Lukaschenko droht mit Militäreinsatz, USA diskutieren mit Oppositionsführerin

Das Regime des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko droht den anhaltenden Streiks und Protesten mit hartem Durchgreifen des Militärs. Lukaschenko behauptet, er habe die Wahl am 9. August mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen.

Am Sonntag fanden erneut in mehreren Städten Massenproteste statt. Die Demonstrationen in Minsk sollen etwa so groß gewesen sein wie die vom vorherigen Sonntag, an denen sich etwa 100.000 Menschen beteiligten. In Grodno, im Westen des Landes, forderten etwa 20.000 Menschen Lukaschenkos Rücktritt. Die Region um Grodno ist neben Minsk auch das Zentrum der landesweiten Streikbewegung, die jetzt schon zwei Wochen andauert.

Die Demonstranten forderten Neuwahlen, viele riefen Parolen zur Unterstützung der streikenden Bergarbeiter in Soligorsk und dem Traktorenwerk in Minsk. Die Polizei- und Militärpräsenz in Minsk war hoch, Soldaten umstellten u.a. Monumente zum Gedenken an den Zweiten Weltkrieg im Stadtzentrum. Zuvor hatte das Verteidigungsministerium in einer Erklärung ausdrücklich gewarnt: „Wer an diesen Orten die Ordnung und den Frieden stört, wird es nicht mit der Polizei zu tun bekommen, sondern mit dem Militär.“ Das Verteidigungsministerium verurteilte die Demonstranten zudem als „Faschisten“.

Proteste in Minsk am 16. August

Nach dem Ende der Demonstration flog Lukaschenko mit einem Hubschrauber über die leeren Straßen von Minsk und erklärte in einer Videoaufnahme: „Sie sind weggerannt wie die Ratten.“ Als er bei seinem Amtssitz mit einem Sturmgewehr in der Hand aus dem Hubschrauber stieg, wurde er von schwerbewaffnetem Sicherheitspersonal bejubelt.

Die Massendemonstrationen und -streiks begannen, als das Regime am 9. und 10. August die ersten Proteste gegen das Wahlergebnis brutal niederschlug. In der ersten Woche wurden mehr als 7.000 Demonstranten verhaftet, 80 werden noch immer vermisst. Berichten zufolge wurden Gefangene gefoltert und mit Gegenständen vergewaltigt, sodass Frauen gebärunfähig wurden. Als die Massenproteste und Streiks weiter anwuchsen, verringerte das Regime die Gewalt gegen die Teilnehmer anfänglich. Jetzt hat es sich jedoch zu einer offenen Konfrontation mit den Demonstranten entschlossen, vor allem mit den streikenden Arbeitern.

In Soligorsk, wo seit dem 11. August Tausende von Kalibergarbeitern streiken, wurde am Montag der Anführer eines Streikkomitees verhaftet. Zwei Mitglieder des Koordinationsrats der Opposition, darunter die Vertreterin der Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, Olga Kowalkowa, wurden am gleichen Tag von der Polizei verhaftet, als sie versuchten vor streikenden Arbeitern im Minsker Traktorenwerk zu sprechen.

In erster Linie hat das Regime sein Vorgehen gegen streikende Arbeiter verschärft, denen man mit Entlassung droht und die ihre Löhne nicht ausbezahlt bekommen. Am Montag drohte Lukaschenko alle staatseigenen Unternehmen, in denen Streiks stattfinden, mit Schließung. Danach solle entschieden werden, wer wieder eingestellt wird.

Zuvor hatte Lukaschenko auch damit gedroht, Bergarbeiter aus dem ukrainischen Donbass als Streikbrecher für die Bergarbeiter in Soligorsk einzusetzen. Laut einigen Berichten sollen russische Arbeiter als Ersatz für die Streikenden nach Belarus gebracht worden sein. Die Presse nannte zwar keine konkreten Zahlen über Streiks und streikende Arbeiter, doch laut der Website belzabastovka.org finden noch 150 Streiks im ganzen Land statt.

Das Handelsblatt schrieb am Montag, die belarussische Wirtschaft befinde sich wegen der Streikbewegung am Rande des Zusammenbruchs. Die staatseigenen Unternehmen, in denen Streiks stattfinden, tragen laut der Zeitungzehn Milliarden Dollar zu dem Bruttoinlandsprodukt in Höhe von weniger als 60 Milliarden bei. Lukaschenkos Wirtschaftsberater erklärte, aufgrund der Streiks seien bereits „Milliarden Dollar verlorengegangen“. Der belarussische Rubel befindet sich laut Handelsblatt seit Beginn der Proteste „im freien Fall“.

Zweifellos sind die enorme soziale und wirtschaftliche Unzufriedenheit sowie der Widerstand gegen das autoritäre Regime wichtige Triebkräfte hinter den anhaltenden Protesten und Streiks in Belarus. Die Arbeiter haben in diesem Land so gut wie keine Arbeitsrechte. Unternehmen können ganze Belegschaften mit nur sieben Tagen Kündigungsfrist entlassen, und die große Mehrzahl der Arbeitsverträge ist befristet. Der durchschnittliche Monatslohn lag im Jahr 2019 bei nur 500 Dollar.

Die brutale Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiterklasse wurde nicht nur durch die staatlich unterstützten Gewerkschaften begünstigt, die ein Überwachungs- und Einschüchterungsregime an den Arbeitsplätzen errichtet haben. Auch die so genannten „unabhängigen“ Gewerkschaften, die sich jetzt als Verteidiger der Rechte der Arbeiter aufspielen, haben die Wiedereinführung des Kapitalismus unterstützt, was die Bedingungen für die Entstehung des Lukaschenko-Regimes erst ermöglicht hat. Jetzt unterstützen sie die EU-freundliche Opposition und haben Beziehungen zu verschiedenen internationalen Gewerkschaftsorganisationen, u.a. zur AFL-CIO, die als Arm des US-Imperialismus im In- und Ausland agiert.

Lukaschenkos brutales Vorgehen gegen die Streikbewegung wird durch die rechte Politik der Opposition und der Gewerkschaften begünstigt. Führende Persönlichkeiten der Opposition stehen in Zusammenhang mit der Wiedereinführung des Kapitalismus in Belarus und der Zerstörung der UdSSR. Genau wie das Lukaschenko-Regime sind sie Gegner der sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse; ihnen geht es vor allem darum, die Streikbewegung zu beenden.

Die Opposition unter Swetlana Tichanowskaja hat zwar nicht die Absicht geäußert, die Beziehungen zu Russland abzubrechen, orientiert sich jedoch auf eine engere Zusammenarbeit mit der EU und der Nato. Mehrere Führer der Opposition sind berüchtigte belarussische Nationalisten, die der russischen Sprache den Status der offiziellen Amtssprache aberkennen wollen.

Letzte Woche forderte die EU auf einem außerordentlichen Gipfeltreffen das Lukaschenko-Regime dazu auf, Verhandlungen mit dem Koordinationsrat der Opposition aufzunehmen. Die EU erkennt die Wahl vom 9. August nicht an. Dieses Wochenende begann US-Staatssekretär Stephen Biegun die erste direkte Diskussion der USA mit Tichanowskaja in Litauen.

Tichanowskaja erklärte später, sie sei „den USA für ihre Unterstützung des belarussischen Volks“ dankbar. Laut dem russischen Online-Portal Gazeta.Ru war dieses Treffen der erste offizielle Kontakt zwischen dem US-Außenministerium und der Oppositionsführung seit Beginn der Massenproteste in Belarus. Biegun reist jetzt nach Moskau und Kiew, um mit der russischen und ukrainischen Regierung über die Krise zu diskutieren.

Letzten Donnerstag erklärte ein weiterer Oppositionsführer namens Waleri Zepkalo, er arbeite daran, den Westen davon zu überzeugen, Swetlana Tichanowskaja als „Präsidentin“ von Belarus anzuerkennen. Er verwies auf Venezuela, wo die Trump-Regierung erfolglos versucht hat, die Regierung von Nicolás Maduro durch rechte Kräfte rund um Juan Guaidó zu stürzen, und erklärte: „Ein solcher Präzedenzfall wurde geschaffen. Prinzipiell ist es möglich, [in Belarus] das Gleiche zu tun.“

Mitten in den andauernden Verhandlungen mit der EU und den USA haben die eskalierenden Streiks und Proteste die Opposition in eine tiefe Krise gestürzt. Obwohl Tichanowskaja Neuwahlen fordert, auf Verhandlungen mit dem Lukaschenko-Regime beharrt und von der Opposition seit Wochen zur Wahlsiegerin erklärt wurde, erklärte Tichanowskaja selbst am Wochenende, weder sie noch ihr Mann, ein inhaftierter oppositioneller Blogger, würden bei einer neuen Präsidentschaftswahl antreten. Die Opposition hat noch keinen neuen Präsidentschaftskandidaten nominiert.

Als Reaktion auf die immer offenere Unterstützung der EU und der Nato für die Opposition ist der Kreml zu einer stärkeren Unterstützung Lukaschenkos und vor allem seiner Unterdrückung der Streikbewegung übergegangen. Bisher hat sich der Kreml geweigert, sich an Verhandlungen mit dem Koordinationsrat der Opposition zu beteiligen und die Einmischung „ausländischer Mächte“ in die Krise in Belarus verurteilt.

Die Streikbewegung in Belarus hat die enorme soziale und politische Kraft der Arbeiterklasse enthüllt. Allerdings sind die Arbeiter mit einer außergewöhnlich gefährlichen Lage konfrontiert. Ein Ausweg erfordert zwingend einen vollständigen Bruch mit allen Fraktionen der Kapitalistenklasse und den Gewerkschaften sowie eine Hinwendung zu sozialistischer und internationalistischer Politik auf der Grundlage der Lehren aus dem Kampf der trotzkistischen Bewegung gegen den Stalinismus.

Siehe auch:

Belarus: EU fordert Einbindung der Oppositionsparteien ins Regime
[21. August 2020]

Belarus: Lukaschenko-Regime und Opposition wollen Streikbewegung abwürgen
[24. August 2020]

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