Rot-Grün-Rot in Bremen

„Bremen kann ein Signal für den Bund werden“, jubelte Linken-Chefin Katja Kipping, nachdem sich SPD, Grüne und Linke im Stadtstaat Bremen mit großer Mehrheit zur Bildung einer gemeinsamen Regierung entschlossen hatten.

Der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Dietmar Bartsch, ergänzte: „Die Bremer Linke kann stolz sein, weil das ein bundespolitisches Signal ist.“ Die Linkspartei habe nun den „Auftrag, bundespolitisch Weichen für Mitte-links zu stellen“.

Wovon sprechen Kipping und Bartsch?

Am 26. Mai wurden die SPD und die Grünen wegen ihrer arbeiterfeindlichen Politik in Bremen abgewählt. Nun verschafft ihnen die Linkspartei eine parlamentarische Mehrheit und tritt der Landesregierung bei, um ihre verhasste Politik fortzuführen und jeden Widerstand dagegen zu unterdrücken.

Vor allem die SPD, die Bremen seit 73 Jahren regiert, wurde in der Bürgerschaftswahl vor drei Wochen massiv abgestraft. Sie büßte fast 8 Prozentpunkte ein, erhielt nur noch knapp ein Viertel der Stimmen und lag erstmals in Bremen hinter der CDU. Die Grünen gewannen dem bundesweiten Trend folgend zwar leicht hinzu, konnten die Verluste der SPD aber bei weitem nicht ausgleichen.

Der Grund für diesen Niedergang ist leicht auszumachen. Der rot-grüne Senat hat in den letzten zehn Jahren unter Federführung von SPD-Bürgermeister Carsten Sieling und der grünen Finanzsenatorin Karoline Linnert einen rücksichtslosen Sparkurs verfolgt. Obwohl das Land jährlich allein für Zinsen rund 600 Millionen Euro – und damit jeden neunten Euro des Haushalts – an die Banken überweist, ist Sieling stolz, dass er sich rigoros an die in der Landes-Verfassung verankerte Schuldenbremse gehalten und bereits mit der Schuldentilgung begonnen hat.

Die Folge ist eine soziale Katastrophe. Bremen ist in allen sozialen Statistiken das Schlusslicht unter den 16 Bundesländern. Mit 10 Prozent liegt die Arbeitslosenquote mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. In Bremerhaven, das ebenfalls zum Land Bremen gehört, beträgt sie sogar knapp 13 Prozent. Von den 680.000 Einwohnern des Landes beziehen rund 100.000 Hartz IV-Leistungen.

Bremerhaven ist auch die deutsche Region mit der höchsten Armutsquote. 28,4 Prozent waren dort im Jahr 2017 laut offizieller Statistik von Armut gefährdet. In der Stadt Bremen lag die Quote bei 21,9 Prozent.

Dabei ist Bremen nicht arm, sondern tief gespalten. „Bei der Wirtschaftsleistung je Einwohner liegt Bremen stets auf Platz zwei hinter Hamburg“, schreibt der Tagesspiegel. „Bei den verfügbaren Einkommen rangiert das Land weit unten. Das heißt: Bei vielen Bremern kommt der Reichtum nicht an.“

Auch bei den Schulen, den Kitas, den Krankenhäusern, dem öffentlichen Dienst und der Verkehrsinfrastruktur hat der Sparkurs eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Allein bei den Schulen beträgt der Sanierungsstau rund 670 Millionen Euro. Die Folgen sind „Regen durchs Dach, Fenster, die sich weder öffnen noch schließen lassen, Turnhallen, die marode sind“, wie die Bremer GEW-Vorsitzende Ina von Boetticher dem Deutschlandfunk schilderte.

Zu Beginn des vergangenen Schuljahres fehlten rund hundert Lehrerinnen und Lehrer. Die Folgen sind Unterrichtsausfall, überlastetes Personal, ein hoher Krankenstand und – aufgrund baufälliger und überfüllter Schulen – oft unerträglicher Lärm. Bremens Schüler schneiden bei bundesweiten Vergleichen fast immer am schlechtesten ab.

Der Niedergang der einst wohlhabenden Hansa-Stadt hatte bereits in den 1970er Jahren begonnen, unter aktiver Mithilfe der SPD und der Gewerkschaften. Großunternehmen wie die Werften AG Weser und Bremer Vulkan, der Unterhaltungselektronik-Hersteller Nordmende, der Textilhersteller Bremer Woll-Kämmerei und die Reedereien Norddeutscher Lloyd und Deutsche Dampfschifffahrts-Gesellschaft Hansa wurden geschlossen oder wanderten ab. 1983 versuchten 2000 Arbeiter die Stilllegung der hochmodernen AG Weser durch eine dramatische Werftbesetzung zu verhindern, doch die IG Metall und die SPD fielen ihnen in den Rücken.

Nach wie vor befinden sich aber einige Großbetriebe in der Stadt – so das Mercedes-Werk mit 12.500 Beschäftigten und zwei Unternehmen der Luft- und Raumfahrttechnik, Airbus mit 3000 und OHB mit 1000 Beschäftigten.

Die Linkspartei tritt der Bremer Landesregierung bei, um den bisherigen Sparkurs fortzusetzen. Darüber können noch so viele Phrasen über eine „soziale“ und „ökologische“ Politik nicht hinwegtäuschen. Die Verhandlungen über den Koalitionsvertrag haben zwar erst begonnen, doch die Linkspartei musste sich bereits vorher verpflichten, an der Schuldenbremse festzuhalten. Ohne eine derartige Zusage hätten die SPD und die Grünen die Verhandlungen überhaupt nicht begonnen. Beide könnten auch eine Zweierkoalition mit der CDU bilden.

Auch in der Flüchtlingspolitik und bei der Staatsaufrüstung wird die Linkspartei die bisherige Politik des rot-grünen Senats mittragen. So will die SPD die Videoüberwachung ausweiten und fordert „neue Ermittlungsmöglichkeiten“ für die Polizei. Die Überwachung der Telekommunikation soll zu einem „zentralen Instrument zur Aufklärung von Straftaten und zur Abwehr von Gefahren“ werden. In Thüringen, wo sie den Ministerpräsidenten stellt, und in Brandenburg, wo sie mit der SPD regiert, hat die Linkspartei bereits ähnliche Maßnahmen unterstützt.

Bremen wäre das erste westdeutsche Bundesland, in dem sich die Linke an der Regierung beteiligt. Sie wird darin dieselbe Rolle spielen wie in den ostdeutschen Ländern. Dort ist sie, im Bündnis mit der SPD oder mit der SPD und den Grünen, ein treibender Faktor beim Sozialabbau und der Aufrüstung des Staatsapparats.

So übernahm der rot-rote Berliner Senat unter Klaus Wowereit, der die Hauptstadt von 2002 bis 2011 regierte, eine bundesweite Führungsrolle beim Abbau tausender öffentlicher Arbeitsplätze und dem Verramschen Hunderttausender öffentlicher Wohnungen an Finanzheuschrecken. Um die Löhne im öffentlichen Dienst stärker senken zu können, trat Berlin damals sogar aus dem Arbeitgeberverband aus. Der maroden Bankgesellschaft Berlin warf der Wowereit-Senat dagegen Milliarden in den Rachen, um die spekulativen Anlagen ihrer wohlhabenden Kundschaft zu retten.

Die Linkspartei reagiert auf die wachsenden gesellschaftlichen Spannungen und den Niedergang der SPD, indem sie sich der herrschenden Klasse noch stärker an den Hals wirft und als verlässliche Stütze anbietet.

Der Linken-Politiker Christian Görke, der als Finanzminister in Brandenburg persönlich über die Einhaltung der Schuldenbremse wacht, erklärte im Neuen Deutschland, eine „soziale Politik“ könne es „bis auf weiteres nicht jenseits der SPD geben, sondern nur mit ihr“. Eine „soziale Politik“ mit der SPD bedeutet Hartz IV, Rente mit 67, nicht endender Sozialabbau, Staatsaufrüstung und Militarismus.

Oskar Lafontaine, der 1999 mit der SPD brach und 2005 die Linkspartei gründete, soll sich laut jüngsten Berichten für eine Fusion der Linken und der SPD ausgesprochen haben. Und das, nachdem die SPD durch ihre rechte Politik jedes Vertrauen in der Arbeiterklasse verloren und in der Europawahl auf ein Rekordtief von 15 Prozent gesunken ist. Der Vorschlag unterstreicht einmal mehr, dass Die Linke nie mehr als ein linkes Feigenblatt für die SPD war. Ihr Hauptziel bestand darin zu verhindern, dass sich eine wirklich linke – d.h. sozialistische – Alternative entwickelt.

Eine Koalition von Grünen, SPD und Linkspartei auf Bundesebene, wie sie Kipping und Bartsch herbeisehnen, würde ebenso weit rechts stehen wie die derzeitige Große Koalition. Sie ist eine der Varianten, die in den herrschenden Kreisen diskutiert werden, um angesichts des möglichen Scheiterns der Großen Koalition die Politik des Sozialabbaus, des Militarismus und der Staatsaufrüstung fortzusetzen.

Die Grünen, die derzeit in Wahlen und Umfragen einen Höhenflug erleben, sind längst eine erprobte Stütze der herrschenden Ordnung. In mehreren Bundesländern regieren sie im Bündnis mit der CDU. Auch auf Bundesebene halten sie sich sämtliche Optionen offen.

Arbeiter und Jugendliche können ihre sozialen und politischen Rechte nur verteidigen und der Gefahr von Krieg und Diktatur entgegentreten, indem sie mit allen bürgerlichen Parteien – einschließlich der SPD, der Grünen und der Linken – brechen, den Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen und ihre eigene, internationale, sozialistische Partei aufbauen – die Sozialistische Gleichheitspartei und die Vierte Internationale.

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