Syriza-Regierung ordnet Zwangsräumung von Flüchtlingen und Asylsuchenden an


Hunderte Menschen versammelten sich am 22. April auf dem zentralen Platz von Mytilene, der Hauptstadt der Insel Lesbos, um in einem stillen Protest dem ersten Jahrestag des brutalen Angriffs von Rechtsextremen auf hauptsächlich afghanische Flüchtlinge zu gedenken.

2018 hatten Asylsuchende, darunter Frauen und Kinder, auf diesem Platz gegen ihre Internierung im Lager Moria und die Verzögerung ihrer Asylanträge protestiert, als sie von einem faschistischen Mob von etwa 200 Mann attackiert wurden. Der Angriff fand unter den Augen der lokalen Polizei statt, die Berichten zufolge Anweisung hatte, nicht gegen die Schläger vorzugehen, sondern sie lediglich aufzulösen. So konnte der Mob einen Polizeikordon durchbrechen und Steine, Flaschen und Fackeln auf die Flüchtlinge werfen. 35 Menschen wurden verletzt.

Der diesjährige Protest wurde von „Demokratisches Mytilene“ organisiert, einer lokalen Koalition pseudolinker Gruppen, die sich hauptsächlich aus Mitgliedern von Syriza und Volkseinheit zusammensetzt und Anfang dieses Jahres als Wahlbündnis für die bevorstehenden Kommunalwahlen gegründet wurde. Das Bündnis erklärte, dass „die Schuldigen sowie ihre moralischen Anstifter ein Jahr nach den Ereignissen jener Tage ungestraft bleiben. Mit ihrem Handeln vergiften sie jedoch weiterhin die Gesellschaft, spalten die Bürger und schüren mit ihren Lügen Hass.“

Tatsächlich ist aber Syriza der wichtigste „moralische Anstifter“.

In dem Maße, wie die herrschenden Eliten Europas immer offener die rechtsextreme Politik übernehmen und faschistische Bewegungen ermutigen, ist Syriza nur allzu gerne bereit, ihre Dienste zur Verfügung zu stellen.

In den vier Jahren seit ihrer Machtübernahme im Januar 2015 hat Syriza nicht nur die zentrale Rolle bei der Fortsetzung und Vertiefung der von der EU diktierten Sparmaßnahmen gespielt, die Millionen Griechen ins Elend getrieben haben. Sie steht auch an der Spitze der Angriffe gegen Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten durch die Europäische Union (EU) .

Zur Zeit sind mehr als 70.000 Flüchtlinge in Griechenland in überfüllten Lagern auf dem Festland und den Inseln interniert. Das ist die Folge des schmutzigen Abkommens zwischen der EU und der Türkei im Jahr 2016, das vorsieht, alle Flüchtlinge, die aus der Türkei nach Griechenland kommen, bis zur Bearbeitung ihres Falls zu internieren. Das Ziel ist, sie am Ende wieder in die Türkei abzuschieben. Dafür hat Athen mehr als 2 Milliarden Euro von der EU erhalten, und die Türkei soll 6 Milliarden Euro erhalten.

Über 7.000 Flüchtlinge befinden sich im Lager Moria, das nur eine Kapazität für rund 2.000 Menschen hat.

Ein Oxfam-Bericht, der diesen Januar erschien, enthüllt die schrecklichen Zustände in Moria und stützt sich dabei auf Augenzeugenberichte von Helfern und internierten Flüchtlingen.

Sonia Andreu, die auf Lesbos den Zufluchtsort „Bashira“ für schutzbedürftige Asylbewerberinnen leitet, bezeichnet Moria als „Hölle“.

„Ich kenne Frauen, die nur vier Tage nach einer Kaiserschnittgeburt mit ihren Neugeborenen nach Moria zurückgebracht wurden“, schildert sie gegenüber Oxfam. „Sie sollen sich von der Geburt unter schmutzigen, ungesunden Bedingungen erholen.“

„Es ist wirklich schwierig, einen Arzt aufzusuchen“, sagt Shala, eine afghanische Geflüchtete, die Mitte vierzig ist. „Es gibt nur einen Arzt für das ganze Lager. Du musst auf dem Totenbett liegen, bevor sie deine Probleme ernst nehmen.“

Laut Oxfam gab es den ganzen November über überhaupt keinen Arzt, nachdem der Lagerarzt gekündigt hatte.

Der Bericht hebt auch die unhygienischen Bedingungen hervor, die durch die Überbelegung entstehen. „70 Menschen müssen sich eine Toilette teilen, deshalb ist die Hygiene sehr schlecht“, sagt John, ein NGO-Mitarbeiter auf Lesbos. „Es gibt viele kleine Kinder und Babys im Lager. Manchmal haben die Leute nicht einmal ein Zelt – und der Winter kommt. Im Olivenhain gibt es Schlangen, Skorpione und Ratten.“

Drei Tage vor dem stillen Protest auf Lesbos hatten 60 Flüchtlinge ein Lager am Syntagma-Platz in Athen gegenüber dem griechischen Parlament errichtet. Sie hatten selbstgemachte Plakate dabei, auf denen sie die unmenschliche Behandlung anprangerten: „Vom Polizeistaat vertrieben“, heißt es auf einem, „Warum müssen wir in Zelten leben, wenn es so viele leere Gebäude gibt?“ auf einem anderen.

Sie protestierten gegen die jüngste Zwangsräumung am 18. April. Behelmte und maskierte Bereitschaftspolizisten hatten die Hausbesetzungen „Clandestina“ und „Cyclopi“ im Athener Stadtteil Exarchia beendet und die Flüchtlinge vertrieben. 68 Menschen, darunter 25 Kinder, hatten etwa ein Jahr lang in den besetzten Häusern gelebt. Nur eine Woche zuvor, am 11. April, wurden die Hausbesetzungen „Azadi“ und „Babylonia“, ebenfalls in Exarchia, von rund 200 Bereitschaftspolizisten geräumt. Mit den Vertreibungen an den vier Standorten verloren schätzungsweise 200 bis 300 Flüchtlinge ihr Obdach.

In einem Beitrag auf Infomobil, einem Blog, der über die Notlage von Flüchtlingen in Griechenland berichtet, beschrieb eine Mutter von drei Kindern ihre Vertreibung aus Clandestina: „Ich schlief mit meinen Kindern. Als ich plötzlich aufwachte, sah ich vor meinen Augen Waffen. Überall war Polizei. Ich habe versucht, unsere wichtigsten Sachen zusammen zu sammeln. Die Polizei brüllte: ‚Schnell, schnell!‘ Zwei meiner Kinder haben Herzprobleme. Eines hat Asthma.“

Ein anderer Flüchtling und ehemaliger Bewohner von Clandestina erzählte Infomobil: „Alles, was ich hatte, ist jetzt in diesem verschlossenen Gebäude: Meine Steuernummer, meine Sozialversicherungsunterlagen, medizinische Papiere… Ich bin wieder bei Null. Sie haben uns nichts mitnehmen lassen.“

Das Ministerium für Migrationspolitik gab eine Erklärung ab, die die ganze Verachtung der Regierung für die Flüchtlinge zum Ausdruck bringt. Darin heißt es, die Geflüchteten hätten „ein negatives Bild von sich selbst in der griechischen Öffentlichkeit hervorgerufen“, weil sie sich weigerten, den Syntagma-Platz zu verlassen.

Das Syntagma-Camp wurde am 20. April geräumt, nachdem man die protestierenden Flüchtlinge Berichten zufolge auf verschiedene Haftzentren im ganzen Land verteilt hatte.

Der Bezirk Exarchia befindet sich seit Wochen unter einer nahezu dauerhaften Belagerung durch den Staat. Syriza ordnet diese Polizeioperationen an, um sich als verantwortungsbewusste Law-and-Order-Partei zu präsentieren. Die stellvertretende Ministerin für Bürgerschutz Katerina Papakosta-Sidiropoulou kommentierte die Räumungen in den sozialen Medien: „Bravo an die griechische Polizei für die jüngste, gut organisierte Operation in Exarchia. Die Polizisten haben Schachmatt gesetzt. Sie haben bewiesen, dass sie nicht auf den Monat August [die Urlaubssaison] warten, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten.“

Die Zwangsräumungen in Exarchia sind der Höhepunkt einer monatelangen Kampagne in den griechischen Medien über mutmaßliche kriminelle Aktivitäten in dem Stadtteil. So wurde behauptet, angebliche Migrantenbanden würden zusammen mit anarchistischen Gruppen, die seit langem im Bezirk präsent sind, Schmuggel und Drogenhandel betreiben. Diese Berichte haben nur ein Ziel: Flüchtlinge und Asylbewerber zu dämonisieren. Sie werden begleitet von dem üblichen Law-and-Order-Geschrei nach einem harten Vorgehen gegen die „No-Go-Zone“ in Exarchia.

Hinter den Zwangsräumungen stehen größere wirtschaftliche Interessen. Der Bezirk ist Teil der kürzlich vorgestellten Pläne zur Erneuerung des Stadtzentrums. Im Februar schrieb die Wirtschaftszeitung capital.gr: „Anaplasi PLC, deren Ziel es ist, Arbeiten zur Stadterneuerung durchzuführen, überprüft in Zusammenarbeit mit der Metro Attika drei neue Möglichkeiten, um einen geeigneten Ort für eine Metro-Haltestelle in Exarchia zu finden. Das Ziel ist es, den öffentlichen Raum auf dem Exarchia-Platz zu erhalten, der aber heute ein Anziehungspunkt für kriminelle Aktivitäten ist.“

Viele Investoren betrachten Exarchia und andere heruntergekommene Gebiete in der Athener Innenstadt als Goldgrube und wollen dort Immobilien erwerben. Auf in.gr erklärte Lefteris Potamianos, Präsident des Immobilienmaklerverbandes Athen-Attika, dass die Immobilienpreise im Bezirk im vergangenen Jahr um 30 Prozent gestiegen sind: „Das sind nicht nur Wohnungen, sondern seltsamerweise auch ganze Häuserblöcke, die aufgekauft wurden und für Airbnb-Wohnungen oder Hotels vorgesehen sind. Diese Verkäufe erfolgten alle im letzten Jahr.“

Siehe auch:

Griechenland: Syriza-Regierung mobilisiert Bereitschaftspolizei gegen Flüchtlinge

[19. April 2019]

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