlich gemacht, dass man ihm kündigen wolle, weil er die Wahl angefochten habe. Er solle in die Personalabteilung gehen und sagen, er habe es sich anders überlegt, er könne sonst nicht viel mehr für ihn tun. „Einen Beleg für die Drohung konnte der NDR einsehen“, schreibt das Fernsehmagazin auf der NDR-Website.

Ercan Badam dachte, „das sei ein Scherz“. War es aber nicht. Wenig später wurden er und zwei weitere Kollegen gekündigt, ohne Angabe von Gründen. Der IGM-Betriebsrat hatte allen Kündigungen zugestimmt. Dies war zuvor auch dem Betriebsrat Adnan Köklu widerfahren. Er war vor vier Jahren als einziger Oppositioneller in den Betriebsrat gewählt worden. Seitdem habe ihn die IG Metall schikaniert und gemobbt. Im Mai hob das Arbeitsgericht in Braunschweig eine erste Kündigung gegen ihn auf, inzwischen hat er eine neue fristlose Kündigung von der Salzgitter AG erhalten.

Der Professor für Arbeitsrecht Peter Schüren erklärt in dem Panorama-Beitrag zu den Kündigungen von Tahtaci, Badam und Eser: „Es entsteht hier der Eindruck, dass der Betriebsrat den Arbeitgeber motiviert hat, eine solche Kündigung auszusprechen.“ Der Arbeitsrechtler fügte hinzu, dies sei „ein sehr seltsamer Vorgang“. In Wahrheit ist es eine gängige und weit verbreitete Praxis.

Das Arbeitsgericht in Braunschweig hat die Kündigungen inzwischen wieder aufgehoben. Das gleiche Gericht vertagte letzte Woche die Entscheidung über die Anfechtung der Betriebsratswahl. In zwei Wochen soll ein Urteil fallen.

Die Vorgänge bei der Salzgitter AG sind – wie gesagt – kein Einzelfall. Ähnliches spielt sich nach Aussagen von oppositionellen Betriebsräten beim Edelstahlhersteller Outokumpu Nirosta in Krefeld ab. Bei der Betriebsratswahl im März hatten sich dort gleich sieben Listen in Opposition zur IG Metall aufstellen lassen. Die IGM-Liste hatte dann sieben der insgesamt 15 Sitze erzielt.

Auch hier wurden Unregelmäßigkeiten bei der Wahl beanstandet. Der Wahlvorstand hatte die Wahl in den Bereichen Werksfeuerwehr, Werkschutz und Betriebsärztlicher Dienst als Briefwahl durchgeführt. Dies ist aber nur zulässig „für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind“, so das Betriebsverfassungsgesetz.

Vier Beschäftigte hatten daraufhin die Wahl angefochten und auch noch weitere Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften aufgeführt.

Das Arbeitsgericht in Krefeld hatte dann am 1. August die Betriebsratswahl bei Outokumpu für unwirksam erklärt. Es beschränkte sich jedoch auf den Punkt der Briefwahl. Für die entsprechenden Bereiche hätte nach der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz keine Briefwahl angeordnet werden dürfen, da es sich nicht um räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernte Betriebsteile handelt.

„Entscheidend war, dass die Wahlbeteiligung in den betroffenen Bereichen deutlich geringer war als im restlichen Betrieb“, schrieb das Gericht. Zudem sei die Anzahl der ungültigen Stimmen bei der Briefwahl deutlich erhöht. Deshalb bestand die Möglichkeit, dass ohne Briefwahl zusätzliche gültige Stimmen abgegeben worden wären. „Nach dem Wahlergebnis hätten bereits sechs Stimmen mehr für eine Liste zu einer Veränderung in der Zusammensetzung des Betriebsrats führen können.“

Über die anderen sieben Anfechtungsgründe wurde gar nicht erst verhandelt, darunter vor allem den Vorwurf der Wahlmanipulation.

Der IGM-geführte Betriebsrat will am kommenden Montag beschließen, gegen die Entscheidung des Krefelder Arbeitsgerichts beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf in Berufung zu gehen.

Gleichzeitig gehen auch hier die IG Metall und der Konzernvorstand gegen die Betriebsräte vor, die gegen die IGM-Liste angetreten waren. Zwei von ihnen wurde zuletzt ein Abmahnung erteilt, weil sie angeblich in einem Flugblatt durch die Verbreitung von Unwahrheiten den „Betriebsfrieden gestört“ haben sollen. In einem Info-Blatt hatten die beiden berichtet, dass es Grund zur Besorgnis über bevorstehende Lohnkürzungen gebe. Der Arbeitgeber wolle übertarifliche Vergütungen „überprüfen“ und über „Anpassungen“ mit dem Betriebsrat verhandeln. Anschließend hatten sie daran erinnert, dass der Betriebsratsvorsitzende der IG Metall Hasim Cantürk erklärt hatte, „dass Anpassungen der übertariflichen Vergütungen nicht verhandelbar sind“.

Diese Zeilen brachten den Betriebsrat und die Konzernspitze auf. Denn es ist klar, dass der Betriebsrat diesen Kürzungen zustimmen will. Die IG Metall und ihr Betriebsrat haben in den letzten Jahren mit ihren Vereinbarungen und Verträgen den Großteil der Belegschaft abgebaut.

Anfang des Jahres kündigte der oberste Personalvorstand Johann Steiner auf einer Betriebsrätevollkonferenz an, dass man sich auch wieder über Personalabbau und Standortschließungen unterhalten müsse, wenn Ende 2020 die aktuelle Tarifvereinbarung ausläuft. Steiner residiert in der finnischen Konzernzentrale in Espoo und hat die Verantwortung für die weltweit 7000 Beschäftigten. Gleichzeitig ist er Aufsichtsratsvorsitzender der deutschen Outokumpu Nirosta GmbH.

Die IG Metall und ihre Betriebsräte betreiben jetzt bei Outokumpu das bekannte Doppelspiel. Während sie auf Betriebsversammlungen protestieren, signalisieren sie der Unternehmensleitung Zustimmung und Zusammenarbeit und arbeiten eigene Pläne aus, wie die Kürzungen durchgesetzt werden können.

Gegen diese reaktionäre Politik des „Co-Management“ wächst in vielen Betrieben der Widerstand. Immer mehr Arbeiter sehen sich gezwungen, gegen die Gewerkschaft und deren Betriebsräte aufzustehen, um ihre Arbeitsplätze und Löhne zu verteidigen.

Die Politik der Gewerkschaften und speziell der IG Metall ist nicht ausschließlich das Ergebnis der zweifellos vorhandenen Korruption. Vielmehr ist ihr korruptes Verhalten eine Folge ihres nationalistischen und prokapitalistischen Programms.

Die IG Metall und ihre Betriebsräte blicken auf die betrieblichen Abläufe nicht anders, als die Vorstände und die Aktienbesitzer. Im Mittelpunkt all ihrer Überlegungen und Aktivitäten stehen die Wettbewerbsfähigkeit „ihres“ Konzerns im Kampf gegen Konkurrenten und die Rendite für die Aktionäre. So spielen sie die Arbeiter einzelner Länder, Branchen und Standorte gegeneinander aus. Die Wettbewerbsfähigkeit und die Rendite werden erkauft durch Arbeitsplatzabbau und gesteigerte Arbeitshetze sowie Lohnsenkungen. Im Juli sorgte sich das Wall Street Journal in einem Artikel, dass „steigende Löhne beginnen, die Gewinne einiger US-Unternehmen aufzufressen“.

Die wichtigste Aufgabe in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen besteht darin, sich völlig unabhängig von den Gewerkschaften und ihren betrieblichen Gremien zu organisieren. Die Bildung neuer Arbeiterorganisationen in Form von Betriebs- oder Arbeiterkomitees ist die wesentliche Voraussetzung für die Mobilisierung und Vereinigung aller Teile der Arbeiterklasse über Branchen und Landesgrenzen hinweg. Dies ist umso dringender, weil auch die Rechten versuchen, die Wut in den Betrieben auszunutzen, um für ihre rechte und rassistische Agenda Unterstützung zu gewinnen.

Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) setzen sich mit ganzer Kraft dafür ein, die Gründung unabhängiger Arbeiterorganisationen zu fördern und zu unterstützen. Wir verbinden die wachsende Opposition gegen die ständige Zustimmung zu Lohnkürzungen und Sozialabbau mit einer sozialistischen Perspektive und einem revolutionären Programm. Wir rufen alle Arbeiter auf, die am Aufbau dieser Komitees interessiert sind, sich direkt mit uns in Verbindung zu setzen.

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