Die Socialist Equality Party und die Verschwörung zum Sturz Corbyns: Eine Antwort an einen Leser

Einige Leser der World Socialist Web Site haben auf die Perspektive der WSWS vom 1. September „Schluss mit den antisemitischen Beleidigungen gegen Jeremy Corbyn! Werft den rechten Flügel aus der Labour Party!“ besorgt reagiert. Sie sahen darin eine Anpassung an Corbyn, die Labour-Linke und die Labour Party.

Am ausführlichsten formuliert seine Kritik altacomposicionorganica. Die Perspektive, warnt er, stehe im Widerspruch zum Programm des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und unterscheide sich wesentlich von der politischen Linie der amerikanischen Socialist Equality Party.

Die Aufforderung, für den Rauswurf des rechten Flügels zu kämpfen, lenke vom „wichtigsten Kampf der Partei“, dem Kampf gegen die Pseudo-Linke, ab, schreibt er und fügt hinzu: „Wenn die SEP (US) die Linie der britischen SEP teilte, würde sie für den Rauswurf der Clinton-Fraktion aus der Demokratischen Partei kämpfen, weil [Bernie] Sanders, [Alexandria] Ocasio-Cortez und die DSA [Democratic Socialists of America]‚ nicht energisch genug gegen ihn kämpfen‘, und ‚unsere entschiedenere Position gegenüber dieser rechten Fraktion sie entlarven’ würde.“

Er schlägt vor, sich stattdessen den „einfachen Mitgliedern“ zuzuwenden, den „Arbeitern an der Basis“, die „für Corbyn stimmen oder vielleicht auch nicht, deren ‚Klasseninstinkt‘ sich aber am unmittelbarsten im Kampf gegen „Null-Stunden-Verträge, Leiharbeit, Gig Economy, und Gewerkschaftsdiktatur etc. zeigt“.

In dieser Kritik kommen spitzfindiges formalistisches Denken und eine ahistorische Herangehensweise zusammen. Sie untersuchen politische Entwicklungen in England nicht vom Standpunkt der Klassenfragen, um die es bei der Kampagne gegen Corbyn geht, und auch nicht die Schwierigkeiten, auf die man stößt, wenn man das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse auf die Höhe ihrer revolutionären Aufgaben heben will. Heraus kommt eine sektiererische politische Enthaltsamkeit.

Die Perspektive der WSWS beinhaltet an keiner Stelle eine Kapitulation vor Corbyn, auch nehmen wir nichts von unserer Kritik zurück, die wir seit seiner Wahl zum Parteichef an Corbyn geübt haben.

Wir heben hervor, dass die Labour Party „eine rechte bürgerliche Partei“ ist, „mitschuldig an allen Verbrechen des britischen Imperialismus, und seit mehr als einem Jahrhundert der wichtigste politische Gegner des Sozialismus“. Wir machen deutlich, dass Corbyn ein bürgerlicher Politiker ist, der seine Loyalität gegenüber dem britischen Imperialismus in vielen Fragen wieder und wieder unter Beweis gestellt hat: seine Unterstützung der NATO und des Trident-Atomprogramms, seine hartnäckige Opposition gegen jeden Widerstand, den seine Anhänger gegen die wirtschaftsfreundliche Austeritätspolitik und die Kriegstreiberei derjenigen Labour-Abgeordneten leisten, die seinen Sturz forcieren.

Weil Corbyn ein bürgerlicher Politiker mit einer pro-kapitalistischen Perspektive ist, schlägt unser Leser eine politisch enthaltsame Herangehensweise vor, die allerdings eine Kapitulation vor beiden Flügeln der Labour Party wäre. Die WSWS orientiert sich nicht auf Corbyn, sondern auf die vielen Tausende Arbeiter und Jugendliche, die in dem Irrglauben in die Labour Party geströmt sind, dass Corbyns Sieg zu einer linken und sogar sozialistischen Regierung führen könne.

Wir überlassen die Führung nicht Corbyn, und wir weichen auch nicht vor einem politischen Kampf zurück, der zehntausende Arbeiter und junge Leute gegen die rechte Verschwörung politischer Krimineller stellt, die für Austerität und Krieg stehen. Wir zeigen einen Weg des Widerstands auf, der sich auf sozialistische Politik stützt, die für den Sieg erforderlich ist.

Wir haben erklärt, dass die Wahl Corbyns zum Labour-Vorsitzenden 2015 der verzerrte Ausdruck einer Linksentwicklung in der Arbeiterklasse ist und ein bei vielen Menschen vorhandenes Bedürfnis zeigte, den Kampf gegen die Tories, ihre Verbündeten unter den Blair-Anhängern, den großen Konzernen, Banken und Superreichen aufzunehmen, in deren Interesse sie verheerende Sparmaßnahmen durchgesetzt, Sozialleistungen zerstört und mehrere illegale Kriege geführt haben. Deshalb hat die Partei jetzt über 560.000 Mitglieder, während es vor Corbyns Wahl 201.000 waren. Allein im August kamen 10.000 neue Mitglieder hinzu, weil sie die Hexenjagd der Rechten ablehnen.

Die herrschende Klasse und ihre politischen Vertreter betrachten die Entwicklung unter diesem Blickwinkel. Sie lehnen es ab, dass Corbyn die Labour Party führt, ganz gleich, wie stark er zurückweicht, weil sie die gewaltig gärende soziale und politische Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse erkennen, die hinter Corbyn steht. Sie wollen jede Opposition gegen die Diktate der Finanzoligarchie kriminalisieren und unterdrücken. Nichts wird sie von diesem Ziel abbringen. Deshalb haben wir in der WSWS-Perspektive am 31. August vor der Rolle der Geheimdienste Großbritanniens, Israels und der Vereinigten Staaten, und vor den Drohungen des Militärs gewarnt, gegen eine Corbyn-Regierung zu putschen.

Den Arbeitern und Jugendlichen in der Labour Party, die gegen die Blair-Leute und die Zionisten kämpfen wollen, sagen wir: „Fordert den Rauswurf des rechten Flügels aus der Labour Party! Beruft Sitzungen der Ortsverbände ein. Wählt sie als Abgeordnete ab und schließt sie aus der Partei aus. Fordert eine sozialistische Politik!“

Diesen Kampf werden wir kritisch unterstützen. Doch wir bestehen darauf, dass die Arbeiterklasse eine neue, wirklich sozialistische Partei braucht. Diejenigen, die diesen Kampf aufnehmen, warnen wir: Ihr werdet unvermeidlich mit Corbyn in Konflikt geraten, dessen pro-kapitalistische Politik garantiert, dass er und seine Clique weiterhin den rechten Flügel beschwichtigen, vor ihm kapitulieren und auf andere Weise den Kampf gegen ihn sabotieren.

Die weitere Entwicklung wird unsere Einschätzung bestätigen. Die Forderung, den rechten Flügel rauszuwerfen, kann dabei nicht nur den Klassenkampf voranbringen, sondern auch helfen, der Arbeiterklasse den Unterschied zwischen opportunistischer und revolutionärer sozialistischer Politik bewusst zu machen. Unsere unversöhnliche Opposition gegen die Rechten und der entschlossene Aufruf, diesen Verschwörern in den Arm zu fallen, werden die Glaubwürdigkeit unserer Partei stärken und ihr Wachstum fördern.

Auch aus diesem Grund ist es falsch und zeugt von gewerkschaftlichem Denken, die Orientierung auf die „einfachen Mitglieder“ und „Arbeiter an der Basis“ und ihre Kämpfe einer Hinwendung zu Mitgliedern der Labour Party entgegenzustellen.

Wenn die britische SEP Corbyn verteidigt, gerät sie dadurch nicht in Konflikt mit unseren amerikanischen Genossen und ihrer Betonung des „entscheidenden“ Kampfs gegen die Pseudolinken. Bei dem Kampf, den die SEP und alle Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale gegen die pseudolinken Gruppen führen, geht es nicht um einen Konflikt zwischen Fraktionen. Er dient vielmehr dem Ziel, die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse herzustellen und den wirklich entscheidenden Kampf gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus voranzubringen.

Die pseudolinken Gruppen spielen international eine wichtige Rolle dabei, die Arbeiterklasse an die alten stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien zu binden. Dazu rühren sie die Werbetrommel für deren angeblich „linken Flügel“ oder unterstützen „breite linke“ Bündnisse wie Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien, deren Führer ehemalige Stalinisten und Sozialdemokraten sind. Erst letzten Monat gab die britische Socialist Party bekannt, dass sie keinen eigenen Wahlkampf mehr führen werde: „Zum jetzigen Zeitpunkt besteht der beste Weg, wie Arbeiter eine Massenpartei für uns selbst aufbauen können, darin, Corbyns Führerschaft als Ausgangspunkt zu nutzen“, ließen sie uns wissen.

Gewiss gibt es erhebliche Unterschiede, was den historischen Ursprung der Labour Party und der Demokratischen Partei der USA angeht, weshalb die taktische Forderung, Clinton & Co. rauszuwerfen, von vornherein nicht anwendbar ist, wie unser Leser auch zu verstehen gibt. Die SEP in den USA hat aber in vielen Artikeln die politischen Fragen aufgezeigt, die hinter den Intrigen des Clinton-Flügels gegen Bernie Sanders stehen.

Auch kann man deutliche Parallelen erkennen zwischen der heutigen Position der SEP, ihrem Aufruf, gegen die rechten Verschwörer aktiv zu werden, und der Opposition unserer amerikanischen Genossen gegen den Versuch, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den damaligen Präsidenten Bill Clinton einzuleiten. Ohne im Geringsten Sympathien für Clinton und die Demokraten zu bekunden, warnte die SEP, dass die Kräfte hinter der Lewinsky-Affäre den Sturz eines gewählten Präsidenten anstrebten, um einen scharfen Rechtsruck der US-Politik durchzusetzen. Die SEP geißelte die pseudolinken Gruppen, weil sie der Gefahr, die das antidemokratische Vorgehen der republikanischen Rechten für die Arbeiterklasse bedeutete, mit Gleichgültigkeit begegneten.

Wir stehen auch voll hinter Trotzkis Worten in Wohin treibt England?, auf das sich unser Leser bezieht. In dieser Schrift, die 1926 vor dem britischen Generalstreik erschien, lenkt Trotzki die Aufmerksamkeit der revolutionären Avantgarde darauf, dass eine revolutionäre Krise entstehe und dass man ein Programm vorschlagen müsse, um darin einzugreifen – vor allem, indem man Arbeitern hilft, von der Labour Party und ihrem linken Flügel zu brechen.

Trotzki erwartete, dass „die Radikalisierung der englischen Arbeiterklasse mit Volldampf vorwärts gehen (wird). Alle diese Erscheinungen bereiten die Regierungsübernahme durch die Arbeiterpartei vor“. Trotzki bemerkt, dass der „kapitalistische Tiger aufhören wird, von der Gradation zu miauen, er wird vielmehr seine Krallen zeigen.“

Die Folge wäre: „Jedenfalls kann und soll man die weitere Verschärfung der Beziehungen zwischen dem rechten und dem sogenannten ‚linken‘ Flügel der Arbeiterpartei erwarten und, was wichtiger ist, die Erstarkung der revolutionären Tendenzen unter den Massen.“

„[D]ie Konservativen [werden] nicht nur den offiziellen Staatsapparat, sondern auch die inoffiziellen Faschistenbanden um sich scharen [...]; sie werden ihre provokatorische und blutige Arbeit beginnen“. Die Arbeiterregierung würde „entweder schmählich kapitulieren oder den Widerstand unterdrücken“, während „gleichzeitig […] notwendig der revolutionäre Flügel erstarken [wird], die weitsichtigeren, entschiedeneren und revolutionären Elemente der Arbeiterklasse werden hochkommen.“

Eine Situation würde sich entwickeln, in der „ein neuer Ausbruch des Bürgerkrieges, ein scharfer Zusammenstoß der Klassen auf der ganzen Linie unausbleiblich“ wäre. Für die revolutionäre Partei müsse gelten: „Man muss die Massen revolutionär erziehen und stählen. Die erste Bedingung ist der unversöhnliche Kampf gegen den zersetzenden Geist des MacDonaldtums“

Davon ist das Eingreifen der SEP in der momentanen tiefen politischen Krise in England inspiriert – es soll die Arbeiterklasse auf die revolutionären Aufgaben vorbereiten, die auf der Tagesordnung stehen.

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