Tarifverhandlungen in der Stahlindustrie: Arbeiter fordern Streik

In den Stahlwerken wächst der Widerstand gegen Niedriglöhne, Arbeitshetze und Arbeitsplatzabbau. Die IG Metall sah sich gezwungen, zu neuen Protesten aufzurufen.

In zahlreichen Städten werden heute Stahlarbeiter protestieren: in Bochum (Doncaster), Dortmund, Siegen (Thyssenkrupp), Hagen, Witten (Deutsche Edelstahlwerke), Krefeld (Outokumpu, DEW), Bremen (ArcelorMittal), Osnabrück (Georgsmarienhütte), Peine, Salzgitter (Salzgitter AG) und in Duisburg. Dort, am größten deutschen Stahlstandort, protestieren die Arbeiter von ArcelorMittal, Hüttenwerke Krupp Mannesmann, Baosteel Tailored Blanks, Salzgitter Mannesmann sowie von Thyssenkrupp Steel.

Während Tausende Stahlarbeiter deutlich machen, dass sie für ihre Forderungen auch einen Arbeitskampf nicht scheuen, reagiert die IG Metall darauf mit dem Versuch, die Tarifverhandlungen zu beenden und den wachsenden Protest abzuwürgen.

Aufgrund der aufgeheizten Stimmung in den Betrieben hatte die Gewerkschaft die Forderung nach 6 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten sowie nach einem jährlichen Urlaubsgeld in Höhe von 1800 Euro aufgestellt. Das Urlaubsgeld soll wahlweise in freie Tage umgewandelt werden können. Für die Azubis hat sie eine überproportionale Erhöhung sowie ein Urlaubsgeld von 600 Euro im Jahr gefordert.

Wie üblich hatte die IG Metall vor, mit ihrem sattsam bekannten Ritual von zahnlosen Protesten und fünf bis sechs Verhandlungsrunden, zum Schluss wieder die Interessen der Stahlkonzerne zu wahren und die Arbeiter mit einem schöngerechneten Tarifergebnis abzuspeisen.

Doch als die Stahlunternehmen in der der vierten Verhandlungsrunde am 18. Februar ein erstes Angebot vorgelegt hatten, wurde das von Arbeitern völlig korrekt als Provokation aufgefasst. Die Arbeitgeber hatten für die 72.000 Beschäftigten der nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie eine Entgelterhöhung von 2,5 Prozent zum 1. April angeboten sowie ab 1. Juli 2020 eine jährliche Urlaubsvergütung in Höhe von 600 Euro, die „für einen begrenzten Personenkreis in Freizeit“ umgewandelt werden könnte. Die Laufzeit des Vertrags sollte nach den Wünschen der Unternehmen 27 Monate betragen.

Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen und Verhandlungsführer, erklärte das Angebot sei zwar „bei weitem nicht ausreichend“. „Aber wir erkennen an, dass die Arbeitgeber grundsätzlich unsere Forderungsstruktur akzeptieren.“

Daher hatte die IG Metall eingewilligt, „in einer gemeinsamen Expertengruppe über das Gesamtpaket in den nächsten Tagen detaillierter zu beraten“. Auf Grundlage dieser Beratung würden die zuständigen Gremien dann über den weiteren Verlauf der Tarifrunde entscheiden.

Im Gegensatz zur Gewerkschaft reagierten Beschäftigte wütend, als sie vom Angebot der Arbeitgeber erfuhren und forderten als Antwort umgehend echte Streikvorbereitungen. Insgesamt 42 Arbeiter von zwei Schichten des Duisburger Thyssenkrupp-Stahlwerks schrieben an Giesler: „Nachdem wir von dem ‚Angebot‘ der Arbeitgebervertreter in der letzten Verhandlungsrunde gehört haben, waren wir stinksauer!“ Von den Unternehmen hätten sie nichts anderes erwartet. Aber: „Völlig unverständlich war für uns auch, dass ihr in der Tarifkommission nicht sofort den 24-Stundenstreik als notwendige Antwort auf diese Provokation beschlossen habt.“

Die beiden Schichten forderten Giesler und die Mitglieder der Verhandlungs- und Tarifkommission auf, als nächsten Schritt einen 24-stündigen Streik zu beschließen „oder sofort die Urabstimmung und einen richtigen Streik vorzubereiten“.

Dieser Beschluss von zwei Schichten ist Ausdruck der Kampfbereitschaft der Arbeiter. Die Konzerne verdienen gut, die letzten Erhöhungen, die die IGM ausgehandelt hatten, waren mehr als mager und glichen nicht einmal die Steigerung der Lebenshaltungskosten, insbesondere der Mieten, aus.

Außerdem hat die IG Metall in den letzten Jahren zahlreichen Abkommen zum Abbau von Arbeitsplätzen und der Senkung von Löhnen in der Stahlindustrie zugestimmt. So hat die IG Metall es ermöglicht, dass zum Beispiel allein beim Edelstahlhersteller Outokumpu Nirosta (früher Thyssenkrupp) innerhalb von sechs Jahren zwei Drittel der Belegschaft – 4000 Arbeitsplätze – ohne einen einzigen wirklichen Protest abgebaut wurden. Waren in der Eisen- und Stahlindustrie 1980 noch 288.000 Arbeiter beschäftigt, waren es im Jahr 2017 nur noch rund 96.000.

Die Arbeitsbelastung ist entsprechend stark gestiegen. Daher wollen gerade die älteren Stahlarbeiter aufgrund der harten körperlichen Arbeit die zusätzlichen freien Tage, die sie gegen das Urlaubsgeld, das sie noch nie erhalten haben, umwandeln können. Dass die Unternehmen den Stahlarbeitern das nicht zugestehen wollen, empört viele.

Als die für heute geplante 5. Tarifrunde wegen der Krankheit des Vorstandsvorsitzenden von Thyssenkrupp-Stahl und Verhandlungsführer der Arbeitgeber Andreas Goss abgesagt wurde, reagierte IGM-Verhandlungsführer Giesler wütend. Denn wichtig sei, „jetzt schnellstmöglich am Verhandlungstisch zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen“.

Auf keinen Fall möchte die Gewerkschaft, dass die Tarifrunde mit jener der ostdeutschen Stahlarbeiter zusammenkommt. Die getrennt laufende Tarifrunde für die rund 8.000 Beschäftigten in der ostdeutschen Eisen- und Stahlindustrie hatte Ende Januar begonnen. Hier haben die Unternehmen noch gar kein Angebot vorgelegt.

Zweitens wollen die IG Metallfunktionäre verhindern, dass die Tarifrunde mit neuen Angriffen beim größten Stahlhersteller in Deutschland, Thyssenkrupp Stahl, zusammenfällt. Die IG Metall hatte die Fusion mit dem indischen Konzern Tata Steel durchgesetzt, die mindestens 4000 Arbeitsplätze kostet, je zur Hälfte bei ThyssenKrupp und bei Tata Steel. Da aber der für Oktober geplante endgültige Zusammenschluss der beiden Konzerne immer noch nicht von der Kartellbehörde der Europäischen Union genehmigt worden ist, werden schon bald weitere Einschnitte notwendig sein.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am 11. Februar, Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager verlange weitere Zugeständnisse von den beiden Partnern. So monierte Brüssel zuletzt eine womöglich entstehende marktbeherrschende Stellung in den Bereichen Auto- und Weißblech sowie beim Elektroband, berichtete das Handelsblatt. „Bis April haben beide Konzerne Zeit, ihre Pläne für mögliche Desinvestitionen vorzulegen.“

Das Wort „Desinvestitionen“ ist eine verklausulierte Ankündigung von Schließungen oder Verkäufen. Wenn Thyssenkrupp und Tata in den nächsten Wochen ihre Pläne dafür vorlegen, möchte die IG Metall die Tarifverhandlungen abgeschlossen haben.

Die Stahlarbeiter machen aktuell die gleichen Erfahrungen wie Arbeiter in zahlreichen Industrien und Bereichen weltweit: Arbeitsplätze, Löhne und angemessene Arbeitsbedingungen können nicht mit, sondern nur gegen die Gewerkschaften und ihre Betriebsräte verteidigt werden. Sie sind durch unzählige Bande mit den Unternehmen verknüpft und stehen auf der anderen Seite der Barrikade.

Diese Verwandlung der Gewerkschaften hat tiefe objektive Ursachen. Solange der Arbeitsmarkt und die Arbeitsbedingungen weitgehend national geprägt waren, konnten die Gewerkschaften Druck ausüben, um höhere Löhne und soziale Verbesserungen durchzusetzen. Die Globalisierung der Produktion hatte zur Folge, dass die uneingeschränkte, weltweite Konkurrenz vorherrscht. Nun üben die Gewerkschaften nicht mehr Druck auf das Management aus, um Verbesserungen für die Arbeiter zu erreichen, sondern sie erpressen die Arbeiter, um Lohnsenkung und Sozialabbau durchzusetzen und damit die Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen zu verbessern.

Jede gewerkschaftliche Organisation, die die Profitwirtschaft und den Nationalstaat als Handlungsrahmen anerkennt und den Kapitalismus nicht in Frage stellt, wird von dieser Entwicklung geprägt.

Deshalb ist der Aufbau von Aktionskomitees notwendig, um den Kampf gegen Niedriglöhne, Sozial- und Arbeitsplatzabbau selbst in die Hand zu nehmen. Nur im Kampf gegen die engstirnige, nationale Politik der Gewerkschaften ist es möglich, eine internationale Zusammenarbeit und Koordination des Widerstands zu entwickeln.

Für diese Perspektive kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP). Wir rufen alle Stahlarbeiter auf, mit uns Kontakt aufzunehmen, um über diese Perspektive zu diskutieren.

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