Supermarktkette Real: Tausende streiken gegen Lohnsenkungen und Verkauf

Am Montag haben bundesweit Tausende von Beschäftigten der Supermarktkette Real gestreikt. Laut der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi beteiligten sich die Belegschaften in rund der Hälfte der 281 Real-Filialen an den Streikaktionen, Demonstrationen und Kundgebungen. Zur Hauptprotestveranstaltung nach Düsseldorf kamen 3000 Menschen vor der Zentrale des Real-Mutterkonzerns Metro zusammen. Unmittelbarer Anlass war die Forderung nach Rückkehr zum Verdi-Tarifvertrag.

Der Metro-Konzern hatte im Frühjahr den Vertrag mit Verdi gekündigt. Seitdem werden neue Arbeitsverträge nicht mehr nach diesem Flächentarifvertrag unterzeichnet, sondern nach einem der Gewerkschaft DHV, der Löhne nur knapp oberhalb des gesetzlichen Brutto-Mindestlohns von 8,84 Euro pro Stunde festschreibt. Das sind durchschnittlich 23 Prozent weniger Lohn als zuvor. Real nennt das eine „wettbewerbsfähige Entgeltstruktur“. Betroffen sind Neueinstellungen, aber auch Beschäftigte mit befristeten Arbeitsverträgen. Bereits jetzt sind es über 4000 von insgesamt 34.000 Beschäftigten.

Die DHV, ursprünglich „Deutscher Handels- und Industrieangestellten-Verband“, ist Teil des Christlichen Gewerkschaftsbunds Deutschlands (CGB), dessen einziger Zweck darin besteht, bestehende Tarife auszuhebeln.

Die Streikenden berichteten gegenüber der Presse, dass sie von den neuen Einstiegslöhnen kaum leben können. Eine Gruppe aus Bremen erzählte, sie habe sogar Geld gesammelt, um einem Kollegen die Fahrt nach Düsseldorf zu bezahlen.

Zur Protestkundgebung vor der Düsseldorfer Metro-Zentrale kam nicht nur Verdi-Chef Frank Bsirske, sondern auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Bsirske sagte, es sei eine Schande, wenn die im Einzelhandel bereits niedrigen Gehälter weiter gedrückt würden. Heil ergänzte, er wolle ein Zeichen gegen die Tarifflucht setzen und sich für den Flächentarif stark machen.

Das nennt man Chuzpe. Die „bereits niedrigen Gehälter“ hat Verdi selbst ausgehandelt, weil sie genauso wie die DHV die „Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Supermärkte und Discounter auf Kosten der Beschäftigten verteidigt. Verdi beklagt sich vor allem, dass mit der DHV und nicht mit ihr „wettbewerbsfähige Entgeltstrukturen“ abgestimmt und durchgesetzt werden.

Und das Gerede von Arbeitsminister Heil wäre eine Frechheit, wenn es nicht so typisch für die SPD wäre. Denn die Bundesregierung könnte kurzerhand den von Verdi vereinbarten Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären – ihn zum Flächentarifvertrag machen, an dem sich der gesamte Einzelhandel zu halten hätte.

Schon im September hatte das ARD-Magazin Monitor im Arbeitsministerium nachgefragt, ob die Bundesregierung dies vorhabe, um Lohndumping zu unterbinden. Das Arbeitsministerium teilte dem Magazin mit, darüber werde „zu gegebener Zeit“ entschieden. Bis heute ist nichts geschehen, und das wird es von Seiten der Bundesregierung auch nicht.

Denn die Bundesregierung steht den Gewerkschaften in nichts nach, wenn es um die Durchsetzung der Interessen deutscher Konzerne gegen die Belegschaften und ihre internationalen Konkurrenten geht.

Die streikenden und protestierenden Beschäftigten sorgen sich aber auch um ihre Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen, weil Metro im September angekündigt hat, die Supermarktkette Real zu verkaufen.

Bereits 2012 hatte Metro versucht, Real loszuwerden. Der Handelskonzern will sich ganz auf das Großhandelsgeschäft konzentrieren und den Verkauf nun zügig zu Ende bringen. „Unser Zeitplan für einen Abschluss liegt bei sechs bis acht Monaten“, hatte Metro-Chef Olaf Koch im September gesagt.

Als Grund für die Eile wird der Umsatz der Tochter angegeben, der im dritten Quartal 2018 um weitere 7,2 Prozent zurückgegangen sei. Der operative Verlust lag bei sieben Millionen Euro. Im Vorjahr hatte es noch einen operativen Gewinn von 33 Millionen Euro gegeben. Die Jahresumsätze sind innerhalb von drei Jahren um 500.000 Millionen Euro auf zuletzt 7,2 Milliarden Euro zurückgegangen.

Offensichtlich gibt es eine Handvoll Kaufinteressenten. Koch hatte bestätigt, dass sich darunter auch Private-Equity-Investoren und Immobilienunternehmen befinden. Die Heuschrecken und Immobilienhaie dürften es vor allem auf die 65 Immobilien im Besitz von Real abgesehen haben und zumindest eine teilweise Zerschlagung der Real-Kette anstreben.

Das Handelsblatt schreibt gestützt auf „Informationen aus Unternehmenskreisen“: „Entgegen anderslautenden Spekulationen soll der Onlinehändler Amazon nicht unter den Interessenten sein.“

Diese Spekulationen waren kurz nach der Verkaufsankündigung aufgekommen. Denn Koch hatte erklärt, die über 280 Real-Märkte inklusive des gerade aufgebauten Online-Shops nur als Gesamtpaket verkaufen zu wollen. Dadurch würden angeblich die marktbeherrschenden Discounter wie Aldi und Lidl sowie Einzelhandelsketten wie Edeka und REWE aus kartellrechtlichen Gründen ausscheiden. Doch schon bei der Übernahme von Kaiser’s Tengelmann hatten Edeka und REWE den Konkurrenten unter bestimmten Auflagen unter sich aufteilen können.

Für ein Kaufinteresse Amazons sprechen dennoch einige Fakten. Denn selbst wenn Amazon wohl kein Interesse daran hat, Real als eigenständige Marke weiterzuführen, könnte der Internetkonzern an dem Filialnetz und den Immobilien der Supermarktkette interessiert sein.

Amazon ist erst 2017 mit der Übernahme der Bio-Kette „Whole Foods“ ins Einzelhandelsgeschäft eingestiegen. Im Januar dieses Jahres eröffnete mit „Amazon Go“ in Seattle der erste US-Supermarkt ohne Kassen. Bloomberg berichtete, dass Amazon in den nächsten drei Jahren bis zu 3000 „Amazon-Go“-Läden ohne Kassierer eröffnen möchte und dabei auch eine Expansion nach Europa möglich wäre. Die Real-Kette könnte somit eine Gelegenheit für Amazon sein, um „Amazon Go“ nach Deutschland zu bringen.

Aber auch die großen Verkaufsflächen und entsprechenden Lagerkapazitäten an den Real-Standorten könnte Amazon „als Basis zum Aufbau einer Infrastruktur für den Onlinehandel mit Lebensmitteln jenseits der Großstädte nutzen“, sagte Handelsexperte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU im September zu Business Insider.

Den Kaufpreis für Real von einer Milliarde Euro könnte Amazon aus der Portokasse zahlen. Für Whole Foods hatte der Konzern im vergangenen Jahr 13,7 Milliarden Dollar hingelegt. Jeff Bezos, Besitzer und Chef von Amazon, hat als reichster Mensch der Welt ein geschätztes Privatvermögen von 150 Milliarden Dollar. Der Konzern selbst lehnte bislang eine Stellungnahme ab.

Die Leidtragenden werden wie immer die Beschäftigten sein. Vielen der aktuell 34.000 Arbeiterinnen und Arbeiter droht, dass sie den Verkauf mit ihrem Arbeitsplatz bezahlen. Den Verbleibenden drohen schlechtere Arbeitsbedingungen und niedrigere Löhne.

Falls Amazon doch zugreift, droht den Beschäftigten eine brutale Ausbeutung, wie sie aus den Lagern des Online-Handelsriesen bekannt ist.

Doch ein Verkauf an einen Investor, eine andere Handelskette oder einen Immobilienspekulanten ist keine wirkliche Alternative, auch wenn ihn Verdi, sollte er sich abzeichnen, als solche darstellen wird. Verdi hatte dies bereits getan, als die Metro-Tochter Kaufhof an die kanadische Hudson’s Bay Company (HBC) und Karstadt zuerst an den Milliardär Nicolas Berggruen und anschließend an den Immobilienspekulanten René Benko verkauft wurden. Immer hatte Verdi die Belegschaften den Interessen des einen oder anderen Superreichen untergeordnet. Inzwischen haben Kaufhof und Karstadt fusioniert, und den 32.000 Beschäftigten drohen Filialschließungen, der Abbau Tausender Arbeitsplätze und weitere Lohnsenkungen.

Verdi hat den Eigentümern von Karstadt und Kaufhof angeboten, gemeinsam mit ihnen und ihren Betriebsratsvertretern die kommenden Sanierungspläne auszuarbeiten. „Es ist jetzt allerhöchste Zeit, gemeinsam mit den Betriebsräten und Verdi ein tragfähiges Zukunftskonzept zu entwickeln“, sagte Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Sie wird dies auch den neuen Eigentümern der Real-Kette anbieten.

Mit Verdi werden die Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen im Einzelhandel den Profitinteressen der Unternehmen geopfert. Die Arbeitsbedingungen werden denen bei Amazon angepasst, die Digitalisierung wird Arbeitsplätze vernichten, anstatt die Arbeit zu erleichtern. Daher muss der Gewerkschaft das Recht abgesprochen werden, für die Beschäftigten im Einzel-, Groß- und Onlinehandel – und darüber hinaus – zu sprechen. Es müssen Betriebs- und Filialkomitees gegründet werden, um den Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Löhne in die eigenen Hände zu nehmen.

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