Mehr als 50.000 Teilnehmer bei Demonstrationen der Opposition in Moskau

Am Samstag haben sich in Russland schätzungsweise 50.000 bis 60.000 Menschen an einer offiziell genehmigten Kundgebung der liberalen Opposition im Stadtzentrum von Moskau beteiligt. Das Motto der Kundgebung lautete „Holen wir uns das Wahlrecht zurück“. Die Hauptforderung waren die Aufnahme liberaler Oppositionskandidaten auf den Stimmzettel bei der Moskauer Stadtratswahl am 8. September sowie die Freilassung der Politiker, die letzte Woche während einer massiven Polizeiaktion gegen die Opposition verhaftet wurden. In St. Petersburg und mehreren anderen Städten fanden kleinere Demonstrationen statt.

Der Aufruf zum Protest wurde von allen prominenten Persönlichkeiten der liberalen Opposition in Russland unterstützt, u.a. von dem noch immer inhaftierten Alexei Nawalny und von Ljubow Sobol, die kurz vor Beginn der Kundgebung erneut verhaftet wurde. Auch mehrere bekannte Entertainer, Fernsehmoderatoren und Musiker unterstützten die Proteste, darunter der bekannte YouTube-Moderator Juri Dud. Der Rapper Face und die Elektro-Musik-Gruppe IC3PEAK, die zu den populärsten Musikern unter russischen Jugendlichen gehören, traten auf der Kundgebung auf.

Laut Medienberichten war ein Großteil der Teilnehmer Jugendliche, von denen viele zuvor noch nie an Demonstrationen der Opposition teilgenommen haben. Ein wichtiger Grund für diese hohe Beteiligung war neben den Auftritten bekannter Musikgruppen das brutale Vorgehen der Polizei gegen die Opposition in den letzten Wochen. Bei zwei nicht genehmigten Kundgebungen am 27. Juli und 3. August hatten die Polizei und die paramilitärische Organisation OMON, die zur Nationalgarde gehört, mehr als 1.000 Menschen verhaftet und im Zentrum der russischen Hauptstadt praktisch einen Belagerungszustand hergestellt. Hunderttausende haben in den sozialen Medien Aufnahmen von dem brutalen Vorgehen gesehen.

Nach den Massenverhaftungen wurden Mitglieder von Alexei Nawalnys Stab weiterhin Ziel von Razzien und strafrechtlicher Verfolgung.

Genau wie in den letzten Wochen war die Situation von einer starken Präsenz der Polizei und der OMON-Kräfte geprägt. Laut einem Bericht der liberalen Nowaja Gaseta wurden OMON-Truppen aus anderen Regionen des Landes gebracht, vor allem aus Tula. Bis Samstagabend wurden etwa 240 Menschen verhaftet.

Viele Demonstranten, darunter auch Prominente wie Juri Dud, erschienen zu der Protestveranstaltung in russische Fahnen gehüllt oder sie schwenkten sie. Einige der Parolen lauteten: „Nieder mit dem Zaren [Putin]!“, „Putin ist ein Dieb“ und „Russland wird frei sein“.

Angesichts der wachsenden sozialen und politischen Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse hat der Kreml die Proteste der liberalen Opposition benutzt, um die staatliche Unterdrückung von Protesten zu üben und den juristischen und politischen Rahmen für die Unterdrückung von Massenprotesten auszubauen.

Am Freitag forderte die staatliche Behörde Roskomnadsor, die in den letzten Jahren für eine massive Ausweitung der Internetkontrolle verantwortlich war, Google solle auf YouTube keine Werbung mehr für „illegale Veranstaltungen“ machen. Die Behörde warnte, falls Google dieser Aufforderung nicht Folge leiste, werde die russische Regierung dies als ausländische Einmischung in ihre Souveränität einstufen. Die stalinistische KPRF, eine „loyale Opposition“ der Regierungspartei Einiges Russland, bereitet jetzt einen Gesetzentwurf vor, der jedem mit strafrechtlicher Verfolgung droht, dem „virtuelle Einmischung“ in den Wahlprozess vorgeworfen wird. Der Entwurf soll im Herbst dem Parlament vorgelegt werden.

Das derzeitige Vorgehen gegen die Opposition muss als ernste Warnung verstanden und als Angriff auf demokratische Rechte abgelehnt werden. Allerdings müssen Arbeiter und Jugendliche auch vor dem extrem rechten Charakter der politischen Kräfte gewarnt werden, die hinter den Protesten stehen.

Diese reichen von der liberalen Opposition, die allgemein für ihre guten Beziehungen zu Washington bekannt ist, bis hin zu nationalistischen und pseudolinken Gruppen wie der Russischen Sozialistischen Bewegung. Die Darstellung dieser Kräfte als Verfechter demokratischer Rechte durch die russischen liberalen Medien und die westliche bürgerliche Presse ist ein Betrug.

Es war kein Zufall, dass die Opposition trotz der massiven sozialen Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse bei ihrer Veranstaltung bewusst alle sozialen Forderungen ausklammerte und ihr Bestes tat, um ihre eigentliche politische Agenda zu verbergen. Stattdessen versuchte sie, an diffuse Anti-Putin-Stimmungen und russischen Nationalismus zu appellieren.

Die liberale Opposition spricht für Teile der russischen Oligarchie und des besser gestellten Kleinbürgertums, die an der Wiedereinführung des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion beteiligt waren und davon profitiert haben, aber der Meinung sind, dass ihre Karrieren und sozialen Interessen von Putin und den Oligarchen aus seinem Umfeld unterdrückt werden. Zudem sehen sie die wirtschaftlichen und nationalen Interessen der Oligarchie durch die Konfrontation zwischen dem Putin-Regime und dem US-Imperialismus gefährdet und raten zu einem engeren Bündnis mit den USA und dem europäischen Imperialismus, um ihre eigene soziale und wirtschaftliche Position zu garantieren. Die Opposition versucht zwar seit einiger Zeit, Interesse an sozialen Themen vorzutäuschen, doch ihre Führer sind seit Langem als Befürworter von sozialer Austerität bekannt.

Ähnlich wie die Kräfte in der Maidan-Protestbewegung, die von Teilen der Oligarchie und der ukrainischen Bourgeoisie dominiert und von den imperialistischen Mächten unterstützt wurde, hat die russische liberale Opposition jahrelang ein bewusstes Bündnis mit der extremen Rechten Russlands kultiviert. Der Höhepunkt der Maidan-Bewegung war der Putsch faschistischer Kräfte gegen den pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch im Februar 2014.

In der Ukraine waren die Folgen dieses vom Westen unterstützten Putsches faschistischer Kräfte, der von den Medien fälschlich als „demokratische Revolution“ dargestellt wurde, fünf Jahre Bürgerkrieg, staatlich unterstützter faschistischer Terror gegen Arbeiter und Minderheiten, die akute Gefahr eines offenen Kriegs mit Russland und ein Niedergang des Lebensstandards auf das Niveau der ärmsten afrikanischen Staaten. In Russland wären die Folgen einer derartigen von den USA unterstützten Bewegung nur noch katastrophaler.

Vor allem hat Alexei Nawalny, der von den westlichen bürgerlichen Medien als größter „Gegner Putins“ in Russland und als „Demokrat“ gefeiert wird, seit über zehn Jahren enge Beziehungen zu faschistischen Kräften in Russland. Er beteiligte sich an mehreren „Russischen Märschen“, einer jährlichen Protestveranstaltung der extremen Rechten, u.a. in den Jahren 2010 und 2011. Er hat auf YouTube brutale Drohungen gegen die Bewohner des nördlichen Kaukasus ausgesprochen und erhebt rassistische Forderungen in seinen Wahlprogrammen. Nawalnys Haltung ist keine individuelle Fehlentwicklung.

Im Jahr 2010 forderte Wladimir Milow, der in den letzten Wochen ebenfalls von der Polizei verhaftet wurde, in einem Kommentar der Online-Zeitung Gaseta.Ru die liberale Opposition auf, zur „nationalen Idee“ als „Ausgangspunkt der Politik“ zurückzukehren. In einem kaum verhohlenen Appell an die Vorstellung, Russen seien als „Arier“ den Völkern Asiens überlegen, schrieb Milow: „Es ist Zeit, in die europäische Heimat zurückzukehren. Wir Russen sind Europäer. Versucht nicht, uns nach Asien zu zerren, Asien ist uns fremd.“ Er forderte eine harte Politik gegenüber dem Nordkaukasus und seiner „Kultur der totalen Korruption“ und rief die Liberalen auf, den Nationalisten und Monarchisten gegenüber einzuräumen, dass tatsächlich Probleme mit „Immigranten“ und „inter-ethnischen Beziehungen“ existieren und bewältigt werden müssten.

Damals arbeitete Milow eng mit Boris Nemzow zusammen, der seine Ansichten teilte und enge Beziehungen zu Washington unterhielt. Anfang 2015 wurde Nemzow unter dubiosen Umständen ermordet. Mit der Unterstützung und unter der Führung von Milow, Nemzow und Nawalny begann die damalige sogenannte liberale Opposition eine enge Zusammenarbeit mit Eduard Limonows Nationalbolschewisten, einer stalinistischen und faschistischen Organisation, sowie mit der offen rassistischen Bewegung gegen illegale Zuwanderung (DPNI), die für mehrere Pogrome gegen Immigranten mitverantwortlich war. Heute ist Milow Mitarbeiter von Nawalnys YouTube-Kanal als Experte für Wirtschaftsfragen.

Die Protestbewegung von Schichten des gehobenen Kleinbürgertums in Moskau von 2011 bis 2013 basierte auf genau diesem reaktionären Bündnis aus liberaler Opposition und rechtsextremen sowie monarchistischen Kräften und erhielt von den Pseudolinken ein „linkes“ Feigenblatt. In ähnlicher Weise arbeiteten diese Kräfte auch zusammen, um den massiven Widerstand gegen die Rentenreform in nationalistische Kanäle zu lenken und jede breitere Bewegung der Arbeiter dagegen zu verhindern. Dabei erhielten sie auch Unterstützung von den „loyalen Oppositionsparteien“ im russischen Parlament: der faschistischen Liberaldemokratischen Partei und der stalinistischen KPRF sowie den Gewerkschaften.

Eine Bewegung der Arbeiterklasse gegen die Putin-Regierung, gegen soziale Ungleichheit, Armut und für die Verteidigung demokratischer Rechte wird unabhängig von, und im Widerstand gegen diese Kräfte agieren müssen.

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