Perspektive

Die Arbeiterklasse muss dem Schauprozesses gegen Julian Assange ein Ende setzen

Am ersten Tag der wieder aufgenommenen Auslieferungsanhörung von Julian Assange, die im Londoner Old Bailey stattfand, sank ein Land, das sich rühmt, eine der ältesten Demokratien der Welt zu sein, auf das Niveau einer billigen Diktatur.

Assange, der Gründer von WikiLeaks, hat Kriegsverbrechen, Folter, staatliche Überwachung und die diplomatischen Verschwörungen der USA und anderer imperialistischer Mächte aufgedeckt. Ins Gericht kam er nun in einem nicht gekennzeichneten Fahrzeug direkt aus seiner Zelle in einem Hochsicherheitsgefängnis, wo er unter strengeren Bedingungen als ein Mörder inhaftiert ist. Im Old Bailey konnte er im Gefangenentrakt zum ersten Mal seit sechs Monaten seine Anwälte persönlich sehen und einen ersten Blick auf die letzten schriftlichen Eingaben in seinem eigenen Fall werfen.

Draußen wurde dem WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson und dem bekannten Investigativjournalisten John Pilger der Zugang zum Gericht verweigert. Am Morgen vor der Sitzung wurde 40 Prozessbeobachtern, darunter Vertretern von Amnesty International und Reporter ohne Grenzen sowie EU-Parlamentsabgeordneten, von Richterin Vanessa Baraitser der Zugang zur Anhörung entzogen. Zur Rechtfertigung verwies sie in Orwellschen Begriffen auf die Notwendigkeit, „die Integrität des Gerichts“ zu schützen.

Eine Sprecherin von Amnesty International sagte: „Wir führen Woche für Woche auf der ganzen Welt Prozessbeobachtungen durch und sind in der Tat weltweit als akkreditierte, faire Prozessbeobachter anerkannt. Der physische Zugang zum Gericht wurde uns erstmals verweigert, als wir im August einen Antrag stellten. Dann wurden uns sechs Online-Beobachterplätze gewährt, die erst vor wenigen Tagen auf einen reduziert wurden. Und jetzt haben wir heute Morgen erfahren, dass uns sogar dieser eine Platz gestrichen wurde.“

Amnesty gab erst am 21. Februar dieses Jahres eine Erklärung heraus, in der sich die Organisation gegen die Behandlung von Assange aussprach, nachdem sie selbst unter erheblichen Druck der Bevölkerung geraten war. Aber Großbritannien führt jetzt einen so unverhüllten Schauprozess, dass selbst eine Online-Beobachtung des Verfahrens im Old Bailey nicht toleriert werden kann.

Demonstranten mit Plakaten vor dem Central Criminal Court Old Bailey in London, 7. September 2020 (AP Photo/Frank Augstein)

Im Fall Assange hat die britische Justiz die ganze Zeit zwei Funktionen ausgeübt. Sie verteidigt alle Versuche der Vereinigten Staaten, Assanges gesetzlich verbürgte und demokratische Rechte zu beschneiden, und verhindert nach Möglichkeit, dass dies der Öffentlichkeit bekannt wird.

Richterin Baraitser hat beide Funktionen während des gestrigen Verfahrens pflichtbewusst erfüllt. Ihre erste Entscheidung bestand darin, die von der Verteidigung vorgeschlagenen Zeiten für die Befragung der eigenen Zeugen - ein „zeitgemäßer Ansatz in Auslieferungsverfahren“, wie Verteidiger Edward Fitzgerald QC sagte - auf nur eine halbe Stunde pro Zeuge zu kürzen. Dies bedeutete, dass ein Großteil des Inhalts ihrer eingereichten schriftlichen Aussagen nicht gewürdigt wird.

Baraitsers lehnte zweitens den Antrag der Verteidigung ab, neue Vorwürfe gegen Assange, die von der US-Regierung in letzter Minute in einem neuen „überholten“ Auslieferungsersuchen eingebracht worden waren, aus dem Verfahren zu streichen.

Das neue Auslieferungersuchen wurde am 12. August gestellt, nur wenige Wochen vor der Wiederaufnahme der laufenden Anhörung. Auf der Grundlage stark kompromittierter Quellen erweitert dieses Dokument erheblich den Umfang der Aktivitäten, die die US-Regierung zu kriminalisieren versucht. Die Achse des Falles soll damit verschoben werden: Weg von Assanges journalistischer und publizistischer Arbeit mit der mutigen Informantin Chelsea Manning, hin zur Darstellung Assanges als Hacker, der die nationale Sicherheit der USA gefährdete.

Assanges Anwaltsteam akzeptierte zunächst die Aussage der US-Regierung, dass die zusätzlichen Anschuldigungen kein „eigenständiges anzuklagendes Verhalten“, sondern lediglich „Hintergrundinformationen“ darstellen würden. Da sie die schädliche Inhaftierung ihres Mandanten so schnell wie möglich beenden wollten, erklärten sie sich bereit, das neue Auslieferungsersuchen bei der für September anberaumten Anhörung zu behandeln.

Sobald sie das Gericht über diese Entscheidung informiert hatten, gab die US-Regierung eine überarbeitete Eröffnungsnote zu dem neuen Auslieferungsersuchen heraus, in der es heißt: „Im Gegensatz zur Eingabe der Verteidigung ... sind die ergänzenden Angaben in der Zweiten Anklageschrift nicht bloß narrativ ... Diese Angaben stellen das Verhalten dar, nach dem dieses Gericht jetzt auch feststellen kann und muss, dass ein Auslieferungsdelikt vorliegt.“

Fitzgerald bemerkte, dass hiernach Assange ausgeliefert werden kann „selbst wenn das Gericht die Anklage gegen ihn ablehnt, allein auf der Grundlage des neuen Materials“. Kronanwalt Mark Summers, der ebenfalls Assange vertritt, nennt dies eine „fundamentale Ungerechtigkeit gegenüber der Verteidigung“, die keine Zeit hatte, eine Antwort auf die neuen Vorwürfe zu formulieren, die zu einem Zeitpunkt kommen, da die Frist für die Vorlage von Beweisen bereits lange überschritten ist.

Baraitser stimmte ohne Zögern diesem ungeheuerlichen Stück Rechtspflege zu. Sie sagte, die Verteidigung hätte jedes Problem durch einen Antrag auf Vertagung beheben können, wobei sie die Tatsache ignoriert, dass Assange keine Gelegenheit hatte, die überarbeitete Eröffnungsnote zu prüfen und neue Schritte zu beraten.

Ihre Entscheidung bedeutet Folgendes: Seit Assange im April letzten Jahres aus der ecuadorianischen Botschaft gezerrt wurde, erweiterte sich die Anklage gegen ihn von anfänglich Computer-Hacking mit einer Höchststrafe von fünf Jahren auf 18 Anklagepunkte nach dem US-Spionagegesetz mit einer möglichen Strafe von 175 Jahren in einem Bundesgefängnis (hauptsächlich in Verbindung mit der Veröffentlichung von Dateien, die er von Manning erhalten hatte) und nun wiederum auf ebenfalls Anklagen wegen Spionage, aber auf der Grundlage eines breiten Spektrums von Vorwürfen, einschließlich der Beteiligung an verschiedenen Hacker-Gruppen und Hilfe für den Informanten Edward Snowden.

Baraitser lehnte einen späteren Antrag auf Vertagung der Verhandlung auf Januar ab, den Anwalt Summers nach kurzer Rücksprache mit Assange gestellt hatte.

Die willkürliche und rechtsverdrehende Verfolgung von Assange ist ein Beispiel dafür, wie sich Regierungen in aller Welt autoritären und faschistischen Herrschaftsmethoden zuwenden. In den Wochen vor der Anhörung von Assange wurden die in der US-Verfassung verankerten Rechte mit Füßen getreten, als die Demonstrationen gegen Polizeigewalt in ganz Amerika mit Gummigeschossen, Tränengas und Schlagstöcken konfrontiert wurden. In Szenen, die an südamerikanische Diktaturen erinnern, wurden US-Bürger in nicht gekennzeichnete Autos gezwungen und zum Verhör entführt. Zudem wurden Demonstranten von der US-Polizei und faschistischen Bürgerwehr erschossen.

Der Fall Assange ist die Speerspitze dieser Offensive. Damit macht die herrschende Klasse in den USA und Großbritanniens deutlich, dass demokratische Rechte ihr nichts bedeuten. Sie wollen mit neuen Präzedenzfällen ihr ungeschminktes Klasseninteresse durchsetzen, dass diejenigen, die gegen die Interessen des kapitalistischen Staates handeln, mit brutaler Repression rechnen müssen.

Die politische Verantwortung für diese pseudo-legale Travestie liegt bei den angeblich liberalen Medien, den Demokraten in den USA, der britischen Labour-Partei und ihren pseudolinken Mitläufern. Sie haben bewusst die große Sympathie für Assange in der Bevölkerung bekämpft und der Trump- und Johnson-Regierung freie Hand gelassen.

Nachdem die New York Times, der Guardian, die Democratic Socialists of America, die britische Socialist Workers Party, die Socialist Party und ähnliche Formationen auf der ganzen Welt die üble Verleumdung Assanges als „Vergewaltiger“ unterstützt hatten, forderten sie die Auslieferung von Assange an Schweden - was immer nur einen Zwischenschritt in Richtung einer Auslieferung an die USA bedeutete.

Nachdem die geheime Grand Jury, die unter Barack Obama gegen Assange vorbereitet wurde, aufgeflogen war, beantragte die Trump-Regierung die Auslieferung Assanges. Die liberale Presse bejubelte seine Festnahme in der ecuadorianischen Botschaft und schrieb dann über Trumps „Milde“, weil er lediglich Hacking als Grund für eine Anklage angeführt habe.

Als die Anklage im Rahmen des Spionagegesetzes erweitert wurde, forderte sie zusammen mit einigen pseudolinken Unterstützern der Kampagne „Don't Extradite Assange“, man müsse Vertrauen in die britische Justiz haben, und sie appellierten an „linke“ Politiker wie Jeremy Corbyn und Bernie Sanders. Der antidemokratische Gestank, der von dem Verhandlungstag am letzten Montag ausging, ist die faule Frucht dieser Kampagne.

Die arbeitende Bevölkerung und Jugend muss gewarnt sein: Im Old Bailey geht es um entscheidende politische Fragen. Die Linien dieses Kampfes werden nicht im Gerichtssaal, sondern in der Gesellschaft gezogen.

Keine Wendung in dieser juristischen Farce wird die Tatsache ändern, dass Assange auf der Anklagebank sitzt, weil er imperialistische Verbrechen gegen die internationale Arbeiterklasse aufgedeckt hat. Mit ihrer Anklage bekräftigt die herrschende Klasse ihr Recht, in Zukunft noch schrecklichere Gräueltaten zu verüben. Dem muss entgegengewirkt werden. Die einzige Kraft, die dazu in der Lage ist, ist eine einheitliche Bewegung der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt.

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