Wiedereröffnung der Wirtschaft sorgt für weltweite Beschleunigung der Coronavirus-Pandemie

Die weltweite Ausbreitung der Coronapandemie hat sich im Mai durch das übereilte Hochfahren der Wirtschaft in Nord- und Südamerika, Europa und Asien enorm beschleunigt. Laut der Website Worldometer, die Statistiken und Daten in Echtzeit zur Verfügung stellt, ist die Zahl der Neuinfektionen seit dem 27. Mai um mehr als 115.000 pro Tag gestiegen, eine kontinuierliche Beschleunigung ist bereits seit dem 12. Mai zu verzeichnen.

Auch die täglich steigenden Todesfälle lassen auf eine beschleunigte Ausbreitung des Virus schließen. Seit Anfang April ging die Zahl der neuen Todesopfer pro Tag durch die Distanzierungsmaßnahmen zurück, an die sich Hunderte Millionen Arbeiter und Jugendliche überall auf der Welt gehalten haben. Die weltweit forcierte Kampagne zur Wiedereröffnung der Betriebe hat sie unterdessen zurück an ihre Arbeitsplätze gezwungen. Die Todesfälle liegen derzeit konstant bei etwa knapp 5000 pro Tag, doch die Hundertausenden Neuinfektionen werden die Zahlen erneut in die Höhe schießen lassen.

Stand Freitagabend gab es weltweit fast 6,8 Millionen offiziell bestätigte Coronavirus-Fälle und fast 400.000 Todesopfer. Auf die USA (1,9 Millionen) und Brasilien (620.000) entfällt die Mehrheit der Infizierten, selbiges gilt für die mehr 110.000 Toten in den USA bzw. 34.000 in Brasilien.

Ein Team von Ärzten ohne Grenzen besucht am 3. Juni ein Obdachlosenlager in Sao Bernardo do Campo in der Metropolregion Sao Paulo (Brasilien) (AP Photo/Andre Penner)

Die Regierungen beider Länder haben die Arbeiter zur Rückkehr in die Fabriken und Betriebe gezwungen, andernfalls wurde ihnen mit dem Absturz in die Armut gedroht. In Brasilien wurden die Fleischverarbeitungsbetriebe am 20. Mai wiedereröffnet, die Autoproduktion begann bereits in der Woche zuvor. Es haben sich bereits Hunderte Arbeiter infiziert, und sie verbreiten die Krankheit in ihren Familien und Kommunen. Trotzdem treibt Präsident Jair Bolsonaro die vollständige Wiedereröffnung des Landes unter der Aufsicht von Bürgermeistern und Regionalgouverneuren weiter voran.

In den USA wurden die ersten Fabriken noch früher wiedereröffnet. In einigen Bundesstaaten, darunter Oklahoma, North Dakota und Nebraska, wurden niemals Ausgangsbeschränkungen verhängt; in Georgia kam es in der letzten Aprilwoche zur Aufhebung der Beschränkungen. In der Autoindustrie wurde in der zweiten bzw. dritten Maiwoche die Produktion wieder vollständig aufgenommen. Eine Schließung erfolgte allerdings Mitte März, nachdem es Berichte über Infektionen in den Autowerken gegeben hatte.

Das Virus breitet sich nach wie vor überall in den Vereinigten Staaten aus. In New York, New Jersey, New Mexico und Connecticut wurde innerhalb der letzten 14 Tage zwar ein Rückgang der Neuinfektionen verzeichnet, doch in fast der Hälfte der Bundesstaaten steigt die Zahl der täglichen Neuinfektionen. Betroffen sind vor allem Gebiete, in denen es anfänglich nur wenig Infizierte gab. In Florida wurde beispielsweise am Donnerstag der bisher höchste Anstieg von Infektionen verzeichnet, durch den die Gesamtzahl der Fälle auf über 61.000 anstieg. Die Zahl der Todesopfer liegt dort bei über 2.600.

Auch Mexiko hat sich zu einem neuen Epizentrum der Pandemie entwickelt, nur die USA und Brasilien verzeichnen täglich mehr Todesopfer. Es ist außerdem das 14. Land, in dem es mehr als 100.000 Fälle gibt, und das siebte mit über 10.000 Todesopfern. Hunderte davon lassen sich auf die verfrühte Wiedereröffnung der Maquiladora-Ausbeuterbetriebe zurückführen, in denen für die US-Autohersteller und andere Industriekonzerne billig produziert wird.

Auch in Indien wurden Mitte Mai große Teile der Industrie – vor allem Autokonzerne und Zulieferbetriebe – angewiesen, die Produktion wieder aufzunehmen. Bereits damals stiegen die Fälle im Land rasant an. Grund hierfür war der planlose Lockdown, mit dem die Modi-Regierung im April Millionen von Arbeitsmigranten in den ohnehin überbevölkerten und unhygienischen Slums von Mumbai, Delhi, Bangalore, Hyderabad und anderen Städten sich selbst überließ. Durch das Vorgehen der Modi-Regierung ist die offizielle Zahl der Fälle und Todesopfer in die Höhe geschossen. Derzeit liegt sie bei 236.000 bzw. mehr als 6.600 und steigt exponentiell an.

Die Epidemie-Ausbrüche in diesen und vielen anderen Staaten bestätigen die wiederholten Warnungen der Weltgesundheitsorganisation vor einer Wiedereröffnung ohne ein System von Massentests, Kontaktverfolgung und Isolation, um das Coronavirus zu bekämpfen. Der Europadirektor der WHO, Hans Kluge, erklärte vor Kurzem: „Die zweite Welle ist nicht unvermeidlich. Aber immer mehr Staaten lockern ihre Ausgangsbeschränkungen, und es besteht die deutliche Gefahr eines erneuten Ausbruchs von Covid-19-Infektionen. Wenn diese Ausbrüche nicht isoliert werden, könnte eine zweite, sehr zerstörerische Welle kommen.“

Doch selbst diese Erklärung ist nicht mehr aktuell. Die erste Welle der Pandemie ist, weltweit gesehen, noch nicht abgeklungen und schlägt jetzt eine tödliche Schneise durch einige der ärmsten Regionen der Welt. Südasien und Afrika wurden nicht nur vom Coronavirus verwüstet, sondern auch von schweren Taifunen und riesigen Heuschreckenschwärmen.

Kluge erklärte außerdem: „Wir haben weiterhin weder einen Impfstoff noch ein Heilmittel für Covid-19.“ Ähnlich äußerte sich am Mittwoch auch Anthony Fauci, der Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten in den USA. Er warnte, es sei zwar möglich, dass im Verlauf des nächsten Jahres ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird, allerdings sei nicht sicher, dass eine dauerhafte Immunität entstehe.

Während eines Interviews mit dem Redakteur des Journal of the American Medical Association (JAMA), Howard Bauchner, erklärte Fauci: „Wenn man sich die Geschichte der Coronaviren anschaut, der einfachen Coronaviren, die Erkältung auslösen, zeigen die Berichte, dass die schützende Immunität drei bis sechs Monate andauert, aber fast immer weniger als ein Jahr... Das sind keine lange Dauer und kein langer Schutz.“

Die Wiedereröffnung fällt zusammen mit den Massenprotesten in den USA und im Rest der Welt gegen den Polizeimord an George Floyd und die diktatorischen Maßnahmen von US-Präsident Donald Trump. Viele Demonstranten tragen zwar Masken, um sich vor der Krankheit zu schützen, doch die großen Menschenmengen, das Skandieren und Händehalten sind ideal für eine schnelle Ausbreitung der Krankheit. Floyds Autopsie hat gezeigt, dass er zum Zeitpunkt seines Todes selbst infiziert war.

Die Proteste werden auch als Ausrede benutzt, um die Teststationen in Kalifornien, Florida, Illinois, Pennsylvania und anderen Bundesstaaten zu schließen. Die Tests sind jedoch ein entscheidender Schritt bei der Eindämmung von Ausbrüchen und der einzige Weg, die Ausbreitung der Pandemie objektiv festzustellen.

Weniger Tests werden auch die Zahl der Fälle künstlich vermindern und können als Rechtfertigung für weitere Öffnungen benutzt werden. Letzten Monat wurde der Arbeiter entlassen, der die Coronavirus-Datenbank für Florida entwickelt hat. Er hatte sich geweigert, die Daten so zu manipulieren, dass es aussieht, als ob der Staat den Schwellenwert für eine sichere Wiedereröffnung der Wirtschaft erreicht habe. Die nationalen Medien berichteten nahezu überhaupt nicht über den Vorfall. Je seltener getestet wird, desto einfacher ist es, gefälschte Daten als seriös darzustellen.

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