Proteste gegen Regierung in Ungarn halten an

Auch in dieser Woche gehen die Proteste gegen die rechte Regierung von Premier Victor Orbán weiter. Bereits in der letzten Woche waren Tausende in Budapest und anderen großen Städten des Landes auf den Straßen. Anlass war ein neues Gesetz, das die Zahl der möglichen Überstunden von 250 auf 400 pro Jahr erhöht. Die Proteste richten sich auch gegen eine zur selben Zeit beschlossene Justizreform, die neue, von der Regierung kontrollierte Verwaltungsgerichte einführt, sowie generell gegen die fremdenfeindliche und unsoziale Politik der Fidesz-Regierung.

Am vergangenen Sonntag gab es mit 15.000 Teilnehmern die bislang größte Demonstration gegen das „Sklavengesetz“. „Orbán, hau ab!“, „Streik, Streik, Streik“ oder „Wir haben genug!“ sind gängige Sprüche auf Transparenten und in Sprechchören. An den Protesten beteiligen sich nahezu alle Schichten der Bevölkerung. Vor allem immer mehr Studenten und Schüler gehen zu den Demonstrationen. Während die ersten Proteste von einem massiven Einsatz von Tränengas durch die Polizei begleitet waren, blieben die jüngsten Proteste weitgehend friedlich.

Am Sonntag kam es zu Demonstrationen vor den Sitz des staatlichen Fernsehens MTV. Der Sender steht unter Kontrolle der Regierung und ist bekannt für seine einseitige Regierungspropaganda. Eine Gruppe von Oppositionsabgeordneten hatte sich in der Nacht zum Montag Zutritt zum Fernsehgebäude verschafft und sich 24 Stunden darin verschanzt.

Im westungarischen Szombathely zogen 1000 Menschen vor das Redaktionsgebäude der Lokalzeitung Vas Nepe. Sie protestierten gegen die regierungsnahe Berichterstattung des Blattes. In Ungarn kontrolliert die Regierung einen Großteil der Presse. Unabhängige Medien werden mundtot gemacht.

Die Regierung denunziert die Demonstranten in übler Weise. Ein Sprecher von Fidesz, Zoltan Kovacs, hat die jüngsten Proteste als „bedeutungslos“ abgetan. Die Proteste hätten „ganz klar keine Unterstützung im Volk“, sagte Kovacs der New York Times. Die Anführer der Proteste seien „verzweifelte“ Oppositionspolitiker und „Promi-Aktivisten“.

Tatsächlich verliert Orbán mehr und mehr an Unterstützung. Laut einer neuen Umfrage lehnen 80 Prozent das neue Arbeitsgesetz ab. Zwei Drittel derer, die Orbán zuletzt die Stimme gaben, sind dagegen. Arbeiter befürchten Entlassungen, sollten sie Überstunden nicht leisten wollen.

Orbán, der seit 2010 mit absoluter Mehrheit regiert und in Ungarn nach und nach autoritäre Strukturen aufbaut, verdankt seine Mehrheit nicht breiter Unterstützung in der Bevölkerung, sondern der tiefen Ablehnung der anderen etablierten Parteien, allen voran der Sozialistischen Partei (MSZP). Seit vergangenen Mittwoch, als das Parlament das Arbeitsgesetz verabschiedete, macht sich die angestaute Wut Luft.

Nach einer Meinungsumfrage von IDEA aus diesem Monat unterstützen nur noch 34 Prozent die Regierungspartei. Das sind noch einmal drei Prozent weniger als im Vormonat. 2014 hatte Fidesz noch über 50 Prozent Zustimmung. Die zweitstärkste Partei, die rechtsradikale Jobbik, wird der Umfrage nach nur noch von 8 Prozent unterstützt. Damit haben sich ihre Werte gegenüber 2014 fast halbiert. 2019 stehen in Ungarn Europa- und Kommunalwahlen an. Sämtliche Parteien befürchten massive Verluste, allen voran Fidesz.

Das reformierte Arbeitsgesetz dient vor allem internationalen Konzernen, insbesondere der europäischen Autoindustrie. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Orbán das Streikrecht beschnitten. Ungarn hat mitunter die niedrigsten Unternehmenssteuern der EU. Bisher konnte sich Orban auf die stillschweigende Unterstützung der Gewerkschaften verlassen. Diese drohen nun mit einem Generalstreik im neuen Jahr.

„Wir sagen Ja zum Generalstreik. Das ist unsere letzte Chance, unsere Kraft zu demonstrieren“, erklärte ein Gewerkschaftsvertreter dem Handelsblatt. Er machte dabei deutlich, dass dies allein auf den massiven Druck aus den Belegschaften zurückzuführen ist. „Ein Teil unserer Mitglieder verlangt von uns, dass wir das Land stilllegen“, gestand er ein. Arbeiter in der Autoindustrie verdienen durchschnittlich zwischen 900 und 1000 Euro pro Monat. Das bei einer Arbeitszeit von über 40 Stunden.

In den Gewerkschaften wächst die Furcht, die Proteste könnten auf die Betriebe übergreifen und zu Streiks führen. Der Organisationsgrad ist in den Betrieben traditionell niedrig. In der Regel liegt er zwischen 10 und 20 Prozent. Für die Autoindustrie ist Ungarn bevorzugter Standort. Neben niedrigen Löhnen und geringen Steuern waren die Gewerkschaften stets auf Linie von Regierung und Unternehmen.

Der deutsche Autobauer BMW hatte zuletzt angekündigt, im ostungarischen Debrecen eine neue Autofabrik errichten zu wollen. Mehr als 1000 Mitarbeiter sollen dort jährlich bis zu 150.000 Autos produzieren. Nicht zu Unrecht sprechen Kritiker auch von einem „BMW-Gesetz“.

Gerade schließen sich 16 Einzelgewerkschaften zusammen, um über einen möglichen Streik im Januar zu beraten. Im letzten Jahr streikten in Ungarn die Beschäftigten des Handelsriesen Tesco. In der Autoindustrie in Osteuropa kam es zu Streiks, wie bei VW in der Slowakei oder Fiat in Serbien.

Wegen diesen internationalen Unternehmen legt die ungarische Wirtschaft derzeit zu. Für dieses Jahr wird ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von insgesamt 3,8 Prozent erwartet. Die ungarische Regierung rechnet bis zum Jahr 2022 mit einem Wachstum von jährlich vier bis 4,2 Prozent. Bei der breiten Mehrheit der ungarischen Bevölkerung kommt davon allerdings nichts an.

Regierung und Opposition fürchten ein Ausweiten der Proteste. Während sich die oppositionellen Sozialisten mit der rechtsextremen Jobbik verbünden, bereitet sich die Regierung auf ein brutales Vorgehen gegen die Proteste vor. Orbáns Stabschef Gergely Gulyás warf Teilnehmern der Demonstration vor, „offenen antichristlichen Hass“ zu zeigen. Er erklärte, Bürger hätten nur solange das Recht auf Proteste, solange dabei keine Gesetze gebrochen würden. Gleichzeitig ließ die Regierung am Mittwoch verlauten, dass sie keine Zugeständnisse bezüglich des Gesetzes machen werde.

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