Daphne Caruana Galizia: Tausende fordern sofortigen Rücktritt des maltesischen Regierungschefs

Der lange Schatten des Mordes an der Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia hat am Ende die Regierung Maltas erreicht. Seit Tagen fordert eine aufgebrachte Menge in Valletta den sofortigen Rücktritt des Ministerpräsidenten Joseph Muscat.

Der Regierungschef hat am Sonntag angekündigt, seine Partit Laburista (PL) oder Labour Party, die sozialdemokratische Partei Maltas, werde am 12. Januar Neuwahlen einleiten, in deren Verlauf er selbst zurücktreten werde. Doch diese Ankündigung hat den Zorn der Menge nur noch mehr angeheizt. Immer wieder fordern die Menschen auf ihren Plakaten: „Muscat muss gehen. Er hat Blut an den Händen.“ Tausende tragen das Foto von Daphne Galizia mit sich, wieder andere halten Plakate mit den Worten „Mafia“ und „Schande“ in die Höhe, und Jugendliche bewerfen den Dienstwagen des Regierungschefs mit Eiern.

Vor zwei Tagen hat die Familie der getöteten Journalistin Klage gegen Joseph Muscat eingereicht. Sie fordert vor allem, dass der Regierungschef aus allen Ermittlungen herausgehalten werden müsse.

Vor einer Woche sind seine engsten Mitarbeiter und mehrere Minister zurückgetreten. Die Bombe platzte, als Muscats Stabschef, der Unternehmer Keith Schembri, als Anstifter des Mordes benannt und verhaftet wurde. Schon kurz nach dem Attentat bestand der Verdacht, dass die Regierung ihre Hände im Spiel habe. Dieser Verdacht wird jetzt mehr und mehr zur Gewissheit.

Am Wochenende wurde gegen den Unternehmer Yorgen Fenech Anklage erhoben, seine Konten und Vermögenswerte eingefroren. Am 20. November hatten Marinesoldaten den Milliardär im Hafen festgenommen, als er gerade versuchte, auf einer Luxusjacht aus Malta zu fliehen. Ihm wird Verschwörung zur Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie die Teilnahme an den Verbrechen dieser Vereinigung vorgeworfen. Im vergeblichen Versuch, einen Kronzeugenstatus zu erlangen, soll Fenech den Stabschef Keith Schembri schwer belastet und als Anstifter des Mordes bezeichnet haben.

Der Journalistenmord von Malta ist an Grausamkeit nicht zu überbieten. Am 16. Oktober 2017 wurde Daphne Caruana Galizia durch eine ferngezündete Autobombe ermordet, kurz nachdem sie ihr Haus in Bidnija verlassen hatte. Die heftige Explosion schleuderte ihren Wagen von der Straße und riss den Körper der 53-Jährigen in Stücke. Ein riesiger Feuerball verbrannte alles in wenigen Sekunden.

Daphne Galizia war auf Malta eine Art Institution, eine „EinFrau-WikiLeaks“, wie politico anmerkte. Die Journalistin hatte systematisch zu Korruption und Geldwäsche der Führungsschicht recherchiert und alles veröffentlicht, was sie darüber herausfand. Ihr Blog hatte mit 400.000 Followern eine größere Leserschaft als alle Zeitungen auf Malta zusammengenommen.

Im Jahr 2016 spielte Galizia eine Schlüsselrolle bei der Aufdeckung der maltesischen Verbindungen zu den „Panama Papers“. Dieser Skandal deckte damals mit 11 Millionen geleakten Dokumenten ein unglaubliches Ausmaß an Steuerflucht der Superreichen auf der ganzen Welt auf. Galizia hatte in dem Zusammenhang Briefkastenfirmen auf Panama entdeckt, die dem damaligen maltesischen Energie- und heutigen Tourismusminister Konrad Mizzi, sowie Muscats rechter Hand Keith Schembri gehörten. Beide sind, wie Muscat selbst, prominente Führer der Labour Party.

Die Briefkastenfirmen waren kurz nach Amtsantritt der Labour Party im Jahr 2013 gegründet worden, und monatlich gingen Beträge in sechsstelliger Höhe ein. Eine weitere Briefkastenfirma führte zu Muscats Frau, Michelle Muscat.

Die Enthüllungen erwiesen sich als politisch äußerst brisant, da Muscat seit dem 1. Januar 2017 turnusgemäß die Präsidentschaft des Rats der Europäischen Union innehatte. Die EU setzte auf Muscat als wichtigen Partner, sowohl in der schwierigen Phase des Brexit, als auch bei der Durchsetzung ihrer mörderischen Flüchtlingspolitik. Muscat reagierte auf die Enthüllungen, indem er vorgezogene Neuwahlen ansetzte, die er mit seiner Partei am 3. Juni 2017 gewann. So stand einer zweiten Amtszeit nichts im Wege.

Allerdings hielt dies Daphne Galizia nicht davon ab, weitere Blogposts und Artikel mit Details zu publizieren. Sie enthüllte, dass in der Regierung eine kriminelle Bande am Werk war, die Malta in einen Selbstbedienungsladen für Geldwäsche und Steuerhinterziehung verwandelt hatte.

Kurz nach ihrer Amtsübernahme 2013 hatte die LP-Regierung den Auftrag für ein neues Gaskraftwerk erteilt. Dieses größte öffentliche Bauprojekt auf Malta hat drei Eigentümer: die Holding ElectroGas Malta, die staatliche Energiebehörde von Aserbaidschan und Siemens. Im Verwaltungsrat von ElectroGas saß der Unternehmer Yorgen Fenech, der sonst mit Casinos, Hotels und Luxusimmobilien handelt.

Was die Einwohner Maltas betrifft, so müssen sie seither den Betrieb dieses Kraftwerks mit Milliardensummen aus Steuermitteln bezahlen. Gleichzeitig sind offenbar Gelder systematisch für Bestechungszahlungen abgezweigt worden. Wie die ermordete Journalistin aufgrund der Panama Papers aufgedeckt hat, wurden diese Gelder offenbar durch den Verwaltungsrat Yorgen Fenech nach Panama umgeleitet. Sie nahmen dabei den Umweg über eine in Dubai registrierte Firma, die Yorgen Fenech gehört und den Namen „17 Black“ trägt. So flossen Monat für Monat die sechsstelligen Summen auf die Konten der Minister.

Daphne Galizia deckte alles dies minutiös auf, obwohl sie fast täglich Morddrohungen erhielt. Eines Tages lag ihr Hund mit durchschnittener Kehle vor der Haustür. Ihr Haus und ihr Auto wurden mehrfach angezündet. Gleichzeitig überzogen lokale Größen aus Regierung, Partei und Opposition die mutige Frau mit endlosen Beleidigungsklagen, um sie finanziell zu ruinieren. Von Muscat gingen mehrere solche Klagen aus, aber auch von dem Führer der oppositionellen Nationalistischen Partei, Adrian Delia, den die Journalistin der Geldwäsche bezichtigt hatte.

Der letzte Beitrag, den Daphne Galizia 20 Minuten vor ihrem Tod beendete, betraf denselben Stabschef Muscats, der jetzt im Fokus der Ermittler steht, den Unternehmer Keith Schembri.

„Der Betrüger Schembri behauptet, kein Betrüger zu sein“, schrieb sie. „Dabei hat er nur wenige Tage nach dem Wahlsieg von Labour in 2013 zusammen mit Minister Konrad Mizzi … eine geheime Firma in Panama gegründet … und rund um die Welt suchten sie nach einer zwielichtigen Bank, die sie als Kunden aufnehmen würde. (Am Ende lösten sie das Problem, indem sie eine zwielichtige Bank in Malta gründeten, die sie in aller Öffentlichkeit versteckte.)“ Der Artikel endet mit den Worten: „Wo immer man auch hinschaut, sind Betrüger. Die Situation ist zum Verzweifeln.“

Zwanzig Minuten später war Daphne Caruana Galizia tot, in die Luft gesprengt durch eine Autobombe. Der erste, der sie fand, war ihr ältester Sohn Matthew.

Seither hat sich die Hinterbliebenen-Familie entschieden geweigert, den Ermittlungen des maltesischen Staats Glaubwürdigkeit zu schenken. Galizias Mann Peter und ihre Söhne Matthew, Andrew und Paul beschuldigten von Anfang an die Regierung und den Ministerpräsidenten, hinter dem Anschlag zu stecken. Als die Regierung Maltas eine Million Euro Belohnung für Hinweise auf den Täter aussetzte, weigerte sich die Familie, sich daran zu beteiligen. Eher hielt sie es mit dem WikiLeaks-Gründer Julian Assange, der damals noch in der Botschaft Ecuadors im Exil war und für Hinweise auf die Drahtzieher eine Belohnung von 20.000 Euro ausschrieb.

Matthew Galizia, selbst ein Journalist, hat seither gemeinsam mit internationalen unabhängigen Journalisten das „Daphne-Projekt“ gestartet. Es arbeitet an der Aufdeckung des Falles und setzt die Recherchen der Journalistin fort. Auch haben mehr als 250 Schriftsteller ein halbes Jahr nach dem Mord die schleppende Aufklärung des Verbrechens öffentlich kritisiert.

Zwar wurden schon kurz nach der Explosion die vorbestraften Berufskiller George und Alfred Degiorgio und ein dritter, polizeibekannter Gangster verhaftet. Dass sie den Mord ausgeführt hatten, ergab sich zweifelsfrei aus zahlreichen Indizien wie abgehörten Handys, Überwachungsfilmen aus dem Hafen, DNA-Spuren an einer ausgedrückten Zigarette, etc. Aber seither schienen die Ermittlungen festzustecken. Die inhaftierten Mörder schwiegen, und die Hintermänner blieben weiter im Dunkeln.

Erst die Verhaftung in einem andern Fall von Geldwäsche brachte schließlich Licht in diesen Fall. Als vor zwei Wochen der Taxifahrer Melvin Theuma am Flughafen mit 200.000 Dollar festgenommen wurde, bot er den Behörden einen Deal an. Gegen Straffreiheit werde er ein Geständnis im Fall Daphne Galizia ablegen, denn er sei in der Lage, die Hintermänner zu benennen. Daraufhin gestand er, selbst die Killer Galizias angeworben zu haben. Und zwar im Auftrag Yorgen Fenechs, den er als seinen Auftraggeber benannte.

Seither überschlugen sich die Ereignisse in Valletta: Innerhalb einer Woche wurde Fenech festgenommen, der seinerseits Keith Schembri als Mastermind beschuldigte, und Schembri trat zurück und wurde festgenommen. Zwei weitere Minister, Konrad Mizzi und Chris Cardona, traten ebenfalls eiligst zurück. Schließlich musste Muscat selbst am Sonntag seinen Rücktritt ankündigen.

Die treibende Kraft sind zweifellos die Tausende Menschen, die sich an der wachsenden Protestbewegung beteiligen. Sie sind es einfach leid, unter einer Regierung zu leben, die sich nicht nur weigert, einen derart brutalen Mord aufzuklären, sondern sich sogar als dessen Drahtzieher entpuppt. Diese Regierung hat sich seit Amtsantritt selbst bereichert, die Insel in ein Paradies für Steuerhinterzieher verwandelt und alle öffentlichen Bereiche, von der Taxi-Lizenz über die Polizei bis zum Kraftwerk, der Korruption unterworfen.

Die besorgten Kommentare, die mittlerweile in den europäischen Medien und aus Brüssel zu hören sind, sind vollkommen heuchlerisch. Vor allem die sozialdemokratische Fraktion in der EU hat die Labour Party in der maltesischen Regierung systematisch abgedeckt. Die in der EU versammelten Regierungshäupter haben sich auf Malta und seinen Regierungschef Muscat gestützt und diese benutzt, um ihre menschenverachtende Flüchtlingspolitik im Mittelmeer durchzusetzen.

Gleichzeitig haben europäische Konzerne von den rechtlosen Zuständen auf Malta profitiert: An dem korrupten Kraftwerksprojekt der Regierung ist Siemens beteiligt. Auch haben DAX-Konzerne wie BMW, BASF und die Lufthansa vom Steuerparadies Malta profitiert, wie die „MaltaFiles“ 2017 aufgedeckt hatten. Die deutsche Bundesregierung hat Joseph Muscat im Jahr 2015 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Der Mordfall Daphne Galizia ist bereits der zweite Fall in der EU, bei dem ein Enthüllungsjournalist feige ermordet wurde. Im März 2018 wurde in der Slowakei Jan Kuciak mit seiner Verlobten erschossen, was ebenfalls Massenproteste im ganzen Land und den Rücktritt der Regierung auslöste.

Bezeichnend ist auch die Art und Weise, wie Julian Assange in Großbritannien behandelt wird: Die stärksten imperialistischen Mächte, die USA und das Vereinigte Königreich, führen einen gnadenlosen Rachefeldzug gegen den WikiLeaks-Gründer, der im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London mittlerweile ebenfalls vom Tod bedroht ist. Nur eine Massenbewegung der internationalen Arbeiterklasse kann diese Entwicklung umdrehen.

Loading