Coronakrise: „Wenn wir die Arbeit einstellen, geht hier gar nichts mehr!“

Krankenschwestern, Pfleger, Verkehrsarbeiter und Lieferdienst-Arbeiter erheben ihre Stimme

„Wenn alle Lastwagenfahrer Deutschlands die Arbeit einstellen würden, ginge hier gar nichts mehr. Supermarktregale wären leer, Briefe würden nicht mehr zugestellt“, sagt der LKW-Fahrer Uwe Kleinsorge auf Spiegel Online und berichtet: „Ich bringe gerade Holzhackschnitzel zu einem Kraftwerk. Ohne mich könnte das Sägewerk irgendwann nicht mehr weiterarbeiten, und das Kraftwerk müsste auch schließen.“ Die Konsequenzen seien klar, betont Kleinsorge. „Alle sind auf unsere Arbeit angewiesen.“

Erika Radisavljevic, 53, arbeitet als Reinigungskraft in einer Klinik in Südbayern. „Ich putze seit vier Jahren in einem Krankenhaus, vor allem die Patientenzimmer, meist in der Gynäkologie,“ berichtet sie Spiegel Online. „Dafür bekomme ich elf Euro brutto pro Stunde. Die meisten von uns Putzfrauen haben Migrationshintergrund und viele haben kleine Kinder, deshalb brauchen wir diesen Teilzeitjob.“

Manchmal werde die Bedeutung ihrer Arbeit unterschätzt. In der vergangenen Woche habe sie wegen Corona freiwillig jeweils zehn Stunden lange Sonderschichten gearbeitet. „Dabei habe ich die Aufnahmezimmer der Patienten mit Corona-Verdacht desinfiziert. Wenn man die Berichte aus Italien hört, wie viel Klinikpersonal sich dabei ansteckt, kann einem schon Bange werden.“

Die Arbeit sei sehr anstrengend und die scharfen Reinigungsmittel gesundheitsschädlich. „Aber es muss ja jemand diese Arbeit machen. Saubere Zimmer sind eine Voraussetzung dafür, dass sich das Virus und andere Keime weniger verbreiten.“ Sie freue sich, wenn jetzt „viele Menschen und Politiker Beifall klatschen“, sagt Erika Radisavljevic und fügt hinzu: „Andererseits: Von Applaus allein kann man auch keine Miete bezahlen.“

Die Corona-Krise macht gegenwärtig sehr deutlich, wer für das gesellschaftliche Leben wirklich „systemrelevant“ ist: Nicht die Milliardäre und Superreichen, die sich in eine ihrer Luxusvillen oder Hochsee-Jachten zurückgezogen haben und von dort aus ihre unverschämten Forderungen nach höher Rendite stellen, sondern die Arbeiterklasse, die den gesamten gesellschaftlichen Reichtum produziert und die Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge tagtäglich aufrechterhält.

Unter Arbeitern entsteht gegenwärtig ein neues Selbstbewusstsein. Das ist mit einer wachsenden Kritik an der Regierung verbunden, die uneingeschränkt die Interessen der Reichen vertritt, den Konzernen, Banken und Kapitaleignern hunderte Milliarden Euro zur Verfügung stellt und gleichzeitig nichts unternimmt, um die katastrophalen Bedingungen in den Krankenhäusern, Pflegeheimen und andern wichtigen Arbeitsbereichen zu ändern.

Besonders unter dem medizinischen Personal wächst die Wut. Es ist bekannt, in welchem Ausmaß das Gesundheitssystem in den letzten dreißig Jahren radikal kaputtgespart, privatisiert und auf Profit getrimmt wurde. Überall herrscht Mangel an Betten, Personal, Medizingeräten und Schutzausrüstung. Der Aufenthalt in Kliniken und Pflegeeinrichtungen ist für Patienten, Ärzte und Pfleger mittlerweile lebensgefährlich.

Auf DocCheck, einem Netzwerk für Medworker mit mehr als 500.000 registrierten Mitgliedern, ruft die Gesundheits- und Krankenpflegerin Sarah F. aus Hamburg unter der Überschrift „Ich bin es wert, geschützt zu werden“ auf, keine Anweisungen zu akzeptieren, dass Sicherheitsstandards nicht länger eingehalten werden. Sie kritisiert die Entscheidung des Robert-Koch-Instituts (RKI), die Quarantäne-Verpflichtung für das medizinische Personal zu lockern. Künftig soll nach einem ungeschützten Kontakt mit einem infizierten Patienten nicht zwingend Quarantäne eingehalten werden.

Auch die Ankündigung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Arbeitszeitbestimmungen für Krankenhausbeschäftigte zu lockern und die Personaluntergrenze für bestimmte Stationen aufzuheben, stößt auf massive Kritik.

Auf demselben Blog wird Ulrike, Krankenschwester in der Notaufnahme, zitiert: „Sind wir überhaupt noch Bürger dieses Landes? Oder sind wir einfach nur noch eine Ressource, die man ausnutzen, erschöpfen und aufbrauchen darf?! Wir erfahren erst Tage später, ob Patienten positiv oder negativ getestet worden sind, ob wir Kontakt hatten, lässt sich nur schwer sagen. Wir können uns nicht alle Namen der Patienten merken, die durch die Notaufnahme kommen. Selbst wenn – das RKI und die Politik stufen uns als systemrelevant ein, da gelten andere Regeln. Arbeiten bis zum Umfallen und am besten den Mundschutz dabei nicht absetzen.“

Weiter schreibt sie: „Ich bin es leid, die Zustände anzuprangern und als negativ dargestellt zu werden. Ich bin es leid, dass die einfachsten Hygieneregeln nicht eingehalten werden, weil unqualifiziertes Personal umgeschult worden ist und ‚Pflege kann jeder‘ propagiert wurde. Pflege kann nicht jeder! Pflege muss endlich zugehört werden, wir warnen seit Jahren und nun sind alle überrascht, ob der Wucht, mit der Corona uns trifft.“

Andreas ist Krankenpfleger. DocCheck zitiert aus seiner E-Mail: „Auch unser Krankenhaus hat schon mehrere positive Fälle im Haus liegen. Zwei beatmete Intensivpatienten sind uns diese Woche schon verstorben. Es ist ein erschreckendes, aber reales Szenario, was uns jetzt einholt.“ Er mache sich große Sorgen.

In der Kommentarspalte schreibt der Arzt Bodo Brudniok: „Diese Ausbeutung sämtlicher Pfleger und Ärzte nenne ich kriminell. Die Aushebelung sämtlicher Arbeitsschutzgesetze ist ebenfalls kriminell zu nennen. Die Pflicht des Arbeitgebers zum Schutz seiner Mitarbeiter so zu vernachlässigen nenne ich ebenfalls kriminell.“

Wütend fügt er hinzu: „Die verantwortungslosen Politiker, die sich nicht auf diesen Fall vorbereitet haben, nenne ich ebenfalls kriminell, und sie versuchen nur noch, von ihrem Versagen abzulenken. Dafür gehen sie gnadenlos auch über die Leichen der Pflegerinnen, Pfleger und Ärzte hinweg, die versuchen, unter Einsatz ihres Lebens den Patienten zu helfen und zur Seite zu stehen.“

Nun versuchten dieselben Politiker, sich „auf dem Rücken der Leistungsträger als große Krisenmanager“ zu produzieren. Das sei ein abstoßendes Schauspiel. Bereits seit den letzten Pandemien hätten alle Verantwortlichen Bescheid gewusst. Es sei ein Verbrechen, dass trotz detaillierter Pandemie-Pläne noch nicht einmal Schutzkleidung, Desinfektionsmittel und ausreichend Krankenhausbetten vorgehalten worden seien.

Ein weiterer Kommentator, Medman, schreibt: „Ich denke, nach dieser Krise wird es Zeit, dass Ärzte und Pflege gemeinsam aufstehen. Aufstehen gegen Gesetze, die unsere körperliche Unversehrtheit in Frage stellen, Gesetze die uns zwingen zu arbeiten ohne ausreichenden Schutz.“ Außerdem sei eine angemessene Bezahlung für das medizinische Personal dringend notwendig.

Ein Rettungssanitäter aus Chemnitz schrieb an die WSWS: „Hier ein kurzer Bericht aus Sachsen über meine Erfahrung seit Beginn der Corona-Krise. Das Personal wird nicht getestet, nur bei Symptomen und ungeschütztem Kontakt zu bestätigten Covid-Infizierten. Das Ganze ist ein Teufelskreislauf der folgendermaßen abläuft: Jemand hat alle Symptome, kann aber nicht belegen, im Risikogebiet gewesen zu sein oder engen Kontakt zu einem positiv Getesteten gehabt zu haben – Folge: Kein Test, auch nicht im Krankenhaus.“

Wenn der Betreffende nun aber infiziert sei, könnten sich dessen Kontaktpersonen auch nicht testen lassen, weil die Ursprungsperson ja nicht getestet worden war, usw. Dabei sei das mit den Risikogebieten eigentlich schon längst Geschichte, das Virus sei überall! „Nächstes Problem: jemand ist positiv, wird von uns ins Krankenhaus gefahren, wir schützen uns, aber: wir müssen immer noch mit Chipkarten, Einweisungsscheinen, Transportscheinen usw. hantieren, die die Patienten teilweise in Händen halten, und Papier lässt sich nicht desinfizieren!“

Es müssten endlich umfangreiche Tests durchgeführt werden, damit sich nicht wiederhole, was hier in den letzten Wochen passiert sei: „Fast eine komplette Ortschaft wurde durch eine Physiotherapeutin und einen Kellner infiziert, davon sind schon mehrere Menschen verstorben!“

Ein Mitarbeiter des Onlinesupermarkts Picnic berichtete der WSWS über hohe Arbeitsbelastung und fehlende Sicherheit seit dem Beginn der Corona-Krise. Auf der Arbeit und in den Lieferwagen fehle es an Desinfektionsmitteln und Atemschutzmasken, Schutzbrillen und weiterer Ausrüstung für die Sicherheit der Lieferanten, die sich tagtäglich im Kundenkontakt mit Menschen in Risikogruppen befänden.

Selbst die Lieferwagen, mit denen täglich mehrere Arbeiter fahren, würden nicht professionell gereinigt und desinfiziert. Dasselbe gelte für die Hubwagen der jeweiligen Firmenstandorte. Der Betrieb laufe trotz unzureichender Sicherheitsvorkehrungen und mangelnder Hygienemaßnahmen uneingeschränkt weiter.

Forderungen der Beschäftigten nach Gefahrenzulagen würden bislang mit der Begründung zurückgewiesen, das Unternehmen sei erst zwei Jahre jung und könne sich das nicht leisten, außerdem würden die Risiken der Corona-Krise übertrieben. Anstatt Panik zu verbreiten, sollten die Beschäftigten selbst auf Sicherheit achten und dem Unternehmen vertrauen, das irgendwann ein Dankeschön bereithalte.

Auch in der Autoindustrie machen sich Arbeiter Sorge über die gefährlichen Auswirkungen der Pandemie. VW-Arbeiter diskutieren in einem Online-Forum über Bedingungen für die Wiederaufnahme der Arbeit. Eine gemeinsame Erklärung von Betriebsrat und Geschäftsleitung schafft Unruhe.

Nach den üblichen schwülstigen Worten, beim Wiederanlauf der Produktion gehe „Gesundheit vor Geschwindigkeit“ und sie unterstützten „Bund und Länder in ihrem Einsatz gegen Corona in vollem Umfang“, kündigen Betriebsratschef Osterloh und Personalvorstand Kilian darin die schrittweise Wiederaufnahme der Arbeit unmittelbar nach Ostern an: „Was den Wiederanlauf betrifft, steht bislang fest, dass einige Teile der Komponentenfertigung ab Dienstag nach Ostern ihren ohnehin bereits laufenden Teilbetrieb erweitern, um die Versorgung der chinesischen Werke abzusichern.“ Das betreffe Mitarbeiter an den Komponenten-Standorten Braunschweig, Kassel und Salzgitter sowie Chemnitz und Hannover.

Besorgte Beschäftigte fragen: „Gibt es schon Informationen dazu, wie es mit den Kollegen und Kolleginnen weiter geht, die Vorerkrankungen haben?“ Ein anderer schreibt: „Ich bin, nachweislich, Asthmatiker... Bin noch bis 19.04. vorsorglich freigestellt auf Kurzarbeit. Ich muss und will Corona nicht haben.“ Ein dritter: „Was mache ich, wenn ich ein Risiko-Kind zu Hause habe?“

Ein VW-Arbeiter hat einen n-tv Artikel verlinkt, in dem ein Kollege aus Braunschweig berichtet, er müsse weiterarbeiten, was immer schwieriger werde. „Mittlerweile muss man auf so viel achten, wo man gar nicht mehr weiß, was richtig oder falsch ist. Mit zwei Metern Abstand geht auch nicht immer. Jetzt heißt es, wir sollen bitte schon mit Arbeitssachen zur Arbeit kommen, damit es in den Waschkauen nicht zum Gedränge kommt. Vielleicht werden sie die komplett schließen.“

In den kommenden Tagen wird sich die katastrophale Situation in vielen Krankenhäusern und Betrieben weiter verschärfen und der Druck, die Arbeit unter völlig unsicheren und unverantwortlichen Bedingungen wieder aufzunehmen, steigen. Schickt Informationen und Berichte an die WSWS-Redaktion, damit sie Arbeitern auf der ganzen Welt detailliert darüber berichten kann.

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