„Das Schicksal von Julian Assange liegt in den Händen der internationalen Arbeiterklasse“

Am 14. April eröffnete die Sozialistische Gleichheitspartei ihren Europawahlkampf mit einer Veranstaltung in Berlin, auf der neben Kandidaten der SGP auch Vertreter des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aus anderen europäischen Ländern sprachen. Wir veröffentlichen hier den Beitrag von Chris Marsden, dem nationalen Sekretär der Socialist Equality Party in Großbritannien, der britischen Sektion des IKVI.

Das Internationale Komitee und seine Sektionen führen eine energische internationale Kampagne gegen die Verhaftung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange. Wir kämpfen gegen seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten, wo ihm eine Anklage droht, die mit dem Urteil lebenslänglich oder der Todesstrafe enden könnte.

Offiziell wird behauptet, er sei nur mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren konfrontiert, weil die USA eine weniger schwere Anklage erhoben hätten: dass Assange 2010 im Rahmen einer Verschwörung das Computernetzwerk des Pentagons gehackt habe. Doch diese Argumentation soll lediglich Ecuador als Ausrede dienen, um das Asylrecht zu brechen, und es dem Vereinigten Königreich ermöglichen, Assange in die USA auszuliefern, ohne ausdrücklich gegen das Völkerrecht zu verstoßen.

Die Regierenden sind sich bewusst, dass sie alles unternehmen müssen, um die gewaltige Empörung niederzuhalten, die Millionen Menschen empfinden, nachdem sie am Donnerstagmorgen die groteske Szene mit ansahen, wie Assange von grinsenden Polizeibeamten aus der Botschaft in einen Polizeiwagen geschleppt wurde.

Assange sah sehr krank und gequält aus, protestierte aber trotzdem lautstark und forderte Großbritannien auf, sich zu widersetzen.

Die erste Reaktion der Gossenpresse war, hämisch über Assange herzuziehen und ihn zu verleumden – mit geschmacklosen Geschichten über angebliche „schmutzige Proteste“ Assanges in der Botschaft und Beleidigungen des Botschaftspersonals. Und das war nur der Anfang.

Die britischen Medien haben jetzt eine tosende Kampagne gestartet, die vom rechten Flügel der Labour Party ausgeht. Schweden wird aufgefordert, erneut die falschen Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange zu erheben, damit er dorthin – statt in die USA – ausgeliefert wird.

Sicher sehen viele von Euch in Assange einen Helden, weil er eine zentrale Rolle dabei gespielt hat, die imperialistischen Kriegsverbrechen aufzudecken. Sogar die vorgeschobene Anklage wegen Hacking bezieht sich auf den Vorwurf, dass er Chelsea Manning, die ebenfalls inhaftiert wurde, geholfen hat, sich Zugang zu geheimen Dokumenten zu verschaffen, die US-Verbrechen belegen. Und Ihr seid nicht allein. Millionen Menschen fühlen genauso. Deshalb wollen die Herrschenden das Narrativ ändern.

Assange muss – ob er nun nach Schweden geschickt wird oder nicht – als jemand dargestellt werden, dem niemand eine Träne nachweint, wenn er in einem US-Gefängnis verrottet oder stirbt.

Die Art und Weise, wie dies versucht wird, zeigt drei Dinge:

1. die Brutalität des britischen und internationalen Imperialismus und die Anstrengungen, zu denen er bereit ist, um seine Herrschaft gegen die politischen Herausforderungen zu verteidigen;

2. die Unmöglichkeit, unter der Leitung der Gewerkschaftsbürokratie und ihrer pseudolinken Anhänger gegen diese reaktionäre Rechtswende zu kämpfen;

3. die Notwendigkeit einer neuen revolutionären Führung.

Ursprünglich sollte ich heute über die Brexit-Krise und ihre Auswirkungen auf Europa sprechen – aber das kann nicht vom Widerstand gegen die Verfolgung von Assange getrennt werden.

Am Mittwoch sicherte sich Theresa May eine sechsmonatige Verlängerung der Brexit-Frist inmitten der schwersten Krise des britischen Imperialismus seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Am nächsten Morgen wurde Assange verhaftet.

May, die eigentlich gar nicht mehr an der Regierung sein dürfte, begann daher ihre Rede im Parlament, indem sie sich hämisch über Assanges Verhaftung freute und sich damit brüstete, dass in dem wunderbaren Vereinigten Königreich von Großbritannien angeblich niemand über dem Gesetz stehe.

Die Abgeordneten bezeugten grölend ihre Zustimmung. Labour-Chef Jeremy Corbyn sagte nichts, weil er damit seiner staatsmännischen Pose schaden könnte, die er im Zuge der Gespräche mit May über einen akzeptablen Brexit-Weg eingenommen hat.

Er wusste jedoch, dass er zu Assange nicht völlig schweigen konnte, wie er es seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2015 als Labour-Vorsitzender getan hat.

Der nächste Tagesordnungspunkt des Parlaments war eine Erklärung von Innenminister Sajid Javid über die Verhaftung von Assange. Corbyn und fast alle Labour-Abgeordnete verließen den Saal, bis auf ein paar wenige, darunter die Schatten-Innenministerin Diane Abbot, die antworten musste.

Sie sagte, was jeder weiß: „Julian Assange ist gerade deshalb ins Fadenkreuz der US-Regierung geraten, weil er illegale Kriege, Massenmord, Tötung von Zivilisten und Korruption im großen Stil aufgedeckt hat.“ Sie forderte, seine Auslieferung abzulehnen.

Corbyn twitterte später, dass er das unterstütze – in nur 24 Worten.

Aber selbst als Abbot und Corbyn ihr Schweigen brachen, war bereits klar, dass sie weder willens noch fähig sind, auch nur einen Finger für die Verteidigung Assanges zu rühren. Sie stehen an der Spitze einer Partei, die von reaktionären Schurken bevölkert wird.

Die Rede Abbots gab den Anstoß zu einer Anti-Assange-Offensive des Blair-Flügels der Labour-Partei. Zwei seiner Vertreter, Jess Phillips und Stella Creasey, schickten einen Brief an Javid und Abbot, der von 70 Abgeordneten und einigen Lords, hauptsächlich der Labour Party, aber auch von den Konservativen, unterzeichnet wurde.

Darin beschweren sich Phillips und Creasey: „Die Aufmerksamkeit der Medien konzentriert sich zur Zeit auf die Entscheidung der US-Behörden, die Auslieferung zu beantragen.“ Sie hingegen drängen Javid und Abbot, „zu bestätigen, dass Ihr Schweden jede erdenkliche Unterstützung gewährt, wenn es die Ermittlungen gegen Assange wieder aufnehmen und fortsetzen will“.

Nach dieser Rüge ließ Corbyns jede Verteidigung Assanges fallen. Er erklärte gegenüber ITV, dass der US-Auslieferungsantrag „eine Angelegenheit der britischen Gerichte“ sei und dass Assange unbedingt den Vorwürfen in Bezug auf Schweden antworten müsste. „Vor solchen Anschuldigungen darf es kein Verstecken geben“, so Corbyn.

Damit sind die Schleusen geöffnet. Die Medien reihten sich ein, das gesamte Spektrum. Aber keine Zeitung war so eifrig wie der vermeintlich liberale Guardian, in dessen Sonntagsausgabe, dem Observer, ein Leitartikel erschien, in dem es hieß:

„Es ist nicht schwer, Julian Assange zu verachten. Seit sieben Jahren versucht er, Anklagen wegen Vergewaltigung und sexueller Gewalt in Schweden zu entkommen, indem er in der ecuadorianischen Botschaft in London Asyl beantragt.... Seine Ausrede, warum er sich in Schweden nicht den Gerichten stellen wollte – dass er dann in die USA ausgeliefert werden würde –, war schon immer Quatsch.“

Noch einmal: Dafür verantwortlich ist Corbyn. Julians Mutter Christine twitterte ganz richtig:

„Leere Worte von Corbyn! NEIN zur Auslieferung an UK/US, aber JA zur recycelten UK/SCHWEDEN-Auslieferung! Er weiß sehr gut, dass der schwedische (nicht zur Anklage gelangte) ‚Fall‘ eine politische Falle war!“

Das weiß er in der Tat!

Und seine Schatten-Außenministerin Emily Thornberry machte deutlich, dass das Endziel gleich bleibt – die Auslieferung an die USA.

Sie sagte der BBC: „Was meiner Meinung nach passieren sollte, ist, dass er nach Schweden ausgeliefert wird, und dann können die Amerikaner einen weiteren Antrag auf Auslieferung aus Schweden stellen.“

Noch ein letzter Punkt: Die pseudolinke Socialist Workers Party – hier in Deutschland Marx 21 –, die seit 2012 nichts über Assange geschrieben hat, brach ebenfalls ihr Schweigen, um die Forderung des Blair-Flügels nach einer Auslieferung zu unterstützen!

„Assange sollte nicht in die USA geschickt werden“, schrieb Charlie Kimber. Aber „Assange sollte in Schweden vor Gericht gestellt werden, wenn die Frau, die die Beschwerde eingereicht hat, damit weitermacht.“

Hier zeigt sich die Situation, in der sich die Arbeiterklasse befindet, wie in einem Mikrokosmos. Die herrschende Klasse führt überall aggressive Handelskriege und brutale koloniale Eroberungskriege. Die Arbeiter müssen mit brutaler Sparpolitik dafür bezahlen. Und das wiederum bedeutet einen Bruch mit demokratischen Herrschaftsformen, so dass sich Szenen, die an die Gesetzlosigkeit des faschistischen Deutschland in den 1930er Jahren erinnern, heute in der exklusiven Londoner Knightsbridge, 200 Meter von Harrods entfernt, vor aller Augen abspielen.

Die Arbeiterklasse will dagegen ankämpfen. Deshalb wollen so viele Assange verteidigen. Aber die Arbeiterklasse steht vor dem Problem ihrer verrotteten Führer, ihrer verrotteten Parteien und verrotteten Gewerkschaften, die für die andere Seite arbeiten.

Denkt daran, dass Corbyn immer noch als große Hoffnung für eine linke Erneuerung hochgehalten wird, obwohl er vor nichts zurückschreckt, um jeden Kampf der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu verhindern.

Corbyns Äußerungen, mit denen er Assange den Wölfen zum Fraß vorwirft, wurden veröffentlicht, nachdem er auf dem walisischen Labour-Parteitag über seine Gespräche mit May berichtet hatte. Ohne zu erröten, erklärte er den Delegierten: „Ich muss sagen, es ist eine Herausforderung, mit einer Regierung zu verhandeln, die gerade zusammenbricht.“ Es sei „skandalös“, beschwerte er sich dann, dass die Gespräche „so spät im Brexit-Prozess begannen“.

Corbyn weiß, dass ihm die Rolle zukommt, eine zusammenbrechende Tory-Regierung zu stützen und zu verhindern, dass die Arbeiterklasse politisch aktiv wird und ihre eigenen Interessen verteidigt. Und wer oder was dieser Mission im Wege steht, wird ohne Gnade geopfert.

Die Socialist Equality Party und unsere Schwesterparteien in Deutschland, Frankreich und der ganzen Welt repräsentieren die Alternative zu diesem ständigen politischen Verrat und den Niederlagen. Wir sind der bewusste politische Ausdruck des Widerstands der Arbeiterklasse. Unser Ziel ist es, Arbeiter und Jugendliche mit einer sozialistischen Perspektive zu rüsten, um den Sieg zu erringen.

Deshalb kandidieren wir bei den Europawahlen, und am Anfang dieses Kampfs steht die Verteidigung von Julian Assange und Chelsea Manning, die so viel getan haben, um imperialistische Verbrechen aufzudecken, und deren Schicksal jetzt in den Händen der einzigen sozialen Kraft liegt, die solche Verbrechen beenden kann – der internationalen Arbeiterklasse.

In den nächsten Wochen werden wir Veranstaltungen, Proteste und Demonstrationen organisieren, um Assanges sofortige Freilassung und sichere Rückkehr nach Australien zu fordern. Ich rufe Euch alle auf, euch dieser Offensive anzuschließen und Mitglieder der SEP zu werden.

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