Münchner Trambahnfahrer: „Die hygienischen Zustände sind erschreckend“

Das Coronavirus ist in Deutschland und weltweit weiterhin auf dem Vormarsch. Laut offiziellen Angaben liegt die Gesamtzahl der bislang in München mit dem Virus infizierten Personen bei knapp über 4000. Pro Tag werden in der der bayerischen Landeshauptstadt immer noch zwischen 100 und knapp 200 neue Fälle gemeldet. Alle Experten gehen zudem davon aus, dass der Höhepunkt der Corona-Neuinfektionen in Deutschland noch nicht erreicht ist.

Trotz der besorgniserregenden Zahlen und Berichte über die aggressive Verbreitung des Virus sind Fahrer des öffentlichen Nahverkehrs tagtäglich einer großen Gefahr ausgesetzt. Reporter der WSWS haben vergangene Woche mit zwei Trambahnfahrern (Namen geändert) der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) über ihre derzeitige Arbeitssituation gesprochen. Bereits Ende März hatte die WSWS über die Situation der Busfahrer der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) berichtet.

Trambahnfahrer W. erzählte uns von einem Infoblatt, das die MVG am 1. April zur Coronakrise herausgegeben hat. Darin heißt es, Oberflächen müssten nicht durch die Fahrer desinfiziert werden. Selbiges gelte für die Fahrerstände, die regelmäßig und umfassend gesäubert würden. Die Hygiene in den Fahrerständen bezeichnete W. allerdings als „erschreckend“. Er sagte: „Jedes Mal, wenn ich ein Fahrzeug übernommen und die wichtigsten Schalter und Flächen mit einem Desinfektionstuch abgewischt habe, war das Tuch danach total schwarz vor Schmutz.“

W. berichtete außerdem über die fahrlässigen Sicherheitsvorkehrungen in Fahrzeugen eines älteren Wagentyps: „Es fahren in München noch ungefähr so um die 20 Wägen vom Typ R2, die wie Busse keinen abgetrennten Fahrerstand haben. Wir haben dann den Hinweis bekommen, den Vorhang zuzuziehen, um uns vor dem Virus zu schützen. Also auch tagsüber, normalerweise dürfen wir das nur nachts.“ Der Vorhang ist aber nur als Sichtschutz vorgesehen.

Der Fahrer erzählte weiter, die erste Tür der Fahrzeuge sei dann für Fahrgäste zunächst komplett gesperrt worden. Auch wurde, wie man es unterdessen deutschlandweit sieht, ein rot-weißes Flatterband angebracht, um Fahrer und Fahrgäste zu deren gegenseitigem Schutz voneinander zu trennen. Allerdings seien die Maßnahmen für die Trambahnen nur wenig später von der MVG wieder aufgehoben worden.

„Am nächsten Tag wurde dann eine Plexiglasscheibe installiert, um die Fahrer in den R2-Wägen zu schützen. Aber an den Seiten waren halt mindestens 5 cm Luft, da kann man nicht von einem effektiven Schutz sprechen, weil das Virus da leicht durchkommt“, so W. weiter. „Da hilft auch ein Aufkleber nichts, auf dem steht ‚Bitte nicht mit dem Fahrer sprechen‘, wenn jemand neben einem steht und hustet oder man sogar selbst infiziert ist.“

Selfie-Aktion der Münchner Verkehrsgesellschaft (Quelle: Facebookseite der MVG)

Sein Kollege Z. berichtete über eine von der MVG ins Leben gerufene Selfie-Aktion, um den Tram-, Bus- und U-Bahnfahrern für ihren Einsatz während der Coronakrise zu danken. Die Fahrer sollten Fotos von sich schicken, die sie bei der Arbeit zeigen. Diese wurden dann zu einer Kollage zusammengestellt und mit dem Satz „Ihr haltet München am Laufen. Danke!“ versehen. Verbreitet wurde das Bild in den sozialen Medien, von den Lokalblättern TZ und Münchner Merkur sowie von Bild München.

Z. begrüßte es, dass die Fahrer auf diese Weise öffentlichkeitswirksam Anerkennung erhalten. Allerdings fügte er hinzu: „Aber praktische Lösungen [seitens des Arbeitgebers] gibt es viel zu wenig. Wir müssen selbst schauen, dass wir uns schützen, indem wir selbst Desinfektionsmittel, Masken usw. kaufen. In den Pausenräumen, auf den Toiletten und Kantinen ist meistens Desinfektionsmittel da, aber ich wünsche mir, dass da mehr kommt. Man bekommt quasi nichts, es grenzt an null.“

Kollege W. ergänzte: „Es ist ja schön und gut, dass uns in der Zeitung gedankt wird. Davon können wir Fahrer uns aber leider keine sichereren Arbeitsbedingungen kaufen.“

Die Reporter der WSWS berichteten den beiden Trambahnfahrern, dass ihre Busfahrerkollegen in Detroit (USA) Mitte März wegen der Gefährdung durch das Coronavirus ein „Sick-out“ organisiert hatten. Dabei meldet sich die gesamte Belegschaft eines Betriebs gleichzeitig krank, um ihre Forderungen durchzusetzen. Nachdem sich in Detroit nur ca. 10 Prozent der Belegschaft zur Arbeit meldeten, musste der öffentliche Nahverkehr in der Stadt eingestellt werden.

Auf die Frage, welche Möglichkeit sie sehen, für bessere Arbeitsbedingungen in München einzutreten, antwortete Z.: „Ich sehe darin eine Möglichkeit, aber ich finde es traurig, wenn es soweit kommen muss. Wir Mitarbeiter sind die, die das Geld reinbringen. Mit allem Respekt auch für alle anderen Tätigkeiten, aber wenn wir Fahrer nicht wären, könnten viele andere ihren Job nicht machen.“

Sein Kollege ergänzte, er sehe darin eine sehr gute Möglichkeit, dem Arbeitgeber den Ernst der Lage bewusst zu machen: „Es geht um Menschenleben, mit unseren Leben wird gespielt. Es wird derzeit zu wenig getan, um uns vor dem Virus zu schützen.“

W. erzählte, er habe von über 40 Toten der New Yorker Verkehrsbetriebe sowie von mehreren toten Kollegen in London gehört, und bemerkte: „Wir bekommen am schwarzen Brett für uns Fahrer immer mitgeteilt, welche Kollegen gestorben sind. Also ehemalige Kollegen oder auch welche, die noch aktiv dabei waren. Wie wäre das, wenn dort plötzlich die Bilder von 40 Fahrern hängen, die am Coronavirus gestorben sind? Und das in total kurzer Zeit.“

Sowohl W. als auch Z. waren sich einig, dass mehr für die Sicherheit aller Fahrer der MVG, aber auch in Deutschland und weltweit getan werden muss. „Also erstens sollte der Arbeitsplatz so ausgestattet sein, dass die Ansteckungsgefahr gering ist. Und zweitens sollte man uns eine Prämie bezahlen. Und die sollten auch Arbeiter in anderen Branchen bekommen, besonders im Gesundheitswesen. Das können wir nur erreichen, wenn wir solidarisch sind. Alleine sieht es für uns MVG-Beschäftigte düster aus“, sagte Z.

Die Berichte der beiden Trambahnfahrer verdeutlichen das verantwortungslose Handeln der MVG. Und was die Gewerkschaften Verdi und NahVG betrifft, so zeichnen sie sich trotz der angespannten Lage in München ausschließlich durch salbungsvolle Worte aus.

So fordert beispielsweise die NahVG in ihrem Infoblatt zum Coronavirus, dass Verkehrsbetriebe in ganz Deutschland für ausreichend Schutzmaßnahmen für ihre Beschäftigten sorgen sollten. Weiter heißt es, die Kollegen sollten nicht zugunsten wirtschaftlicher Aspekte einem unnötig hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt werden. Mit diesen frommen Wünschen, denen keinerlei Taten folgen, schiebt die NahVG die Verantwortung, für sichere Arbeitsbedingungen zu sorgen, weit von sich, und nimmt billigend in Kauf, dass sich Fahrer mit dem Virus anstecken können.

Um sich, aber auch die Fahrgäste besser zu schützen, müssen die Münchner Tram-, Bus- und U-Bahnfahrer wie ihre Kollegen in Berlin unabhängige Arbeiterkomitees aufbauen, die folgende Forderungen durchsetzen:

• Keine Arbeit ohne Test und Schutz!

• Einstellung des regulären Fahrbetriebs! Spezialfahrzeuge mit besonderer Ausrüstung, Desinfektionsmitteln und besonders geschütztem Personal transportieren das für die Aufrechterhaltung der medizinischen und öffentlichen Grundversorgung notwendige Personal von ihren Wohnvierteln zur Arbeitsstelle.

• Voller Lohnausgleich, unabhängig von Infektion oder Gesundheit, für alle von Kurzarbeit, Schließungen oder anderer durch die Pandemie verursachten Lohnverluste!

• Milliardenschwere Sofortinvestitionen in das Gesundheitswesen für den Ausbau der Behandlungskapazität und den Schutz der Beschäftigten.

• Besondere Schutzmaßnahmen für Ältere, Gefängnisinsassen, Obdachlose und Flüchtlinge in den unhygienischen Lagern!

Schreibt uns noch heute, wenn Ihr den Aufbau von gewerkschaftsunabhängigen Arbeiterkomitees unterstützen wollt, und registriert Euch als aktive Unterstützer der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), der deutschen Sektion der Vierten Internationale.

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