Schwerer Angriff auf demokratische Regierungsformen:

Boris Johnson plant Aussetzung des Parlaments, um Brexit durchzusetzen

Am Mittwoch unterzeichnete die britische Königin Elisabeth II. den Antrag von Premierminister Boris Johnson, das Parlament auszusetzen.

Zuvor hatten drei Mitglieder des Kronrats unter Führung des Brexit-Hardliners Jacob Rees-Mogg bei der Queen vorgesprochen. Durch den als „Vertagung“ bekannten Vorgang wird das Parlament frühestens am 9. September und spätestens am 12. September alle Sitzungen bis zum 14. Oktober einstellen. Die Maßnahme soll die Mehrheit der Abgeordneten daran hindern, Widerstand gegen Johnsons Androhung eines harten Brexit zu leisten. Johnson droht die Europäische Union (EU) ohne ein Handels- und Zollabkommen zu verlassen, falls Brüssel nicht die Pläne für einen „Backstop“ in Irland und weitere Maßnahmen aufgibt.

Durch eine Schließung des Parlaments für dreiundzwanzig Arbeitstage hätten die Abgeordneten nach ihrer Rückkehr aus der Sommerpause nur wenige Tage statt mehrerer Wochen, um zu planen, wie sie einen harten Brexit verhindern können. Erst am 14. Oktober soll das Parlament wieder zusammentreten, um die traditionelle Rede der Queen über die legislativen Pläne der Regierung zu hören. Johnson würde am 17. und 18. Oktober nach Brüssel reisen, um dort zu drohen, am 31. Oktober aus der EU auszutreten, falls die EU keine Zugeständnisse macht. Dann hätten die Abgeordneten nur noch eine Chance, seine Androhung eines harten Brexit zu verhindern: indem sie am 21. und 22. Oktober über die Rede der Queen abstimmen.

Unabhängig davon, ob dies mit einem Misstrauensvotum endet, wird darüber spekuliert, dass Johnson bereits für den 7. November eine Neuwahl ansetzen könnte, bei der er unter dem Motto „Das Volk gegen das Parlament“ und für den Brexit antritt. Unterstützt würde Johnson dabei von der nordirischen Democratic Unionist Party. Außerdem hat ihm die Brexit Party von Nigel Farrage einen „Nichtangriffspakt“ angeboten, wenn er seine Pläne aufgibt, das Austrittsabkommen seiner Amtsvorgängerin Theresa May abzuändern.

Johnsons Versuche, das Parlament auszuhebeln, könnten eine Verfassungskrise und eine politische Krise auslösen. Konservative Brexit-Gegner wie Sir John Major und Sir Malcolm Rifkind sprachen von einem Bürgerkrieg, zogen Parallelen zwischen Johnson und Karl I. und warnten ihn, er könne wie dieser ebenfalls seinen Kopf verlieren. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon erklärte: „Das Parlament zu schließen, um einen harten Brexit durchzusetzen, wird dem Land gegen den Willen der Abgeordneten einen beispiellosen und dauerhaften Schaden zufügen. Das ist keine Demokratie, sondern eine Diktatur. Und wenn die Abgeordneten nächste Woche nicht zusammenarbeiten, um Boris Johnson in die Schranken zu weisen, dann wird der heutige Tag meiner Meinung nach als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem die britische Demokratie gestorben ist.“

Labour-Schattenfinanzminister John McDonnell beschrieb Johnsons Vorgehen als einen „sehr britischen Coup... wenn man erstmal einem Premierminister erlaubt, die vollständige und freie Funktionsweise unserer demokratischen Institutionen einzuschränken, begibt man sich auf einen sehr gefährlichen Pfad.“

Doch bisher konzentrieren sich die Debatten im Parlament zur Verhinderung von Johnsons Plan auf umständliche juristische und verfahrensrechtliche Bemühungen. Major erklärte, er werde weiterhin nach juristischen Möglichkeiten suchen, wie sich die „Umgehung eines souveränen Parlaments“ verhindern lässt. Vor den schottischen Gerichten wird über eine Klage der Sprecherin der Scottish National Party (SNP) für Rechtsfragen, Joanna Cherry, beraten, die von etwa 70 Abgeordneten unterstützt wird.

Doch das Ausmaß der Katastrophe, die dem britischen Imperialismus durch einen harten Brexit droht, hat zu Diskussionen darüber geführt, ob die Oppositionsparteien dazu übergehen sollen, ein von Labour-Parteichef Jeremy Corbyn eingebrachtes Misstrauensvotum zu unterstützen. Er würde in diesem Fall zum Vorsitzenden einer „Übergangsregierung“ ernannt werden, die eine Verlängerung der Frist für den Brexit bis nach dem 31. Oktober anstreben würde.

Nur dank Corbyn konnte Johnson seine Pläne zur Schaffung einer britischen Freihandelszone mit niedrigen Steuern und einem militärisch-politischen Bündnis mit der amerikanischen Trump-Regierung so weit umsetzen. Der Labour-Parteichef wurde in sein Amt gewählt, weil er Widerstand gegen Sparpolitik, Militarismus und Krieg versprochen hatte. Stattdessen hat er sich den rechten Blair-Anhängern seiner eigenen Partei unterworfen, ihre Politik übernommen und verhindert, dass sie durch die Labour-Mitgliedschaft abgewählt werden.

Nachdem Johnson die Wahl zum Tory-Parteivorsitzenden gewonnen hatte, bot Corbyn ein Bündnis aller Anti-Brexit-Parteien an, um einen harten Brexit zu verhindern und eine Neuwahl abzuhalten, bei der Labour für ein zweites Referendum auftritt. Doch selbst das war nicht genug. Als sich Corbyn am Dienstag mit den Vorsitzenden der SNP, den Liberaldemokraten und der Grünen-Abgeordneten Caroline Lucas traf, erklärte die Vorsitzende der Liberaldemokraten Jo Swinson erneut, Corbyn sei zu umstritten, um die Brexit-Gegner vereinen zu können. Stattdessen schlug sie eine Allparteienregierung unter Führung des Tory-Abgeordneten Ken Clarke oder von Harriet Harman vom Blair-Flügel der Labour Party vor. Die Brexit-Gegner unter den konservativen Tories blieben dem Treffen fern.

Als Reaktion versprach Corbyn, er werde seinen Plan verschieben und erst im Oktober einen Misstrauensantrag stellen. Außerdem werde er die Versuche unterstützen, einen harten Brexit durch die Übernahme der Kontrolle über das Parlament zu verhindern. Am gleichen Abend schickte er einen Bettelbrief an etwa 114 Tories, darunter auch May, in dem er anbot, „in kollegialem, parteiübergreifendem Geist zusammenzuarbeiten, um eine praktikable Lösung zu finden, durch die sich ein harter Brexit vermeiden lässt.“

So müssen Corbyn und seine Verbündeten weiter zappeln, da Johnson kurzerhand beschlossen hat, durch die Aussetzung des Parlaments solchen Manövern die nötige Zeit zu entziehen. Corbyns Reaktion war armselig. Am Mittwoch schrieb er einen Brief an die Queen, in dem er erklärte: „Es besteht die Gefahr, dass das königliche Vorrecht direkt gegen die Wünsche der Mehrheit des Unterhauses ausgespielt wird“. Er bettelte sie an, ihm „zusammen mit anderen Mitgliedern des Kronrats dringend ein Treffen zu gewähren, bevor eine endgültige Entscheidung fällt.“

Die Financial Times prognostizierte weitere politische Probleme für ein Vorgehen gegen Johnson. Für ein Misstrauensvotum müssten „etwa acht Tory-Abgeordnete das nahezu Undenkbare tun und ihre eigene Regierung abwählen, mit der Folge, dass eine quasi-marxistische Labour-Regierung unter Jeremy Corbyn die Regierung übernimmt.“

Doch einige Abgeordnete erwägen offen, ein Misstrauensvotum zu unterstützen, zumindest als Notfallplan für Oktober. Der führende Brexit-Gegner der Tories, Dominic Grieve, erklärte, es sei für ihn nur der „letzte Ausweg“, die „Regierung einer Partei zu stürzen, deren Mitglied ich bin.“ Sollte es jedoch „keinen anderen Weg geben, [einen harten Brexit] zu verhindern, ist es vielleicht das Einzige, was ich tun kann.“

Cherry erklärte im Auftrag der SNP, die Oppositionsparteien müssten jetzt erst ihre Pläne für primäre Rechtsvorschriften angehen, anstatt ein Misstrauensvotum vorzubereiten. Sie fügte jedoch hinzu, ein Misstrauensvotum könnte von Johnson als „Falle“ benutzt werden, um nach dem 31. Oktober eine Neuwahl anzusetzen. Um dies zu verhindern, solle Corbyn die Labour-Abgeordneten dazu bringen, gegen eine Neuwahl zu stimmen, bis eine Verlängerung garantiert ist.

Corbyns politischer Verrat schafft eine außerordentlich gefährliche Situation.

In den vier Jahren seit seiner Wahl zum Labour-Vorsitzenden hat er mit den Gewerkschaften zusammengearbeitet, um Streiks zu unterdrücken und das politische Leben auf verkommene Manöver zu beschränken, um so unter Beweis zu stellen, dass man Labour den Schutz der Interessen des Großkapitals anvertrauen kann. Damit hat er verhindert, dass die Arbeiterklasse in die tiefe Krise eingreift, in der die Herrschaft des britischen Imperialismus steckt.

Da er den rivalisierenden pro-imperialistischen Strategien der Brexit-Befürworter und ihrer Gegner keine sozialistische Opposition entgegengestellt hat, ließ er gefährliche Spaltungen zwischen Arbeitern entstehen, die jede vereinte Reaktion gegen das Programm aller Teile der Kapitalistenklasse von Austerität, Handelskrieg und Militarismus verhindert. Mehr als eine Million Menschen haben eine Petition gegen die Aussetzung des Parlaments unterschrieben, doch liegen die Tories in Umfragen aufgrund der Streitigkeiten um den Brexit zwölf Punkte vor Labour.

Diese Spaltungen können nur durch die Forderung nach der Vereinigung der Kämpfe der britischen und europäischen Arbeiter gegen den gemeinsamen Klassenfeind und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa überwunden werden.

Stattdessen wurde Johnson zu dem schwerwiegenden Schritt auf dem Weg zu autoritärer Herrschaft ermutigt – und das in einer Lage, in der aktiv der Einsatz von tausenden Soldaten und Bereitschaftspolizisten erwogen wird, die im Fall eines harten Brexit die unweigerlich entstehenden sozialen Unruhen unterdrücken sollen.

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