Schlachtfabrik Tönnies wieder angelaufen

Am gestrigen Freitag ist im Schlachthof Tönnies die Fleischzerlegung wieder angelaufen. Schon am Donnerstag waren in Rheda-Wiedenbrück wieder 8000 Schweine geschlachtet worden.

Die lokalen Behörden haben vorerst die Zerlegung von bis zu 10.000 Schweinen täglich zugelassen. Die Fleischzerlegung ist der Bereich, in dem sich bis zur Stilllegung am 20. Juni zwei von drei Arbeitern infiziert hatten. Beim größten Corona-Ausbruch der Bundesrepublik wurden damals 1.553 Beschäftigte positiv getestet.

Auch weltweit ist dies ein höchst gefährlicher Arbeitsbereich; allein in den USA haben sich bisher über 30.000 Fleischpacker infiziert, und mindestens hundert von ihnen sind gestorben. In den USA haben Arbeiter eines Schlachthofs deshalb am 10. Juli die Rinderzerlegung JBS in Greeley (Colorado) lahmgelegt, wie die World Socialist Web Site berichtet hat. In dem Betrieb waren 287 Kollegen positiv getestet worden, acht sind bisher an Covid-19 gestorben.

Schlachthofarbeiter in den USA

In Rheda-Wiedenbrück und im Kreis Gütersloh sind immer noch 244 Personen krank gemeldet, und eine Person wird auf der Intensivstation künstlich beatmet. Die Gefahr ist keineswegs gebannt.

Derweil warnen immer mehr Wissenschaftler davor, die Pandemie auf die leichte Schulter zu nehmen und in AfD-Manier als „nicht schlimmer als eine Grippe“ zu bezeichnen. Jeder fünfte Covid-19-Infizierte hat einen schweren Verlauf, und fünf Prozent sogar einen „kritischen“, der an die Beatmungsmaschine und leicht zum Tod führen kann. Die Erkrankung mit SARS-CoV-2 kann auch nach Wochen noch Komplikationen hervorrufen und schlimme Folgeerkrankungen nach sich ziehen.

Das neue Hygienekonzept bei Tönnies, das die Behörden jetzt gebilligt haben, sieht zusätzliche Plexiglaswände, neue Luftfilter und bessere Kontrollen der Beschäftigten in der Fleischzerlegung vor. Allerdings sind die Hauptursachen, die den Corona-Ausbruch begünstigt haben, in keiner Weise beseitigt.

Nichts ändert sich an der harten Arbeit und den langen Arbeitsstunden der prekär beschäftigten Arbeiter, die bei Frosttemperaturen im Stehen die Tiere im Akkord zerlegen und verpacken müssen. Der Lärm ist groß, man muss schreien, um sich zu verständigen, und die schwere Arbeit führt zu tiefem Aus- und Einatmen. Gerade diese harten Arbeitsbedingungen sind aber der beste Nährboden für neue Superspreading-Events.

Im Haller Kreisblatt berichteten zwei polnische Arbeiter, dass Tönnies von ihnen „schwerste körperliche Arbeit“ verlangt habe. Gearbeitet hatten sie unter anderem „in der so genannten Frosta-Abteilung, dem Versand großer Fleischblöcke. Dort werden Kartons von 10 bis 30 Kilogramm Gewicht verladen – auch über Kopf und in einem sehr hohen Tempo … Mancher erträgt das keine zwei Stunden, kaum einer schafft es ein Jahr.“

Diese Arbeiter berichteten von einem Monatslohn von etwa 1300 Euro netto, von dem aber 150 Euro für die Unterkunft abgezogen würden. Sie leben mit acht Personen in einer Drei-Zimmer-Wohnung.

„Einer von ihnen hatte Corona“, heißt es weiter im Bericht. „Isoliert wurde er nicht. Er blieb in der Gemeinschaftsunterkunft.“ Um den Kranken habe sich keiner gekümmert, auch nicht nach mehrmaligen Anrufen bei einer Behörde und bei der Ambulanz. Zuletzt hätten die Arbeiter die Auskunft erhalten, „dass der Infizierte erst mitgenommen werde, wenn er Blut huste. In den Krankenhäusern gebe es angeblich keinen Platz.“

Die Zeitung erwähnt, dass die polnischen Arbeiter mit Erbitterung auf die Summen blicken, die der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel als Beraterhonorar bei Clemens Tönnies kassierte. Von März bis Mai 2020 erhielt Gabriel offenbar ein Pauschalhonorar von 10.000 Euro im Monat sowie ein zusätzliches vierstelliges Honorar für jeden Reisetag. Aber die polnischen, rumänischen, bulgarischen und deutschen Arbeiter, die ihr Leben riskieren, warten umsonst auf eine Gratifikation „für das, was uns alles passiert ist“, wie der Arbeiter sagte.

Im Fernsehen beleuchtete am späten Mittwochabend eine Dokumentation von ZDF-Zoom das Ausmaß der Ausbeutung und Unterdrückung. Wie ein Brennglas, heißt es dort, habe die Pandemie die prekären Arbeits- und Wohnverhältnisse für alle sichtbar gemacht.

In Gütersloh wurden 7000 Arbeiter für vier Wochen in Quarantäne geschickt. Ihre Unterkünfte und ganze Wohnsiedlungen wurden mit Bauzäunen abgeriegelt und von der Polizei bewacht. „Wie konnte es so weit kommen?“ fragen die Filmemacher.

Da sind einmal die guten Beziehungen zu der High Society, die es dem Metzgermeister Clemens Tönnies ermöglicht haben, zum Milliarden-schweren Fleischbaron aufzusteigen. Der Film zeigt nicht das ganze Geflecht. Ein wichtiges Bindeglied ist zweifellos Liz Mohn, die Bertelsmann-Erbin in Gütersloh und Vertraute der Kanzlerin Angela Merkel, mit der Tönnies gesellschaftlichen Umgang pflegt, oder auch Siegfried Russwurm, der amtierende Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp und designierter Präsident des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie), der im Beirat von Tönnies sitzt.

Oder eben Sigmar Gabriel, der frühere Bundeswirtschaftsminister und ex-SPD-Vorsitzende. Der Film weist zu Recht darauf hin, dass die wuchernden Werksverträge ein Ergebnis der Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Schröder-Fischer-Regierung (1999–2005) und ihrer Agenda 2010 sind. Am 14. März 2003 hatte Gerhard Schröder als Bundeskanzler angekündigt, dass seine Regierung „Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem einzelnen abfordern“ werde.

Die höchst aktuelle Frage jedoch, wie es soweit kommen konnte, dass Arbeiter hinter Zäunen, von Polizei bewacht, eingesperrt werden – auf diese Frage gibt die Doku keine Antwort.

Tatsächlich erlaubt die Pandemie einen besseren Blick auf die Ausbeutung bei Tönnies und die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihr zugrunde liegen. Eine dünne Milliardärs-Schicht an der Spitze hat sich durch die Verwandlung immer größerer Teile der Arbeiterklasse in Billiglohnsklaven maßlos bereichert; sie kann sich der Polizei bedienen, um die Arbeiter in Schach zu halten.

Dies alles kann man jedoch nur verstehen, wenn man die Rolle und komplette Integration der angeblichen „Arbeitnehmervertreter“ im DGB und den angegliederten Gewerkschaften bedenkt. Seit Jahr und Tag haben sie jeden Widerstand der Arbeiterklasse unterdrückt und verhindert, dass eine Alternative zu SPD, Grünen und Linkspartei entstehen konnte. Seit Jahrzehnten pflegen sie mit den Unternehmern Sozialpartnerschaft und Arbeitsfrieden, immer unter dem nationalistischen Motto: „Alles für den Standort Deutschland.“

Das Ergebnis tritt heute zutage: Hunderttausende arbeiten in Leiharbeit, Werksverträgen, Minijobs, befristeten Arbeitsverhältnisse, Teilzeit, und so weiter. Laut offiziellen Angaben schuften 7,7 Millionen, mindestens ein Fünftel der abhängig Beschäftigten, für einen Billiglohn.

Die Fleischbetriebe sind nur die Spitze des Eisbergs, und Corona-Ausbrüche gibt es nicht nur bei Tönnies, sondern auch in Westfleisch-, Vion- oder Müller-Schlachthöfen, sowie auch in Betrieben anderer Branchen. Derweil ist der Tönnies-Betrieb, der an Spitzentagen im Stammwerk Rheda-Wiedenbrück 25.000 Schweine schlachten lässt, gerade dabei, seine weiteren Standorte im Emsland, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt auszubauen.

Wie groß die Zuversicht der Kapitalisten ist, dass sie sich alles erlauben können, zeigt die Tatsache, dass Clemens Tönnies letzte Woche beim Land NRW Regress für die vierwöchige Zwangspause beansprucht hat. Das heißt, er erwartet, dass er für den Corona-Ausbruch, den seine Produktion verursacht hatte, auch noch finanziell entschädigt wird.

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