Rumänische Erntehelfer streiken für ihre Löhne

Rund 180 Erntehelfer eines Spargelhofs bei Bonn traten am vorigen Freitag spontan in den Streik, um die ihnen versprochenen Löhne einzufordern. Ihre Proteste und eine Demonstration am Montag den 18. Mai werfen erneut ein Licht auf die unsäglichen Arbeitsbedingungen für osteuropäische Saisonarbeiter.

Die Arbeiter waren Anfang April aus Rumänien angereist, weil man ihnen versprochen hatte, sie könnten bei der Spargelernte drei Monate lang pro Monat 1500 bis 2000 Euro verdienen. In Wirklichkeit war der Spargelhof von Claus und Sabine Ritter in Bornheim bei Bonn, der sie angeheuert hatte, schon im März insolvent. Trotzdem hatte sie der Insolvenzverwalter, der den Betrieb seither führt, angestellt.

Der Verwalter, Rechtsanwalt Andreas Schulte-Beckhausen, hat der Gläubigerversammlung einen Bericht über die Insolvenz vorgelegt, aus dem der Bonner General-Anzeiger zitierte. Demnach habe der Betrieb zwar vor zwei Jahren Millionenerträge abgeworfen, sei aber seither in die Schulden geraten. Gründe seien hohe Bewässerungskosten in den letzten beiden Jahren mit Hitzeperioden; außerdem habe die Firma Ritter Spargel eine Million Euro in den Bau eines riesigen Spargelrestaurants investiert. Im Bericht heißt es: „Die Gesellschafter [also Claus und Sabine Ritter] dürften die Gewinne entnommen und außerlandwirtschaftlich investiert haben.“

Um die Konkursmasse aufzufüllen, entschloss sich der Insolvenzverwalter offenbar, das Profitmodell, das hauptsächlich auf der Ausbeutung der billigen Saisonkräfte beruhte, ins Extreme zu steigern. Mit aktiver Unterstützung der Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) gelang es ihm, die Billiglohnarbeiter aus Rumänien trotz Corona ein weiteres Mal einfliegen zu lassen. Gleichzeitig wurde an ihren Arbeitsbedingungen und der Unterkunft gespart, wo es nur ging.

So trafen die Arbeiter auf Verhältnisse, die jeder Beschreibung spotten. Obwohl ihnen monatlich über 400 Euro für Essen und Unterkunft (13,50 pro Tag) abgezogen wurden, brachte man sie in einer abgelegenen Containerburg auf einem völlig verdreckten Gelände unter, weitab von jeder Zivilisation, im Bereich einer Kläranlage und einer Bahnstrecke. Das spärliche Essen, das ein Caterer lieferte, soll schlecht, oftmals kalt und zuweilen verschimmelt gewesen sein.

Obwohl der Corona-Lockdown schon seit zwei Wochen den Alltag in Deutschland dominierte, wurden sie gezwungen, in Umständen zu leben, die weder Abstandsregeln noch ein Mindestmaß an Hygiene zulassen. Die Arbeiter schliefen zu viert in einem Raum und mussten heruntergekommene, verdreckte Gemeinschafts-Toiletten und -Waschräume nutzen, ohne Nachschub an Seife und Duschmitteln, von Desinfektion ganz zu schweigen. Was Masken angeht, erhielten sie solche nur einmal von einem Busfahrer, der sie auf die Felder transportierte.

Vor zwei Wochen entschied die Betriebsleitung plötzlich, die Spargelernte einzustellen, da die Spargelrestaurants infolge der Coronapandemie geschlossen hatten. Dies wurde den Arbeitern am 14. Mai mitgeteilt. Lapidar hieß es: In einer Woche ist hier Schluss, dann müsst ihr alle raus. Den Erntehelfern wurden für fünf bis sechs Wochen harte Arbeit erbärmliche Kleckerbeträge ausbezahlt. Gleichzeitig hieß es, sie müssten auch die Unterkunft in einer Woche räumen.

Im Netz kursiert immer noch ein Werbevideo vom März, auf dem der Insolvenzverwalter Schulte-Beckhausen mit Stundenlöhnen von 10 Euro wirbt, um Erntehelfer anzulocken. In Wirklichkeit erhielten die Arbeiter ein paar hundert Euro auf die Hand. Eine rumänische Arbeiterin berichtete einer Zeitung über eine Summe von 500 Euro für 500 Stunden Arbeit.

Die Arbeiter hatten also weder ihren vollen Lohn erhalten, noch gab es eine ordentliche, fristgerechte Kündigung, noch irgendwelche Aussichten, wie sie unter Corona-Bedingungen nach Rumänien heimkehren sollten. In dieser Situation entschlossen sich die Spargelstecher, keine einzige Stunde mehr zu arbeiten, bis sie ihr volles Geld erhalten.

Am Freitag dem 15. Mai weigerten sich etwa 180 Arbeiter, die Busse zu besteigen, die sie erneut aufs Feld zur Arbeit bringen sollten. Stattdessen blieben sie alle beisammen und machten ihre Lohnforderung auf handbemalten Pappschildern deutlich. Der Betriebsleiter alarmierte die Polizei, die auch gleich mit 20 Beamten anrückte.

Dies führte dazu, dass der Konflikt, der sich bisher weitab jeder Öffentlichkeit entwickelt hatte, in die Presse gelangte und Aufmerksamkeit erregte. Eine Gruppe der FAU Bonn, die sich selbst als anarcho-syndikalistische Gewerkschaft bezeichnet, und die Initiative „Aktion gegen Arbeitsunrecht e.V.“ verbreiteten die Kunde vom Streik im Internet. Die DGB-Gewerkschaften NGG, BAU und Verdi hatten sich nicht um das Schicksal der Erntehelfer gekümmert.

Über das Wochenende erhielten die Arbeiter Solidaritätsbesuche aus Bonn und Köln, und für den Montag wurde eine Protestdemonstration angekündigt, an der sich mindestens weitere 150 Unterstützer, auch aus dem Ruhrgebiet, beteiligten.

Ein Protestzug mit „Solidarity“-Schildern und Plakaten mit der Aufschrift, „Deutschland, du mieses Stück Spargel“ zog nach Bonn vor die Kanzlei des Insolvenzverwalters Schulte-Beckhausen. Anschließend marschierte er zum rumänischen Konsulat, wo ein Teil der Demonstrierenden mit der rumänischen Ministerin für Arbeit und Soziales, Victoria Violeta Alexandru, sprechen konnte. Die Ministerin versprach, die Arbeiter am nächsten Tag zu besuchen.

Sie war gerade auf Staatsbesuch in Deutschland, um mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein neues Modell der berüchtigten Werksverträge für rumänische Saisonarbeiter auszuhandeln. Diese lukrativen, aber mörderischen Ausbeuterverträge sind besonders im Zusammenhang mit der Ausbreitung von Corona an den deutschen Schlachthöfen auf massive Kritik gestoßen.

Als der Streik öffentliche Aufmerksamkeit erregte und zahlreiche Besucher aus Gewerkschaftskreisen, von den Medien und der lokalen Linkspartei anzogen, tauchte plötzlich auch eine Putzkolonne auf, die die Waschräume in der Unterkunft sauber machte. Schutt und Müll wurden per Bagger vom Gelände weggeschafft. Auf einmal gab es auch Gesichtsmasken in ausreichender Menge.

Am wichtigsten: Es wurden Lohnsummen ausbezahlt. Dies geschah jedoch auf Wildwest-Manier, indem die Arbeiter in kleinen Gruppen auf entfernte Parkplätze und auf die Felder zitiert wurden, um ihre Lohnumschläge entgegen zu nehmen.

Stefan Hübner, Anwalt für Arbeitsrecht, setzte durch, bei den Auszahlungen dabei zu sein. Er konstatierte, dass den Arbeitern Quittungen vorgelegt wurden, bei deren Unterzeichnung sie auf alle weiteren Ansprüche verzichtet hätten, und erreichte schließlich, dass die Arbeiter diese illegalen Verzichtserklärungen verweigerten.

Wie Hübner am Freitag auf einer improvisierten Pressekonferenz erklärte, haben die allermeisten Arbeiter auch bisher nur einen Bruchteil des ihnen zustehenden Lohns erhalten. Der Insolvenzverwalter dagegen behauptete den Medien gegenüber, alles sei abgegolten.

Noch während die Proteste andauerten und sich die Aufmerksamkeit der Medien auf den Betrieb richtete, wurde den Arbeitern je nach Wunsch die bezahlte Rückreise nachhause oder die Vermittlung in andere Erntebetriebe versprochen, teilweise auch verschafft. So befanden sich zum Ende letzter Woche nur noch etwa drei Dutzend Arbeiter im Containerdorf.

Der spontane Streik der Spargelstecher bei Bonn hat zweierlei deutlich gemacht: Zunächst hat er die menschenverachtende Art und Weise beleuchtet, wie die deutsche Bourgeoisie und Regierung mit Saisonarbeitern aus anderen Ländern umspringen. Gerade die Corona-Pandemie zeigt dies seit einigen Wochen in hunderten Fällen. In den Schlachthöfen, in den Paketdepots, auf den Baustellen, in LKW-Betrieben oder anderswo werden ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Hunderte von ihnen haben sich schon mit Covid-19 infiziert, und am 10. April ist in Bad Krozingen der rumänische Erntehelfer Nicolae Bahan an Covid-19 gestorben. Unternehmer und Politiker gehen über Leichen.

Gleichzeitig ist der Arbeitskampf auf dem Spargelhof Teil einer weltweiten Entwicklung, die immer neue Schichten von Arbeitern in den Kampf bringt. So kam es im Lauf der Corona-Pandemie schon in Italien, Frankreich, in den Vereinigten Staaten, in Brasilien und vielen anderen Ländern zu spontanen Streiks und Protesten für das Recht der Arbeiter, sich gegen Covid-19 zu schützen.

Um die Zustände zu ändern, braucht die Arbeiterklasse eine Perspektive und eine sozialistische Partei. In diesem Sinn hat die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) den Aufruf veröffentlicht: „Verhindert die Ausbreitung von Covid-19 und rettet Leben! Baut Aktionskomitees in allen Betrieben auf!

Darin heißt es: „Die Pandemie unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer allgemeinen, vollständigen Neustrukturierung der Produktions-, Vertriebs- und Wirtschaftsabläufe. Das Leben der arbeitenden Menschen und ihrer Familien darf nicht den Gewinnen von Unternehmen und den privaten Vermögen milliardenschwerer Oligarchen geopfert werden.“

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