Ein Jahr seit Julian Assanges Verhaftung

Am Samstag vor 12 Monaten wurde WikiLeaks-Gründer Julian Assange von britischen Polizei- und Sicherheitsbeamten verhaftet. Die ecuadorianische Botschaft in London, in der er sieben Jahre lang als politischer Flüchtling verbracht hatte, hatte ihn rechtswidrig ausgewiesen.

Der Anblick eines körperlich angeschlagenen Journalisten, der mitten in London von sechs britischen Polizisten misshandelt wird, hat Millionen von Menschen auf der ganzen Welt schockiert. Assange wurde aus dem Gebäude gezerrt, und die ersten Sonnenstrahlen nach so langer Zeit blendeten ihn sichtlich. Agenten im Zivil schienen die Operation zu leiten. Sie waren schon in den Tagen zuvor aufgefallen und beim Herumschleichen um die Botschaft gefilmt worden.

Assange wehrte sich und ließ sich auch nicht einschüchtern, als Polizisten ihn brutal anpackten. Er rief zum Widerstand gegen seine Verfolgung auf und sagte: „Großbritannien muss diesen Angriff der Trump-Administration zurückweisen.“

11. April 2019: Assange wird in London aus der Botschaft von Ecuador gezerrt

Als einziger Journalist zeichnete ein Reporter des Videodienstes Ruptly diese 55 Sekunden dauernde Ausweisung aus der Botschaft auf. Doch der gewalttätige Angriff auf Assange hatte schon vorher begonnen.

Reporter des Nachrichtenmagazins „Panorama“ weisen auf den Bericht eines anonymen WikiLeaks-Mitarbeiters, der damals an Assanges Seite war.

Demnach war Assange am Morgen des 11. April in den Konferenzraum der Botschaft gerufen worden. Botschafter Jaime Marchan betrat den Raum zusammen mit Sicherheitsbeamten und ecuadorianischen Geheimdienstmitarbeitern. Er las Assange einen Brief vor, in dem es hieß, dass Ecuador ihm das Asyl und die Staatsbürgerschaft entziehe, und dass er die Botschaft sofort verlassen müsse. Marchan und sein Sicherheitskommando verließen darauf den Raum.

Assange und sein Kollege konnten schon beim Öffnen der Tür zum Konferenzraum sehen, dass eine Gruppe von Männern und Frauen, auch Mitglieder der Metropolitan Police, draußen standen und anscheinend auf ihn warteten.

Assange stellte fest, dass der Entzug seines Asyls und seiner Staatsbürgerschaft eine Verletzung der ecuadorianischen Verfassung darstelle, gegen die er Berufung einlegen wolle. Er stand auf, um in sein Zimmer zurückzukehren. In diesem Moment wurde sein Begleiter beiseitegeschoben. Julian Assange wurde ergriffen, mit Handschellen gefesselt und an die Eingangstür der Botschaft geschleift.

Ein Jahr später kann es keinen Zweifel daran geben, dass der Angriff vom 11. April letzten Jahres den Beginn eines US-amerikanischen und britischen politischen Mordversuchs war. Assange sitzt heute im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, das als Guantánamo Bay Großbritanniens bezeichnet wird, während die Coronavirus-Pandemie in der Einrichtung wütet.

In einem Telefongespräch mit seinem Freund Vaughan Smith bestätigte Assange am Donnerstagabend erneut, dass er 23,5 Stunden am Tag in seiner Zelle eingeschlossen ist. Sein halbstündiger Freigang findet in einem Hof statt, der trotz der Corona-Pandemie mit anderen Gefangenen überfüllt ist. Mittlerweile haben sich schon mindestens 150 Gefängniswärter mit Covid-19 infiziert, oder sie sind wegen Kontakt mit positiv Getesteten in Selbstisolation. Assange sagte, schon mehr Häftlinge, als die Gefängnisbehörden zugeben, seien gestorben. Er sagte auch: „Das Virus verseucht das ganze Gefängnis.“

Das Gericht hat sich geweigert, den WikiLeaks-Gründer auf Kaution freizulassen, obwohl er sich nur in Untersuchungshaft befindet, und obwohl er aufgrund einer Reihe ernsthafter medizinischer Indikationen hochgefährdet ist. Die Bezirksrichterin Vanessa Baraitser hat verfügt, dass sein Auslieferungsschauprozess im Mai fortgesetzt wird, obwohl das ganze Land abgeriegelt ist und massenhaft Menschen an Covid-19 sterben. Unter diesen Bedingungen sind Beratungen mit seinen Anwälten für Assange schlicht unmöglich.

Diese kriminelle Behandlung von Assange seit seiner Verhaftung erinnert an die Aktionen der faschistischen Regime des 20. Jahrhunderts. Sie treibt eine jahrelange Kampagne der USA und ihrer Verbündeten zur Vernichtung des WikiLeaks-Verlegers auf die Spitze.

Bereits 2008 hatte das US-Militär einen geheimen Bericht erstellt, in dem die Mittel empfohlen wurden, mit denen Assange und WikiLeaks unterdrückt werden sollten.

Hochrangige US-Politiker reagierten schon 2010 auf die Enthüllungen von WikiLeaks mit der Erklärung, Assange sei ein „Cyper-Terrorist“, den man „ausschalten“ müsse. Zu diesen Enthüllungen von 2010 zählen das Video „Collateral Murder“, die Kriegsprotokolle der US-Armee aus dem Irak und Afghanistan und tausende diplomatische Depeschen.

Die Obama-Regierung setzte eine geheime Grand Jury mit dem Ziel ein, gegen Assange und seine Kollegen Anklage aufgrund des Spionagegesetzes zu erheben. Mitglieder der Obama-Administration, darunter Verteidigungsminister Robert Gates, forderten die Verbündeten der USA öffentlich auf, Strafverfahren gegen Assange einzuleiten.

Dieser Appell veranlasste den schwedischen Staat und seine Justiz zum Handeln. Schweden hatte bereits am illegalen „Krieg gegen den Terror“ der CIA mitgewirkt und außerordentliche Überstellungen mit organisiert. Also fabrizierten die schwedische Polizei und die Staatsanwälte Anschuldigungen gegen Assange wegen sexuellen Fehlverhaltens.

Eine Beschwerdeführerin war eine prominente Vertreterin der schwedischen Sozialdemokraten, die den USA nahestehen. Als eine Staatsanwältin entschied, es liege nichts gegen Assange vor, legte der Anwalt dieser Politikerin, Claes Borgström, erfolgreich Berufung dagegen ein. Dieser Anwalt ist ein hoher Beamter in früheren schwedischen Regierungen mit engen Verbindungen zu den USA.

Seitdem treten die britischen Behörden alle juristischen Präzedenzfälle und britische wie internationale Rechtsnormen mit Füßen. Mehrere Regierungen und Gerichte des Vereinigten Königreichs bestanden darauf, dass Assange auf Antrag eines Staatsanwalts – und nicht eines Richters – nach Schweden ausgeliefert werden müsse, nur um „Fragen zu beantworten“. Niemals wurde erklärt, warum diese Befragung nicht in London stattfinden konnte. Die schwedischen Behörden weigerten, eine Garantie abzugeben, dass sie Assange nicht in die USA ausliefern würden.

Unter diesen Bedingungen flüchtete sich Assange am 19. Juni 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London, wo er Asyl beantragte. Darauf begann die Polizei, die Botschaft Tag und Nacht zu bewachen, und die britische Regierung erklärte, dass Assange beim ersten Schritt aus dem Gebäude verhaftet würde. Sein Status als politischer Flüchtling wurde jedoch wiederholt von den Vereinten Nationen bestätigt, und er konnte seine Arbeit fortsetzen.

Die US-Kampagne gegen Assange verstärkte sich 2016, als WikiLeaks Beweise für Hillary Clintons enge Beziehungen zur Wall Street veröffentlichte. WikiLeaks enthüllte Clintons Loyalitätsbeteuerungen für die Banken, wie auch die illegale Unterwanderung von Bernie Sanders‘ Vorwahlkampagne durch das Nationalkomitee der US-Demokraten.

Die US-Operation wurde Anfang 2017 noch weiter hochgefahren, als WikiLeaks die Hacker- und Cyberwar-Operationen der CIA aufdeckte. Damals erklärte der CIA-Direktor und jetzige Außenminister Mike Pompeo WikiLeaks zu einem „nichtstaatlichen feindlichen Geheimdienst“ und Assange zum „Dämon“. Der ecuadorianische Präsident Correa, der Assange 2012 Asyl gewährt hatte, wurde im Mai 2017 durch Lenín Moreno ersetzt.

In der Botschaft wurden illegale Abhöraktionen gegen Assange ausgeheckt, auch durch die CIA. Die USA übten immensen Druck auf Ecuador aus, Assange das Asyl zu entziehen. Im März 2018 reagierte die ecuadorianische Regierung, indem sie Assange den Internetzugang sperrte, ihm den Empfang von Besuchern untersagte und die Botschaft in ein De-facto-Gefängnis verwandelte, bevor sie ihn ein Jahr später des Gebäudes verwies.

Die Ausweisung Assanges stellte ein historisches Verbrechen und eine Missachtung des international verankerten Rechts auf politisches Asyl dar. Sie war der Höhepunkt einer laufenden Kampagne zur Zensur des Internets und aller alternativen Standpunkte. Sie kam in einer Situation, in der die Regierungen in aller Welt mit dem Aufflammen des Klassenkampfs und immenser sozialer Opposition konfrontiert wurden. Sie öffnete die Schleusen für den Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit.

Der Whistleblower in der NSA, Edward Snowden, schrieb damals: „Bilder des ecuadorianischen Botschafters, der die britische Geheimpolizei in die Botschaft einlädt, um einen berühmten Verleger aus dem Gebäude zu zerren, werden in die Geschichtsbücher eingehen. Die Kritiker von Assange mögen jubeln, aber für die Pressefreiheit ist dies ein dunkler Moment.“

Diese Erfahrungen beweisen, dass die Freiheit von Assange und die Verteidigung der demokratischen Rechte nicht mithilfe der Unterstützung irgendeines Teils des kapitalistischen Establishments erreicht werden kann.

Die britischen Gerichte haben Assanges Rechte ein ums andere Mal verletzt. Die offiziellen Medien, die Assange seit mindestens zehn Jahren verleumden, tun jetzt so, als existiere er nicht.

Jeremy Corbyn, der ehemalige Vorsitzende der britischen Labour Party, wurde als Initiator eines neuen sozialistischen Aufschwungs dargestellt. Im Rahmen seiner ständigen Kapitulation vor dem rechten Flügel seiner eigenen Partei weigerte sich Corbyn, eine Kampagne zur Verteidigung von Assange zu führen, und er unterstützte das schwedische Komplott. Corbyn hat die Bühne verlassen und die Führung der Labour Party an Keir Starmer übergeben, der als Chef der britischen Staatsanwaltschaft eine zentrale Rolle in der internationalen politischen Verschwörung gegen Assange spielte.

In den USA weigerte sich Bernie Sanders, der behauptete, innerhalb der Demokratischen Partei eine „politische Revolution“ zu führen, ein Wort über Assange zu sagen. Er unterstützt inzwischen offiziell Joe Biden als Präsidentschaftskandidaten der Demokraten. Biden war Vizepräsident in der Obama-Regierung, die die Verfolgung von Assange durch die USA initiierte.

In Australien weigern sich alle offiziellen Parteien, darunter Labor und die Grünen, Assange zu verteidigen, obwohl er ein australischer Staatsbürger ist, der als Journalist verfolgt wird. Dies steht im Einklang mit der Rolle, die alle australischen Regierungen und das gesamte australische Establishment seit 2010 bei der Unterstützung der von den USA geführten Vendetta gegen den Herausgeber von WikiLeaks spielen.

Es ist klar, dass der Kampf für die Freiheit von Assange von der internationalen Arbeiterklasse geführt werden muss, der einzigen gesellschaftlichen Kraft, die in der Lage ist, einen Kampf für die Verteidigung aller sozialen und demokratischen Rechte zu führen.

Seit zwei Jahren führen die WSWS, das Internationale Komitee der Vierten Internationale, und seine Sektionen, die Sozialistischen Gleichheitsparteien auf der ganzen Welt, eine unnachgiebige Kampagne für die Freiheit von Assange. Angesichts der drohenden Gefahren für sein Leben werden wir diesen Kampf in den kommenden Monaten verstärken. Wir fordern alle Arbeiter und Jugendlichen und jeden, der demokratische Freiheiten verteidigt, dazu auf, sich daran zu beteiligen.

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