Thyssenkrupp Stahl: IG Metall nutzt Corona-Krise, um mehr Arbeitsplätze abzubauen

Die IG Metall nutzt bei der Thyssenkrupp Steel Europe AG (TKSE) die Gunst der Stunde und erhöht die Zahl der Arbeitsplätze, die abgebaut werden. Nun sollen 3000 anstatt ursprünglich 2000 Arbeitsplätze vernichtet werden. Allen rund 27.000 Beschäftigten werden außerdem Tariferhöhungen vorenthalten. Mehrere Werke werden geschlossen.

Bereits vor anderthalb Monaten hatte die IG Metall angekündigt, bis Ende März einen sogenannten Zukunfts-Tarifvertrag unter Dach und Fach zu bringen. Nun hat die Gewerkschaft mitgeteilt, dass am Dienstagabend der „Tarifvertrag Zukunftspakt Stahl 20-30 erfolgreich abgeschlossen“ worden sei.

Der Abbau von 2000 Arbeitsplätzen in der Produktion und 1000 in der Verwaltung trifft vor allem den größten Standort in Duisburg. Das Grobblech-Werk in Duisburg-Hüttenheim wird bis zum 30. September nächsten Jahres geschlossen, wenn sich nicht doch noch überraschend ein Käufer findet. Aufgrund der jahrelangen nicht getätigten Investitionen ist das mehr als unwahrscheinlich. Es bleibt außerdem dabei, dass das Warmwalzwerk in Bochum mit 1000 Beschäftigten geschlossen wird.

Neben dem erhöhten Arbeitsplatzabbau haben sich der TKSE-Vorstand und die IG Metall im Zuge der Corona-Krise auch gleich auf Lohnkürzungen geeinigt. Solange noch Aufträge und Nachfrage da sind, müssen die Stahlarbeiter produzieren. Der Betriebsratsvorsitzende des Grobblech-Werks Mehmet Göktas berichtet in der Lokalpresse, er sei „stolz auf die Mannschaft“, die unter seiner Anleitung „zuletzt die versandfertige Tagesmenge von 300 auf 1100 Tonnen gesteigert“ habe.

Mit anderen Worten: Der Betriebsrat betrachtet es als seine Aufgabe, die Belegschaft zu Spitzenleistungen anzutreiben. Inmitten der Corona-Krise hat sich die Tagesmenge fast vervierfacht! Wahrscheinlich sollte dies die Profitabilität des Grobblechwerks belegen, um das Werk für einen Käufer attraktiv zu machen.

Auch in den anderen Werken wird trotz der Infektionsgefahr weiterproduziert. Viele Stahlarbeiter beschweren sich in den sozialen Medien über die mangelnden Hygiene- und Gesundheitsschutz-Vorrichtungen. Während in vielen Bereichen, wie in den Leitständen, der vorgegebene persönliche Mindestabstand überhaupt nicht eingehalten werden kann, mangelt es in vielen alten Sanitäranlagen selbst an Seife.

Nun, da die Nachfrage einbricht, hat der Konzern flächendeckend Kurzarbeit angemeldet. Die IG Metall und der Vorstand haben deshalb kurzerhand auch eine „Corona-Vereinbarung“ getroffen. Die Gewerkschaft feiert eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf etwas über 80 Prozent des Nettolohns, was einer fast 20-prozentige Lohnkürzung gleichkommt, als Erfolg.

Im letzten Jahr war tariflich vereinbart worden, dass jedem Beschäftigten wahlweise ein Zusatzentgelt in Höhe von 1000 Euro oder fünf zusätzliche freie Tage zustehen. Die Wahlfreiheit entfällt nun, die Stahlarbeiter müssen die freien Tage nehmen, „zur Reduzierung von Kurzarbeit“.

Die IG Metall und der Betriebsrat unter seinem Vorsitzenden Tekin Nasikkol loben ihre Vereinbarung über den Klee. Die verbalen Verrenkungen in ihren Informationsflyern sind provokativ und abstoßend. „Wir wollten Klarheit bis Ende März und konnten diese schaffen“, teilt die Gewerkschaft den „lieben Kolleginnen und Kollegen“ mit. Mit dem nun abgeschlossenen Zukunftspakt „haben wir die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft gestellt“.

Der Verkaufsprozess, sprich die Schließung des Grobblechwerks mit 800 Arbeitsplätzen, verlaufe nun „transparent und unter Beteiligung des Betriebsrates und der IG Metall bis Ende des Jahres“. Der 1. Bevollmächtigte der IG Metall, Dieter Lieske, weist zwar darauf hin, dass die Schließung weiterreichende Konsequenzen hat: Die benachbarten Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) liefern den Stahl für das Grobblechwerk und sind deshalb auch gefährdet. Aber auch sein Fazit: „Ein gutes und rundes Paket für die Beschäftigten.“

Die bereits beschlossene Schließung des Warmwalzwerks in Bochum wird in den IGM-Infos gar nicht mehr erwähnt. Der Erfolg sei vielmehr, dass „der Stahlstandort Bochum erhalten“ bleibe. Dort soll ein „Kompetenzzentrum E-Mobilität inklusive Hochfest- und Dualphasenstähle eine echte Zukunftsperspektive“ schaffen.

Wie üblich wird der Arbeitsplatzabbau der überalterten Belegschaft mit einem Sozialplan schmackhaft gemacht. Betriebsbedingte Kündigungen sollen bis zum 31. März 2026 ausgeschlossen sein. „Niemand fällt ins Bergfreie.“ Bei Thyssenkrupp sind Arbeitsplätze noch nie betriebsbedingt gekündigt worden, dennoch wurden in den letzten Jahren Zigtausende vernichtet, mit entsprechenden Folgen für die ganze Region.

Auch jetzt mutiert bei der Gewerkschaft der Abbau von 3000 Stellen zum Erfolg, weil im Gegenzug ein „Investitionspaket von 800 Millionen“ und „erhöhte jährliche Standardinvestitionen von 570 Millionen Euro“ versprochen worden sind.

Der Betriebsratsvorsitzende Nasikkol merkt gar nicht mehr, in welch abstoßender Weise er die Sichtweise der Konzernspitze verinnerlicht hat. Zu den versprochenen Investitionen sagte er: „Wir [!] werden die Fehler der Vergangenheit korrigieren, um langfristig wieder die Nummer eins im Stahlbereich zu werden.“

Erstens handelt es sich um Investitionen, die in den letzten Jahren unterblieben sind, weil man vorhatte, den Stahlbereich in das Joint Venture mit Tata Steel Europe abzuschieben. Zweitens finanziert die Belegschaft mit dem Arbeitsplatzabbau einen großen Teil dieser Investitionen selbst. Drittens hat Thyssenkrupp erst vor vier Wochen seine profitable Aufzugssparte für über 17 Milliarden Euro verkauft. Die IG Metall hat dies nicht zuletzt unterstützt, weil sie damit die jetzigen Investitionen finanzieren will. Und last but not least gab es noch in jedem Tarifvertrag Klauseln, die den Konzern – nicht die Belegschaft – von allen Verpflichtungen befreien, wenn die wirtschaftliche Lage dies erfordert.

Um den Verzicht auf die tariflich Zusatzvergütung von 1000 Euro schmackhaft zu machen, lautet der gewerkschaftliche Neusprech, dass auch „Management, der Vorstand und die Geschäftsführung in der Corona-Krise einen vergleichbaren Beitrag leisten“.

„Vergleichbarer Beitrag“, was heißt das? Verzichten die Vorstände auch auf 1000 Euro – oder auf einen prozentual „vergleichbaren“ Bertrag? Erhält dann Personalvorstand Oliver Burkhard, ehemaliger IG-Metall-Chef in Nordrhein-Westfalen, nicht mehr knapp 400.000 Euro im Monat, sondern nur noch 380.000 Euro?

Ist es das, was Burkhard im Februar gemeint hat, als er an den Westdeutschen Rundfunk (WDR) in einer schriftlichen Stellungnahme schrieb: „Wenn wir Spitzenklasse wieder erreichen wollen, müssen alle ihren Beitrag leisten. Weiter so ist keine Option.“

Die Entwicklung bei Thyssenkrupp macht gerade im Zuge der nun zugespitzten Corona-Krise eines deutlicher als je zuvor: Die Seiten der Barrikade sind klar verteilt. Die Gewerkschaft und ihr Betriebsrat stehen auf Seiten des Konzerns. Sie treiben die Belegschaften zu Höchstleistungen an, schicken sie trotz hoher gesundheitlicher Gefahren an die Arbeit und sind der Meinung, dass die Belegschaften mit ihren Arbeitsplätzen, Löhnen, ja ihrer Gesundheit und ihrem Leben für die Gewinne der Aktienbesitzer zahlen müssen.

Um die Profite der Superreichen und Aktienbesitzer – unter ihnen eine Reihe von Hedgefonds – zu sichern, rufen BR-Chef Nasikkol und die IG Metall die Belegschaft auf, ruhig zu bleiben und die bitteren Pillen allesamt zu schlucken: „Lasst uns gerade jetzt zusammenhalten und Solidarität beweisen.“

Alle Arbeiter, die gegen diesen „Pakt der Profiteure“ aus Aktionären, Management, Gewerkschaft und Betriebsrat kämpfen wollen und die Solidarität der Arbeiter dagegen setzen, rufen wir auf, mit uns Kontakt aufzunehmen.

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