Starker Anstieg von Covid-19-Infektionen in den Balkanstaaten

In Südosteuropa steigt die Zahl der Neuinfektionen mit dem Cornavirus dramatisch an. Der Anstieg ist eine direkte Folge der Aufhebung der Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung.

In Bulgarien hat die Zahl der Neuinfektionen den höchsten Stand seit Beginn der Pandemie erreicht. In der Woche vom 8. bis 14. Juni gab es 555 nachgewiesene Neuinfektionen.

Das Mitglied des Corona-Krisenstabs in Sofia, Angel Kuntschew, erklärte, das Land befinde sich wohl in einer zweiten Corona-Welle. Insgesamt sind in dem Land mit 7 Millionen Einwohnern über 3300 Fälle gemeldet, über 170 Menschen sind verstorben. Mittlerweile gibt es kaum noch Regelungen zur Eindämmung der Pandemie. Reisebeschränkungen wurden bereits aufgehoben, und der Tourismus soll ab Juli wieder voll zum Laufen kommen.

In Nordmazedonien mit gerade einmal zwei Millionen Einwohnern breitet sich das Virus ebenfalls massiv aus. Während Anfang Mai die Zahl der Neuinfektionen pro Tag im einstelligen Bereich lag, waren es am letzten Samstag 193. Seither bewegt sich die tägliche Ansteckungsrate in diesem Bereich. Offiziell sind mittlerweile über 200 Menschen an den Folgen der Infektion gestorben.

Trotzdem wurden Ende Mai nicht nur die Sicherheitsregelungen aufgehoben, alle Parteien einigten sich auch auf die Abhaltung von nationalen Wahlen am 15. Juli. Wie der österreichische Standard anmerkte, kritisieren Gesundheitsexperten nun, „dass die Entscheidung, Ende Mai Lockerungen einzuführen, nur politisch motiviert gewesen sei und nun zu einer noch größeren Gesundheitskrise führen würde“.

Ähnlich ist die Situation in Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo. In Bosnien wurden am 8. Juni 98 Menschen – so viele wie noch nie an einem einzigen Tag – positiv getestet. Im Kosovo wurden zuletzt 160 Fälle innerhalb von drei Tage entdeckt. Offiziell sind nun etwa 500 Fälle gemeldet.

In beiden Staaten geben diese Zahlen bei Weitem nicht das wahre Ausmaß wieder. Die Zahl der Tests ist in allen Balkanstaaten äußerst gering. Hinzu kommt, dass in vielen Regionen keine Strukturen und Behörden bestehen, die eine Aufnahme oder Verfolgung der Coronafälle garantieren könnten.

Auch in Albanien nehmen die Fälle zu. Mit 82 neuen Infektionen stiegen diese am Montag auf Rekordniveau. Insgesamt sind offiziell 1672 Infektionen und 37 Todesfälle gemeldet. Bisher wurden im gesamten Land aber nur rund 20.000 Test durchgeführt, was bedeutet, dass die tatsächliche Zahl der Infizierten weitaus höher liegen dürfte. Trotzdem gibt es, mit Ausnahme eines Verbotes von Massenveranstaltungen, keine Sicherheitsvorkehrungen. Mundschutz, Einmalhandschuhe und Desinfektionsmittel sind schon in Kliniken Mangelware. Einfache Haushalte haben nahezu keine Möglichkeit, sie in ausreichender Menge zu erhalten.

Die Regierung Serbiens hat trotz einem Rekordanstieg der Neuinfektionen alle Schutzmaßnahmen aufgehoben. Vergangene Woche wurden im Schnitt fast 80 Fälle pro Tag gemeldet. Am ersten Juni waren es noch 18 gewesen. Sämtliche Grenzen sind geöffnet, es gibt keinerlei Quarantäne-Regelungen mehr und bei Fußballspielen kommen zehntausende Menschen zusammen. Zuletzt wurde das Spiel der beiden Belgrader Fussballclubs Partisan und Roter Stern öffentlich ausgetragen.

Am Sonntag finden in Serbien Regional- und Parlamentswahlen statt, bei denen auch keine nennenswerten Maßnahmen gegen eine Verbreitung des Coronavirus ergriffen werden. Serbiens rechter Präsident Aleksandar Vucic und seine Fortschrittspartei versuchen die Krise zu nutzen, um ihre Macht auszubauen und die Wahlen für sich zu entscheiden. Bei einer weiteren Ausbreitung droht in kürzester Zeit das marode Gesundheitssystem des Landes zu kollabieren. Ein Aufflammen von Massenproteste wie im letzten Jahr wäre wahrscheinlich.

Im EU-Mitgliedsland Rumänien ist die Krise ebenfalls nicht vorüber. Mit 250 neuen Fällen stieg die Gesamtzahl vorgestern über 22.400. Der Vorsitzende der Anti-Pandemie-Behörde DSU, Raed Arafat, begründete den starken Anstieg der Fälle mit den Lockerungsmaßnahmen. Auch zahlreiche weitere Ärzte und Wissenschaftler warnen vor den Folgen der Lockerungen. Wie sie bestätigten, entstehen die neuen Corona-Cluster nach Massenveranstaltungen, an Schulen und Universitäten und generell in den größeren Städten.

Während die rechten, korrupten und zutiefst verhassten politischen Eliten der Balkanstaaten mit Zustimmung der EU rücksichtslos ihre Lockerungspolitik umsetzten, sind die sozialen Folgen der Pandemie in den ohnehin armen Staaten katastrophal.

In Rumänien, einem Land mit knapp 20 Millionen Einwohnern, hat die offizielle Arbeitslosenzahl die Ein-Millionenmarke überschritten. In Bulgarien waren bereits im Mai fast 92.000 Menschen zusätzlich dauerhaft arbeitslos gemeldet. Damit hat sich die Zahl der Arbeitslosen nach offiziellen Angaben auf mehr als 230.000 fast verdoppelt. In Kroatien beantragten in den Monaten März und April 290.000 Personen Arbeitslosengeld. In Albanien verloren allein bis Mitte April 66.000 Menschen ihren Job. Ihre einzige Hilfe von staatlicher Seite besteht in einer Einmalzahlung von umgerechnet 320 Euro.

In anderen Ländern, wie dem Kosovo oder Bosnien-Herzegowina, sind offizielle Zahlen nicht vorhanden oder nicht verlässlich. Da hier jedoch große Teile der Bevölkerung auf Arbeit im Ausland oder Hilfe aus dem Ausland angewiesen sind, sind die Auswirkungen der Krise enorm.

„Schätzungen zufolge würde die Covid-19-Krise auf dem West-Balkan mindestens 400.000 Menschen in die Armut stoßen, wenn die Regierungen nicht reagieren. Verlängert sich die Krise, sind es sogar 950.000,“ bestätigt ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Weltbank zur Armut im westlichen Balkan. Der Bericht weist darauf hin, dass es in den meisten Fällen keine soziale Absicherung, keine Arbeitslosenunterstützung oder sonstige Hilfen gibt. Ein großer Teil der Arbeiter, die sich als Tagelöhner bisher durchgeschlagen haben, stehen in der Krise vor dem Nichts.

„Arbeiter, die emigriert sind, könnten ihre Arbeit in europäischen Ländern verlieren, besonders wenn diese von der Pandemie und Lockdowns hart betroffen sind. Einige dieser Emigranten werden nach Hause zurückkehren, wo sie riskieren, arbeitslos und ohne Zugang zu sozialen Schutzmaßnahmen dazustehen. Die Überweisungen an Familien auf dem Westbalkan werden zurückgehen,“ merkt die Weltbank an.

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