Landesweiter Streik erschüttert das algerische Regime

Am Sonntag begann ein fünftägiger Generalstreik für ein Ende des Regimes von Präsident Abdelaziz Bouteflika, an dem sich Zehntausende Arbeiter in Algerien beteiligten. Große Teile des Landes kamen durch den Streik zum Erliegen.

Die Bewegung gegen die Regierung Bouteflika, die am 22. Februar mit Studentendemonstrationen begann, zieht immer größere Teile der Bevölkerung an und tritt in ein neues Stadium ein. Die Arbeiterklasse entwickelt sich zur grundlegenden revolutionären Kraft in dieser Bewegung.

Der Aufruf zum Streik wurde im Internet durch soziale Netzwerke von Arbeitern verbreitet, die unabhängig von den Gewerkschaften agieren. Das gesamte Bildungs- und Verkehrssystem waren betroffen, daneben blieben Einkaufszentren, Häfen und private Industriezentren geschlossen.

Der Zugverkehr im ganzen Land kam zum Erliegen. In der Hauptstadt Algier fuhren keine U-Bahnen, Busse oder Straßenbahnen. Auch die privaten Buslinien, die Reisende zwischen dem Ost- und dem Westteil von Algier transportieren, wurden eingestellt. Laut der Zeitung Dépêche de Kabylie informierten Busfahrer auf der Strecke von Bouira nach Algier ihre Passagiere am Samstagmorgen, dass sie am Sonntag nicht fahren würden.

Streikende Arbeiter und Studenten auf der Place Maurice Audin in Algier

Die Lehrer beteiligten sich überall im Land an dem Streik. Laut der Zeitung Tout sur l’Algérie (TSA) wurden die meisten Mittel- und Oberschulen geschlossen, „die Schüler, denen von ihren Lehrern frei gegeben wurde, haben seit dem Morgen demonstriert“. Die Oberschüler organisierten über Facebook Demonstrationen in Algier, Draria, El Achour, Dely Brahim, Rouiba und Bananiers.

Die Lehrer widersetzten sich mit dem Streik den nationalen Lehrergewerkschaften, die letzte Woche zu einem eintägigen Streik am 13. März aufgerufen hatten. Dies taten die Gewerkschaften jedoch nur, um die Kontrolle zu behalten und einen längeren Ausstand zu verhindern. Zuvor hatten die Lehrer bereits in zahlreichen Schulen Treffen abgehalten und für Demonstrationen gestimmt.

Die Dépêche de Kabylie schrieb am Sonntag: „Seit letzter Woche haben mehrere Bildungseinrichtungen die Schüler vor einem möglichen Streik an den Grund-, Mittel- und Oberschulen gewarnt, allerdings äußerte sich keine der Lehrergewerkschaften zu dem Ausstand.“

Alle Universitäten wurden geschlossen. Um einen landesweiten Streik an den Universität noch im letzten Moment zu verhindern, kündigte die amtierende Nationale Befreiungsfront (FLN) am Samstag überraschend an, dass die Ferien zehn Tage früher, d.h. bereits am letzten Sonntag beginnen. Studenten und Dozenten posteten auf Facebook Videos und Erklärungen, in denen sie die Ausweitung der Ferien verurteilten und organisierten weiterhin Demonstrationen.

In der nordostalgerischen Hafenstadt Bejaïa brachten die Arbeiter die Tätigkeiten im Hafen und dem örtlichen Werk des Lebensmittelkonzerns Cevital zum Erliegen, in dem Zucker, Öl und andere Lebensmittel produziert werden. Cevital ist das größte Privatunternehmen des Landes und befindet sich im Besitz des Milliardärs Issad Rebrab. Tausende Arbeiter zogen am Sonntag durch die Stadt. Auch in Djendjen (Jijel) und Skidda streikten die Hafenarbeiter. Al Jazeera meldete am Sonntag jedoch, dass die Exporte davon nicht betroffen waren.

Sonelgaz-Beschäftigte streiken vor den Büros in Gue de Constantine, einem Vorort von Algier

Außerdem kam es zu Streiks im Ölfeld Hassi Messaoud im Osten Algeriens, das dem staatlichen Bergbaukonzern Sonatrach gehört, ebenso in Ölfeldern in Hassi R'mel, Hassi Berkine und In Amenas. Auf Facebook erschien ein Video, auf dem Hunderte von Arbeitern die Arbeit niederlegen. Es wurde mehr als 100.000-mal angesehen. Laut der TSA weigerten sich die Beschäftigten in den Forschungsbüros von Sonatrach in Boumerdes am Sonntagmorgen, ihre Büros zu betreten, und veranstalteten einen Sitzstreik vor dem Gebäude. Auch Beschäftigte des staatlichen Strom- und Gasanbieters Sonelgaz streikten.

Weitere Streiks fanden in der Industriezone Rouiba, 30 Kilometer östlich von Algier, statt, u.a. von Hunderten Beschäftigten des Bus- und Autoherstellers SNVI. Auch das Industriegebiet bei Bordj Bou Arréridj war betroffen.

Kleine private Händler und Ladenbesitzer im ganzen Land ließen als Unterstützungsgeste für den Streik ihre Geschäfte geschlossen, u.a. in der Innenstadt von Algier, in Ouargla, Constantine, Setif, Bouira, Bejaia, Tizi-Ouzou und Bordj Bou Arréridj.

Die mächtige Bewegung der algerischen Arbeiterklasse ist Teil einer wachsenden Welle von Streiks und Demonstrationen der Arbeiter im Maghreb und auf der ganzen Welt gegen die unternehmerfreundlichen Gewerkschaftsapparate.

Dieses Jahr kam es bisher zu einem eintägigen Generalstreik von 700.000 Arbeitern im benachbarten Tunesien, Massenstreiks von Lehrern auf fünf Kontinenten und wachsendem Widerstand der Autoarbeiter gegen Werksschließungen und Armutslöhne, darunter die Rebellion von 70.000 mexikanischen Maquiladora-Arbeitern, die der größte Streik in Nordamerika seit 20 Jahren war. Am Sonntag demonstrierten Tausende von Arbeitern algerischer Herkunft in Frankreich, einem Land, das bereits seit letztem November von den Protesten der „Gelbwesten“ erschüttert wird.

Im Vorfeld des Streiks hatten am letzten Freitag Hunderttausende Arbeiter und Jugendliche in ganz Algerien bei Demonstrationen Bouteflikas Rücktritt gefordert. Berichten zufolge soll der Präsident am Sonntag aus einem Krankenhaus in Genf, wo er sich laut seinen Beratern die letzten zwei Wochen über zu einer Routineoperation aufgehalten hat, nach Algerien eingeflogen worden sein. Der 82-jährige ist nach einem Schlaganfall im Jahr 2013 physisch nicht in der Lage, öffentlich Reden zu halten. Er ist eine Galionsfigur der inneren Kreise seines Regimes und des Militärs, das die wahre Macht ausübt.

Arbeiter der Ölraffinerie von Sonatrech legen die Arbeit nieder

Die algerische Arbeiterklasse wird nicht nur durch ihren Widerstand gegen Bouteflikas korruptes und verkrustetes Regime in den Kampf getrieben, sondern auch durch ihren Widerstand gegen Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit, für die dieses Regime verantwortlich ist.

Die offiziellen „Oppositionsparteien“ behaupten, sie würden die Bewegung gegen Bouteflika unterstützen. Allerdings stehen sie den Forderungen der Arbeiter genauso feindlich gegenüber wie das Regime. Sie wollen sicherstellen, dass seine Absetzung nur zu personellen Veränderungen führt, durch die sie selbst besseren Zugang zu Reichtum und Macht bekommen.

Am Freitag berichtete Al Jazeera, mehr als 30 Oppositionsparteien hätten sich in der Hauptstadt in der Zentrale der Partei Talaie El Hourriyet getroffen, die von Bouteflikas ehemaligem Premierminister Ali Benflis gegründet wurde. Unter diesen Parteien befand sich auch die Arbeiterpartei (PT) von Louisa Hanoune. All diese Parteien diskutieren mit der Militärführung und der Regierung über eine mögliche Machtübergabe mit dem Ziel, die wachsende Bewegung der Arbeiterklasse zu unterdrücken. Am Sonntagnachmittag veröffentlichte die FLN eine Erklärung, laut der sie dabei ist, „mit allen politischen Akteuren zusammenzuarbeiten, um aus dieser Krise einen Ausweg zu finden, der das nationale Interesse am wenigsten beeinträchtigt.“

Am Sonntag erklärte die PT-Vorsitzende Hanoune in der Tageszeitung El Watan, die Regierung müsse „auf die Wünsche der Bevölkerung eingehen und diesen hochgefährlichen Prozess aufhalten“, andernfalls „müsse sie die Verantwortung dafür übernehmen, dass das Land ins Chaos steuert“. Sie verurteilte nicht genannte Personen, die „zur Ablehnung der Parteien aufrufen“ und erklärte, diese würden „den revolutionären Aufruhr in einen Arabischen Frühling verwandeln, d.h. in ein blutiges Chaos“, das in einem „faschistischen Staat“ münde.

Streikende Arbeiter im Auto- und Busmontagewerk von SNVI in Rouiba

Tatsächlich ist die PT durch ihre jahrzehntelange Unterstützung für das Bouteflika-Regime diskreditiert. Wenn Hanoune vor „Chaos“ warnt, drückt sie die Angst des Regimes vor einer Revolution aus.

Mit ihrem Verweis auf den arabischen Frühling behauptet sie, dass alle Versuche der Arbeiter, den revolutionären Kampf aufzunehmen, mit einem neuen autoritären Regime (wie in Tunesien) oder einer Militärdiktatur (wie in Ägypten) enden wird.

Hierbei handelt es sich um einen Versuch, die Arbeiter politisch zu entwaffnen. Der Ausgang der Ereignisse in Ägypten und Tunesien sind darauf zurückzuführen, dass die Arbeiterklasse die Revolution nicht zu Ende führen, d.h. den Kapitalismus mangels einer revolutionären Führung nicht stürzen und einen Arbeiterstaat errichten konnte. Die PT versucht, die algerische Arbeiterklasse auf ein ähnlich blutiges Ergebnis vorzubereiten, indem sie sie den verschiedenen Teilen der algerischen Bourgeoisie unterordnet.

Dies verdeutlicht, wie notwendig es für die Arbeiterklasse ist, die grundlegenden politischen Lehren aus den revolutionären Massenkämpfen von 2011 zu ziehen. In Ägypten hat das Militär einen Staatsstreich durchgeführt, um die Kämpfe der Arbeiterklasse zu zerschlagen. Das Militär war dazu in der Lage, nicht weil die Arbeiter den revolutionären Kampf aufgenommen hatten, sondern weil sie nicht die notwendige revolutionäre Führung hatten, die sich auf die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution stützt. Deshalb konnte die herrschende Klasse die Arbeiterklasse desorientieren und ihre Kämpfe hinter die kapitalistischen Parteien kanalisieren.

Die wichtigste Aufgabe bleibt der Aufbau einer revolutionären Führung in der Arbeiterklasse auf der Grundlage der Theorie der permanenten Revolution, die Leo Trotzki, einer der Führer der Russischen Revolution und Gründer der Vierten Internationale, formuliert hat. Die grundlegenden sozialen Interessen der algerischen Arbeiter und unterdrückten Massen – soziale Gleichheit, demokratische Rechte und ein Ende der imperialistischen Herrschaft – können nur erreicht werden durch den Kampf für Arbeiterregierungen im ganzen Maghreb und der Welt, den Sturz des Kapitalismus und seine Ablösung durch den Sozialismus im Weltmaßstab. Für diese Perspektive kämpfen die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale.

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