Covid-19: Roma besonders gefährdet

Die in Europa lebenden Roma sind besonders gefährdet, am Coronavirus zu erkranken. Viele von ihnen leben unter prekären sozialen und hygienischen Umständen und haben kaum Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung. Darüber hinaus sind sie staatlicher Repression und faschistischer Hetze ausgesetzt.

In Europa leben rund 12 Millionen Roma, die Hälfte davon in Osteuropa und den Balkanstaaten. Sie sind die größte Minderheit in Europa. Während die Todesfälle durch Covid-19 mittlerweile weltweit auf über 117.000 angestiegen sind, gibt es keine verlässlichen Zahlen zu den Infektionen oder Todesfällen in dieser Bevölkerungsgruppe. Gerade in den Ländern Ost- und Südosteuropas finden nicht einmal annähernd ausreichende Tests statt. Bestätigte Fälle von Covid-19 unter Roma gibt es bislang nur in Rumänien und der Slowakei.

In den Ost- und südosteuropäischen Ländern waren nach offiziellen Angaben zuletzt etwa 40.000 Menschen als infiziert gemeldet, 1000 Menschen sind an Covid-19 verstorben. Diese Zahlen sind allerdings kaum realistisch. In keinem der Länder werden flächendeckende Tests durchgeführt. Zum Teil sind staatliche Institutionen und Behörden nicht vorhanden oder mit der Erfassung von entsprechenden Daten völlig überfordert.

Der rumänische Wissenschaftler Ciprian-Valentin Nodis macht die katastrophalen Lebensbedingungen für die Gefahr von massiven Ausbrüchen verantwortlich. In Pata-Rât, im Nordwesten Rumäniens, wo Nodis die Lebensumstände beschreibt, leben etwa 2000 Menschen in Hütten aus verfaultem Holz neben der örtlichen Mülldeponie. Dort durchsuchen die Bewohner die Müllhalde nach brauchbaren Gegenständen. „Die Kinder dort sind derart verschmutzt, dass man Krankheiten auf ihrer Haut nicht sehen kann,“ zitiert die Nachrichtenagentur npr Nodis. „Viele Anwohner leiden an Tuberkulose und Hepatitis.“

Tatsächlich leben in den Elendsvierteln zahlreiche Menschen auf engstem Raum, häufig ohne fließendes Wasser, Elektrizität oder sanitären Einrichtungen. Sämtliche Grundregeln im Umgang mit der Pandemie, wie regelmäßiges Händewaschen oder sozialer Abstand, sind unmöglich einzuhalten.

Das Europäische Umweltbüro (EEB) spricht in seinem jüngsten Bericht von „Umwelt-Rassismus“ gegenüber den Roma. In Albanien haben insgesamt etwa 72 Prozent der Bevölkerung fließendes Wasser in ihren Wohnungen, unter Roma sind es laut einer UNDP-Erhebung aus dem Jahr 2017 nur 48 Prozent. In Serbien sind es 72 Prozent unter den Roma, im Vergleich zu fast 100 Prozent in der restlichen Bevölkerung.

Gleichzeitig sind infolge der Pandemie die Möglichkeiten, Geld zu verdienen, weiter geschrumpft. Herbert Heuß vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma befürchtet neben den gesundheitlichen Risiken, denen Roma-Familien ausgesetzt sind, auch verstärkt wirtschaftliche Not.

Ein Großteil der Roma lebt vom Kleinhandel mit Lebensmitteln und Haushaltswaren, vom Schrottsammeln oder von prekären Jobs, beispielsweise als Erntehelfer in westlichen EU-Ländern. Ist dies nicht mehr möglich, bricht oftmals das einzige Einkommen ganzer Großfamilien weg. Es drohen Hunger und Obdachlosigkeit. Viele Roma in den Staaten des Westbalkan arbeiteten vor der Krise in Italien, was bereits seit Wochen nicht mehr möglich ist.

Arbeitslosigkeit ist unter der Minderheit von jeher massiv verbreitet. In Ländern wie Bosnien oder Mazedonien können nur 11 bzw. 22 Prozent der Roma einer Arbeit nachgehen. Darüber haben sie kaum Möglichkeiten, anderweitig zu arbeiten. In Serbien haben nur 17 Prozent der Roma-Haushalte einen Computer. In Albanien sind es nur 7 Prozent. „Die ökonomische Krise hatte besonders in abgesonderten ländlichen Gebieten von Anfang an enorme Auswirkungen,“ erklärte Erno Kadet, ein Menschenrechtsaktivist gegenüber Reuters. „Sie haben keine Ersparnisse, kein Polster… Die Regierung ignoriert sie.“

In der jetzigen Krise bedeutet dies für die Roma in Osteuropa enorme gesundheitliche Gefahren. Zugang zu dem ohnehin meist maroden Gesundheitssystem haben sie kaum. Im Kosovo beispielsweise sind nur 10 Prozent der über 16-Jährigen krankenversichert. In Albanien sind es nur 27 Prozent. Für die meisten ist medizinische Behandlung nur gegen Bezahlung möglich, was sie sich nicht leisten können, von einer längerfristigen Behandlung mit Medikamenten ganz zu schweigen.

Herbert Heuß kommentiert die dramatische Situation: „Die Lage ist bedrohlich, der Zugang zu Trinkwasser ist vielerorts mangelhaft, jetzt werden die Menschen auch noch grundrechtswidrig von medizinischer Versorgung ausgeschlossen.“

Die Regierungen der ost- und südosteuropäischen Länder stehen dem Schicksal der Roma nicht nur gleichgültig gegenüber, diese sind oft das Ziel staatlicher Repression und rechtsradikaler Hetze. František Kopriva, Berichterstatter für Roma der parlamentarischen Versammlung des Europarats, bemerkt, dass Politiker den Antiziganismus anheizen, statt die gefährdete Minderheit vor dem Coronavirus zu schützen.

In Bulgarien, wo eine Koalition der pro-europäischen GERB und der rechtsextremen Vereinigten Patrioten regiert, machen Politiker Roma zu Sündenböcken und verbreiten das Gerücht, aus Westeuropa zurückgekehrte Roma hätten das Coronavirus eingeschleppt.

Nachdem faschistische Gruppen und der rechtsextreme Europaabgeordnete Angel Dschambaski (IMRO) gefordert hatten, von Roma bewohnte Stadtviertel polizeilich abzuriegeln, sind nach Informationen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma mehrere bulgarische Kommunen dem Wunsch nachgekommen. Über 50.000 Menschen sind derzeit von der Außenwelt abgeschnitten.

Der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose, warnte im Tagesspiegel: „Roma dürfen nicht erneut als Sündenböcke von Nationalisten und Rassisten missbraucht werden.“ Er sieht in der Krise „die Gefahr von neuen Pogromen gegen Roma“.

Auch in der Slowakei und in Rumänien wurden Roma-Siedlungen präventiv unter Quarantäne gestellt. Wie der Deutschlandfunk berichtete, wurden in der Slowakei Siedlungen mit Polizei und Armee abgeriegelt, so dass niemand sie verlassen kann. Dort seien insgesamt 31 Personen positiv auf das Virus getestet worden. Da keine Hilfe von außen kommen kann, bedeutet dies, dass sich das Virus in den Siedlungen rasch verbreitet.

In Rumänien wurde die Ortschaft Țăndărei, in der das Roma-Viertel Strachina liegt, unter Quarantäne gestellt. Laut der Kreisverwaltung waren hier bis vergangene Woche mindestens 56 Coronavirus-Infektionen und vier Todesfälle bekannt. Mehrere hundert Roma waren in den letzten Wochen aus dem westlichen Ausland zurückgekommen, wo sie zu Hungerlöhnen arbeiten und sich vermutlich infiziert haben.

Obwohl die Situation den Behörden bekannt war, unternahmen diese nichts gegen den Ausbruch. Die Quarantäne wurde erst verhängt, nachdem sich, wie die Deutsche Welle berichtet, rumänische Internet-User über ein Video von einer Beerdigung empört hatten, in dem betroffene Bewohner der Siedlung zu sehen waren. „Auf epidemiologischer Ebene war die Lage schon seit einer Woche außer Kontrolle geraten wegen der hohen Infektionszahlen, doch die Behörden reagierten erst, nachdem nicht datierte Videoaufnahmen im Internet viral geworden waren, gefolgt von wutentbrannten Kommentaren“, so die Deutsche Welle.

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