„Letztendlich haben wir nichts als die Wahrheit“: Julian Assange bittet Öffentlichkeit um Unterstützung

In der ersten Erklärung, die seit seiner Festnahme an die Öffentlichkeit gelangt ist, schildert der Gründer und Herausgeber von WikiLeaks, Julian Assange, die repressiven Haftbedingungen im Belmarsh-Gefängnis und ruft zu einer Kampagne gegen seine drohende Auslieferung an die USA auf.

„Ich kann mich nicht selbst wehren und zähle auf dich und andere Menschen mit gutem Charakter, um mein Leben zu retten“, schreibt Assange, und schließt mit den Worten. „Letztendlich haben wir nichts als die Wahrheit.“

Assange äußert sich in einem Brief an den unabhängigen britischen Journalisten Gordon Dimmack. Nachdem das US-Justizministerium am vergangenen Donnerstag angekündigt hatte, im Rahmen des Spionagegesetzes zusätzliche Anklagen gegen Assange zu erheben, entschied sich Dimmack, das Schreiben zu veröffentlichen. Mit seiner Genehmigung geben wir den Brief unten ungekürzt im Wortlaut wieder.

Assange erklärt, dass ihm seit seiner Verhaftung am 11. April jede Möglichkeit verwehrt wird, sich auf seine Verteidigung vorzubereiten, „bis heute kein Laptop, kein Internet, kein Computer, keine Bibliothek, aber selbst wenn ich Zugang bekomme, wird es nur eine halbe Stunde pro Woche gemeinsam mit allen anderen sein“.

Besuch, so der WikiLeaks-Gründer, gestatte man ihm nur „zweimal pro Monat, und es dauert Wochen, bis jemand auf die Anrufliste gesetzt wird“.

Alle seine Telefonate, mit Ausnahme von Anwaltsgesprächen, werden überwacht und auf maximal zehn Minuten begrenzt. Es gibt ein Zeitfenster von nur 30 Minuten pro Tag für Gespräche, „in dem alle Häftlinge um das Telefon konkurrieren“. Assange erhält nur ein paar britische Pfund Telefonguthaben pro Woche und darf keine eingehenden Anrufe entgegennehmen.

Trotz dieser Schikanen sei er „ungebrochen, wenn auch buchstäblich von Mördern umgeben. Aber die Tage, an denen ich lesen und sprechen und mich organisieren konnte, um mich, meine Ideale und meine Leute zu verteidigen, sind einstweilen vorbei, bis ich wieder frei bin. Ihr alle müsst meinen Platz einnehmen.“

Der Gründer von WikiLeaks erklärt, dass er mit „einer Supermacht“ konfrontiert ist, die „sich seit 9 Jahren mit Hunderten von Menschen und ungezählten Millionen“ darauf vorbereitet, ihm den Prozess zu machen.

Er warnt: „Die US-Regierung bzw. die bedauerlichen Kräfte, die Freiheit, Gerechtigkeit und die Wahrheit hassen, möchten eher per Betrug meine Auslieferung und meinen Tod herbeiführen, als dass die Öffentlichkeit die Wahrheit erfährt, für die ich die höchsten Journalismus-Auszeichnungen erhalten habe und siebenmal für den Friedensnobelpreis nominiert wurde.“

Die neuen US-Anklagen bestätigen, was Assanges in seinem jüngsten Schreiben und in den letzten neun Jahren ständig erklärt hat: dass er wegen der Aufdeckung von Kriegsverbrechen, Massenüberwachung und globalen diplomatischen Verschwörungen aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt wird.

Auf den 17 neuen Anklagepunkten gegen Assange steht insgesamt eine Freiheitsstrafe von 175 Jahren. Sie sind ein historisch beispielloser Versuch, investigativen Journalismus zu kriminalisieren und die in der Verfassung garantierte Pressefreiheit abzuschaffen.

Die Anklage bezieht sich auf die Entgegennahme und Veröffentlichung von geheimen Dokumenten der US-Regierung durch WikiLeaks. Diese Hauptaufgabe des Journalismus wird als Straftat dargestellt, die „die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten zum Vorteil unserer Gegner ernsthaft gefährdet hat“.

Zu den betreffenden Dokumenten gehören u. a. Protokolle aus dem Afghanistankrieg, die die außergerichtliche Tötung von Zivilisten durch US-geführte Streitkräfte und andere Verstöße gegen das Völkerrecht beweisen.

Im weiteren Verlauf seines Briefs geht Assange auf die anhaltende politische Verschwörung ein, zu der auch seine illegale Verschleppung aus der ecuadorianischen Botschaft in London und seine Inhaftierung durch die britischen Behörden gehören.

Nur wenige Stunden nach seiner Verhaftung wurde er aufgrund einer Anklage der britischen Staatsanwaltschaft verurteilt. Der Richter setzte sich darüber hinweg, dass der angebliche Verstoß gegen Kautionsauflagen infolge von Assanges jahrelanger De-facto-Inhaftierung in dem kleinen Botschaftsgebäude und seines – von den Vereinten Nationen bestätigten – Status als politischer Flüchtling längst hinfällig war.

Trotz des geringfügigen Charakters der Straftat, für die er verurteilt wurde, wird Assange in einem Hochsicherheitsgefängnis in fast völliger Isolation festgehalten. Damit soll verhindert werden, dass er sich gegen den Auslieferungsantrag der Trump-Regierung verteidigen kann. Dasselbe gilt für die wiederaufgenommenen schwedischen Ermittlungen wegen angeblichen sexuellen Fehlverhaltens, die darauf abzielen, seinen Ruf zu schädigen und eine alternative Route in ein US-Gefängnis zu ebnen.

Assanges Aufruf zu einer Kampagne für seine Verteidigung fällt mit dem wachsenden Widerstand gegen seine Verfolgung zusammen, der sich insbesondere gegen die unter Spionagegesetz erhobenen Anklagepunkte richtet.

In einem fast 5.000 Mal geteilten Tweet warnt der investigative Journalist John Pilger: „Der Krieg gegen Julian #Assange ist jetzt ein Krieg gegen uns alle. Achtzehn absurde Anschuldigungen, darunter Spionage, sind eine eindeutige Drohung an jeden Journalisten, jeden Verleger... Der moderne Faschismus kommt aus der Deckung.“

Die American Civil Liberties Union brandmarkte die Anschuldigungen als „eine außerordentliche Eskalation der Angriffe der Trump-Administration auf den Journalismus und einen gefährlichen Präzedenzfall, der benutzt werden kann, um gegen alle Nachrichtenorganisationen vorzugehen, die die Regierung durch die Veröffentlichung ihrer Geheimnisse zur Rechenschaft ziehen“.

Die Freedom of the Press Foundation bezeichnete die neue Anklage als „die bedeutendste und schlimmste Bedrohung für die Presse- und Meinungsfreiheit im 21. Jahrhundert“.

In Australien wird die Forderung an die Regierung lauter, ihren Verpflichtungen gegenüber Assange als australischer Staatsbürger und Journalist nachzukommen. Der ehemalige Labour-Politiker Bob Carr warnte am Freitag zynisch, dass Außenministerin Marise Payne „sich vor dem Vorwurf schützen muss, dass sie ihre Pflicht, das Leben eines australischen Bürgers zu schützen, nicht erfüllt hat“.

Greg Barns, ein in Australien ansässiger Berater von Assange, erklärte: „Australien hat hier eine Rolle zu spielen, und unserer Meinung nach muss die australische Regierung eingreifen.“ Das Strafverfahren gegen den WikiLeaks-Gründer in den USA laufe auf eine extraterritoriale Anwendung des US-Rechts hinaus. Dies bedeute, dass „jeder, der Informationen veröffentlicht, die die USA irgendwo auf der Welt als geheim eingestuft haben“, von der US-Regierung ins Visier genommen werden könne.

In den letzten 18 Monaten haben die WSWS und die Sozialistischen Gleichheitsparteien auf der ganzen Welt im Kampf gegen die Verfolgung von Assange eine herausragende Rolle gespielt.

Die Socialist Equality Party Australiens hat auf einer ganzen Reihe von Kundgebungen die Forderung aufgestellt, dass die australische Regierung die Freilassung von Assange in Großbritannien und seine Rückkehr nach Australien bewirken und überdies garantieren muss, dass er nicht an die USA ausgeliefert wird.

Zu diesen Kundgebungen fanden sich Hunderte Teilnehmer ein. Neben dem nationalen Sekretär der SEP James Cogan sprachen dort auch bekannte Persönlichkeiten, die sich für demokratische Rechte einsetzen, darunter der Journalist John Pilger, der Chefredakteur von Konsortiums News, Joe Lauria, und Professor Stuart Rees.

Die SEP Großbritanniens hielt am 12. Mai in London eine Veranstaltung ab, an der 150 Unterstützer von Assange Rednern aus aller Welt zuhörten. Sie wurde auf Dimmacks YouTube-Seite live gestreamt und von Tausenden verfolgt.

Unter dem Motto „Freiheit für Julian Assange“ veranstaltete die Sozialistische Gleichheitspartei am 18. Mai in Berlin eine Kundgebung mit 300 Teilnehmern.

In den kommenden Wochen werden die WSWS und die Sozialistischen Gleichheitsparteien den Kampf gegen die Auslieferung Assanges an die USA und für seine vollständige Freiheit verstärken. Wir appellieren an alle Verteidiger von Bürgerrechten, sich diesem Kampf anzuschließen. Er ist die Speerspitze der Verteidigung demokratischer Rechte und des Widerstands gegen imperialistischen Krieg.

Assanges nächste Anhörung findet am Donnerstag, den 30. Mai vor dem Westminster Magistrates Court in London statt. Wir rufen alle Leser der WSWS in Großbritannien dringend auf, sich dort einzufinden.

Nachfolgend der vollständige Wortlaut des Briefs von Assange an Gordon Dimmack:

Mir wird jede Möglichkeit verwehrt, mich auf meine Verteidigung vorzubereiten, bis heute kein Laptop, kein Internet, kein Computer, keine Bibliothek, aber selbst wenn ich Zugang bekomme, wird es nur für eine halbe Stunde pro Woche gemeinsam mit allen anderen sein. Besuch nur zweimal im Monat, und es dauert Wochen, bis jemand auf die Anrufliste gesetzt wird und nach Catch-22-Manier seine Daten zur Sicherheitskontrolle kommen. Außerdem werden alle Telefonate mit Ausnahme von Anwaltsgesprächen aufgezeichnet und sind in einem Zeitfenster von 30 Minuten täglich auf maximal 10 Minuten begrenzt, in denen alle Häftlinge um das Telefon konkurrieren. Und Geld für Telefongebühren? Nur ein paar Pfund pro Woche, und eingehende Anrufe sind nicht möglich.

Eine Supermacht, die sich seit 9 Jahren mit Hunderten von Menschen und ungezählten Millionen auf das Verfahren vorbereitet. Ich kann mich nicht selbst wehren und zähle auf dich und andere Menschen mit gutem Charakter, um mein Leben zu retten.

Ich bin ungebrochen, wenn auch buchstäblich von Mördern umgeben. Aber die Tage, an denen ich lesen und sprechen und mich organisieren konnte, um mich, meine Ideale und meine Leute zu verteidigen, sind einstweilen vorbei, bis ich wieder frei bin. Ihr alle müsst meinen Platz einnehmen.

Die US-Regierung bzw. die bedauerlichen Kräfte, die Freiheit, Gerechtigkeit und die Wahrheit hassen, möchten eher per Betrug meine Auslieferung und meinen Tod herbeiführen, als dass die Öffentlichkeit die Wahrheit erfährt, für die ich die höchsten Journalismus-Auszeichnungen erhalten habe und siebenmal für den Friedensnobelpreis nominiert wurde.

Letztendlich haben wir nichts als die Wahrheit.

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