„Ungleiches Deutschland“ – neue Studie untersucht regionale Unterschiede

In den vergangenen Jahren haben der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und andere Studien das Ausmaß der Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland aufgedeckt. Eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) fügt dem nun einen weiteren Aspekt hinzu: die gravierenden regionalen Unterschiede.

Experten des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dortmund haben im Auftrag der FES untersucht, wie ungleich die Lebensbedingungen in den 402 Kreisen und kreisfreien Städten sind. Die Ende April vorgelegte Studie trägt den Titel: „Ungleiches Deutschland – Sozioökonomischer Disparitätenbericht 2019”.

Im Unterschied zu anderen Studien, die meistens nur ein oder zwei Kriterien untersuchen, wurden hier zahlreiche Indikatoren zugrunde gelegt: Wie hoch sind die Kommunen verschuldet? Wie hoch sind die Einkommen und die Mieten? Wie viele alte Menschen und Kinder leben von Sozialhilfe? Was ist der Zustand der Infrastruktur, der medizinischen Versorgung und von ähnlichem.

Auf dieser Grundlage wurde Deutschland in fünf Regionen eingeteilt:

  • Dynamische Groß- und Mittelstädte mit Exklusionsgefahr (22,7 Millionen Einwohner) – Dazu zählt die Studie Städte wie München und Hamburg, aber auch Gera und Frankfurt an der Oder.
  • Starkes (Um-) Land (13,7 Millionen Einwohner) – Hierzu zählt die Studie das Umland von München, Hamburg, Frankfurt am Main und Stuttgart
  • Solide Mitte (32,8 Millionen Einwohner) – Dazu zählt die Studie einen großen Teil Westdeutschlands außerhalb der großen Städte. Als typisch werden der Odenwald, das Sauerland und Göttingen aufgeführt.
  • Ländliche Räume in dauerhafter Strukturkrise (8,1 Millionen Einwohner) – Hier sind vor allem die ländlichen Gebiete in Ostdeutschland betroffen.
  • Städte im dauerhaften Strukturwandel (5,4 Millionen Einwohner) – Hierzu zählen viele Städte im Ruhrgebiet wie Duisburg, Dortmund, Gelsenkirchen, aber auch das Saarland und Städte in Rheinland-Pfalz.

Ein zentrales Ergebnis der umfassenden Studie lautet: Die soziale und ökonomische Ungleichheit hat sich verfestigt, trotz Wirtschaftswachstum und Anstieg der Beschäftigung in den letzten Jahren!

Und dieses Wirtschaftswachstum droht gerade zu versiegen. Mehrmals wurden die Prognosen in den letzten Monaten nach unten korrigiert. Die Verschärfung der kapitalistischen Wirtschaftskrise, die Unsicherheiten, die mit dem Brexit, dem sich verschärfenden Handelskrieg sowie technischen Umwälzungen verbunden sind, bedrohen Zehntausende Arbeitsplätze. Die Ankündigung von massiven Arbeitsplatzabbau bei Ford, VW, Bayer, Siemens und anderen Konzernen sind nur der Anfang.

Die Studie der FES hält fest: Mehr als 13,5 Millionen Menschen in Deutschland leben in Regionen mit schweren Strukturproblemen. Aber auch in den „dynamischen Boomregionen“ wächst der Graben zwischen Arm und Reich. Hier drohen Menschen mit mittlerem Einkommen, Familien mit Kindern und Rentner in die Armut abzurutschen. Viele werden verdrängt, weil sie die steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten in den wachsenden Städten nicht mehr zahlen können.

Verschärfend kommt hinzu, dass 2017 bei fast jedem fünften Haushalt, der Hartz IV bezieht, nicht die vollen Wohnkosten anerkannt und praktisch vom eigentlichen Existenzminimum abgezogen werden.

Weiter heißt es in der Studie: „Die Ursachen der Strukturprobleme sind unterschiedlich. Während die städtisch geprägten Regionen im Westen des Landes den Bedeutungsverlust altindustrieller Wirtschaftszweige (z.B. Bergbau und Schwerindustrie) zu bewältigen haben, sind in den vornehmlich ländlich geprägten Regionen Ostdeutschlands die Nachwirkungen der deutschen Wiedervereinigung und des nachfolgenden Zusammenbruchs ganzer Wirtschaftszweige und Arbeitsmärkte der DDR zu spüren.”

Dies ist eine stark beschönigte Beschreibung der Vernichtung der ehemals verstaatlichten Industrie in der DDR durch westliche kapitalistische Konzerne mit Hilfe der Treuhand und der früheren stalinistischen Bürokratie. Sie zerstörten Millionen Arbeitsplätze, während sie sich selbst obszön bereicherten.

Die Studie hält fest, dass Kinderarmut in fast allen Großstädten und deren Umland ein Problem ist. „Sehr hohe Werte von 25 bis nahezu 40 Prozent im Ruhrgebiet, Bremen, Berlin und in einigen ostdeutschen Großstädten weisen darauf hin, dass hier weite Teile der Bevölkerung eine Armutserfahrung durchlaufen und zudem auf ihrem Lebensweg auf weitere soziale Benachteiligungen treffen,” heißt es in dem Bericht.

Und an anderer Stelle: „So ist zum Beispiel die Armutsgefährdung von Kindern und älteren Mitbürger_innen ein generelles Problem von Großstädten, die Extremwerte zwischen den dynamischen Groß- und Mittelstädten mit Exklusionsgefahr und den städtisch geprägten Regionen im andauernden Strukturwandel liegen nicht weit auseinander (Kinderarmut: Halle an der Saale mit 31,9 Prozent beziehungsweise Gelsenkirchen mit 39,5 Prozent; Altersarmut: Frankfurt am Main mit 8,8 Prozent beziehungsweise Offenbach am Main mit 8,9 Prozent).”

Die Studie der FES bietet auch zu Lebenserwartung, Gesundheit, Bildung und anderen Bereichen eine Menge empirisches Material. Sie sagt aber nichts über die Ursachen dieser Entwicklung und die Verschärfung der sozialen Ungleichheit: das kapitalistische Profitsystem.

Die Verfasser der Studie wollen (wie auch schon mit einer ähnlichen Studie aus dem Jahr 2015) der Politik Handlungsvorschläge unterbreiten für „gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland“, ein Ziel das auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht.

Einer ihrer Vorschläge besteht darin, dass Bund und Länder hoch verschuldeten Kommunen einen Schuldenschnitt finanzieren, gebunden an strikte Auflagen. Dabei ist es genau diese Politik, die zu der katastrophalen finanziellen Lage in vielen überschuldeten Kommunen geführt hat.

Sie erinnert an die Austeritätspolitik der EU in Griechenland. Die Milliardenkredite wurden genutzt, um die Banken zu retten. Deutsche Banken profitierten ganz besonders davon. Millionen Arbeiter bezahlten dafür mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, massiven Einbußen bei Löhnen und Renten und der Zerstörung des Gesundheitssystems. Es wurde eine soziale Katastrophe angerichtet, wie man sie außerhalb von Kriegszeiten vorher nie gesehen hatte, und diese Katastrophe geht weiter.

Das Ausmaß der Konzentration von Reichtum und Armut in Deutschland macht eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) deutlich: Danach besitzen die 45 reichsten Haushalte in Deutschland so viel wie rund 20 Millionen Haushalte der ärmeren Hälfte der Bevölkerung. Die Zahlen, auf die sich diese Studie stützt, stammen aus dem Jahr 2014. Die soziale Polarisierung hat seit dieser Zeit noch weiter zugenommen.

Diese Entwicklung ist das Ergebnis einer dramatischen Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben – ein internationales Phänomen. Sie ist nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis der Politik der letzten Jahrzehnte.

In Deutschland hat die SPD-Grünen-Regierung mit der Einführung von Hartz IV einen riesigen Niedriglohnsektor mit unsicheren Arbeitsplätzen geschaffen, der maßgeblich zu der starken sozialen Polarisierung beigetragen hat. Die folgenden Regierungen unter Angela Merkel haben daran angeknüpft, und jetzt bereitet die Große Koalition weitere scharfe Angriffe auf die Arbeiterklasse vor, um die rasante militärische Aufrüstung zu finanzieren.

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