Intrige (J'accuse) – Roman Polanskis Meisterwerk über die Dreyfus-Affäre

Der Film „Intrige“ des französisch-polnischen Regisseurs Roman Polanski kommt am 6. Februar in die deutschen Kinos. In Frankreich wird er unter dem Originaltitel „J’accuse“ bereits seit dem 13. November gezeigt.

„Intrige“ ist ein eindrucksvoller Film, der von der Dreyfus-Affäre erzählt, dem zwölf Jahre langen historischen Kampf um die Freilassung des französischen jüdischen Hauptmanns Alfred Dreyfus (1859-1935), der 1894 zu Unrecht wegen Spionage für Deutschland verurteilt wurde. Die Enthüllung des kriminellen Verhaltens, an dem praktisch der gesamte französische Generalstab beteiligt war und das vom größten Teil des politischen Establishments unterstützt wurde, erschütterte den französischen Staat bis in die Grundfesten.

Die bemerkenswerte Filmkarriere des 86-jährigen Polanski begann Mitte der 1950er Jahre, vor mehr als sechzig Jahren, mit Kurzfilmen aus seiner Heimat Polen. Zu seinen wichtigsten Spielfilmen gehören „Das Messer im Wasser“ (1962), „Rosemaries Baby“ (1968), „Macbeth“ (1971), „Chinatown“ (1974), „Tess“ (1979), „Der Pianist“ (2002), „Oliver Twist“ (2005) und „Der Ghost Writer“ (2010). Der neue Film ist eines seiner bedeutendsten Werke.

J'accuse (Foto: Guy Ferrandis)

Zunächst war Dreyfus‘ Verurteilung, die auf schlampigen Ermittlungen und einer Beweisführung beruhte, die ausschließlich in den Händen antisemitischer Offiziere lag, praktisch unangefochten. Die Familie Dreyfus und ihre wenigen Unterstützer wurden mit dem heute allzu bekannten Argument abgespeist, man könne wegen des Schutzes geheimdienstlicher Quellen die Beweise nicht offenlegen.

Im Laufe der Jahre traten jedoch mehr und mehr Fakten zutage, die den Verdacht auf einen anderen, echten Spion lenkten und zeigten, dass die Verurteilung von Dreyfus und seine Isolationshaft auf der „Teufelsinsel“, der Strafkolonie vor der Küste von Französisch-Guayana, ein schreckliches Verbrechen und Betrug waren.

Die anhaltenden Auseinandersetzungen über den Fall mündeten in einen offenen Skandal, der die Spannungen in der französischen Gesellschaft explodieren ließ. Während und nach dem ersten Wiederaufnahmeverfahren gegen Dreyfus im Jahr 1899 standen die jeweiligen Regierungen vor dem Zusammenbruch, und Frankreich geriet an den Rand eines Bürgerkriegs.

Auf der einen Seite beriefen sich die Unterstützer von Dreyfus, die Dreyfusards, auf die von der Französischen Revolution verkündeten Ideale der Gleichheit und Gerechtigkeit. Émile Zola (1840-1902), der weltbekannte französische Schriftsteller und Autor des Romans „Germinal“ aus dem Jahr 1885 (inspiriert durch den Streik der Bergleute in Anzin), veröffentlichte 1898 in der Zeitschrift L'Aurore den berühmten offenen Brief „J’accuse“ („Ich klage an“), der an den damaligen französischen Präsidenten Félix Faure gerichtet war. Zola beschuldigte darin namentlich leitende Generalstabsoffiziere und Staatsbeamte, auf kriminelle Weise zur fälschlichen Verurteilung von Dreyfus beigetragen und das Fehlverhalten der Armee vertuscht zu haben.

Alfred Dreyfus um 1894

Zolas Arbeit half dem französischen Sozialistenführer Jean Jaurès, den Widerstand der Syndikalisten in der sozialistischen Bewegung zu überwinden. Deren führender Kopf Jules Guesde behandelte die Dreyfus-Affäre als Auseinandersetzung innerhalb des Offizierskorps und ignorierte die damit verbundenen politischen Fragen. Jaurès leitete schließlich eine Kampagne der französischen sozialistischen Bewegung zur Entlastung von Dreyfus.

Ihnen gegenüber standen Armee, Kirche und die meisten politischen Parteien Frankreichs, die sich hinter das ungerechte Urteil gegen Dreyfus stellten. Diese Anti-Dreyfusards fanden ihre radikalsten politischen und journalistischen Befürworter in nationalistischen und monarchistischen Kreisen, die von Antisemitismus, Militarismus und Hass auf den Sozialismus geprägt waren. Typisch war die 1898 gegründete präfaschistische „Action française“ unter Leitung von Charles Maurras.

In der Dreyfus-Affäre, schrieb Leo Trotzki 1915, konzentrierte sich „der Kampf gegen Klerikalismus, gegen Reaktion, gegen parlamentarische Vetternwirtschaft, gegen Rassenhass und militaristische Hysterie, gegen hinterhältige Intrigen im Generalstab, gegen die Unterwürfigkeit der Gerichte – gegen alle abscheulichen Kräfte, die die mächtige Partei der Reaktion zur Erreichung ihrer Ziele in Bewegung setzte“.

Jean Dujardin und Louis Garrel in J'accuse (Foto: Guy Ferrandis)

Der Fall Dreyfus inspirierte bereits früher eine Reihe wichtiger Filme, darunter „Das Lebendes Emile Zola“ (1937, William Dieterle) mit Paul Muni, und „I Accuse!“ (1958) von und mit José Ferrer. Das nun erschienene Filmdrama von Polanski verleiht dem großen Kampf um den Dreyfus-Skandal am Ende des 19. Jahrhunderts eine besondere Kraft und Lebendigkeit. Es erhielt in diesem Jahr zurecht den Großen Preis der Jury bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig. Die Schauspieler des Films wurden für eine Reihe weiterer Preise nominiert. Bei den Nominierungen für die diesjährigen Césars, die französische Entsprechung der amerikanischen Oscars, liegt „J’accuse“ mit zwölf Nominierungen, darunter für die beste Regie und für den besten Film, an der Spitze.

Wie das Drehbuch bereits in der ersten erschütternden Szene, der öffentlichen Degradierung von Dreyfus (Louis Garrel), zeigt, basiert der Film vollständig auf realen Ereignissen. Doch Polanskis Film beschreibt diese nicht nur. Er bringt das Frankreich der 1890er Jahre und die Menschen, die mutig und prinzipiell gegen den Staat für die Wahrheit kämpften, in bewegender Weise dem heutigen Publikum nahe.

Im Mittelpunkt des Films stehen die Ermittlungen von Oberstleutnant Georges Picquart (Jean Dujardin), der nach dem Fehlurteil gegen Dreyfus Leiter der militärischen Spionageabwehr wurde. Über mehrere Monate hinweg sammelte Picquart Dokumente, die die Unschuld von Dreyfus eindeutig belegten.

Im Zentrum der Verurteilung von Dreyfus stand der Vorwurf, er sei der Verfasser eines Bordereau, einer Liste von Militärgeheimnissen, die von einem Spion an deutsche Offiziere geschickt wurde, die aber in französische Hände fiel. Regierungsexperten gaben zu, dass Dreyfus' Handschrift nicht mit der auf der Liste übereinstimmte, wischten dies jedoch mit der Behauptung vom Tisch, Dreyfus habe seine Handschrift verstellt. Dies veranlasste Dreyfus im Prozess zur bitteren Bemerkung, er sei deshalb verurteilt worden, weil seine Handschrift nicht mit der des Spions übereinstimmte.

Nach der Verurteilung von Dreyfus entdeckte Picquart jedoch, dass die Handschrift auf dem Bordereau tatsächlich einem anderen Offizier gehörte, Captain Ferdinand W. Esterhazy (Laurent Natrella), der weiterhin für Deutschland spionierte, bis er schließlich in Schande nach England fliehen musste.

Entschlossen, Dreyfus auf der Teufelsinsel zu halten, weigerte sich der Generalstab, seinen Fehler zuzugeben, schützte den Spion Esterhazy und versuchte, Picquart davon abzuhalten, seine Ermittlungen fortzusetzen. Picquart weigerte sich und wurde daraufhin zum Ziel einer heftigen öffentlichen Hetzkampagne, mit der man versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen oder andernfalls in den Tod auf den kolonialen Schlachtfeldern zu schicken. Dies überzeugte letztlich Picquart, seine tiefen Bedenken als Offizier zu überwinden und außerhalb offizieller Kanäle zu arbeiten. Er stellte Zola (André Marcon) kritisches Material für „J'accuse“ zur Verfügung.

Indem er sich auf Picquarts Untersuchung konzentriert, gelingt Polanski eine erstaunliche Leistung: Er verdichtete die meisten Schlüsselereignisse des komplexen Skandals, der durch alle möglichen offiziellen Lügen, Provokationen und Morde verdeckt wurde, zu einer zusammenhängenden, zweistündigen Geschichte. Das Drehbuch ist bemerkenswert präzise und verwendet wirkungsvoll Texteinlagen, um dem Kinobesucher zu helfen, sich in den Ereignissen zurechtzufinden und den vielen Charakteren des Dramas zu folgen.

Die Filmemacher haben sich nicht nur große Mühe gegeben, das Aussehen, die Farbgebung und die Verhaltensweisen der Belle-Epoque-Ära genau nachzubilden, sondern auch aus diesen Elementen einen visuell atemberaubenden Film zu schaffen. Diese Realitätsnähe verstärkt die dramatische Spannung, die von der wachsenden Gefahr für die Hauptprotagonisten ausgeht, körperlich angegriffen, ins Gefängnis gesteckt oder ermordet zu werden.

Polanskis „J'accuse“ profitiert von großartigen Darstellern, die die zahlreichen Figuren dieses komplexen Dramas glaubwürdig zum Leben erwecken. Grégory Gadebois ist ausgezeichnet als Oberst Henry, der einen Spaßvogel mimt, aber zutiefst zynisch ist und Picquart gegenüber beinahe zugibt, dass er beim Fälschen von Beweisen gegen Dreyfus mitgeholfen hat; praktisch für die Armee begeht er im Gefängnis offenbar Selbstmord, nachdem seine Schuld festgestellt wurde.

Emmanuelle Seigner, Polanskis Frau, ist bemerkenswert als Pauline Monnier, deren außereheliche Affäre mit Picquart von der Armee am Ende ausgenutzt wird, um ihn zu vernichten. Nachdem ihr Mann (Luca Barbareschi) sie zur Rede gestellt und ihr die Scheidung angedroht hat, besucht sie in einer bewegenden Szene Picquart, dem die Verhaftung droht, und entscheidet sich, trotz der offensichtlichen Risiken zu ihm zu halten.

Vor allem Dujardin, normalerweise ein Komödien-Darsteller, stellt hervorragend den geradlinigen Picquart dar. Als gebildeter Mann, der klassische Konzerte besuchte und Kuriere, die ihm geheime Dokumente überreichten, vor den Statuen des Louvre traf, überwand Picquart die persönlichen antisemitischen Vorurteile, die er mit praktisch dem gesamten Offizierskorps teilte, und nahm einen mutigen und prinzipiellen Kampf auf. Als man ihn vor den Generalstab schleppte und beschuldigte, eine jüdische Verschwörung zur Vernichtung von Esterhazy gefördert zu haben, sagte er seinen Vorgesetzten, dass ihre Untersuchung eine Farce sei, ging hinaus und schlug ihnen die Tür vor der Nase zu.

Jean Dujardin in J'accuse

Der Höhepunkt des Films ist vielleicht die Veröffentlichung von „J'accuse“, die Polanski eindrucksvoll als vernichtende Anklage inszeniert. Für jeden beschuldigten Offizier liest der entsprechende Schauspieler Zolas Anklage gegen ihn vor, während die Kamera die Wut und Bestürzung des Betroffenen anhand eines Artikels demonstriert, der in 300.000 Exemplaren, das heißt zehn Mal so viel wie die normale Druckauflage der L'Aurore, verbreitet wurde.

Der Film folgt den Ereignissen beim Verleumdungsprozess von 1898 gegen Zola und beim Wiederaufnahmeverfahren von 1899, in dem Picquart seine Zeugenaussage machte. Hier reagierte die Armeeführung auf die wachsende öffentliche Empörung, indem sie Dreyfus‘ Strafe reduzierte, ohne die eigenen Fehler zuzugeben. Am Ende verhängte sie gegen Dreyfus das absurde und schändliche Urteil, er sei „des Hochverrats schuldig mit mildernden Umständen“. Dreyfus wurde 1906 freigesprochen, doch die französische Armee wollte die Falschanklage bis 1995 nicht zugeben.

Die Entstehung eines solchen Films, der eines der großen Ereignisse der europäischen Geschichte ernsthaft künstlerisch beleuchtet, ist sehr bedeutsam. In einer Zeit des zunehmenden Einflusses rechtsextremer Parteien in ganz Europa, einschließlich der wiederbelebten Action française, die heute am Rand des rechtsextremen Rassemblement National von Marine Le Pen auftritt, erfordert dies nicht nur Integrität und Geschicklichkeit, sondern auch intellektuellen Mut. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass dieser Film ein Meisterwerk ist.

Wenn man einen kritischen Punkt erwähnen möchte, dann der, dass der Film zwar die gewalttätigen antisemitischen Mobs, die von den Anti-Dreyfusardsorganisiert wurden, eindrucksvoll darstellt, aber dem Filmpublikum nicht vermittelt, welch massive Unterstützung Zola und Jaurès für Dreyfus mobilisiert hatten. Dies ist zum Teil auf den Fokus des Films auf die Periode 1894-1899 zurückzuführen. Die sozialistische Arbeiterbewegung, die vor allem in den späteren Jahren der Dreyfus-Affäre eine große Bedeutung erlangte, spielt im Film keine Rolle. Daher wird nicht ganz klar, warum Zola, Picquart und ihre Verbündeten die Anhänger der Anti-Dreyfusards besiegen konnten und die Armee nicht einfach Picquarts Ungehorsam mit einer Gefängnisstrafe beantwortete.

Das schmälert jedoch nicht den Verdienst von Polanskis Film, dem es gelungen ist, die Affäre Dreyfus lebendig zu machen. Angesichts der Rückkehr neofaschistischer Politik und Parteien in Europa und weltweit und der Wiederbelebung des Militarismus sollte sich jeder den Filmansehen.

Eine Szene zu Beginn des Films, in der Picquart geheime Akten von seinem Vorgänger als Chef der militärischen Spionageabwehr, Colonel Sandherr (Eric Ruf), erhält, ist besonders erschreckend. Der an Syphilis sterbende Sandherr erzählt Picquart von einer brisanten Akte. Sie enthalte eine Liste mit Tausenden von politischen Gegnern, die im Kriegsfall zur „Säuberung“ der Nation zusammengetrieben und verhaftet werden sollen. Er fügt hinzu, dass auch Juden zusammengetrieben werden sollen.

Die faschistische Herrschaft und der Holocaust in Frankreich bedeuteten im Wesentlichen die Machtübernahme der Anti-Dreyfusards. Der rechtsextreme Charles Maurras, der seine journalistische Karriere damit begonnen hatte, dass er Henrys falschen Dokumente, die Dreyfus belasteten, als „absolute Wahrheit“ pries, stand letztlich Pate bei der Errichtung des Vichy-Regimes, das mit den Nationalsozialisten kollaborierte, nachdem die französische Armee im zweiten Kriegsjahr 1940 plötzlich vor den Nazis kapituliert hatte. Er wurde zu Recht als intellektueller Ziehvater der gesamten faschistischen Clique um Diktator Philippe Pétain angesehen.

Zu den Mitgliedern der Action française, die in der Kollaboration eine Schlüsselrolle spielten, gehörten Raphaël Alibert, Xavier Vallat und Louis Darquier, die die verschiedenen Etappen der Judenverfolgung und -deportation unter dem Vichy-Regime leiteten; ebenso gehörten dazu der berüchtigte Nazi-Propagandist Robert Brasillach, der Vichy-Finanzminister Pierre Bouthillier und unzählige untergeordnete Beamte, Schläger und Mörder.

Als Maurras am Ende des Zweiten Weltkriegs und nach dem Sturz des faschistischen Regimes wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, rief er: „Das ist die Rache von Dreyfus!“

Heute, viele Jahrzehnte danach, ist keines der grundlegenden Probleme gelöst, die mit der Dreyfus-Affäre verbunden waren. Dies macht schon die Tatsache deutlich, dass die antidemokratische #MeToo-Kampagne, die in Verbindung zur Regierung von Präsident Emmanuel Macron und den amerikanischen Behörden steht, eine wütende Kampagne gegen den Film entwickelte. Sie versucht, die Vorführung eines Films zu verhindern, der eine der wichtigsten Schlachten in der Geschichte der sozialistischen Bewegung dokumentiert. (Siehe: #MeToo launches fascistic attack on Polanski’s film J’accuse“)

In den USA und in England gibt es bisher noch keine Termine für den Kinostart, obwohl der Film in Frankreich auf großen Zuspruch stieß und im ersten Monat 1,4 Millionen Zuschauer verzeichnete.

Die Geschichte der Dreyfus-Affäre ist gerade heute von großer politischer Bedeutung. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den Diktator Pétain als „großen Soldaten“ gefeiert, während er gleichzeitig die Polizei gegen die sozialen Proteste der Gelbwesten und gegen streikende Arbeiter einsetzt. Im französischen Kultusministerium gibt es Bestrebungen, die Werke des Rechtsextremen Maurras neu zu veröffentlichen. Auch in Deutschland trifft Polanskis Film den Nerv der Zeit. Polanskis Film über den Sieg der Wahrheit gegen Nationalismus und Militarismus ist ein bedeutender Beitrag und verdient ein breites Publikum.

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