Kommunalwahl in NRW: Wachsende Opposition gegen offizielle Politik

Die Parteien der Großen Koalition verloren am Sonntag bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen einen Stimmenanteil von 10 Prozent. Sowohl die SPD wie die CDU erzielten das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.

Die Wahl ist – neben der Hamburger Bürgerschaftswahl vom 23. Februar und der bayrischen Kommunalwahl vom 15. März – die einzige, die in diesem Jahr in Deutschland stattfindet. Rund 14 Millionen Wahlberechtigte – d.h. jeder fünfte in Deutschland – waren aufgerufen, die Kreistage, Stadträte, Gemeinderäte und Bezirksvertretungen neu zu wählen.

Die CDU, die mit 34,3 Prozent als stärkste Partei aus der Wahl hervorging, verlor gegenüber der letzten Kommunalwahl vor sechs Jahren 3,2 Prozent. Die SPD sackte in ihrem einstigen Stammland, das sie fast 50 Jahre regierte, sogar um 7,1 auf 24,3 Prozent ab. Hauptgewinner der Wahl sind die Grünen, die 8,3 Prozentpunkte zulegten und mit 20 Prozent drittstärkste Partei wurden.

Das Wahlergebnis war vor allem ein Ausdruck der wachsenden Opposition gegen die gesamte offizielle Politik. Die Hälfte aller Wahlberechtigten blieb zuhause. Mit 51,5 Prozent war die Wahlbeteiligung etwa gleich hoch wie vor sechs Jahren, als sich 50 Prozent beteiligt hatten. Viele sahen offensichtlich keinen Sinn darin, zwischen Parteien zu wählen, die in Bund, Ländern und Kommunen in allen denkbaren Kombinationen zusammenarbeiten und eine rechte, arbeiterfeindliche Politik verfolgen.

Betrachtet man das Wahlergebnis genauer, fällt der Niedergang von CDU und SPD noch weit drastischer aus, als dies die Gesamtzahlen belegen. Die beiden Parteien, die im Bund seit 2005 mit vier Jahren Unterbrechung gemeinsam regieren, wurden vorwiegend von älteren Wählern unterstützt, die ihnen aus Tradition die Treue halten. Bei den über 60-Jährigen erhielt die CDU 44 und die SPD 29 Prozent der Stimmen.

Von den 16-24-Jährigen votierten dagegen nur 22 Prozent für die CDU und 16 Prozent für die SPD. Die junge Generation erwartet nichts mehr von diesen Parteien, die für die rasante Ausbreitung prekärer Arbeit, Milliardengeschenke an die Banken und die Rückkehr zum Militarismus verantwortlich sind. Stattdessen wählten 33 Prozent von ihnen die Grünen, die in diesem Wählersegment stärkste Partei sind. Unter den über 60-Jährigen gewannen die Grünen dagegen nur 12 Prozent.

Stillgelegte Zeche Nordstern in Gelsenkirchen (Foto: Hans-Jürgen Wiese / CC-BY-SA 3.0)

Der Wahlerfolg der Grünen hat vor allem zwei Ursachen. Zum einen sind sie die Partei der wohlhabenden städtischen Mittelschichten. Vor allem in Großstädten wie Köln, Bonn, Aachen und Dortmund konnten sie Einfluss gewinnen. Auch im Ruhrgebiet, dem einstigen Zentrum der Schwerindustrie, gibt es inzwischen viele relativ wohlhabende Start-ups und Dienstleister. Bergarbeiter, die traditionell SPD wählten, gibt es dagegen keine mehr, und die letzten Stahlwerke werden gerade geschlossen.

In den verarmten Regionen des Ruhrgebiets mit vielen Hartz-IV-Empfängern wählten einige aus Wut die AfD. Die rechtsextreme Partei konnte ihren Stimmenanteil von 2,5 auf 5 Prozent verdoppeln. Das ist zwar weniger als bei der Bundestagswahl 2017, als die AfD in NRW 9,4 Prozent der Zweitstimmen erhielt. Sie trat aber bei der Kommunalwahl nicht flächendeckend an, so dass der Stimmenanteil in einigen Kommunen wesentlich höher liegt. Das beste Ergebnis erzielte die AfD mit 13,9 Prozent in Gelsenkirchen.

Die zweite Ursache für den Erfolg der Grünen beruht auf einem Missverständnis. Vor allem junge Wähler, die sich große Sorgen um die Umwelt machen, betrachten sie nach wie vor als Umweltpartei. Einer Meinungsumfrage zufolge war der Umwelt- und Klimaschutz das wichtigste wahlentscheidende Thema, noch vor Wirtschaftsthemen und Schulpolitik.

Tatsächlich unterscheiden sich die Grünen auch in dieser Frage längst nicht mehr von den anderen Parteien. Im Autoland Baden-Württemberg, wo sie mit Winfried Kretschmann ihren bisher einzigen Ministerpräsidenten stellen, ist dieser längst zum Vertrauensmann der Autolobby geworden.

Die Grünen konzentrieren ihre gesamte Energie darauf, die SPD im Bund als Koalitionspartner der CDU/CSU abzulösen. Ob es um Sparprogramme auf Kosten der Arbeiterklasse geht, um die Öffnung von Kitas, Schulen und Fabriken ohne ausreichenden Coronaschutz, um die Aufrüstung der Bundeswehr und die Planung neuer Kriegseinsätze, unterscheiden sie sich längst nicht mehr von den Parteien der Großen Koalition. In der Außenpolitik greifen sie diese sogar von rechts an und fordern ein aggressiveres Vorgehen gegen Russland und China sowie mehr „humanitäre“ Kriegseinsätze.

Ein Kommentar des Redaktionsnetzwerks Deutschland, das Zeitungen in NRW mit Artikeln beliefert, hat die Rolle der Grünen recht treffend beschrieben. „Die Grünen sind im Grunde die Gewinner in einem doppelten Spiel“, heißt es dort. „Einerseits beklagen sie die wachsende soziale Aufspaltung der NRW-Großstädte – gleichzeitig aber profitieren sie davon. Allerorten liegen sie in jener Szene vorn, die vom Auf und Ab der Konjunktur abgekoppelt ist.“

Bezeichnend ist, dass neben der SPD auch die Linkspartei Stimmen eingebüßt hat. Sie kam auf 3,8 Prozent – 0,8 weniger als vor sechs Jahren. Auch die Linkspartei unterscheidet sich längst nicht mehr von den anderen Parteien. Sie setzt alles daran, mit den Hartz- und Kriegsparteien SPD und Grüne die nächste Bundesregierung zu bilden. In den Ländern und Kommunen, in denen sie mitregiert, geht sie ebenso rücksichtlos gegen Arbeiter, Arme und Flüchtlinge vor, wie die anderen Parteien.

Die FDP, die in NRW als Koalitionspartner der CDU in der Landesregierung sitzt, konnte sich um 0,8 Punkte auf 5,6 Prozent verbessern.

Im Bundestag und den meisten Länderparlamenten sitzen mittlerweile sechs verschiedene Parteien. Zählt man die CSU als eigene Partei, sind es sogar sieben. Aber die politische Auswahl ist dadurch nicht größer geworden. Sie vertreten alle mehr oder weniger dieselbe rechte Politik, wobei die AfD – wie in der Flüchtlingspolitik – in der Regel den Ton vorgibt.

In breiten Schichten der Bevölkerung staut sich die Empörung über Arbeitsplatz-, Lohn- und Sozialabbau, über die Öffnung der Schulen ohne Corona-Schutz, über das Kaputtsparen von Bildung und Gesundheitsversorgung. Unzählige sind entsetzt über die unmenschliche Flüchtlingspolitik der Europäischen Union und die Rückkehr des deutschen Militarismus.

Doch im offiziellen Politikbetrieb finden diese Anliegen keinen Ausdruck. Die Opposition kann sich nur außerhalb und gegen die etablierten Parteien und die mit ihnen verbundenen Gewerkschaften entwickeln. Und sie tut das auch. Um ihr eine Orientierung und Führung zu geben, tritt die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) für den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees in Fabriken und Schulen ein. Sie haben die Aufgabe, Arbeitsplätze und Löhne zu verteidigen, die Sicherheit von Eltern, Pädagogen und Schülern zu gewährleisten und sich bundesweit und international zu vernetzen.

Zusammen mit ihren Schwesterorganisationen im Internationalen Komitee der Vierten Internationale kämpft die SGP für ein sozialistisches Programm, das die gesellschaftlichen Bedürfnisse über die Profitinteressen der Konzerne und Banken stellt.

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