Grünen-Parteitag: Um jeden Preis an die Macht

Vor zwanzig Jahren hatten die Grünen schon einmal eine Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld durchgeführt. Kurz davor waren sie in die Bundesregierung eingetreten und hatten den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Jugoslawien unterstützt. Auf dem Parteitag tobte darüber eine heftige Auseinandersetzung. Außenminister Joschka Fischer wurde mit einem roten Farbbeutel beworfen.

Am Kurs der Grünen änderte das allerdings nichts. Als sie sieben Jahre später die Regierung wieder verließen, waren internationale Kriegseinsätze der Bundeswehr Routine und die rot-grüne Koalition hatte mit den Hartz-Gesetzen und massiven Steuersenkungen für die Reichen eine beispiellose soziale Konterrevolution in Gang gesetzt.

Am vergangenen Wochenende war in Bielefeld von Konflikten wie vor zwanzig Jahren nichts mehr zu spüren. Die Grünen wollen um jeden Preis zurück an die Macht, und zwar nicht, um den rechten Kurs der Großen Koalition zu ändern, sondern um deren Politik des Militarismus, der Staatsaufrüstung und des Sozialabbaus effektiver fortzusetzen. Bereits vor zwei Jahren hatten sie einen unterschriftsreifen Koalitionsvertrag mit der Union und der FDP unterzeichnet, der nur daran scheiterte, dass sich die FDP in letzter Minute zurückzog.

Nun wollen die Grünen eine solche Gelegenheit nicht noch einmal verpassen. Der gesamte Parteitag war darauf ausgerichtet, den herrschenden Kreisen in Politik, Wirtschaft und Medien ihre Verlässlichkeit zu beweisen. Die Delegierten wurden zur Harmonie und Geschlossenheit angehalten, das Führungsduo Annalena Baerbock und Robert Habeck mit Spitzenwerten (97 und 90 Prozent) im Amt bestätigt. Die Parteitagsregie erstickte jede kontroverse Diskussion im Keim.

Die Führer der Partei wurden nicht müde, ihren Machtanspruch zu betonen. In kaum einer Rede fehlte das Wort „Verantwortung“. Habeck bezeichnete die Grünen als „Quasi-Regierungspartei im Wartestand“, die Streitereien in der Partei seien in eine „fast manchmal leidenschaftliche Gestaltungssehnsucht übergegangen“. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfrid-Kretschmann, verkündete, den Grünen wachse die Rolle zu, „nicht mehr nur mitzugestalten, sondern mitzuführen“. Und der Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, betonte: „Wir wollen regieren, wir müssen regieren.“

Der Niedergang der SPD und der Union sowie die anhaltenden Klimaproteste haben den Grünen seit Monaten ein Umfragehoch beschert. Sie liegen weit vor der SPD an zweiter Stelle hinter der Union und haben diese zeitweise sogar eingeholt. Deshalb wird inzwischen auch über die Möglichkeit eines grünen Kanzlers oder einer grünen Kanzlerin spekuliert.

Um die wohlhabende, städtische Wählerklientel der Grünen bei der Stange zu halten, stellte die Parteitagsregie die Klimapolitik ins Zentrum der Debatte. Nach 277 Änderungsanträgen einigten sich die Delegierten auf ein Programm, dass sich höchstens quantitativ von dem der amtierenden Regierung unterscheidet. Sie wollen den CO2-Ausstoß höher besteuern und den Ausbau nachhaltiger Energie etwas beschleunigen – Ziele, die sich erfahrungsgemäß in Koalitionsverhandlungen oder bei einer Regierungsübernahme in Luft auflösen. An der Vorherrschaft des Profits und mächtiger Banken und Konzerne über die Wirtschaft halten sie dagegen fest, was eine Lösung der Klimakrise von vornherein unmöglich macht.

So betonte Baerbock in ihrer umjubelten Parteitagsrede, angestammte Überzeugungen wie die Unvereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie seien von gestern. Das Ziel der Klimawende sei nicht zu erreichen „ohne die Wucht der Märkte“.

In dem grünen Strom, auf dem der Parteitag schwamm, verbergen sich zahlreiche hochtoxische Elemente. So wurde über die Themen Militarismus und innere Aufrüstung kaum gesprochen, um das Bild der harmonischen Idylle nicht zu trüben. In beiden Bereichen vertreten die Grünen ein extrem rechtes Programm.

Baerbock erwähnte in ihrer Rede nur beiläufig, dass sie den Aufbau einer hochgerüsteten europäischen Armee für „perspektivisch sinnvoll“ halte. Robert Habeck äußerte sich in einem Interview, das er vor dem Parteitag dem Deutschlandfunk gab, deutlicher. Er stellte unmissverständlich klar, wo die Partei in diesen Fragen steht. Hinter dem kunstvoll zur Schau getragenen Image des coolen Politikers mit hochgekrempelten Ärmeln und Dreitagebart verbirgt sich ein eiskalter Militarist.

Auf die Münchener Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer angesprochen, die eine massive Ausweitung deutscher Kriegseinsätze angekündigt hatte, antwortete Habeck, Deutschland müsse vor allem „das Schutzversprechen gegenüber den baltischen Staaten, Polen, den osteuropäischen Staaten“ einhalten, also an der russischen Grenze weiter aufrüsten.

Auch die von Kramp-Karrenbauer gefordert Verdoppelung der Rüstungsausgaben unterstützt er grundsätzlich. Er bestand lediglich darauf, dass zuerst eine „Strategie der Bundeswehr“ debattiert und dann die Höhe der Rüstungsausgaben festgelegt werden müsse. Wenn „rauskommt, dass wir mehr Geld für die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr in dieser Strategie brauchen, dann werden wir uns dem nicht in den Weg stellen“.

Auch den Ausbau von Cyberwaffen, eine Schlüsseltechnologie zukünftiger Kriege, findet Habecks volle Unterstützung: „Dass wir Cyberabwehr stärken und die Systeme aufrüsten gegenüber virtuellen Angriffen, … dass es da auch einen militärischen Aspekt gibt, das halte ich für dringend erforderlich. Wenn das Geld kostet, dann wird das Geld ausgegeben werden müssen.“

Zwanzig Jahre nach ihrem erstmaligen Eintritt in die Bundesregierung sind die Grünen eine rechte bürgerliche Partei, die nicht nur mit der Union, der FDP, der SPD und der Linken koalieren und zusammenarbeiten kann, sondern auch gemeinsam mit ihnen immer weiter nach rechts rückt. Das ist die Bilanz des Bielefelder Parteitags.

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