„Gefangen –Der Fall K.“– eine Geschichte von erschreckender Aktualität

Zum Fernsehfilm von Hans Steinbichler

Wer diesen Fernsehfilm von Hans Steinbichler am 10. September im ZDF gesehen hat, kann kaum glauben, dass er auf dem tragischen Schicksal eines Mannes beruht, das sich tatsächlich vor einigen Jahren in Deutschland zugetragen hat.

Er lehnt sich sehr eng an die wirkliche Geschichte des Oldtimer-Restaurateurs, Pazifisten und Umweltaktivisten Gustav Mollath an, der sieben Jahre unschuldig in einem bayerischen forensischen Hochsicherheitsgefängnis eingesperrt war, in dem normalerweise nur hochgefährliche psychisch gestörte Gewalttäter landen. Sein einziges Vergehen war die Aufdeckung krimineller Bankspekulationen. Der Fall hatte 2013 großes öffentliches Interesse erregt und zu Solidaritätsaktionen für Mollath geführt.

Es ist ein großes Verdienst des Filmteams, gerade heute an diese erschreckende Geschichte zu erinnern. Angesichts der in allen Bundesländern verschärften Polizeigesetze kann sich ein derartiger Albtraum für unschuldige Menschen, die gegen Ungerechtigkeit und das Profitsystem protestieren, leicht wiederholen.

Kit Hopkins und Hans Steinbichler (Hierankl, Winterreise, Das Blaue vom Himmel, Tagebuch der Anne Frank u.a.), der auch Regie führte, schrieben die finale Drehbuchfassung, und Henriette Piper lieferte die Vorlage für diesen ungewöhnlichen Fernsehfilm.

Steinbichler liefert aber nicht nur einen spannend aufgebauten dramatischen Krimi, sondern ein finsteres Drama in düsteren Bildern. Besonders eindrucksvoll sind die Gefängnisszenen, in den Stacheldrahtrollen vor den vergitterten Fenstern hängt der Kadaver eines Vogels, dem Gefangenen gelingt es, aus Apfelkernen ein kleines Bäumchen zu ziehen, ein Symbol dafür, dass er die Hoffnung nicht aufgibt.

Die Einweisung politisch unangepasster Zeitgenossen in die geschlossene Psychiatrie gilt als Merkmal autoritärer Regime. Mollaths Einweisung lag der Nazi-Paragraph §63 vor seiner Reform 2016 zugrunde. Er traf „Gustl“ Mollath, im Film Sebastian Kronach genannt „Wastl“(Jan Josef Liefers), weil er kriminelle Machenschaften aufdecken wollte, in die seine Frau und die Hypo-Vereinsbank (der Name der Bank ist wie der aller Protagonisten im Film geändert) verwickelt waren.

Elke Kronach (Julia Koschitz) bringt, zum Teil auf eigene Faust, Schwarzgeld von Kunden in Schweizer Tochterunternehmen ihrer Bank, um sie vor der deutschen Steuer zu verstecken. Besonders aufgebracht ist Wastl, dass sie dabei auch Waffenhändlern hilft, die am Krieg in Afghanistan verdienen. In seinem Werkstattbüro gehen merkwürdige Faxe ein, Einzahlungsbelege mit Chiffren wie „Villa 2000“, „Luftschloss“ und „Holy Moly“, die ihn zutiefst beunruhigen. Wastl fertigt heimlich Kopien an. Er verlangt von ihr, dass sie Schluss macht mit solchen Geschäften. Es kommt zum Streit, sie beschimpft ihn als Versager.

Sein Motto ist: „Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass die Welt nur gerechter werden kann, wenn man sich einmischt. Und wenn man für seine Überzeugungen eintritt. Das beginnt vor der eigenen Haustür.“ Er möchte seine Frau vor Illegalität und drohender Strafe schützen, aber sie will ihr neues Luxusleben und ihre Karriere um jeden Preis fortsetzen. Das Ehepaar entfremdet sich immer mehr.

Wastl reicht die von ihm gesammelten Beweise über die illegalen Geschäfte seiner Frau mit der Bitte, „es“ möge aufhören, bei der Bank ein, was diese zu einer internen Revision veranlasst. Zwar bestätigt die Untersuchung die Vorwürfe von Kronach, aber die Bankdirektion entschließt sich, alles zu vertuschen und mit Elke Kronach einen Deal zu machen.

Elke und die Bank kommen überein, Wastl zu beschuldigen, er habe seiner Frau Gewalt angetan. Sie fingiert zusammen mit ihrem Therapeuten, gleichzeitig einer ihrer Schwarzgeldkunden, Beweise für die Misshandlungen, die Wastl ihr angeblich beigebracht haben soll. Damit nimmt das Verhängnis für Kronach seinen Lauf. Ein Gutachter attestiert ihm eine verminderte Zurechnungsfähigkeit, ohne ihn je gesehen zu haben. Kronach wird wegen Körperverletzung angezeigt, für unzurechnungsfähig und zu einer Gefahr für sich selbst und andere erklärt. Er landet in der Psychiatrie. Seine eigene, mit Beweisen unterfütterte Anzeige gegen die Bank verläuft im Sand.

Weil er glaubt, dass sich die Wahrheit letztlich durchsetzen wird, verzichtet er auf einen Anwalt, er eignet sich juristische Kenntnisse an und verteidigt sich selbst. Dem Richter legt er seine umfangreiche Sammlung von Belegen über die Machenschaften seiner Frau und der Bank vor, aber der Richter weist ihn kaltschnäuzig ab, es gehe nur um die Körperverletzung, die er seiner Frau angetan habe.

Immer wieder wird sein Aufenthalt in der Anstalt verlängert, weil Richter und Gutachter an der einmal gefällten Entscheidung festhalten. Erst als es gelingt, ein in der Zelle aufgenommenes Video an die Öffentlichkeit zu bringen, in dem er seine Geschichte erzählt, wird er freigelassen.

Durch seine Naivität und Eigenwilligkeit bei der Verfolgung seiner Sache, die an Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas erinnert, macht es Kronach seinen Gegenspielern relativ leicht, ihn als gestörten Querulanten darzustellen. Er verliert seinen gesamten Besitz, sein Elternhaus mit allen persönlichen Erinnerungen. Ihm bleibt nur die Kleidung, die er bei seiner Einlieferung trug. Jan Josef Liefers spielt diesen verzweifelten, für die Wahrheit und seine Freiheit kämpfenden Mann mit großer Haltung und sehr glaubwürdig. Auch die anderen Darsteller und vor allem die Kameraführung tragen viel zu der beklemmenden Atmosphäre bei, die dieser Film vermittelt.

Es ist merkwürdig, dass sich weder in der Ankündigung noch auf der Homepage des Senders ein Hinweis darauf findet, dass der Film auf dem realen Fall Mollath basiert. Der Sender könnte rechtliche Verwicklungen gefürchtet haben, mutmaßen mehrere Zeitungsberichte. Immerhin waren hohe Vertreter des Staatsapparats, wie die bayerische Justizministerin Beate Merk, hohe Richter, Staatsanwälte, die Vorstände der staatsnahen HypoVereinsbank und leitende Klinikärzte in den Fall verwickelt.

Bis heute sind Mollaths Vorwürfe an die HypoVereinsbank nicht ernsthaft geklärt worden, obwohl der interne Revisionsbericht sie nicht nur weitgehend bestätigt, sondern noch weitere Steuerhinterziehungsvergehen aufgedeckt hatte. Der Geldwäscheskandal von 2012, bei dem die HypoVereinsbank im Zentrum stand, hatte bisher keine Konsequenzen für die Verantwortlichen.

Erst jetzt, im Mai 2018, wurde Klage gegen sechs Personen erhoben, darunter drei Ex-Vorstände. Eingereicht hat die Klage die HVB selbst, die sich damit vom Bock zum Gärtner macht. Den Beschuldigten wird Steuerhinterziehung in Höhe von 113 Millionen Euro vorgeworfen, doch ob sie jemals zur Kasse gebeten werden, ist äußerst fraglich, geschweige denn ob sie irgendeine Gefängnisstrafe absitzen müssen.

Mollath dagegen wurde lediglich bestätigt, dass er zu Unrecht sieben Jahre lang in die forensische Haftanstalt gebracht wurde. Er erhielt dafür eine Entschädigung von gerade einmal 170.000 Euro. Wie „Wastl“ im Film, erhielt er einen Freispruch „zweiter Klasse“.

Der Titel „Fall K“ ist nicht zufällig eine Anspielung auf Franz Kafkas Romanfigur „K“ in Der Prozess. Die Filmemacher lassen „Wastl“ Kronach am Ende eine Stellungnahme abgeben, gefilmt von einem Mithäftling. „Es ist in Deutschland möglich, obwohl man keinerlei psychische Krankheit hat, unter Umständen bis zum Lebensende in geschlossenen Psychiatrien zu verschwinden, auf Nimmerwiedersehen. Das, was mir passiert ist, das kann jedem anderen auch passieren.“

Ein eingeblendeter Fernsehbericht zeigt weitere Beispiele. So wurden zwei hessischen Steuerfahndern mit gekauften Gutachten schwere psychische Störungen und Querulantentum unterstellt, weil sie bei der Aufdeckung von Steuerhinterziehung nicht lockerließen.

Im Abspann verweist das Filmteam auf die kurz nach Mollaths Freilassung auf den Weg gebrachte Gesetzesänderung von 2016, die die Unterbringung von Straftätern in der Psychiatrie nur noch für gravierende Fälle zulässt.

Tatsache ist jedoch, dass die gegenwärtige Staatsaufrüstung und Gesetzesverschärfungen eine allseitige Überwachung, Schleierfahndung, längeres Festsetzen von Verdächtigen, Anwendung von Polizeigewalt allein bei Verdacht, die Aushebelung persönlicher Freiheitsrechte und damit weitere Fälle unschuldiger Inhaftierung ermöglichen.

Regisseur Steinbichler warnt zu Recht: „Eine bittere Gewissheit bleibt nach der Beschäftigung mit dem Fall K: Diese Geschichte hätte jedem von uns passieren können.“

Video in der ZDF-Mediathek verfügbar bis 08.12.2018, 23:59

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