Indien bombardiert Pakistan, Islamabad übt Vergeltung

Am Dienstagmorgen hat Indien erstmals seit dem indisch-pakistanischen Krieg von 1971 einen Luftangriff tief im Innern Pakistans geführt.

Islamabad übte am Mittwoch Vergeltung und erklärte, zwei indische Kampfjets abgeschossen und zwei Piloten gefangen genommen zu haben. Neu-Dehli widersprach dieser Meldung, bestätigte den Verlust eines Flugzeugs und sprach seinerseits vom Abschuss eines pakistanischen Kampfflugzeugs.

Die Spannungen zwischen den beiden rivalisierenden südasiatischen Atommächten haben sich dadurch gefährlich verschärft. Es besteht die akute Gefahr, dass die Feindseligkeiten außer Kontrolle geraten und zu einem katastrophalen Krieg eskalieren.

Am Mittwochmorgen hatten Medien berichtet, dass es entlang der Line of Control (LoC), die den indisch und den pakistanisch verwalteten Teil von Kaschmir trennt, zu schwerem Artilleriebeschuss gekommen sei.

Die indische Regierung behauptete, zwölf Mirage-Kampfjets der indischen Luftwaffe hätten das Hauptquartier der islamistischen Gruppe Jaish-e Mohammed (JeM), die sich am Aufstand gegen die indische Herrschaft in Kaschmir beteiligt, durch „Präzisionsbomben“ mit einem Gewicht von je 1.000 Kilo zerstört. Der angebliche Stützpunkt soll sich bei Balakot in der pakistanischen Provinz Khyber-Pakhtunkhwa befinden, das 60 Kilometer von der LoC entfernt liegt.

Der indische Außenminister Vijay Gokhale erklärte am Dienstag bei einer feierlichen Pressekonferenz: „Bei dieser Operation wurde eine sehr große Zahl von JeM-Terroristen, von Ausbildern, hohen Kommandanten und Dschihadisten-Gruppen getötet, die dort für Fedayin-Aktionen ausgebildet wurden.“

Die indische Regierung hat sich offiziell geweigert, die genaue Zahl an Toten zu nennen. Doch die indischen Medien spekulieren unter Berufung auf Quellen aus der hindu-chauvinistischen BJP-Regierung über 200 bis 300 Tote.

Am 14. Februar gab es einen Selbstmordanschlag auf eine Einrichtung der paramilitärischen Polizeieinheit Central Reserve Police Force (CRPF) nahe Pulwama im indisch kontrollierten Teil von Kaschmir. Seither haben der indische Premierminister Narendra Modi und andere hohe Vertreter von Regierung und Militär Pakistan mehrfach mit militärischen Vergeltungsmaßnahmen gedroht, allerdings nichts Genaueres über die Art des indischen Angriffs geäußert.

Direkt nachdem sich die JeM zu dem Anschlag bekannt hatte, machte Modi Pakistan dafür verantwortlich und erklärte, das indische Militär habe „freie Hand“ für Vergeltungsmaßnahmen.

Mirage-2000-Kampfflugzeuge der indischen Luftwaffe

Während der Vorbereitungen auf den Angriff von Dienstag kündigte die BJP-Regierung eine ganze Reihe von Vergeltungsmaßnahmen an. So soll Pakistan der Meistbegünstigungs-Status in Handelsfragen aberkannt werden, während Indiens „Rechte“ gemäß dem Indus-Wasservertrag maximiert werden sollen. Dies würde faktisch bedeuten, Pakistan das Wasser für Bewässerung und Stromerzeugung vorzuenthalten, was die Wirtschaft des Landes schwer treffen würde.

Neu-Delhi versuchte nicht, den Angriff vom Dienstag mit dem Anschlag in Pulwama zu rechtfertigen, womit es implizit zugab, dass es ein willkürlicher Verstoß gegen das Völkerrecht war. Vielmehr bezeichnete Gokhale ihn als „nicht-militärischen Präventivschlag“, der sich ausschließlich gegen die JeM richtete, weil „glaubwürdige Geheimdienstinformationen“ zeigen würden, dass die islamistische Gruppe kurz davor stand, einen weiteren Terroranschlag zu verüben.

Islamabad hat Indiens Schilderung des Angriffs, der im Schutz der Nacht früh am Dienstagmorgen stattfand, widersprochen. Der Nationale Sicherheitsausschuss unter Führung von Premierminister Imran Khan warf Indien in einer Stellungnahme vor, es würde „eigennützige, leichtsinnige und frei erfundene“ Behauptungen verbreiten. Laut Islamabad wurden die indischen Kampfflugzeuge von pakistanischen Kampfflugzeugen vertrieben und haben ihre Präzisionsbomben in einem Waldstück abgeworfen. Dabei soll lediglich ein Zivilist verletzt worden sein.

Die enorme Divergenz zwischen den Behauptungen aus Neu-Delhi und aus Islamabad verdeutlicht, wie explosiv die Lage ist. Die herrschenden Eliten beider Länder haben ihre strategische Rivalität jahrzehntelang benutzt, um von den sozialen Spannungen abzulenken und die Reaktion anzuheizen. Sie stützten ihre Herrschaft auf den Standpunkt, dass weder Kompromisse und Rückzieher gegenüber dem Erzfeind noch ein Affront des Gegners geduldet werden dürfen.

Obwohl das pakistanische Militär und die Regierung den Angriff herunterspielten, machten sie ihre Absicht deutlich, in gleicher Weise zurückzuschlagen.

Der Sprecher des Militärs, Generalmajor Asif Ghafoor, erklärte: „Pakistan wird mit diplomatischen, politischen und militärischen Mitteln auf Indiens Vorgehen reagieren.“

Er fügte unheilverkündend hinzu: „Premierminister Imran Khan hat dem Militär und der Bevölkerung mitgeteilt, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Für Indien ist es jetzt Zeit, auf unsere Reaktion zu warten. Wir haben uns entschlossen. Wartet ab.“

Modi und seine BJP-Regierung verfolgten zwei Ziele, als sie am Dienstag den Befehl zum Angriff erteilten.

Zum einen soll damit der diplomatische, wirtschaftliche und militärische Druck auf Pakistan verschärft und Indiens illegale Militäraktionen im Inneren Pakistans „normalisiert“ werden, die eine Reaktion auf Angriffe von Aufständischen im indischen Teil von Kaschmir sind.

Kurz nachdem die BJP-Regierung unter Modi im Jahr 2014 von den Ambanis und anderen frisch gebackenen indischen Milliardären an die Macht gebracht worden war, signalisierte sie ihre Entschlossenheit, die „Spielregeln“ im Umgang mit Pakistan zu ändern. Das Land sollte so gezwungen werden, Indiens Vorherrschaft über die Region anzuerkennen und demonstrativ jede logistische Unterstützung für den Aufstand in Kaschmir einzustellen.

Seit 2016 erschüttert eine neue Welle von Widerstand der Bevölkerung Jammu und Kaschmir, den einzigen mehrheitlich muslimischen Bundesstaat Indiens. Modi, die BJP und die hinduistische Rechte unter Führung der RSS sind deshalb umso entschlossener, gegen Pakistan vorzugehen.

Das zweite, ebenso wichtige Ziel der Luftangriffe am Dienstag war es, im Vorfeld der mehrstufigen Parlamentswahl im April und Mai eine Stimmung der Kriegshysterie und religiösen Feindseligkeiten zu schüren.

Nachdem sich die Versprechen der Modi-Regierung, für Arbeitsplätze und Aufschwung zu sorgen, für die indische Arbeiterklasse als grausamer Schwindel erwiesen haben, ist die herrschende Klasse mit wachsendem sozialen Widerstand konfrontiert. Letzten Monat beteiligten sich Dutzende Millionen Arbeiter an einem zweitägigen landesweiten Generalstreik gegen die Austeritätsmaßnahmen und „investorenfreundlichen“ Reformen der BJP-Regierung. Auch unter Bauern kam es zu zahlreichen Protesten.

Die BJP versucht, die Kriegskrise mit Pakistan zu nutzen, um ihre hinduistisch-rechte politische Basis zu mobilisieren. Modi soll als starker Mann dargestellt werden, der als Einziger Indiens Feinde zähmen kann. Jede Kritik an ihm und seiner Regierung soll außerdem als Ausdruck fehlender Loyalität oder sogar als Landesverrat gebrandmarkt werden.

Tausende Studenten aus Kaschmir, die in anderen Bundesstaaten Hochschulen besucht haben, mussten aufgrund der aufgeheizten Atmosphäre, die die hinduistische Rechte nach dem Anschlag in Pulwama geschürt hatte, bereits aus Angst um ihr Leben zurück in ihre Heimat fliehen.

Dass die BJP den Anschlag in Pulwama für dieses niederträchtige und durchschaubare politische Manöver ausnutzen konnte, geht direkt auf die reaktionäre Politik der Oppositionsparteien zurück.

Sie äußern zwar gelegentlich Kritik an der brutalen Unterdrückungspolitik der BJP-Regierung in Kaschmir, stehen aber alle felsenfest hinter den Bestrebungen der indischen Bourgeoisie, Pakistan zu unterwerfen und ihre eigenen Großmachtambitionen zu verwirklichen.

Im Jahr 2016 unterstützte die gesamte Opposition, einschließlich der stalinistischen Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten), den „chirurgischen Präzisionsschlag“, bzw. die Kommandooperation, die die BJP in Pakistan angeordnet hatte. Modi erklärte damals stolz, durch die Aktion habe Indien die Fesseln der „strategischen Zurückhaltung“ gegenüber Pakistan abgelegt.

Der Vorsitzende der Kongresspartei, Rahul Gandhi, lobte am Dienstag als erster Oppositionsführer die Luftangriffe und twitterte: „Ich salutiere vor den Piloten der Indischen Luftwaffe.“

Der Generalsekretär der KPM, Sitaram Yechury, lobte das Militär für den „effektiven Schlag“ und beeilte sich, an einem von der Regierung einberufenen Treffen aller Parteien teilzunehmen. Zum Schluss dieses Treffens erklärte der indische Außenminister Sushma Swaraj stolz: „Alle Parteien haben die Sicherheitskräfte einstimmig gelobt und die Antiterror-Operationen der Regierung unterstützt.“

Die pakistanische Regierung und Elite versuchen sich als Opfer der Aggression Indiens darzustellen. Allerdings sind sie genauso verantwortlich für den reaktionären strategischen Konflikt, der Südasien seit der Teilung des Subkontinents in ein ausdrücklich muslimisches Pakistan und ein überwiegend hinduistisches Indien auseinanderreißt und der jetzt in nuklearer Vernichtung enden könnte. Besonders zynisch ist Islamabads Versuch, sich als Beschützer der Bevölkerung von Kaschmir darzustellen. Pakistan ist rücksichtslos auf den Rechten der Bevölkerung von Azad, dem pakistanisch kontrollierten Teil von Kaschmir, herumgetrampelt. In Jammu und Kaschmir hat es seinen politischen Einfluss und seine logistische Stärke benutzt, um den Widerstand der Bevölkerung zu manipulieren und arbeiterfeindliche islamistische Milizen zu unterstützen.

Die Wurzeln des Konflikts zwischen Indien und Pakistan liegen zwar in der Teilung, doch das räuberische Vorgehen Washingtons hat ihn drastisch verschärft. Eine US-Regierung nach der anderen, egal ob sie von Demokraten oder Republikanern gestellt wurde, hat Indien mit strategischen Gefälligkeiten überhäuft, um das Land als Frontstaat für die militärisch-strategische Offensive gegen China zu gewinnen. Islamabads Warnungen, das Vorgehen der USA zerstöre das regionale Kräftegleichgewicht, wurden dabei leichtsinnig ignoriert.

Um die indisch-amerikanische „globale strategische Partnerschaft“ weiter zu festigen, hat der US-Sicherheitsberater John Bolton der Modi-Regierung grünes Licht für ihren Angriff auf Pakistan gegeben. Weniger als 24 Stunden nach dem Anschlag in Pulwama und nach eiligen Beratungen mit seinem indischen Amtskollegen Ajit Doyal erklärte Bolton, Washington unterstütze „Indiens Recht auf Selbstverteidigung gegen grenzübergreifenden Terrorismus“. Bolton hat damit fast genau die gleichen Worte benutzt, mit denen US-Regierungen seit Jahrzehnten Israels Angriffe auf die Palästinenser abgesegnet haben.

Indien hat den USA mittlerweile auch das Recht eingeräumt, ihre Schiffe und Flugzeuge in indischen Militärbasen aufzutanken und mit Nachschub zu versorgen. Die Angst vor diesem immer stärkeren indisch-amerikanischen Bündnis hat China und Pakistan dazu gebracht, selbst engere strategische Beziehungen aufzubauen. Damit überschneiden sich die Konflikte zwischen Indien und Pakistan und zwischen den USA und China. Ein Krieg zwischen Indien und Pakistan birgt deshalb von Anfang an das Risiko, dass die internationalen Großmächte mit hineingezogen werden und einen Weltenbrand auslösen.

Die jüngste Krise zwischen Indien und Pakistan verdeutlicht, dass in Südasien und im Rest der Welt so schnell wie möglich eine von der Arbeiterklasse angeführte Bewegung gegen Krieg und Imperialismus aufgebaut werden muss. Modi und Imran Khan verfolgen dieselbe Politik von Austerität und kapitalistischer Umstrukturierung, während sie sich gleichzeitig schaurige Drohungen an den Kopf werfen. Im Widerstand gegen beide Seiten müssen die Arbeiter Indiens und Pakistans ihre Kämpfe vereinen und die unterdrückten Schichten hinter sich versammeln, um für den Sturz der kapitalistischen Herrschaft zu kämpfen, das reaktionäre kommunalistische System des Indischen Subkontinents niederzureißen und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Südasien zu errichten.

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