Assanges Verteidiger: „Das Imperium nennt es Spionage, wir nennen es Journalismus“

Auf einer Pressekonferenz in London diskutierten am Dienstag mehr als 100 Journalisten aus 23 Ländern über die Anhörung zum Auslieferungsantrag der USA für Julian Assange, die nächsten Montag beginnen soll. Zu den Rednern gehörten WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson, Assanges Anwältin Jennifer Robinson und die australischen Parlamentsabgeordneten Andrew Wilkie und George Christensen.

Hrafnsson wies darauf hin, dass Assange vor zehn Jahren ein international gefeierter Journalist war. WikiLeaks hatte mit einer Kerngruppe von Journalisten aus der ganzen Welt zusammengearbeitet, um die als Cablegate bekannten Dokumente zu veröffentlichen. Hrafnsson erklärte: „Diese zentralen Werte sind durch die Verhandlung im Fall Julian Assange nächste Woche in Gefahr.“

WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson, Anwältin Jennifer Robinson, Deborah Bonetti und die australischen Abgeordneten Andrew Wilkie und George Christensen

Hrafnsson bezeichnete die Behauptung des US-Außenministeriums, Assange sei kein Journalist und WikiLeaks keine Medienorganisation, als absurd: „Gestern Abend haben einige von uns ... im Frontline Club Aufnahmen von der Verleihung des Walkley Award, des australischen Pulitzerpreises, an Julian Assange im Jahr 2011 gesehen. Er hat diesen Preis für die Veröffentlichungen in den Jahren 2010 und 2011 erhalten. Heute werden dieselben Publikationen als Spionage bezeichnet.

Das Imperium nennt es Spionage. Wir nennen es Journalismus.“

Hrafnsson setzte sich mit den abgekarteten Anklagepunkten der USA gegen Assange auseinander und erklärte den Journalisten: „Die Anwälte, die im Auftrag der USA handeln, werden behaupten, es gehe bei einem der Anklagepunkte um Hacking. Diese Bezeichnung ist nur Propaganda... es geht nicht im geringsten um Hacking, sondern um legale Kommunikation zwischen einer Quelle und einem Journalisten.“

Er wies die haltlosen Unterstellungen der „untröstlichen Generäle aus dem Pentagon“ zurück, die Enthüllungen hätten „Menschenleben gefährdet“, und erklärte: „Ich fand es ironisch, wenn man bedenkt, dass es von der Person kam, über die wir gerade enthüllt haben, dass sie in Afghanistan Todesschwadronen unterhält.

Seither sind zehn Jahre vergangen, und es gab nicht einen einzigen nachgewiesenen Fall, in dem jemand wegen der Enthüllungen von 2010 und 2011 zu körperlichem Schaden gekommen ist.“

Über die konstruierten Anklagen gegen Assange und die Missachtung des Rechtsstaatsprinzips, die er in den letzten zehn Jahren erleiden musste, erklärte Hrafnsson: „Es gibt überwältigende Argumente für die Einstellung des Verfahrens.“

„Dies ist ein hochgradig politisierter Fall“, so Hrafnsson weiter. „Wie ich schon mehrfach gesagt habe, ist Julian Assange ein politischer Gefangener... Der Fall war schon 2010 politisch, als hochrangige US-Regierungsvertreter und Kommentatoren davon gesprochen haben, WikiLeaks ,zur Strecke zu bringen‘.

Es war politisch, als man zur Ermordung von Julian Assange aufrief. Angesichts der jüngsten Ereignisse im Irak sollte man diesen Aufruf ernst nehmen.

Es war politisch, als Mike Pompeo – damals CIA-Direktor – WikiLeaks 2017 als ,nicht-staatlichen feindlichen Geheimdienst‘ bezeichnet hat, wovon man noch nie zuvor gehört hat...“

Andrew Wilkie, ein unabhängiger Abgeordneter des australischen Parlaments und ehemaliger Oberstleutnant des Royal Australian Infantry Corps, erklärte, Assange habe „Informationen von öffentlichem Interesse publik gemacht, darunter auch konkrete Beweise für US-Kriegsverbrechen“.

Er erklärte weiter, er sei „sehr besorgt über das Verhalten der britischen und der australischen Regierung... Und ich kritisiere die australische Regierung dafür, dass sie sich nicht für einen australischen Staatsbürger einsetzt, der im Ausland in Schwierigkeiten ist.“

Der liberal-nationale Abgeordnete George Christensen erklärte dem Publikum, er sei kein typischer Verteidiger von Assange, weil er „ein großer Fan von Donald Trump und ein großer Fan von BoJo [dem konservativen britischen Premierminister Boris Johnson]“ sei. Allerding, erklärte er weiter, „bin ich ein noch größerer Fan von Meinungs- und Pressefreiheit... und die sind im Fall von Julian Assange offensichtlich in Gefahr.“

Über den Grund seines und Wilkies Besuch in London erklärte Christensen, sie wollten „direkt von Julian Assange hören, was er der australischen Regierung und der australischen Bevölkerung zu übermitteln hat. Und wir wollen auch sehen, wie es um sein Wohlergehen bestellt ist, weil wir uns wegen der ständigen Berichte über seinen Gesundheitszustand und seinen mentalen Zustand Sorgen machen.“

Christensen erklärte, Boris Johnsons jüngste Äußerungen im Unterhaus hätten ihm Mut gemacht: „Er hat erklärt, das Auslieferungsabkommen mit den USA sei seiner Meinung nach etwas unausgeglichen. Er hat auch erklärt, Großbritannien schütze Journalisten und Whistleblower, und das halte ich ihm zugute. Ich hoffe, es wird einen Kurswechsel geben.“

Jennifer Robinson konzentrierte sich auf die Bedeutung der WikiLeaks-Enthüllungen, für die Assange verfolgt wird, und wies auf die Kriminalisierung von Journalisten hin, die zu Fragen der nationalen Sicherheit arbeiten:

„Wir sprechen von ‚Collatoral Murder‘, Beweise für Kriegsverbrechen; wir sprechen über die Berichte aus dem Afghanistan- und dem Irakkrieg, die die wirklichen Kosten der Kriege Amerikas gezeigt haben; Menschenrechtsverletzungen; wir sprechen über Cablegate... Laut Amnesty International hat das den Arabischen Frühling ausgelöst.“

Robinson erklärte, dass WikiLeaks-Dokumente bei zahlreichen Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen überall auf der Welt zitiert wurden: „Sie sind eine bemerkenswerte Quelle für alle, die versuchen, Regierungen für Verbrechen an ihren eigenen und den Staatsbürgern anderer Länder zur Verantwortung zu ziehen. Für diese Veröffentlichungen sitzt Assange jetzt in einem Hochsicherheitsgefängnis, und für sie drohen ihm 175 Jahre Gefängnis in den USA.“

In der Frage-Antwort-Runde erkundigte sich ein Journalist nach der Rolle von WikiLeaks bei der Aufdeckung der Sabotage von Bernie Sanders’ Vorwahlkampf durch das Nationalkomitee der Demokratischen Partei (DNC) in der US-Präsidentschaftswahl 2016. Christensen erklärte: „Deshalb haben Teile der Linken Julian Assange im Stich gelassen.“ Tatsächlich haben die Demokraten und ihre pseudolinken und liberalen Unterstützer im Rest der Welt eine reaktionäre Kampagne gegen WikiLeaks begonnen und behauptet, WikiLeaks sei Teil der „russischen Einmischung“, die Donald Trump ins Weiße Haus gebracht hat.

Hrafnsson erklärte, ein Gerichtsurteil hätte diese Lüge letztes Jahr eindeutig widerlegt. Ein New Yorker Richter hatte die Klage des DNC rechtskräftig abgewiesen, was laut Hrafnsson „die am seltensten berichtete Nachricht des Jahres“ war.

Christensens absurde Hoffnung, Boris Johnson – ein rechter Politiker wie er – würde zu Assanges Rettung einschreiten, wird auch vom Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn offen propagiert. Dieser erklärte am Montag nach einem Treffen mit Wilkie auf ABC News: „[Johnson] hat akzeptiert, dass [das britisch-amerikanische Auslieferungsabkommen] ein ungleicher und ungerechter Vertrag ist. Das halte ich für einen deutlichen Kurswechsel der britischen Regierung.“

Das ist eine bewusste Falschdarstellung der Ereignisse bei der Fragerunde des Premierministers am letzten Mittwoch. Corbyn hatte zum Schluss der Fragerunde zuerst nach der CIA-Mitarbeiterin Anne Sacoolas gefragt, die den Jugendlichen Harry Dunn überfahren hatte. Corbyn verurteilte das „einseitige Auslieferungsabkommen mit den USA“ und fragte, ob Johnson eine „ausgewogenere Auslieferungspraxis mit den USA“ anstrebe.

Johnson steht unter immensem Druck wegen der Enthüllungen, dass seine Regierung Sacoolas die Ausreise aus dem Land erlaubt hat, obwohl bekannt war, dass sie eine CIA-Agentin war. Er wand sich, als er Corbyns Charakterisierung des Auslieferungsabkommen als „einseitig“ zustimmte und erklärte gleich darauf: „Das ist etwas völlig anderes als der Fall von Harry Dunn und Anne Sacoolas.“

Daraufhin fragte Corbyn, ob Johnson glaube, Assanges Auslieferung sollte „abgelehnt und die Rechte von Journalisten und Whistleblowern zum Wohle aller verteidigt werden“. Johnson antwortete, er werde sich nicht zu „individuellen Fällen“ äußern. Dann erklärte er: „Die Rechte von Journalisten und Whistleblowern sollten verteidigt werden, und diese Regierung wird genau das weiterhin tun.“

Die einzige Äußerung von „BoJo“ in Bezug auf Assange stammt vom 11. April 2019. Damals gratulierte er den Beamten des britischen Außenministeriums für die brutale Verhaftung Assanges und die Verschleppung aus der ecuadorianischen Botschaft. Er hat nicht die Absicht, die Auslieferung von Sacoolas zu fordern oder die Forderung der USA nach Assanges Auslieferung zurückzuweisen. Corbyn und Christensen wissen das sehr genau.

Die unablässige, über ein Jahrzehnt andauernde Verfolgung, angedrohte illegale Überstellung und Folter von Julian Assange ist das Ergebnis des Kurses aller imperialistischen Mächte auf Krieg, Autoritarismus und staatliche Unterdrückung, bei dem sich die Johnson-Regierung als Trumps wichtigster militärischer Verbündeter positioniert.

Assange wird nicht wegen Johnsons angeblichem „Sinneswandel“ frei kommen, sondern durch den Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse gegen die Tory-Regierung. Diese Bewegung muss die Freilassung des WikiLeaks-Herausgebers fordern.

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