Perspektive

Das Coronavirus von Wuhan und die globale Bedrohung durch Infektionskrankheiten

Innerhalb weniger Wochen hat der Ausbruch des Coronavirus das chinesische Wuhan lahmgelegt, eine Weltmetropole mit 11 Millionen Einwohnern.

Die Ausbreitung des Coronavirus zeigt erneut die enorme Anfälligkeit der heutigen Gesellschaft gegenüber neuen Mutationen von Infektionskrankheiten. Keine kapitalistische Regierung hat angemessene Vorbereitungen für diese Gefahren getroffen.

Ein Arbeiter in Schutzkleidung misst am Eingang einer U-Bahn-Station die Temperatur eines Fahrgastes. Peking, 26. Januar 2020 (AP-Foto/Mark Schiefelbein)

Die lokale medizinische Infrastruktur im Epizentrum der Krise steht am Rande des Zusammenbruchs. Insgesamt 15 Städte in der chinesischen Provinz Hubei, darunter Wuhan, wurden teilweise oder ganz abgeriegelt, wodurch die große Mehrheit der 58,5 Millionen Menschen in der Region unter Quarantäne gestellt wurde.

Videos und Fotos, die in sozialen Medien veröffentlicht wurden, zeigen überfüllte Wartezimmer in Krankenhäusern, in denen aufgeschreckte Menschen mit Fieber und anderen grippeähnlichen Symptomen auf medizinische Behandlung warten. Ärzte, Krankenschwestern und anderes medizinisches Personal sind gezwungen, rund um die Uhr zu arbeiten, um die Infizierten zu behandeln und Verdachtsfälle zu diagnostizieren. Die medizinischen Ressourcen sind dabei gefährlich knapp.

Außerhalb der Krankenhäuser haben die Menschen eilends lebenswichtige Güter, Treibstoff, Lebensmittel und Wasser gehamstert, wodurch die Preise für Waren des Grundbedarfs gestiegen sind. Das Chaos hat auch zu Verzögerungen für diejenigen geführt, die andere notwendige medizinische Behandlungen benötigen. Der öffentlichen Nahverkehr in Wuhan wurde eingestellt, so dass die Krankenhausmitarbeiter zu Fuß gehen oder private Autos benutzen müssen. Taxifahrer verweigern medizinischem Personal die Mitfahrt, da sie Angst vor einer Infektion haben.

Die (bis Dienstag) 4.494 bekannten Fälle in China, davon 106 mit Todesfolge, haben das gesellschaftliche Leben für Hunderte Millionen Menschen praktisch zum Stillstand gebracht.

Bisher sind 67 Fälle außerhalb Chinas in 15 Ländern bekannt. Betroffen sind Australien, Kambodscha, Kanada, Frankreich, Japan, Malaysia, Nepal, Singapur, Südkorea, Sri Lanka, Taiwan, Thailand, die Vereinigten Staaten und Vietnam. Auch in Bayern ist ein erster Fall bestätigt worden. Gesundheitsbehörden in China und weltweit warnen davor, dass sich die Ausbreitung beschleunigen könnte. Guan Yi, ein führender Virologe Chinas und Veteran der SARS-Epidemie von 2003, sagt dazu: „Der Ausbruch von Wuhan ist mindestens zehnmal so groß wie der von SARS.“

Gleichzeitig werden die Krankheitsverläufe wie auch die Störungen im Wirtschaftsleben zusätzlich durch Armut, soziale Ungleichheit und das heruntergekommene Gesundheitssystem in den betroffenen Gebieten verschärft. Dabei ist festzustellen, dass die Situation in China zwar schrecklich ist, die so genannten Erstweltländer aber auf einen Ausbruch wie in Wuhan keineswegs besser vorbereitet sind. Jedes Jahr sterben allein in den Vereinigten Staaten 30.000 Menschen an der herkömmlichen Grippe, obwohl ihr als Infektionskrankheit weitaus besser vorgebeugt werden kann als dem Wuhan-Coronavirus.

Eine der Hauptgefahren des neuartigen Coronavirus besteht darin, dass eine infizierte Person das Virus auch dann weitergeben kann, wenn sie noch keine Symptome zeigt, wobei dieser Zeitraum im Durchschnitt 3-7 Tage beträgt und bis zu 14 Tage dauern kann. Forscher der Universität Hongkong unter der Leitung von Gabriel Leung schätzen, dass allein in Wuhan 25.630 Menschen frühe Symptome der Atemwegserkrankung zeigen und sich die Zahl innerhalb von sechs oder sieben Tagen auf fast 44.000 fast verdoppeln wird.

In den Vereinigten Staaten wurden fünf Fälle bestätigt, und weitere 110 Patienten stehen noch unter Beobachtung. Diese Zahlen werden „nur zunehmen“, so Nancy Messonnier, Direktorin des Nationalen Zentrums für Immunisierung und Atemwegserkrankungen der CDC.

Die potenziell starke Verbreitung des Virus nur wenige Wochen nach seinem ersten Auftreten spricht sowohl für die Gefährlichkeit des Erregers als auch für den hohen Grad der Integration des modernen wirtschaftlichen und sozialen Lebens, insbesondere zwischen China und der restlichen Welt. Das Wuhan-Coronavirus breitet sich mindestens viermal so schnell aus wie SARS und infiziert mindestens fünfmal so viele Menschen, was zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass sich die Menschen leicht in das Land hinein und aus dem Land heraus bewegen können.

Die starke Zunahme des Flugverkehrs seit der Jahrtausendwende hat jedoch nicht dazu geführt, dass die internationalen Vorbereitungen zur Bekämpfung und Eindämmung von Infektionskrankheiten verstärkt wurden. Der Menschenstrom über internationale Grenzen hat Rekordhöhen erreicht, was eine internationale Koordination erfordert, um die Ausbreitung von Krankheiten zu stoppen, doch die Mittel von Organisationen wie der CDC wurden in den USA von 10,8 Milliarden Dollar im Jahr 2010 auf die 6,6 Milliarden Dollar im Jahr 2020 zusammengestrichen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die 80 Prozent ihrer Mittel aus freiwilligen Spenden erhält, hatte 2016–2017 nur noch ein Budget von 5,1 Milliarden Dollar.

Gleichzeitig hat der US-Kongress gerade eine militärische Aufrüstung in Höhe von 738 Milliarden Dollar beschlossen. Das jährliche chinesische Verteidigungsbudget wird auf bis zu 250 Milliarden Dollar geschätzt. Und das ist noch nichts im Vergleich zu den sechs Billionen Dollar, die die Vereinigten Staaten bislang für den „Krieg gegen den Terror“ ausgegeben haben, und die Billionen, die nach dem Finanzcrash 2008 an die Banken der Wall Street und international ausgeschüttet wurden.

Anders gesagt: Während die Regierungen der Welt, insbesondere die der Vereinigten Staaten, im vergangenen Vierteljahrhundert akribische Pläne für einen groß angelegten Krieg schmiedeten, wurden keine irgendwie vergleichbaren Mittel oder Vorkehrungen zur Bekämpfung von Epidemien eingesetzt, die den Planeten im gleichen Zeitraum heimsuchten. Seit 1996 hat es weltweit 67 Epidemien gegeben, darunter den Rinderwahnsinn 1996–2001, die Neue Grippe oder Schweinegrippe 2009, das Zikavirus 2015–2016 und die anhaltende HIV/AIDS-Epidemie, die seit ihrem Auftreten 1960 mindestens 30 Millionen Menschen getötet hat.

Diese Katastrophen sind vermeidbar. Die medizinische Wissenschaft ist so weit fortgeschritten, dass sie in der Lage ist, neue Viren innerhalb von Wochen zu identifizieren und Impfstoffe innerhalb von Monaten zu entwickeln. Und doch, wie die damalige WHO-Generaldirektorin Dr. Margaret Chan 2014 im Zusammenhang mit dem Ebola-Ausbruch feststellte, „investiert eine gewinnorientierte Industrie nicht in Produkte für Märkte, die sich nicht lohnen“.

Dieses Thema taucht bei jeder Epidemie und Naturkatastrophe wieder auf, von den Waldbränden des vergangenen Jahres in Brasilien, Kalifornien, Afrika und Australien über die zunehmenden Schäden durch Wirbelstürme und Hurrikane bis zu den weiteren ungezählten Katastrophen, die der Klimawandel verursacht. Das dem Kapitalismus innewohnende Streben nach kurzfristigem Profit widerspricht der Notwendigkeit, vorausplanend Ressourcen für die Vorbereitung auf globale Risiken bereitzustellen. Durch ihre Verwurzelung im Nationalstaatensystem drängt jedes kapitalistische Land auf seinen eigenen Vorteil. Die Zukunft wird geopfert, da wirklich ernsthafte und wissenschaftlich notwendige internationale Zusammenarbeit nicht stattfindet.

Und die Konflikte nehmen zu. In einer Zeit, in der eine rationale Planung über nationale Grenzen hinweg entscheidend ist, um die globale Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit zu bekämpfen, sind die Vereinigten Staaten und China in einem wachsenden Handelskonflikt und einem neuen „Kalten Krieg“ gefangen. Auch wenn neue Krankheitserreger die wissenschaftlichen Ressourcen aller Kontinente zur Bekämpfung benötigen, ziehen die Länder der Welt metaphorisch und wortwörtlich Mauern hoch.

Die Verteidigung der menschlichen Zivilisation gegen die Bedrohung durch globale Pandemien erfordert – ebenso wie der Klimawandel und die wachsende Gefahr ökologischer Katastrophen – ein Maß an Planung und globaler Zusammenarbeit, zu dem der Kapitalismus nicht in der Lage ist. Die Gesellschaft ist über das kapitalistische System und die willkürlichen Spaltungen, die es der Welt auferlegt, hinausgewachsen. Die Befriedigung existentieller gesellschaftlicher Bedürfnisse erfordert eine rationale Planung. Das heißt, notwendig ist der Sozialismus.

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