Griechisches Parlament votiert für Namensänderung Mazedoniens

Am Freitag stimmte das griechische Parlament für die Namensänderung des nördlichen Nachbarlandes Mazedonien, das bislang offiziell FYROM (Former Yugoslav Republic of Macedonia) hieß. Im Juni hatten sich die Premierminister der beiden Länder, Alexis Tsipras und Zoran Zaev, bei einem Treffen im Grenzgebiet Prespes auf den neuen Namen „Nordmazedonien“ geeinigt und damit den jahrzehntelangen Namensstreit beigelegt.

Die Vereinbarung von Prespes, die von bürgerlichen Medien und Politikern in Europa und den USA als große historische Friedenstat gepriesen wird, verfolgt in Wirklichkeit reaktionäre Ziele. Sie soll der raschen Integration des kleinen Balkanlandes in die Nato und die Europäische Union (EU) den Weg ebnen.

Griechenland hatte dies bislang mit dem ultranationalistischen Argument blockiert, das Nachbarland könnte Gebietsansprüche geltend machen, wenn es den Namen „Mazedonien“ führt, der von Griechenland als historische Bezeichnung der gleichnamigen nordgriechischen Region (im Deutschen Makedonien) beansprucht wird.

Die Regierungspartei Syriza (Koalition der radikalen Linken) war beim Votum auf die Stimmen anderer Parteien angewiesen. Eine knappe Mehrheit von 153 der 300 Parlamentsabgeordneten votierte für den Deal. Neben Syriza (145) unterstützen das Abkommen einzelne Vertreter der liberalen Partei Potami, die Abgeordnete Katerina Papakosta, die bis 2017 noch zur konservativen Nea Dimokratia (ND) gehörte und 2018 von Tsipras ins Kabinett geholt wurde, ein Vertreter der sozialdemokratischen Dimar und zwei Abgeordnete von Syrizas ultrarechtem Koalitionspartner Anel (Unabhängige Griechen). Dagegen stimmten die Oppositionsparteien ND, Kinal (Bewegung für den Wandel, zu der auch die ehemalige sozialdemokratische Pasok gehört), die stalinistische Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), andere Abgeordnete von Anel, die konservativ-liberale Zentrumspartei Enosi Kentron und die Neonazi-Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte). Es gab eine Enthaltung.

Die mehrtägige Parlamentsdebatte wurde von Massendemonstrationen rechtsextremer und nationalistischer Kräfte gegen die Namensänderung begleitet. Am Sonntag vor der Abstimmung zogen rund 100.000 Menschen vor das griechische Parlament, wo es zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei kam. Rechtsradikale Schläger versuchten ins Parlamentsgebäude einzudringen. Die Polizei reagierte auf die Proteste mit Gewalt und dem Einsatz von Tränengas. Am Donnerstag, an dem die Abstimmung ursprünglich angesetzt war, kam es erneut zu Protesten. Die Neonazis von Chrysi Avgi trugen die rechtsextremen Parolen ins Parlament und warfen der Regierung „Verrat“ vor.

Die stalinistische KKE und die pseudolinke LAE (Volkseinheit), die aus einer Abspaltung von Syriza hervorgegangen ist, organisierten jeweils eigene Demonstrationen vor der amerikanischen Botschaft.

Die KKE lehnt das Prespes-Abkommen ebenfalls aus nationalistischen Gründen ab. In der Parlamentsdebatte begründete Generalsekretär Dimitris Koutsoumbas das ablehnende Votum der KKE damit, dass die „fundamentale Quelle für Irredentismus [territoriale Ansprüche seitens Mazedoniens] weiter besteht“. Der Bezug auf „ein ‚mazedonisches’ Volk sowie eine ‚mazedonische’ Nationalität und Sprache“ könnten künftig zu Herausforderungen seitens Mazedoniens führen. Auf der Demonstration nannte er den Standpunkt der KKE „patriotisch“.

Zoi Konstantopoulou, früher Parlamentssprecherin für Syriza und heute Kopf der pseudolinken Partei Plevsi Eleftherias, sprach sich in der Zeitung Ta Nea für ein Referendum über das Abkommen aus.

Die Verhandlungen über die Beilegung des Namensstreits hatten vor exakt einem Jahr begonnen, bei einer Zusammenkunft der beiden Premiers während des Weltwirtschaftsforums in Davos. Im Februar 2018 fanden rechte Demonstrationen dagegen statt, die von der orthodoxen Kirche, Teilen des Militärs und den Neonazis von Chrysi Avgi dominiert wurden.

Einer der vehementesten Fürsprecher dieser ultranationalistischen Kräfte ist Panos Kammenos, Chef von Anel und bis vor kurzem noch Verteidigungsminister in Tsipras‘ Regierung. Wenige Tage nachdem das mazedonische Parlament die Namensänderung am 11. Januar dieses Jahres ratifiziert hatte, trat Kammenos von seinem Posten zurück und rief seine Fraktion auf, das Abkommen abzulehnen und mit ihm die Koalition zu verlassen. Tsipras stellte daraufhin im Parlament die Vertrauensfrage und konnte sich dank einiger abtrünniger Anel-Vertreter eine Mehrheit sichern. Spekulationen über ein unmittelbares Ende der Syriza-Regierung waren damit erst einmal vom Tisch. Ob sie sich aber bis zu den im Herbst angesetzten Wahlen halten wird, bleibt ungewiss. Während die Fraktion von Anel jetzt in Auflösung begriffen ist, hat sich schon ein Anel-Abgeordneter angeboten, die Seiten zu wechseln und bei den nächsten Wahlen für Syriza zu kandidieren.

Indem Tsipras 2015 eine Koalition mit Anel bildete, hat er die rechtsextremen Kräfte selbst herangezüchtet und gestärkt, die jetzt gegen das Mazedonien-Abkommen randalieren. Er brauchte sie, um die Wut der Arbeiterklasse gegen seine Sparpolitik in reaktionärem Nationalismus zu ertränken. Obwohl Kammenos' Rücktritt den Fortbestand der Regierung gefährdete, lobten er und Tsipras sich danach noch einmal gegenseitig und bedankten sich für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Tsipras nutzte den Rücktritt von Kammenos, um mit dessen Zustimmung die ultrarechten und militaristischen Tendenzen im Staat zu stärken. Er ernannte den bisherigen Oberbefehlshaber der griechischen Streitkräfte, Evangelos Apostolakis, zum Verteidigungsminister.

Die Online-Publikation militaire.gr, die für die Interessen der griechischen Militärs spricht, war begeistert: „Der linke Tsipras, von dem alle sagten, er würde die Streitkräfte auflösen, wählt mit Admiral Vangelis Apostolakis ein Mitglied der Streitkräfte zum Verteidigungsminister. Das ist das erste Mal seit dem Fall der Junta, dass so etwas passiert und [...] es ist ein positiver Schritt.“

Tsipras habe Apostolakis „vollste Freiheit gelassen, das Führungsteam zu wählen, das aus seiner Sicht das meiste erreichen kann. Apostolakis Forderungen sind bekannt: Einsatzbereitschaft, schnelle Reorganisation der Streitkräfte und eine Bündelung des bestehenden Waffenarsenals,“ betonte militaire.gr.

Die Prespes-Vereinbarung genießt die uneingeschränkte Unterstützung der EU, der Nato und der USA. Das hat handfeste geopolitische Gründe. Sie treiben die Integration Nordmazedoniens in die Nato und die EU energisch voran, um Russland und China zurückzudrängen, die dort ebenfalls ihre Interessen sichern wollen.

Der Kampf um Einflusssphären auf dem Balkan hat eine lange und blutige Geschichte. Aufgrund seiner strategischen Lage an der Schnittstelle zwischen Europa, Asien und Nordafrika wurde das Gebiet schon vor und während des Ersten Weltkriegs in ein Schlachtfeld der europäischen Großmachtpolitik verwandelt.

Der griechisch-mazedonische Konflikt ist, wie andere schwelende Brandherde in der Region, ein direktes Ergebnis des Eingreifens der Westmächte in den 1990er Jahren. Konfrontiert mit wachsendem Widerstand der Arbeiterklasse gegen die verheerenden Folgen der kapitalistischen Restauration schürten die Machthaber der jugoslawischen Teilrepubliken damals gezielt nationale, ethnische und religiöse Konflikte, um einen Keil zwischen die Arbeiter zu treiben und ihren Widerstand zu brechen.

Sie wurden dabei von den Westmächten, insbesondere von Deutschland und den USA, unterstützt, die ein Interesse daran hatten, den Balkan zu zersplittern, um ihn besser kontrollieren zu können. Das Ergebnis waren ethnische Säuberungen und verheerende Kriege. Schließlich griff die Nato 1999 selbst militärisch ein, um Restjugoslawien zu zerschlagen. Die Intervention endete mit der Aufspaltung Jugoslawiens, eines Landes mit 23 Millionen Einwohnern, in nicht weniger als sieben Einzelstaaten.

Die Kriege haben zahlreiche schwelende Konflikte hinterlassen, die jederzeit wieder angefacht und für politische Interessen instrumentalisiert werden können. Nun droht die Balkanregion erneut zum Pulverfass zu werden. Davor hatten im letzten Jahr mehrere Experten gewarnt.

Auch über dem Westbalkan-Gipfel, der im Sommer in London stattfand und ohne konkrete Ergebnisse zu Ende ging, lag der Schatten der Großmachtkonflikte. Während die EU 2019 und 2020 bis zu 150 Millionen Euro in der Region investieren will, hat sie die Aufnahme neuer Mitglieder bis mindestens 2025 gestoppt. Zugleich ging die Furcht um, dass Kontrahenten auf dem Balkan Fuß fassen könnten. Die Financial Times warnte vor einem „Vakuum, das andere Mächte – China und Russland – ausfüllen wollen“.

China versucht, die südosteuropäischen Länder für sein Projekt einer „neuen Seidenstraße“ einzuspannen, und hat umfassend in die dortige Infrastruktur investiert. Im vergangenen Juli hatte der griechische Parlamentssprecher und Syriza-Politiker Nikos Voutsis in einem Interview mit der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua versprochen, dass die Prespes-Vereinbarung auch China zugutekommen solle. Sie werde helfen, „die Neue-Seidenstraße-Initiative für den Handel zu öffnen“. Die Offerte an China zeigt, dass der Namensdeal keineswegs Frieden und Stabilität auf dem Balkan bringt, sondern die Konflikte weiter anheizen wird.

Vor allem die deutsche Bourgeoisie hofft, mit Mazedonien ihr Spielfeld der wirtschaftlichen Ausbeutung auf dem Balkan ausdehnen und mit der ökonomischen Auspressung Griechenlands verzahnen zu können. Dort war Deutschland bei den brutalen Spardiktaten der internationalen Geldgeber federführend gewesen und hatte auf Kürzungen und Privatisierungen gepocht, von denen deutsche Unternehmen jetzt profitieren wollen.

Vor der Abstimmung eilte Bundeskanzlerin Angela Merkel dann auch nach Athen, um ihrem Amtskollegen Schützenhilfe zu geben. Die internationale Presse hob Tsipras in den Himmel, um ihn gegen den Gegenwind in Griechenland zu verteidigen. So veröffentlichte die Welt einen Lobgesang auf Tsipras, der in Zeiten eines „Leadership-Vakuums“ im Westen „rare staatsmännische Tugenden unter Beweis gestellt“ habe: „Weitsicht, Tatkraft und Mut.“ Ähnliche Töne schlug die Financial Times unter dem Titel an: „Wie Griechenlands Alexis Tsipras vom Heißsporn zum Staatsmann wurde.“

Hochrangige Vertreter der EU und der Nato feierten den Parlamentsbeschluss dann in den höchsten Tönen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nannte das Abkommen eine „historische Entscheidung“, die „ein Hindernis für die euro-atlantische Integration“ des Landes in die Nato beseitige. Er lobte die „Führung und den Mut von Premierminister Tsipras, aber auch von Premierminister Zaev“, und kündigte an, den Nato-Beitritt von Nordmazedonien jetzt voranzutreiben. Die New York Times betonte die politische Bedeutung für die USA und Europa und nannte den Deal einen „Sieg für den Westen“.

EU-Ratspräsident Donald Tusk twitterte triumphierend: „Zoran, Alexis – gut gemacht! Mission impossible erfüllt.“ Athen und Skopja hätten „ein neues Kapitel unserer gemeinsamen EU-Zukunft geschrieben“, ergänzten EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, die EU-Außenbeauftragte Frederica Mogherini und EU-Kommissar Johannes Hahn in einem gemeinsamen Statement. Die EU-Abgeordneten Udo Bullmann (SPD), Ska Keller (Grüne) und Gabi Zimmer (Linkspartei) sollen sogar für eine Nominierung von Tsipras und Zaev für den Friedensnobelpreis geworben haben.

Tsipras selbst sprach von einem „historischen Tag“ und kündigte am Wochenende in einem Artikel für den griechischen Economist an, dass 2019 ein „historisches Jahr“ werde, in dem man wieder „optimistisch“ sein könne. In zynischem Eigenlob, dass jeder griechische Arbeiter und jeder Flüchtling als Affront begreifen muss, erklärte Tsipras: In Griechenland habe „eine fortschrittliche Regierung geschafft, das Land aus den Memoranden zu holen, finanzielle Stabilität zu sichern, Ungerechtigkeiten für die Mehrheit zu beseitigen und die Flüchtlingskrise mit Humanität und Solidarität zu meistern“. Jetzt sei mit dem Prespes-Abkommen ein weiterer Erfolg gelungen.

Wohlwissend, dass im Jahr 2019 zahlreiche Kürzungen und Einschnitte, die in den Memoranden im letzten Jahr vereinbart worden waren, in Kraft treten und die soziale Katastrophe weiter vertiefen werden, griff Tsipras zu einer noch dreisteren Lüge: „Ein strukturelles Element unserer Strategie ist die Umverteilung.“ Dabei verweist er unter anderem auf geplante Lohnerhöhungen, die nichts als erbärmliche Almosen sind.

Innenpolitisch nutzt Tsipras das Namensabkommen und die damit verbundene nationalistische Hysterie seitens der Opposition, um von den Sparmaßnahmen abzulenken und den Klassenkampf zu unterdrücken. Tatsächlich hat Syriza eine der größten Umverteilungen der griechischen Geschichte umgesetzt – von unten nach oben. Die sozialen Folgen sind verheerend. Gleichzeitig zur Debatte rund um das Prespes-Abkommen fand in Athen eine Prüfung des „Reformkurses“ durch die Kreditgeber statt, die zweite seit dem formellen Ende der Sparmemoranden. Die Vertreter drängten erneut auf schnellere Privatisierungen und Kürzungen.

Der Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Spar- und Kriegspolitik muss sich gegen beide Fraktionen der herrschenden Klasse richten: die rechtsextremen Nationalisten genauso wie die Syriza-Regierung, die als treuer Handlanger der amerikanischen und europäischen Bourgeoisie auftritt. Nur die Vereinigung der Arbeiter in Griechenland, und auf dem gesamten Balkan und in Europa für den Sturz des Kapitalismus und ein sozialistisches Europa kann der sozialen Ausbeutung und den nationalen Konflikten ein Ende setzen.

Die Autorin empfiehlt auch:

Mazedonien: Namensänderung ermöglicht NATO-Erweiterung
[11. Juli 2018]

Griechenland: Rechtsextreme und Nationalisten protestieren gegen Namen von Mazedonien
[26. Februar 2018]

Loading