Streik in Tamil Nadu am Scheideweg

Indische Regierung entlässt Hunderte Lehrer

Der unbefristete Streik von hunderttausenden Lehrer und Staatsbeschäftigten im indischen Bundesstaat Tamil Nadu dauert weiter an. Er ist jedoch an einem politischen Scheidepunkt angekommen. Die Streikenden sind nicht nur mit einem massiven Angriff durch die Bundesstaatsregierung unter Führung der Partei All India Anna Dravida Munnetra Kazhagam (AIADMK) konfrontiert, sondern werden auch von den Gewerkschaften isoliert.

Am 29. Januar verschärfte die Regierung ihre Angriffe durch die Entlassung von 700 streikenden Lehrern und über 1.200 Angestellten der Bundesstaatsregierung. Ihre Posten wurden für freistehend erklärt und werden mit befristet beschäftigten Streikbrechern besetzt, die die Regierung seit letztem Freitag für ein Monatsgehalt von 10.000 Rupien (123 Euro) einstellt.

Am 22. Januar hatten Lehrer und andere Beschäftigte der Bundesstaatsregierung die Arbeit niedergelegt und neun Forderungen aufgestellt, darunter die Abschaffung des Rentensystems Contributory Pension Scheme (CPS) und die Wiedereinführung des früheren staatlich finanzierten Rentensystems sowie höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen.

Die Regierung von Tamil Nadu hat diese Forderungen von Anfang an zurückgewiesen und mit etlichen Unterdrückungsmaßnahmen reagiert, wie massiven Suspendierungen und Entlassungen, Verhaftungen von Streikenden und Demonstranten sowie der Einstellung von Leiharbeitern als Streikbrecher für die Lehrer.

Die Lehrer und Staatsbeschäftigten in Tamil Nadu haben durch ihre Proteste in dem südindischen Staat deutlich gemacht, dass sie kampfbereit sind. Doch die Gewerkschaft JACTTO-GEO (Joint Action Council of Teachers Organisations-Government Employees Organisations), die nur aufgrund des Drucks ihrer Mitglieder zum Streik aufgerufen hat, lehnt jede Ausweitung des Arbeitskampfs ab.

Obwohl die JACTTO-GEO hunderttausende Mitglieder hat, hat sie den Streik isoliert und es der Bundesstaatsregierung damit ermöglicht, ihre undemokratischen Angriffe zu verschärfen.

Am Montag erklärte die Bundesstaatsregierung vor dem Obersten Gericht in Madras, sie werde nicht mit der Gewerkschaft verhandeln. Ein Anwalt der Gewerkschaft versicherte dem Gericht, dass sie bereit sei, den Streik „sofort“ zu beenden, wenn die Regierung Gesprächen zustimme.

Am Dienstag rief das Gericht die Lehrer auf, an die Arbeit zurückzukehren und erklärte, dass nicht die Regierung, sondern die Streikenden die Zukunft der Schüler gefährden würden, die bald ihre jährlichen Prüfungen ablegen müssen. Später am gleichen Tag wurden 3.000 Lehrer verhaftet und ihre Proteste von der Polizei aufgelöst. Sie wurden mehrere Stunden in verschiedenen Hallen gefangen gehalten und danach freigelassen.

Der höchste Bildungsbeamte von Tamil Nadu, Thiruvarur Selvi, erklärte vor der Presse, dass in 99,9 Prozent der staatlichen Schulen in der Bundesstaatshauptstadt Chennai wieder der normale Betrieb aufgenommen worden sei, weil die meisten Lehrer an die Arbeit zurückgekehrt seien. Berichten zufolge wurde auch in anderen Bezirken, u. a. in Villupuram und Krishnagiri, der Lehrbetrieb wieder aufgenommen.

Laut anderen Medienberichten haben sich jedoch mehr als 96.000 Lehrer, d. h. 63 Prozent der Lehrer von im Directorate of Elementary Education registrierten Schulen, der Anweisung der Regierung widersetzt und ihre Demonstrationen und Sitzblockaden fortgesetzt.

Auch andere Staatsbeschäftigte streiken weiter. Am Dienstag wurden in den südlichen Bezirken mehr als 15.000 Staatsbeschäftigte festgenommen und inhaftiert, nachdem sie versucht hatten, auf Straßen Sitzblockaden zu veranstalten. In der Region Tiruchi wurden mehr als 11.000 JACTTO-GEO-Mitglieder verhaftet, die eine Straße blockieren wollten. Alle am Dienstag Verhafteten wurden später am gleichen Tag wieder freigelassen.

Auch Schüler und Eltern haben sich an den Lehrerprotesten beteiligt oder eigene Solidaritätsdemonstrationen inszeniert. In Udhagamandalam verhaftete die Polizei Kunststudenten, die zur Unterstützung der Streikenden eine Straßenblockade errichtet hatten. Am 29. Januar demonstrierten in Dindivanam und Pudukottai Schüler und Studenten der staatlichen Schulen und Hochschulen zur Unterstützung ihrer streikenden Lehrer.

Die JACTTO-GEO befürchtet, dass sie die Kontrolle über den Streik verlieren, und eine Eskalation andere Teile der indischen Arbeiterklasse dazu bringen könnte, ebenfalls in den Streik zu treten. Deshalb lehnt sie jede Ausweitung des Streiks oder Appelle an die Lehrer im Rest Indiens, die mit den gleichen Angriffen konfrontiert sind, vehement ab. Vielmehr behauptet sie weiterhin, dass der isolierte Arbeitskampf die Regierung dazu zwingen werde, vor den Forderungen der Streikenden zu kapitulieren.

Erst vor wenigen Wochen, am 8. und 9. Januar, beteiligten sich bis zu 180 Millionen Menschen an einem zweitägigen Generalstreik gegen die Politik des Großkapitals und die Austeritätsmaßnahmen der Regierung von Premierminister Narendra Modi von der hindu-chauvinistischen Bharatiya Janatha Party.

Die JACTTO-GEO hat ihre Mitglieder jedoch nicht dazu aufgerufen, sich am Generalstreik zu beteiligen, obwohl zu den Forderungen die Abschaffung des CPS und die Ablehnung der Privatisierungen und Outsourcing-Maßnahmen des Regierungssektors gehörten. Genau die gleichen Probleme haben die Lehrer und Regierungsbeschäftigten in Tamil Nadu in den Ausstand getrieben.

Die JACTTO-GEO hat alles getan, um die Lehrer und Staatsbeschäftigten zu isolieren, behauptet aber, sie werde den Streik fortsetzen, bis die Regierung sie zu Verhandlungen einlädt. Sie appellieren damit verzweifelt an die Regierung, ihnen ein Abkommen vorzuschlagen, durch das sie ihr Gesicht wahren und den Streik beenden können.

Die beiden größten stalinistischen Parteien Indiens – die Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) oder KPM und die Kommunistische Partei Indiens (KPI) – spielen bei der Isolierung des Streiks in Tamil Nadu eine Schlüsselrolle. Die Gewerkschaftsverbände der KPM bzw. der KPI, das Center of Indian Trade Unions und der All India Trade Union Congress, sind Partner der JACTTO-GEO.

Diese Organisationen haben Millionen eingeschriebene Mitglieder, sich aber nur mit oberflächlicher Kritik an der AIADMK-Regierung, den Verhaftungen und der Entlassung von streikenden Lehrern begnügt.

Am Dienstag riefen die sogenannte „Linke Front“ und fünf mit ihr verbündete Gewerkschaften, darunter die Tamil Nadu Secretariat Officers’ Association für Mittwoch zu einem symbolischen eintägigen Unterstützungsstreik für die Lehrer auf. Sie stellten ähnliche Forderungen, darunter ebenfalls die Abschaffung des CPS-Systems. Dieser Streik hat jedoch nur einen Sinn: Die Teilnehmer sollen Dampf ablassen und von den wachsenden Forderungen der Arbeiterklasse nach einem echten Kampf gegen die Angriffe der Regierung ablenken.

Die Streiks der Lehrer und Beschäftigten in Tamil Nadu sind Teil eines wachsenden Auflebens des internationalen Klassenkampfs in Nordamerika, Mexiko, Europa, Sri Lanka, Bangladesch und vielen anderen Staaten. Die Streikenden müssen mit den Gewerkschaften brechen und sich mit Arbeitern in ganz Indien, Südasien und der Welt verbünden. Sie müssen auf die Lehrer in den USA und überall auf der Welt zugehen, die ebenfalls für bessere Löhne, Arbeitsbedingungen und Grundrechte kämpfen.

Um ihre Kämpfe fortzuführen, sollten die Lehrer und Staatsbeschäftigten von Tamil Nadu dem Beispiel der mexikanischen Autoarbeiter und der sri lankischen Plantagenarbeiter folgen und ihre eigenen, von den Gewerkschaften unabhängigen Aktionskomitees aufbauen. In diesen Komitees können die Arbeiter demokratisch diskutieren und ihre eigenen Forderungen und Arbeitskämpfe beschließen und das antikapitalistische und internationale politische Programm annehmen, auf dem ihr Kampf basieren muss.

Dabei ist es entscheidend, die nationalistische Politik der KPM und der KPI zurückzuweisen. Diese stalinistischen Organisationen haben keine grundlegenden Differenzen mit der Hindu-kommunalistischen BJP und der AIADMK. Deren Ziel ist es, diese Parteien durch „alternative“ kapitalistische Regierungen entweder mit der Kongresspartei oder durch Bündnisse aus diversen rechten regionalen Parteien abzulösen, um Indien durch verschärfte soziale Angriffe auf die Arbeiterklasse attraktiver für das Großkapital zu machen.

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