Wiesenhof-Hähnchenschlachterei trotz Corona-Ausbruch weiter in Betrieb

Eine Hähnchen-Schlachterei der Marke Wiesenhof ist ein Corona-Hotspot, wie am Samstag bekannt wurde. Bei einer Reihentestung wurden in dem Betrieb in Lohne (Niedersachsen) 66 Arbeiter positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Der Betrieb ist ein Standort der Oldenburger Geflügelspezialitäten (OGS), die zur PHW-Gruppe, dem größten deutschen Geflügelzüchter und -verarbeiter, gehört.

Erneut sind hauptsächlich prekär beschäftigte Arbeiterinnen und Arbeiter betroffen. Von den 66 positiv Getesteten sind 48 über einen Werksvertrag angestellt, 5 über eine Arbeitnehmerüberlassung, einer ist Mitarbeiter einer externen Reinigungsfirma. Nur 12 sind direkt bei dem Schlachthof beschäftigt. Außer den Infizierten wurden weitere 70 Beschäftigte als Kontaktpersonen in Quarantäne geschickt.

Schon Ende Juni waren 45 Arbeiter eines Wiesenhof-Betriebs desselben Konzerns in Wildeshausen (Niedersachsen) positiv auf Covid-19 getestet worden; damals wurde der Betrieb für zwei Wochen geschlossen. Diesmal erklärte der Landrat Herbert Winkel (CDU) am Sonntag in einer Pressekonferenz, es bestehe keine Notwendigkeit, den Betrieb stillzulegen. Er behauptete, die Infektionen seien „überwiegend im privaten Bereich“ entstanden – obwohl die schnelle Ausbreitung auf 66 Fälle zweifellos im Betrieb geschah.

Im Schlachthof sei „kein bestimmter Infektionsherd“ festgestellt worden, außer dem Kartonage-Lager des Betriebs, wo die Mitarbeiter ihre Pause verbrächten. Vermutlich hätten sie „den Mindestabstand nicht eingehalten“, so der Landrat. Diese Behauptungen des CDU-Politikers liegen auf einer Linie mit der rassistischen Tirade des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU). Dieser hatte behauptet, der Corona-Ausbruch bei Tönnies habe nichts mit den Lockerungen zu tun, „weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt. Das wird überall passieren“, so Laschet vor einem Monat. Der gemeinsame Tenor lautet: An den Hotspots seien die Arbeiter selbst schuld, sie hätten das Virus in die ansonsten mustergültigen Betriebe eingeschleppt.

Wie schon bei Tönnies, Vion, Westfleisch und andern Großschlachthöfen sind die Politiker vor allem daran interessiert, dass die Produktion weiterläuft und die Profite wieder sprudeln. An der systematischen Überausbeutung der Beschäftigten ändern sie dagegen nichts. Es sind aber gerade die brutalen Arbeitsbedingungen, verbunden mit Niedriglohnarbeit, Arbeitsstress, Erschöpfung und schlechter Unterbringung, die den Nährboden für die Ausbreitung des Virus schaffen. Noch gibt es keinen Impfstoff gegen das hochansteckende Virus, das sich auch über Aerosole ausbreitet. Gerade Arbeiter, die mit anderen zusammen viele Stunden lang körperlich schwer schuften müssen, können sich kaum dagegen schützen.

Mittlerweile steht die soziale Dimension der Covid-19-Pandemie außer Zweifel. Große Hotspots waren außer Senioren- und Pflegeheimen und Krankenhäusern vor allem Schlachthöfe, Paketverteilzentren und Flüchtlingsheime, sowie auch Schulen und Wohnkomplexe in Arbeitervierteln und sozial schlechter gestellten Stadtteilen. Auch ein jüngster Corona-Ausbruch vom Montag mit 13 Fällen im Landkreis Uelzen wurde offenbar in einer Schule festgestellt und betraf mehrere Familien, die „in enger räumlicher Nähe zueinander“ leben, wie es offiziell heißt.

Die Arbeiterklasse hat in jeder Hinsicht die Hauptlast der Pandemie zu tragen. In erster Linie hat sie die Kosten für die Stellenstreichungen, Betriebsschließungen und Lohnsenkungen zu schultern, die die Unternehmen jetzt zusammen mit den Gewerkschaftsführern vorbereiten. Aber auch was die direkten Auswirkungen auf Leben und Gesundheit betrifft, zahlt die Arbeiterklasse im Vergleich zu den privilegierten oberen Schichten einen ungleich höheren Preis.

Das wird schon an den Fallzahlen im Pflegebereich deutlich. Weltweit machen allein Ärzte und Pflegekräfte 10 Prozent aller Corona-Fälle aus, wie am Wochenende bekannt wurde. Zwar bewegt sich die Pandemie in Deutschland auf vergleichsweise niedrigem Niveau, aber auch hier sind nach offiziellen Zahlen des Robert-Koch-Instituts zwanzig Ärzte und Pflegekräfte, sieben Lehrer und Erzieher und fünf Beschäftigte „in der Fleischindustrie oder in Küchen von Gaststätten“ verstorben. Und diese Zahlen sind zweifellos unvollständig.

Weltweit meldete die WHO am Montag mit 260.000 Neu-Infektionen einen neuen Rekordanstieg auf über 14,5 Millionen Fälle und mehr als 600.000 Tote. Während die schlimmsten Zahlen aus den USA, Brasilien und Indien kommen, ist auch ganz Europa stark von der Pandemie betroffen.

Die europäischen Zahlen sind durchaus mit denen in den USA vergleichbar. Im europäischen Wirtschaftsraum einschließlich Großbritanniens haben sich bisher 1,6 Millionen Menschen an Covid-19 angesteckt; über 180.000 sind gestorben. Die Todeszahlen der fünf mächtigsten Länder – Großbritannien (45.400 Tote), Italien (35.000), Frankreich (30.000), Spanien (28.500) und Deutschland (9.000) – übertreffen mit insgesamt fast 148.000 Todesopfern die Zahlen der USA. Diese haben laut John-Hopkins-Universität bis Montag etwa 140.000 Menschen durch die Pandemie verloren.

Die deutsche Bundesregierung und die führenden Länder-Politiker sind nicht bereit, die arbeitende Bevölkerung wirksam zu schützen. Frei nach der Devise, „Profite vor Gesundheit und Leben“, muss in erster Linie die Wirtschaft wieder vollständig anlaufen. Dies machte Helge Braun (CDU), Angela Merkels Kanzleramtschef, am Sonntag deutlich.

In einem Interview mit der Bild am Sonntag äußerte Braun, derzeit könne man sagen: „Wir haben Corona in Deutschland im Griff.“ Nicht nur werde die Regierung dafür sorgen, dass „der Schulbetrieb nach den Sommerferien in ganz Deutschland weiterstgehend normal läuft“, sondern auch die Fußballstadien „müssen nicht mehr leer sein, finde ich“.

Der Kanzleramtschef fügte zwar pflichtschuldigst hinzu, dass nach wie vor auch Maskenpflicht und Hygienekonzepte zu beachten seien. Aber die Bild-Zeitung ließ dies unter den Tisch fallen und schrieb in ihrem Titel: „Mutmach-Gespräch mit Kanzleramtschef Helge Braun: Fans sollen nach den Sommerferien wieder ins Stadion, Kinder wieder normal zur Schule gehen!“

Die Regierung ist offenbar entschlossen, die Politik der sächsischen Landesregierung für alle Schulen der gesamten Bundesrepublik zu übernehmen. In Sachsen wurde letzte Woche eine Studie vorgestellt, die als Rechtfertigung für die uneingeschränkte Wiedereröffnung von Schulen und Kitas herhalten muss. Ihr zufolge seien Kinder angeblich sogar „eher Bremsklötze der Pandemie“.

Diese gefährliche Einschätzung steht im Widerspruch zu mehreren ernsthaften Studien der letzten Zeit. Beispielsweise berichtete die Süddeutsche Zeitung über eine Studie in Südkorea, die fast 60.000 Kontakte von Covid-19-Infizierten ausgewertet hatte. Sie ergab zwar, dass infizierte Kinder unter zehn Jahren nur wenige Kontaktpersonen angesteckt hätten. Dagegen steckten Jugendliche unter 19 Jahren ihre Kontaktpersonen sogar überdurchschnittlich oft an, mehr als die meisten Erwachsenen.

Gleichzeitig gab es in Israel in letzter Zeit massive Covid-19-Ausbrüche an den Schulen. Dort droht mittlerweile eine zweite Corona-Welle, was gemeinhin der frühen Schulöffnung im Land zugeschrieben wird.

Die Behauptung, Kinder seien „Bremsklötze der Pandemie, und sie seien selbst nicht gefährdet, wird auch durch ein Beispiel aus Texas widerlegt, über welches die World Socialist Web Site berichtete. Demnach sind im texanischen Nueces County 85 Kleinkinder unter einem Jahr positiv auf das Coronavirus getestet worden.

In dem schwer von Corona betroffenen Landkreis ist die Zahl der Neuerkrankungen im Juli sprunghaft wieder angestiegen, nachdem sie schon abgenommen hatte. Eine Gesundheitsdirektorin alarmierte am Samstag die Öffentlichkeit darüber, dass in der betroffenen Region derzeit 85 Kleinkinder im Alter von unter einem Jahr Corona-positiv getestet seien. Ein Baby ist am 6. Juli gestorben; es wurde nicht einmal sechs Monate alt.

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