Proteste und Polizeigewalt nach den Wahlen in Belarus

In Belarus sind landesweit Proteste ausgebrochen, nachdem Regierungsvertreter den amtierenden Präsident Alexander Lukaschenko mit 80 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger erklärten. In den Städten überall im Land versammelten sich Tausende, überwiegend junge Demonstranten. Sie werfen Lukaschenko Wahlbetrug vor und fordern seinen Rücktritt. Die Regierung schlug die Proteste mit Tränengas nieder, 3.000 Menschen wurden verhaftet und ein Demonstrant getötet.

Lukaschenko ist ein gewendeter Stalinist und postsowjetischer Autokrat, der Belarus seit 26 Jahren regiert und laut einer Schätzung von 2009 ein persönliches Vermögen von neun Milliarden Dollar angehäuft hat. Er hat das Coronavirus als „Psychose“ bezeichnet und der Bevölkerung geraten, zur Vorbeugung Wodka zu trinken. Seine Herausforderin bei der Wahl war die 37-jährige Swetlana Tichanowskaja, die Frau eines oppositionellen Bloggers, der nicht antreten konnte, weil er in Haft sitzt. Laut staatlichen Angaben hat sie 10,9 Prozent der Stimmen erhalten.

Tichanowskaja wurde als treu ergebene Ehefrau dargestellt, die sich für ihren Mann und „das Volk“ einsetzt. Abgesehen von dem Ruf nach „freien und gerechten Wahlen“ und „Demokratie“ erhob sie im Wahlkampf keine politischen Forderungen. Sie wurde von zwei weiteren Oppositionellen, Viktar Babarika und Valery Tsepkalo, unterstützt – beide reiche Verfechter des Privateigentums und der freien Marktwirtschaft. Bis vor kurzem hatten sie über Jahre hinweg Positionen im belarussischen Staat inne.

Nachdem Tichanowskaja am Montag bei der Zentralen Wahlkommission Beschwerde gegen das Ergebnis eingereicht hatte, verschwand sie mehrere Stunden aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Möglicherweise wurde sie von den Behörden verhaftet, allerdings ist unklar, was genau passiert ist.

Nach der Präsidentschaftswahl: Polizisten setzen in Minsk Knüppel gegen Demonstranten ein, 10. August 2020. (AP Photo/Sergei Grits)

Tichanowskaja nahm Video-Appelle auf, in denen sie ihre persönliche Ernüchterung in Bezug auf den Wahlkampf zum Ausdruck brachte und die Menschen aufrief, das Wahlergebnis ohne Proteste zu akzeptieren. Daraufhin floh sie ins benachbarte Litauen, wo sie aus Sicherheitsgründen bereits ihre Kinder hingeschickt hatte. Ihre Videos wurden kurze Zeit später veröffentlicht.

Während die Polizei die Demonstrationen unterdrückte, ergriff die Lukaschenko-Regierung weitere autoritäre Maßnahmen, um die Bevölkerung daran zu hindern, über die sozialen Netzwerke weitere Proteste zu organisieren. Twitter wurde zensiert und das Internet gedrosselt. Gleichzeitig versucht der Präsident, den weit verbreiteten Unmut über seine Politik einzudämmen. Gerade in den letzten Monaten nahm der Widerstand wegen Lukaschenkos krimineller Untätigkeit im Umgang mit der Corona-Pandemie zu.

Tichanowskaja wurde von der pro-westlichen und rechten Opposition in Belarus und – wie vorherzusehen war – auch von der EU und den USA unterstützt. Beide stehen Lukaschenko, einem langjährigen Verbündeten Moskaus, feindselig gegenüber und haben versucht, Minsk in ihren Einflussbereich zu bringen, um Russland politisch weiter zu isolieren.

Die Trump-Regierung verurteilte die Unterdrückung der Proteste durch die Lukaschenko-Regierung, obwohl sie selbst in den USA seit drei Monaten Demonstranten verhaften, verprügeln und entführen lässt.

US-Außenminister Mike Pompeo erklärte, die Vereinigten Staaten seien „zutiefst besorgt“ über die „starken Einschränkungen für die Wahlteilnahme von Kandidaten, das Verbot von lokalen unabhängigen Beobachtern in Wahllokalen, die Einschüchterungstaktiken gegen oppositionelle Kandidaten und die Inhaftierung von friedlichen Demonstranten und Journalisten“. Pompeo spricht für einen Präsidenten, der deutlich gemacht hat, er werde das Ergebnis der bevorstehenden Wahlen vermutlich nicht anerkennen, wenn sie nicht mit seinem Sieg endet, und der außerdem bereit ist, den Widerstand der Bevölkerung mit Gewalt zu unterdrücken.

Auch der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, kritisierte die Wahl und erklärte, Deutschland verurteile die zahlreichen Verhaftungen und die Gewalt gegen friedliche Demonstranten.

Die imperialistischen westlichen Staaten bezeichnen Lukaschenko seit langem als „Europas letzten Diktator“ – nicht wegen seiner autoritären Politik, sondern wegen seiner engen Beziehungen zu Russland und weil er die Wirtschaft von Belarus nicht „liberalisiert“ – mit anderen Worten: für die extreme Ausbeutung durch das ausländische Kapital öffnet. Laut einigen Schätzungen befinden sich 70 Prozent der belarussischen Wirtschaft im Staatsbesitz. Laut der EU werden 49,2 Prozent des Außenhandels mit Russland abgewickelt.

Der russische Präsident Wladimir Putin gratulierte Lukaschenko als erster Regierungschef zu seinem Sieg und erklärte, er hoffe auf „Beziehungen zwischen Russland und Belarus, die für beide Seiten in allen Bereichen vorteilhaft sind“. Er forderte Belarus außerdem auf, seine Bestrebungen zum Aufbau einer politisch-wirtschaftlichen Union mit Russland fortzuführen, die trotz eines Abkommens von 1997 bisher noch nicht verwirklicht wurde.

Die Beziehungen zwischen Moskau und Minsk waren in der letzten Zeit extremen Belastungen ausgesetzt. Es gab Konflikte um Energielieferungen aus Russland, und zuletzt hat Minsk dem Kreml vorgeworfen, sich in die belarussische Innenpolitik einzumischen. Kurz vor der Wahl am Sonntag hatte Lukaschenko 33 russische Söldner verhaften lassen und ihnen vorgeworfen terroristische Aktivitäten geplant zu haben.

Im Mittelpunkt der zunehmenden Spannungen mit Moskau steht Washingtons wachsende politische Präsenz in Minsk. Mike Pompeo machte im Februar den ersten offiziellen Besuch eines amerikanischen Diplomaten in Belarus seit mehr als 25 Jahren und erklärte danach, die USA würden Belarus gerne „mit soviel Öl beliefern, wie es braucht“.

Lukaschenko hat zwar seine Bereitschaft zu einer engeren Beziehung mit Washington angedeutet, befürchtet jedoch auch eine vom Westen unterstützte „Maidan-Revolution“ wie in der Ukraine 2014.

Damals wurde der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch, den Washington und Brüssel als nicht ausreichend anti-russisch erachteten, durch die Mobilisierung rechtsextremer Gruppen gestürzt. Diese hatten anfangs versucht, sich als Opposition der Bevölkerung auszugeben. Die Nato-freundliche nationalistische Regierung, die in Kiew eingesetzt wurde, begann sofort einen Bürgerkrieg gegen die pro-russischen abtrünnigen Regionen im Osten der Ukraine, was zu einer Flüchtlingskrise und Tausenden Todesopfern führte. Die ukrainische Wirtschaft, die vom Internationalen Währungsfonds, von westlichen Geldgebern und lokalen Oligarchen kontrolliert wird, liegt in Trümmern, die Bevölkerung ist verarmt.

Nach den Protesten am Sonntag erklärte Lukaschenko: „Ich habe schon klar gemacht: Es wird keinen Maidan geben, egal wie sehr manche das wollen.“ Er warnte die Bevölkerung: „Ich rufe die Eltern zum dritten Mal auf, zu kontrollieren, wo ihr Kind ist, damit es ihnen später nicht wehtut.“

Die westlichen imperialistischen Mächte hoffen, die Proteste in Belarus und Tichanowskajas Kandidatur für reaktionäre Zwecke nutzen zu können – vor allem zur Schwächung der wirtschaftlichen und geopolitischen Position Russlands, um einen offenen Konflikt mit Moskau vorzubereiten. Die „Opposition“, die von diesen Kräften unterstützt wird, wird der belarussischen Arbeiterklasse keine „Demokratie“, keine „freien und gerechten Wahlen“ und keinen Wohlstand bringen.

Die Lukaschenko-Regierung ist bereit, einen Deal mit Washington und Brüssel auszuhandeln, wenn diese ihr erlauben, weiter zu regieren und sich an der Ausbeutung der belarussischen Arbeiterklasse zu bereichern. Sie hält sich mit Gewalt an der Macht und wird notfalls noch mehr Gewalt anwenden, um auch im Umfeld des Konflikts zwischen Russland und den USA zu überleben.

Nur eine revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse in Belarus, vereint mit ihren Klassenbrüdern im Osten und Westen, kann erfolgreich gegen den Imperialismus und die postsowjetische Oligarchie kämpfen.

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