EU weitet Krieg gegen Flüchtlinge aus

Weltweit wächst die Empörung über das Sterben im Mittelmeer und die unwürdigen Bedingungen in libyschen Flüchtlingslagern, wo Menschen gefoltert werden und elend umkommen. Nachdem die mutige Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete trotz Verbot Schiffbrüchige in Lampedusa an Land gebracht hatte, unterschrieben über eine halbe Million Menschen eine Petition für sie und sammelten in kürzester Zeit anderthalb Millionen Euro für ihre Verteidigung. Sechzig deutsche Städte erklärten sich bereit, Flüchtlinge aufzunehmen.

Die EU reagiert darauf mit neuen Plänen, ihren Krieg gegen die Flüchtlinge auszuweiten. Sie erwägt Militäreinsätze im Bürgerkriegsland Libyen und der Sahelzone, um Gefängnisse zu übernehmen und neue Konzentrationslager, genannt „Transitzentren“ oder „Ausschiffungsplattformen“, zu errichten. Militärpatrouillen sollen die Maghreb-Küste abriegeln. Rund um die Treffen der EU-Außen- und Innenminister in dieser Woche werden immer neue solche Forderungen laut.

Den Anfang machte vor einer Woche die Bild-Zeitung mit der Schlagzeile: „Muss jetzt Militär für Ordnung in Libyen sorgen?“ Sie zitierte den General a.D. Lothar Domröse mit der Forderung, Soldaten aus EU-Staaten sollten in Libyen eingesetzt werden, um „Sicherheitsschutz und Küstenschutz auszubilden“. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) verlangte im selben Artikel, die Vereinten Nationen müssten sich Zugang zu Libyen verschaffen und die Lager selbst verwalten.

In der Neuen Osnabrücker Zeitung forderte Müller einen sofortigen internationalen „Rettungseinsatz“ für die Flüchtlinge in Libyen. Unter Krokodilstränen klagte er, die Menschen hätten nur die Wahl, „in den Camps durch Gewalt oder Hunger zu sterben, auf dem Rückweg in der Wüste zu verdursten oder im Mittelmeer zu ertrinken (…) Die EU hat ihre Scheinwerfer ausgeschaltet.“ Notwendig sei jetzt „eine gemeinsame humanitäre Initiative von Europa und Vereinten Nationen zur Rettung der Flüchtlinge auf libyschem Boden. Die neue EU-Kommission muss sofort handeln.“

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner erklärte der Zeitung Die Welt: „Die Lösung muss darin liegen, dass wir mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in Nordafrika menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten und legale Fluchtwege nach Europa schaffen.“ Schiffbrüchige müssten zwar gerettet werden, aber sie müssten „an den Ausgangspunkt der jeweiligen Reise“ – also nach Libyen – zurückgebracht werden. „Wir müssen der Wahrheit ins Auge blicken“, so Lindner, dass unter den Flüchtlingen „auch nicht verfolgte Wirtschaftsmigranten sind, die keine legale Bleibemöglichkeit haben“.

Der Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Hans-Eckhard Sommer, meldete sich im WDR zu Wort und erklärte, er sei dafür, dass „eine Koalition europäischer Staaten in Libyen eine Schutzzone“ schaffe, um sich dort „um die Menschen zu kümmern“ und sie zurück in ihre Ausgangsländer zu bringen. Seine Begründung: „Wir müssen verhindern, dass sich die Menschen in Lebensgefahr begeben.“

Auch Mathias Middelberg, der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist entschlossen, afrikanische Migranten mit brachialer Gewalt zu „schützen“, d.h. mit Gewehr und Stacheldraht von Europa fernzuhalten. Der dpa sagte er: „Mittelfristig brauchen wir die Umsetzung der Beschlüsse des EU-Rats vom Juni 2018“, und das beinhalte „eine noch intensivere Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern zur Reduzierung der Migration“, sowie auch „Ausschiffungsplattformen an den Mittelmeerküsten“.

Damit bezog sich Middelberg auf den EU-Gipfel vom Juni 2018, auf dem die EU-Regierungen beschlossen, die Festung Europa komplett abzuriegeln und die Migranten in de facto Konzentrationslagern in Afrika zu zwingen.

Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg, forderte, die von der EU eingesetzte und unterstützte libysche „Einheitsregierung“ müsse nun „endlich erlauben, dass unter dem Dach von UNHCR und IOM Lager aufgebaut werden“. Laut Asselborn werden „dringend etwa sechs Aufnahmelager für jeweils 1000 Migranten benötigt“.

Schließlich äußerte sich der Leiter des Europa-Außenressorts, David McAllister (CDU), ebenfalls in diesem Sinn. Er war in Straßburg gleichzeitig Wahlmanager der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin. In der Bild-Zeitung befürwortete McAllister ausdrücklich „zusätzliche Einsätze in Zusammenarbeit mit der Nato“ und „gemeinsame Patrouillenfahrten von EU-Staaten und angrenzenden Ländern am Mittelmeer (z.B. Tunesien)“.

Die geäußerten Forderungen und Pläne lassen ein deutliches Muster erkennen: Die EU möchte die Flüchtlingskrise als Chance nutzen, um mit militärischer Gewalt in Nordafrika einzudringen und die Kontrolle in Libyen und andern Ländern zu übernehmen. Sie will dort riesige Konzentrationslager errichten, in die auch Migranten zurückgeschleppt werden können, die Europa bereits erreicht haben.

Das militärische Vordringen nach Afrika verfolgt aber noch weitergehende Ziele: Den Zugang zu Öl, Erdgas, seltenen Erden und andern Rohstoffen, sowie die Besetzung strategischer Positionen gegen die Rivalen China und USA. Mehr und mehr verwandelt sich die EU in eine monströse Militärunion. Das Schicksal der betroffenen Migranten ist dabei das Letzte, was die EU-Politiker kümmert.

Um aus Libyen wegzukommen, befinden sich schon seit acht Tagen etwa 360 Migranten im Hungerstreik. Sie haben Anfang Juli den Angriff auf das Internierungslager Tadschura bei Tripolis überlebt, bei dem über fünfzig gefangene Flüchtlinge getötet und etwa 150 verletzt wurden, als eine Rakete in dem Lager einschlug. Die Hungerstreikenden, die weitere Einschläge befürchten, weigern sich auch, in andere Gefängnisse verlegt zu werden, weil sie ihre Hoffnung auf Europa nicht aufgeben möchten.

In scharfem Gegensatz zu den Plänen der EU fordert die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die sofortige Evakuierung aller inhaftierten Migranten und Flüchtlinge aus Libyen. Nach Erkenntnissen des UNHCR und der IOM sollen sich in dem Bürgerkriegsland etwa 50.000 registrierte Flüchtlinge und schätzungsweise 800.000 weitere Migranten aufhalten. Die UNHCR war bisher nur in der Lage, knapp 600 von ihnen aus Libyen wegzuschaffen, davon 295 nach Italien und 289 nach Niger.

Die Migranten, die in Tadschura im Hungerstreik ausharren, haben der Welt einmal mehr vor Augen geführt, welchen mörderischen Bedingungen die Menschen auf ihrem gefährlichen Weg übers Mittelmeer zu entkommen versuchen. Nach IOM-Angaben haben in diesem Jahr bisher 4068 Personen das Festland Italiens oder Maltas erreicht, während 3750 von der libyschen Küstenwache aufgegriffen und in die Folterlager zurückgeschleppt wurden.

Bis zum 15. Juli sind 682 Menschen bei der Überfahrt gestorben. Das sind im Durchschnitt an jedem einzelnen Tag drei bis vier Menschen, die elendiglich ertrinken, verdursten oder aus Mangel an Hilfe umkommen.

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